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6

Daß der Menschenverächter Cosmo – obzwar immer bereit, wenn es nottat, kaiserliche oder päpstliche Einladungen anzunehmen, fast nie jedoch bürgerliche – daß er an diesem Abend durch seine und der Seinen Gegenwart das Maskenfest ehrte, war eine hohe Auszeichnung für den Gastgeber. Vor einem Vierteljahrhundert, als nach der Erdolchung des liederlichen Duca Alessandro de'Medici dessen Vetter und Orgienkumpan Lorenzino unklugerweise nach Venedig und Konstantinopel geflohen war – anstatt als »neuer Brutus« die Früchte des Tyrannenmordes einzuheimsen –, hatte Andrea Corsini zu den Besonnenen gehört, die, sich um den Kardinal Cybò und Francesco Guicciardini scharend, dem schönen siebzehnjährigen Sohn des »Gran Diavolo«, des tragisch für Italiens Freiheit ums Leben gekommenen Giovanni delle Bande Nere, auf den Thron Toscanas verhalfen.

Jedoch nicht alle Angehörigen Cosmos waren heute mit ihm zur Lustbarkeit gekommen. Die im Sarge lagen, konnten ja ihr stilles Haus nicht verlassen: das waren die beiden blütenjung, kaum erst mannbar, verblichenen Töchter Donna Maria und Donna Lucrezia. Im Pittipalast geblieben war krankheitshalber auch Cosmos Gattin, die Duchessa Eleonora di Toledo: seit langem schon wankte sie dem Grabe zu, unaufhaltsam, eine Vergiftete, zu spät Entgiftete, zu spät vom Rande der Gruft Zurückgerissene und dem Leben Zurückgegebene, lebend noch, ohne dem Leben mehr anzugehören ... Beim Ballfest fehlte auch der Älteste, der Thronerbe Don Francesco: den noch Ungeschliffenen hatte Cosmo für ein Jahr an den Madrider Hof geschickt, damit er dort die arte de prudencia, eleganten Hochmut zu zeigen und Gedanken zu verbergen, erlerne ... Nicht anwesend war auch die jüngste Prinzessin, Donna Isabella, die einzige noch lebende Tochter Cosmos. Allzuteuer war sie ihrem Vater gewesen in jenem Verhängnisjahr, als er sich verlassen sah von Lodovica, – der sie seltsam ähnlich war in ihrer amazonenhaften Wildheit. Blutenden Herzens hatte er sie dann nach Rom an den dickwanstigen Paolo Giordano Orsini, den Gonfaloniere der päpstlichen Truppen, verheiratet, durch eine tragische Verkettung gezwungen, das Kind aus einem schuldvollen Paradies in eine Ehehölle zu verstoßen.

7

In den zwei Staatskarossen, die von der Piazza Pitti zum Lungarno Corsini gefahren waren, hatten mit dem Duca seine drei minorennen Söhne gesessen – Kardinal Giovanni, Don Gracia und Don Ernando – und außer diesen auch seine Nichte Donna Faustina, Lorenzinos Tochter, um derentwillen tags zuvor die Fürstin Mala spina gefedert worden war.

Daß es Donna Faustinas wegen geschah, hatte Lodovica nicht erwähnt, als sie frostbebend auf der Straße die Fragen Cosmos beantwortete und auch nicht beantwortete. Erst bei seiner Rückkehr in den Pittipalast erfuhr er, daß die Fürstin zufällig Zeugin gewesen war, wie Donna Faustina auf der Via Larga von einem maskierten Jüngling – seinem mißratenen Sohn Don Pietro – belästigt wurde, der an sie das Ansinnen stellte, sie solle sich öffentlich vor allen Passanten von ihm küssen lassen. Und da Faustinas alte Ehrendame kein Schutz für die Prinzessin war – (ihr Sonnenschirm hätte gegen Pietros Florett nichts ausrichten können!) –, nahm sich Lodovica der Belästigten an und befahl ihrer Leibwache – ihren drei bis an die Zähne bewaffneten Negern –, die Damen nach Hause zu begleiten ... Zu spät wurde die Fürstin inne, daß sie sich selbst ihrer Beschirmer begeben hatte – wehrlos sah sie sich den wüsten Kumpanen Don Pietros ausgeliefert, die sie dann aus Rache federten.

Der sonst so stoische Duca ballte die Fäuste. Man hatte seine Freundin, seine Krähe, anzutasten gewagt, – sie, die er sein Gewissen zu nennen pflegte! ... Und in der Tat, das schöne Mädchen war wie sein Gewissen: gut und auch schlecht. In ihren Augen spiegelten sich Cosmos Traurigkeiten und sein Frohsinn; was aber in ihr selbst vorging, verrieten ihre Augen nicht. Vielleicht irrte er sich, wenn er ihre Versklavtheit für Liebe hielt ... Die Staatsklugheit hatte ihn einst gezwungen, als er den Thron des ermordeten Duca Alessandro bestieg, dessen Mörder Lorenzino de'Medici, Donna Faustinas Vater, erdolchen zu lassen. Die Bluträcherin hätte sein müssen, war seine Geliebte, seine »Krähe« (cornacchia) geworden ... Nicht etwa verstört, sondern mit überlegenem Humor beschrieb sie den Affront Don Pietros und bat Cosmo, sich's nicht so sehr zu Herzen zu nehmen. Sie hatte wahrlich drei Tränen Satans im Leibe: eine lachende, eine böse und eine schwermütige ...

Der ungalante, allzugalante Übeltäter Don Pietro, Isabella Orsinis Zwillingsbruder, der als erwachsener Prinz ein eigenes Haus mit fürstlichem Troß bewohnte, war von seinem grollenden Vater nicht mitgenommen worden. Vielleicht gehörte er nicht einmal zu den geladenen Gästen; – aber dennoch hatte er sich eingefunden: dank dem Maskengewühl war es ihm und auch einigen Kurtisanen, die nicht gebeten waren, möglich gewesen, sich unbemerkt unter die Tanzenden zu mischen.

8

Noch immer suchte der junge Gracia nach seiner Freundin Donna Tolla Fiordespini. Er wollte sie zur Rede stellen, er grollte ihr und hegte den eifersüchtigen Verdacht, daß sie seinen Bruder Giovanni heimlich verständigt habe – denn wie hätte der sonst auf den Gedanken kommen können, das Nereidenkostüm zu wählen? ... Im großen Tanzsaal hat Gracia sie nicht zu erspähen vermocht und nun forscht er nach ihr in den andern Sälen, Zimmern und Kammern, wo maskierte Paare, des Tanzens müde, ausruhn, Sorbetto schlürfen oder Arm in Arm promenieren. Schließlich gelangt er in einen Raum, der gemieden zu sein scheint, weil er dunkel und düster und gar nicht einladend ist für das lebensfrohe Geplauder und Gescherz der Masken. Im Dämmerschein einer einzigen Kerze schimmern schwärzlich an gekalkten Wänden Schwerter, Lanzen, Schilde und Morgensterne; und inmitten des Zimmers stehn Ritterrüstungen aufrecht da, ein froschgesichtiges eisernes Volk, durch den Zeitwandel zwecklos und inhaltlos geworden wie alte Krebsschalen. Es ist die Rüstkammer der Corsinis.

Schon will Don Gracia sich zurückwenden, da hört er – ganz sacht geflüstert – seinen Namen, erkennt die Stimme seiner Braut und eilt (sich beinahe verirrend im eisernen Gehege der hoch ihn überragenden Rüstungen) in die dunkelste Ecke des schummrigen Saales, von woher der Lockruf ertönte ...


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