Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

39

Eines Tages ließ die Marchesa ein Dutzend Pferde satteln – für sich, ihre Mädchen und mich. Durch einen reitenden Boten hatte sie vom General Bragadino die Mitteilung erhalten, an Bord eines im Hafen Limasol angelangten Schiffes befinde sich der eine der beiden Neffen Norfolks und beabsichtige, sich den Sarg mit den Gebeinen seines Oheims ausliefern zu lassen; es wäre erwünscht, daß die Marchesa außer dem Sarg auch mich nach Limasol schicke, da ich ja der einzige sei, der über die indische Reise und über die letzten Lebensstunden des Lords Auskunft geben könne ...

Zu verliebt war Monna Isotta, als daß sie sich für mehrere Tage von mir hätte trennen wollen. Vor allem aber befürchtete sie, der junge Norfolk könnte sich's einfallen lassen, mich nach England mitzunehmen, mich ihr zu entreißen. Das durfte nicht sein, und darum schreckte sie nicht davor zurück, mich auf dem beschwerlichen elfstündigen Ritt zu begleiten.

Als die Nacht anbrach, hatten wir erst die Hälfte des Weges hinter uns. Bei Fackelbeleuchtung setzten wir die Reise fort. Unvergeßlich ist mir das Bild. Schwarzer Samt, darauf ein klafterlanges Silberkreuz gelegt war, überdeckte den Sarg und den von zwei weißen Maultieren gezogenen Leichenwagen. Wie ein Amazonenheer hatten sich die Marchesa und ihre Mädchen bewaffnet. Jede von ihnen hielt eine weiße Wachsfackel in der Hand; und im schimmerhaften Feuerglanz blinkten ihre Brustharnische, ihre Dolchmesser, ihre eisernen Hauben und die darunter hervorquellenden Haare karminrot belichtet, gespensterhaft. Hätten Räuber uns aufgelauert, sie hätten vor dem nächtlichen Spuk den Mut verloren. Unbehelligt kamen wir an der unheimlichen Tempelruine des Apollo Hylates vorbei – der Geisterzug der Trauerfrauen wurde nicht ausgeplündert.

40

Als wir am nächsten Vormittag Limasol erreichten, wurden wir im Auftrage Bragadinos von dessen Hauptmann Malatesti empfangen.

»Malatesti?« unterbrach Cosmo. »Ist das der Malatesti, der beim Koch Lelio Mafragnone in Florenz gestorben ist?«

»Ja, Eccellenza, – Jacopo dei Malatesti, er, der beim ›cyprischen Koch‹ gestorben ist ... Bragadino war aus Famagosta, seiner Statthaltern, aufgebrochen und hatte von unterwegs den Hauptmann vorausgeschickt, seine baldige Ankunft in Limasol anzukündigen. Für die Zeit unseres Aufenthalts in der Hafenstadt wurde uns durch Malatesti ein leerstehendes, dem General gehörendes Haus aufgeschlossen, wo wir den dicken Reisestaub abwaschen und wo die Damen von den Strapazen ruhen konnten.

Erst am folgenden Tage fand im Regierungsgebäude in Gegenwart Bragadinos die feierliche Auslieferung der Leiche statt. Der Sarg wurde geöffnet. Zum letztenmal blickte ich meinem Wohltäter, der mir ein Vater gewesen, ins furchtbar entstellte Antlitz ... Nicht hindern konnte ich es, daß mir ein Tränenstrom über die Wangen rieselte.

Gelassen, ohne eine innere Bewegung zu zeigen, trat der junge Lord an den Toten heran, betrachtete ihn durch ein goldumrandetes Augenglas prüfend und wandte sich – von den Merkmalen der Zersetzung angeekelt – ab. Er tat es unauffällig, und vielleicht war ich der einzige im Saal, den das kaninchenhafte Schnuppern seiner Nase empörte. Nie hatte ich diesen Menschen gemocht; – selbst seine adlige Schönheit haßte ich, die auf die Schultern fallenden Flachslockenwellen, das allzulange, allzuschmale Gesicht. Obgleich ich seit meiner Kindheit oft genug die Eiseskälte seines Herzens erfahren hatte, machte mich sein Benehmen am Sarge erfrösteln.

In leidlich fließendem Italienisch sagte er zu Bragadino:

»Ich erkenne an, daß dies die sterbliche Hülle meines Oheims, des Earl of Norfolk, ist. Und da wir hiermit der Formalität Genüge geleistet haben, bitte ich Euer Gnaden, den Sarg zunageln zu lassen, denn er riecht nicht gut.«

Sogar in Bragadinos altem Soldatengesicht wetterleuchtete es unwillig nach diesen Worten.

Der Sarg wurde geschlossen, die feierliche Übergabe war damit beendet. Trotz meines Widerwillens glaubte ich, es sei jetzt Zeit, daß ich den jungen Lord begrüße. Zwar hatte ich, in den Saal tretend, schon einmal mich vor ihm verbeugt, doch schien er es nicht gesehn zu haben. Jetzt ging ich auf ihn zu und streckte ihm meine Hand entgegen.

»Guten Tag, Richard!« redete ich ihn an wie in alten Zeiten, denn wir waren einst gleichaltrige Spielkameraden gewesen.

Er rührte sich nicht, er nahm die dargebotene Hand nicht.

Mir versank der Boden unter den Füßen, das Herz blieb mir stehn. Ich spürte, daß ich weiß im Gesicht wurde. Der alte General und seine Offiziere, die Marchesa und ihre Mädchen – alle blickten verwundert und gespannt auf uns beide.

»Richard! ...« wiederholte ich angstvoll.

Er musterte mich verächtlich von unten bis oben, dann fragte er:

»Wer seid Ihr, Signore? Ich kenne Euch nicht!«

Ich wollte ihm »Du lügst!« ins Gesicht schreien. Doch meine Kehle brachte keinen Ton hervor. Er hatte mich immer gehaßt, und dies war seine Rache ...

Da ich schwieg, wandte er sich an den General:

»Wer ist dieser Mensch?«

»Ein Schiffbrüchiger, Mylord. Er nennt sich Giuliano und behauptet, ein Pflegesohn Eures Oheims zu sein.«

»Giuliano? Nie habe ich den Namen gehört. Mein Oheim hatte keinen Pflegesohn. Ich habe niemals diesen Menschen gesehn!«

Als Betrüger gebrandmarkt stand ich da. Ein einziges Wesen wäre fähig gewesen, mir in meiner entsetzlichen Lage zu Hilfe zu kommen: die Marchesa hätte mir in diesem Augenblick die gestohlene Ehre wiedergeben können; – denn von allen, die mich anstarrten, wußte sie allein, daß der Lord wissentlich Falsches bekundet hatte. Doch sie tat den Mund nicht auf. Es entsprach ihren Wünschen, daß ich vernichtet, zertreten wie ein Wurm, verachtet war. So brauchte sie nicht mehr zu befürchten, daß ich nach England zurückkehrte.

Wie hätte ich damals ahnen können, daß sie den Schlüssel zu meiner Rehabilitierung besaß. Nicht Hilfe erwartete ich von ihr, nur Teilnahme für mein Mißgeschick, nur Vertrauen in meine Wahrhaftigkeit. Meine trostsuchenden Augen irrten hin zu ihr – sie aber schaute verlegen nieder mit verschleiertem, unenträtselbarem Blick, in welchem eine verhohlene Freude zu schimmern schien. Und weiter schweiften meine Augen und begegneten den Augen Violettas. Die flammten, die loderten mir entgegen in beredter Inbrunst, die flüsterten mir zu: »Verzweifle nicht, – ich glaube an dich! Da schau: was meine Hände hier im Saal nicht tun dürfen, das tun meine Augen: sie streicheln dir die Wangen, sie streicheln dir übers Haar! Und wenn alle dich verdammen, – ich glaube an dich! ...«

Es war wie ein Kuß Gottes.

41

Wir waren in den Bergpalast zurückgekehrt – und die nun folgenden Wochen glichen den verflossenen wie Zwillingsgeschwister. Wieder erfüllte Mädchenlachen, Ballspiel, Tanz und Gesang die Säle mit heiterem Tumult, und wieder verhätschelte mich die Schloßherrin mit Worten und Gaben. Doch im frohen Dämmerleben steigerte sich von Tag zu Tag mein Unbehagen: von Tag zu Tag verhüllten die Reden der Marchesa immer weniger ihres Herzens und ihrer Sinne Begehr ...

In einer Nacht wurde an die Tür meiner Dachkammer geklopft. Als ich öffnete, standen Raffaela und Marietta auf dem Gang draußen, beide erschrocken, fahl, zitternd. Die Marchesa liege im Sterben, teilten sie mir hastig mit; ich sei doch Arzt und ich möchte doch hinunterkommen, ihr zu helfen, wenn ich könne ...

Wir liefen die Treppe hinunter. Ich trat über die Schwelle ihres Schlafgemachs. Dort umstanden die andern jungen Damen das Prunkbett, angstbeklommen, verstört wie eine Lämmerherde. Schneebleich und scheinbar entseelt lag Isotta im elfenbeinernen Bett. Ich beugte mich über sie, zu lauschen, ob sie noch atme. Da schlug sie die Augen auf und flüsterte kaum vernehmbar:

»Ihr habt mich betrogen, Messer Giuliano! – in Eurer Phiole war die Rettung nicht! ...«

Jetzt erst sah ich das leergetrunkene Fläschchen auf dem Fußboden liegen. Vor mehreren Tagen hatte sie sich von mir Bilsenöl erbeten, um – wie sie mir sagte – ihrer altersschwachen Katze das Sterben zu erleichtern. Ahnungsvoll hatte ich ihr einen unschuldigen Trank in die Phiole gegossen.

»Ihr wundert Euch, Messer Giuliano?« sprach sie müde. »Mehr noch werdet Ihr Euch wundern, wenn ich Euch sage ... was ich Euch in Gegenwart dieser Kinder nicht sagen kann!«

Das war ein Befehl und mußte befolgt werden. Ich hatte Mühe, meinen Ärger zu verbergen: »Welch eine Komödiantin ist sie doch!« sagte ich mir; »da liegt sie als Leiche geschminkt ... am Boden das leere Fläschchen ... man holt mich um Mitternacht zur Sterbenden ... – und das alles, weil sie mit mir allein sein will! ...« Ich hatte Ursache, dies Alleinsein zu fürchten, und hoffte im stillen, die neugierigen Mädchen würden die Aufforderung nicht verstehn. Doch eingeschüchtert schlichen sie hinaus und ließen die Kranke mit ihrem Arzt allein.

Bis zum Hals war Isotta mit einer blauatlassenen Daunendecke verhüllt, und ihre langen rostfarbenen Haarsträhnen ringelten sich wie Nattern auf der Seide, rings um ihr grünlich-weißes Gesicht, dem Schlangenhaar der Furien ähnlich.

»Geht, Messer Giuliano, riegelt die Tür hinter ihnen zu!«

Ich führte es aus. Als ich zurück zum Bett kam, hatte sie die Atlasdecke abgeworfen. Was meine Augen sahn, war blendend und zugleich grotesk, herrlich und zugleich beinahe lächerlich und etwas traurig.

Sie war nicht völlig nackt und war auch nicht bekleidet. Wie eine phönizische Dienerin der Astarte trug sie Smaragdringe an den Zehen, Rubinspangen an den Knien, einen Gürtel aus Saphiren am Nabel, ein Diamantennetz schmiegte sich an ihre Brüste. Das blinkte und funkelte, die Sinne berauschend, wie zahllose Tautropfen auf einer Rose; – nur daß den Tautropfen die Rose nicht entsprach: welk war das Fleisch der alternden Frau.

Sie griff nach meinen Händen, sie küßte meine Hände, unsinnige Worte redete sie. Ich aber sprach zu ihr mit überlegener Ruhe, wie man zu einem Kinde spricht:

»Erlaubt mir heute, Euer Arzt zu sein – denn Ihr seid krank, Madonna! Unverantwortlich wäre es von mir, wollte ich die Schwäche Eurer überreizten Sinne zu meinem Vorteil ausnutzen. Ihr würdet es morgen weder Euch selbst noch mir vergeben! ...«

Alles, was ich vorbrachte, war Lüge – ich konnte ihr ja nicht sagen, daß sie häßlich sei ...

Vergebens versuchte sie mich ins Bett hineinzuziehn. Es gelang mir, mich ihren verkrampften Fingern zu entwinden. Sie stieß einen markerschütternden Schrei aus. Mich rührte der Schrei nicht, ich ging hinaus.


 << zurück weiter >>