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Sonnenglanz flutete durch die Scheiben und spritzte flüssiges Gold auf fruchtbeladene Tafelaufsätze (Meisterwerken Cellinis), auf Majoliken aus Faenza, auf toscanische Kristallgläser und goldene Bestecke, als pünktlich um elf Uhr die Tischmusik einsetzte, – ausgeführt von einem Chor jugendlicher Sänger, die abseits vom Eßtisch auf einer kanzelähnlichen Estrade unter dem Taktstock des Opernkomponisten Alessandro Striggio achtstimmige Kantaten vortrugen. Hätten sich zwischen den Tafelnden nicht die Fürstin befunden und Agostino Gritti, Venedigs Gesandter, und Fra Bartoldo, der Inquisitor von Florenz, – man hätte das ganz unfeierliche Bankett für ein Familienessen halten können. Sogar der burleske Zwerg Dino Barbini durfte an der Tafel sitzen und auch die stets mit ihm sich katzbalgende Madama d'Ora, die Zwergin der Duchessa Eleonora di Toledo. Sonst schmausten da nur Mitglieder der »casa illustrissima de' Medici«: Cosmos Söhne Giovanni, Gracia und Ernando; Messer Bernardetto (ein armer Verwandter); und Cosmos Schwager, der Bruder der Duchessa Eleonora: Don Luigi di Toledo, ein ganz vertrockneter Mensch.

Zur Begründung seines lächerlichen Stolzes hatte Don Luigi keine weiteren Vorzüge anzuführen, als daß er der berüchtigten Familie Alba angehörte und ein Sohn des Vizekönigs von Neapel und Sizilien war. Während der Belagerung von Siena hatte er sich durch seine Roheit hervorgetan. Als ihm zu Ohren gekommen war, sein Neffe – der damals achtjährige Don Gracia – habe, einem Gefecht zuschauend, Zeichen von Ängstlichkeit gezeigt, erbat und erhielt er von Cosmo die Erlaubnis, den kleinen Prinzen an die Schrecken des Krieges und den Anblick von Blut zu gewöhnen. Er tat es auf gräßliche Weise; und die Zerstörung, die er in der zarten Seele des Kindes anrichtete, war nie wieder gutzumachen. Don Luigi di Toledo zwang nämlich Don Gracia, aus nächster Nähe mitanzusehen, was mit sienesischen Kindern geschah, die von Hunger getrieben sich vor die Tore der darbenden Stadt hinausschlichen, in der Hoffnung, ein Stück Brot von den Feinden erbetteln zu können. Die spanischen Landsknechte ließen die Kinder herankommen, anstatt ihnen jedoch Brot zu geben, schnitten sie ihnen die Hände ab und jagten die Verblutenden in die Stadt zurück. Wenn der kleine Prinz sich schaudernd wegwendete oder von Mitleid zerquält die Augen schloß, wurde er von seinem Oheim streng gezüchtigt. Mit dem Erfolg, daß schließlich Gracias Augen sich an das purpurne Schauspiel quellenden, verströmenden Menschenblutes gewöhnten, allzusehr gewöhnten, und ein grauenvolles Lustgefühl seine Seele zu verwüsten begann –: damals, im Feldlager von Siena, träumte er zum erstenmal den Traum, der ihn seitdem – in gewissen Zeitabständen – immer von neuem schreckte: er sah sich als Mörder, als Brudermörder ...

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Beim Festmahl fehlte Donna Faustina, weil sie ihrer Stirnwunde wegen das Bett hüten mußte. Ihre Abwesenheit wurde von vielen bedauert, – so von Lodovica, ihrer Beschützerin, von Traiano Bobba, ihrem Freunde, von Don Gracia, der sie überschwenglich anschwärmte. Weit mehr wurde sie vermißt als die Duchessa Eleonora, – war es doch fast die Regel, daß diese bei festlichen Anlässen sich nicht zeigte. Ihr weichherziger Sohn Don Giovanni war der einzige, der ihr Fernbleiben beklagte, denn nach wenigen Tagen schon – das war beschlossen – mußte er zurück nach Pisa in seinen kalten unmütterlichen Palast, wo er seit Jahren als kindlicher Erzbischof residierte und, abwechselnd, mal den Kardinalshut mal die Inful auf der Knabenstirn trug, – oft genug freilich auch bacchantische Veilchenkränze, die ihm Hetären flochten. Denn früh geweiht und früh verdorben war der junge Kirchenfürst, liebenswürdig, schwach und keineswegs so engelhaft, wie die Welt ihn sah ... Außer ihm sehnte sich niemand nach Eleonoras Absonderlichkeit. Sie wäre, hätte sie unter den heiter Lachenden gesessen, ein bedrückender Alp, ein leichenweißer Nachtmahr gewesen.

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So wenige waren der Tafelnden, daß Einzelgespräche sich kaum vorwagten und sofort wie vorlaute Flämmchen erloschen, verdrängt vom allgemeinen Tischgespräch. Don Luigi di Toledo brachte die Rede auf die russische Gesandtschaft, die in diesen Tagen am päpstlichen Hofe empfangen worden war. Der Inquisitor war in der Lage mitzuteilen, daß eine andere Gesandtschaft, eine chinesische nämlich, auf einer Romfahrt begriffen, bereits seit drei Jahren durch Asien wanderte. Und hieran knüpfte der Venezianer die Bemerkung: die große Asia sei kein verschlossener Weltteil mehr; früher habe man Landreisen bis nach China – wie die seines Landsmannes Marco Polo und die des Engländers Maudeville – als unerhörte Wagnisse bewundert; neuerdings aber höre man gar nicht selten mehr von Abenteurern, denen das gleiche gelungen, wenn sie auch nicht (wie Alexander der Große) die unheimlichen Bäume fanden, »die morgens aus der Erde kommen und sich zur Nacht wieder in die Erde verkriechen«. Um die zu suchen, sei vor einigen Jahren ein »Conte di Norfolk«, ein Engländer, vom Nildelta aus auf dem Landwege bis an den Ganges vorgedrungen.

Nachdenklich äußerte die Fürstin:

»Schade, daß ich es nicht erfuhr, – sonst hätte ich mich Norfolk angeschlossen!«

»Ich auch!« rief der Zwerg. »Meine Narrenkappe würde ich hergeben, könnte ich so einen krabbelnden Baum einfangen, abrichten und wie einen tanzenden Esel auf Jahrmärkten dem Volke vorführen! ›Schaut her!‹ würde ich ausrufen, ›mein Baum weiß, was die Stunde geschlagen hat!‹«

»Wie die Kunst Italiens!« bemerkte Lodovica. »Denn sie verkroch sich in die Erde, seit der Platonismus starb.«

»Brach also die Nacht herein?« fragte freundlich lächelnd der Inquisitor.

Er war ein alter schmächtiger Mönch mit schwarzbebrillter Stumpfnase, breitem Mund und hoher Gelehrtenstirn.


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