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39

Hinabgetaucht ist die Sonne. Die orange Wolkenstreifen am Horizont werden blutig rot. Wie mit Blut übergossen leuchten der Turm und die Menschen auf ihm.

Das gelle Lachen ist verstummt. Nebenan in der leeren Schlafkammer singt die gefangene Nachtigall, unbekümmert um die nahende Katastrophe, ungeschickt durch die schwüle Friedhofsstille auf dem Altan und das Stahlgeklirre auf der Wendeltreppe, wo – sichtbar an der eben aufgeschlossenen, offen gelassenen Tür – Neger und Hellebardenträger sich drängen, eines Winkes ihrer Herrin gewärtig.

Als Mann gekleidet ist heute Lodovica: sie hat die silbergraue Sammettracht der französischen Hofkavaliere gewählt (wie seinerzeit in der Taverne), weil sie glaubt, mit dem umgürteten Wehrgehenk und dem Rapier an ihrer Seite kraftvoller auftrumpfen zu können. Ihr rechter Arm ruht noch immer in einer Binde, ihren linken Arm hat sie keck in die Hüfte gestemmt.

»Wie steht es mit deiner Keuschheitsprüfung?« höhnt sie, dicht an Giuliano herantretend. »Ei, ei! Deinen Spottnamen, seraphischer König von Cypern, verdienst du nicht mehr: du bist ja keinen Deut besser als andere Männer! Von jetzt an werde ich dich ›Gefallener Engel‹ nennen! Ja, ›König Pfauhahn‹ sollst du künftig heißen! ... Die Wahrheit zu bekennen: du gefällst mir besser so sündenbleich –: bewiesen hast du doch wenigstens, daß du ein Mann bist!«

Wie ein wildes Tier, das durch die Gitterstäbe des Raubtierkäfigs am Panthersprung verhindert ist, entgegnet Giuliano:

»Wäre ich ein bewaffneter Mann, ich würde keinem aus Eurem Gefolge da die gebührende Antwort schuldig bleiben!«

»Warum nicht mir selbst, gefallener Engel? Weil ich eine Frau bin? Die berühmtesten Fechtmeister führen das Florett nicht so elegant wie ich! Oh, ich bin ein Teufelsweib! ... Oder fürchtest du die Damen der Hölle, König Pfauhahn?«

»Euch fürchte ich nicht!«

»Um so besser! Wollen wir's also ausfechten? Gleich hier? Ich bin bereit!«

»Ihr tragt Euren rechten Arm noch in der Binde, Signorina – sonst wäre auch ich bereit!«

»Wie ritterlich! Wie rücksichtsvoll! ... Doch was sehe ich! – Auch dein Arm ist nicht frei? Wie! Du bist gebunden? Mit Silber an ein Mädchen gekettet? Pfui, wer durfte dir solch eine Schmach antun! Das finde ich unwürdig eines Königs, das mag ich nicht sehn! Gib her, – wir Damen der Hölle haben weiche Herzen und scharfe Messer!«

Aus ihrem Gürtelgelenk zieht Lodovica ein Messer und zerschneidet die dünne Silberkette.

»Das hättest du mit deinen bloßen Händen tun können, gefallener Engel, – wärst du nicht so ritterlich und rücksichtsvoll. Ich verstehe ja deine schmerzliche Lust: die Kette, die euch aneinander band, war dir drei Tage und drei Nächte lang hochheilig und unantastbar, obgleich sie – (du siehst es!) – zerreißbar ist wie ein Spinnwebfaden!«

»Ihr irrt! –: sie ist unzerreißbar wie Schicksalsgespinst! Ihr wißt nicht, wie stark diese Kette bindet, Principessa!«

»Falls euch beiden daran gelegen ist, kann ich die Kette wieder heil machen – und euch von neuem binden!«

»Umsonst werdet Ihr das nicht tun. Was fordert Ihr dafür?«

»Was deine Anhänger von dir forderten, als du den Mumienkopf auf dem goldenen Kredenzteller trugst und ihn nach den Rätseln des Lebens fragtest ...«

»Ihr seid rätselhafter als das Leben, Principessa. Sagt mir's ohne Umschweif: was fordert Ihr?

»Einen Dolchstoß ins Herz Cosmos, Rache für den Tod deines Vaters Lorenzino!«

»Ich bin Lorenzinos Sohn nicht! Ihr verlangt Unmögliches, Principessa!«

»Wie es dir beliebt, König Pfauhahn! Dann aber bleibt die Kette zerrissen und Donna Gualdrada wird die Schlafbuhle meiner drei Neger – heute noch!«

»So teuflisch könnt Ihr nicht sein, Principessa!«

»Ich werde dir gleich zeigen, daß ich so teuflisch sein kann!«

Und zu ihrem im Hintergrund wartenden Gefolge gewendet, ruft Lodovica:

»Her zu mir, Achmed, Hassan und Murad! Holt euch eine Beischläferin! – ich schenke sie euch!«

»Haltet ein, Principessa!« schreit Giuliano. »Einen Augenblick noch ... laßt mir Zeit, nachzudenken! Vielleicht ... vielleicht, wenn ich Gualdrada retten kann ...«

»Denke nicht an mich!« ruft Gualdrada. »Du kannst kein Meuchelmörder werden!«

»Wenn du wirklich liebst, so weißt du, was du zu wählen hast, Giuliano!« ruft Lodovica unerbittlich.

Die drei Neger haben die Wendeltreppe verlassen und eilen durch die Schlafkammer zum Altan. Noch haben sie die Schlafkammer nicht durchschritten, da flüchtet Gualdrada an die Zinnen heran und ruft Giuliano zu:

»Du sollst nicht zwischen meiner Schmach und deiner Schande wählen! Du sollst nicht aus Liebe zu mir deine Seele verderben! Ich darf dein Verhängnis nicht sein!«

»Komm weg von da! Was tust du!« kreischt Giuliano entsetzt.

»Ich befreie dich von meiner Liebe, Giuliano! Sieh, ich mache dich frei!«

Einige Sekunden lang sieht man sie noch zwischen zwei Zinnen stehn. Dann entschwindet jählings ihr schneeiges Bild, taucht hinab in die furchtbare Tiefe ...

40

Acht Tage sind vergangen, – acht strahlende Sonnentage voll Bienengesumm, Zikadengezirp und Schmetterlingsgeflatter. Die Anziehungskraft der Erde hat ein armes Menschenkind in den Abgrund gerissen, weil sie Geröll und Lawinen in die Tiefe reißt ... Was weiter! – geschieht das nicht stündlich irgendwo? Die Sonne und der Mond blieben nicht stehn (wie einstmals zu Gibeon und im Tale Ajalon). Gestirne und Insekten trauern nicht einmal um ihresgleichen.

Seit acht Tagen weilt Giuliano unterhalb der Schloßkapelle in der finstern Krypta des Kastells, wo Gualdrada aufgebahrt in ihrem noch immer nicht geschlossenen Sarge ruht. Belichtet ist der modrige Kellerraum durch ein kleines, hoch angebrachtes Fenster; ein eigentümlich zinnoberroter Lichtstreifen fällt vom Fenster wie eine blanke Schwertklinge auf das Gesicht der Toten und auf die weißen Rosen auf ihrem Kopfkissen. Rötlich, wie von Adern durchblutet, ist die Haut der Frau und der Rosen.

Seit acht Tagen lebt Giuliano in der Krypta; nur für Augenblicke verläßt er sie, ein Stück Brot, einen Schluck Wasser zu sich zu nehmen. Jegliche andere Labung hat er bisher zurückgewiesen und hat, immerzu schweigend, abgelehnt, von der Toten sich zu trennen. Er hat seit ihrem Absturz in die Tiefe keine Silbe gesprochen und seitdem niemand – wer es auch sei – auf Trostworte oder Bitten weder durch Blick noch Gebärde eine Antwort erteilt.

Jetzt werden leise Schritte oben in der Schloßkapelle vernehmbar. Eine Tür knarrt. Jemand kommt die steinerne Treppe in die Krypta herab.

Es ist Lodovica. Doch wie ist sie verwandelt! Abgeschnitten ihr schönes blauschwarzes Haar, –: kahl wie ein gelbes Straußenei blinkt ihr länglicher Schädel. Sie hat das härene Gewand einer Eremitin an, ist von einem groben Hanfstrick umgürtet. Sie geht barfuß und bei jedem ihrer Schritte klirrt gläsern eine schwere Eisenkette, die sie unter dem Anachoretenkittel um den bloßen Leib gewickelt trägt. Grau, übernächtig, qualzerfurcht ist ihr Gesicht.

Sie wirft sich vor Giuliano nieder, sie neigt sich vor ihm so tief, daß ihre Stirn den Fußboden berührt.

Das gleiche tat sie gestern und vorgestern und alle die vorangehenden Tage schon. Nicht ein einzigesmal bisher hat er ihre Anwesenheit beachtet. Auch heute bleibt sein Mund schmerzvoll geschlossen; um so beredter aber schreien seine Augen: »Ecco la bestia!«

»So habe doch Erbarmen mit mir, Giuliano!« wimmert sie.

Er antwortet nichts.

»Wenn du mich nicht ansehn willst, – so sieh doch wenigstens meinen härenen Kittel an, meine baren Füße, meinen kahlen Kopf! Wir feiern nicht Karneval zur Sommerzeit, Giuliano, –: blutiger Ernst ist mir mein Eremitengewand! Hinausgewiesen habe ich meine Gäste, entlassen habe ich meine Dienerschaft. Abgetreten habe ich mein Fürstentum einem Verwandten; und was ich an Vermögen zurückbehielt, habe ich geopfert, um eine fromme Stiftung zu machen, wie du es mir anrietest, –: ein Kloster für gefallene Mädchen ... (Schau her, dies ist die Urkunde; lies sie, wenn du meinen Worten nicht glaubst! ...) Raffaela und ihre Gefährtinnen sind Bräute Christi, sind den Schleier zu nehmen bereit; schon leben sie nonnenhaft als die ersten Novizen. Wundert dich nicht der rote Schein am Fenster dort?«

Giuliano rührt sich nicht; es ist als spräche sie zu einem Stein. Doch sie läßt sich nicht entmutigen.

»Die Rocca brennt lichterloh, Giuliano! Ich selbst habe sie angezündet!«

Er wendet unwillkürlich den Kopf nach dem Fenster. Sogleich faßt sie seine Hand und zerrt ihn zur Treppe: auf den Stufen stehend kann man durchs Fenster sehn.

Ein schauerlich schöner Anblick ist der Brand des herrlichen Schlosses. Die zu Weißglut erhitzten Marmorquadern glimmen und glühn gegen den nächtlichen Himmel wie brennendes Gletschereis.

»Zuerst hatte ich versucht (wie du es mir anrietest, Giuliano), die abscheulichen Bilder eigenhändig von den Wänden zu kratzen. Doch das hätte Wochen und Wochen gedauert ... Schneller besorgte es die flammende Fackel, die ich an die Vorhänge hielt, an die Möbel, an die Teppiche und – an die zu einem Scheiterhaufen geschichteten unanständigen Bücher, Giuliano! ... Blicke hin: die Rocca wurde zum gewaltigen Scheiterhaufen, und an den Brandpfahl gebunden stirbt Priapus den Feuertod! ... Bist du nun zufrieden? ... Ach, schweige doch nicht so! Habe doch Erbarmen mit meiner Buße! ...«

Noch immer bleibt er stumm und unbewegt wie ein Stein.

»Du denkst vielleicht, ich werde als reiche Äbtissin leben, eine fürstliche Nonne? ... Nein, o nein! – das wäre keine Buße für meine Sünden! Im Gebirge, fern von den Menschen, werde ich das Sanktus singen, mein Fleisch kasteien mit der neunschwänzigen Geißel, werde in einer Erdhöhle meine Klause mir herrichten, von Gras und Wurzeln mich nähren wie die Büßerinnen der Thebanischen Wüste! ... Schau her, ich trage – weil ich mit einer Kette mein ärgstes Verbrechen beging – eine mit eisernen Dornen versehene Kette um den bloßen Leib!«

Sie lüpft ein wenig den härenen Kittel und zeigt ihm die blutigen Stellen an ihrem Körper.

Endlich spricht Giuliano.

»Mit Eurer Zerknirschung und Geißelwut könnt Ihr Gualdrada das Leben nicht zurückgeben!«

»Doch dich kann ich dem Leben zurückgeben! Gott braucht dich, Giuliano!«

»Was wißt Ihr von Gott, Principessa?«

»Höhne nicht so grausam, Giuliano! Du siehst doch, wie mich die Reue würgt! Habe doch Erbarmen! Furchtbare Schuld lastet auf mir, – ich will nicht noch mehr Schuld auf mich laden ... Du mußt Abschied nehmen von Gualdrada, – sonst nimmt dein Verstand Abschied von dir! Du suchst ja den Wahnsinn!«

»Nein, –: der Wahnsinn sucht mich! Mag er mich bei ihr finden!«

»Sobald du eine Aufgabe hast, wirst du zur Trennung die Kraft haben. Ich gebe dir eine Aufgabe, die kein Mensch auszuführen imstande ist außer dir!«

»Und das ist?«

»Rette Cosmo.«

»Vor mir?«

»Nein, nein – vor Biagio della Campana.«

»Ihr zittert für Cosmos Leben? Ihr? Ihr?!«

»Vergebe mir Gott, daß ich ihn so gehaßt habe! ... Oh, entschließe dich schnell! Verliere keine Zeit ...«

»Erst sagt mir, warum Ihr ihn so gehaßt habt!«

»Weil ... Du wirst es kaum verstehn können ... Vor Jahren im Palazzo Pitti war es, als Donna Maria, meine Freundin, noch lebte ... Er stellte mir nach. Ich weigerte mich ihm; und dennoch verargte ich's ihm, daß er nicht gewaltsam nahm, was ich ihm weigerte.«

»Mußtet Ihr nicht froh sein? Was kränkt Euch denn?«

»Daß er an meinem Leibe gesunden wollte von seiner kranken blutschänderischen Gier nach seiner Tochter – Isabella. Leiblich hat er die Blutschande nie begangen – dafür aber geistig vieltausendmal ...«

»Berechtigte Euch das, Meuchelmörder nach ihm auszusenden? Oder liebtet Ihr ihn trotz alledem?«

»Ich kenne – ich selbst – mich nicht aus in mir ... Es war so aufregend, junge Mörder zu erziehen! ... Mag sein, hätte ich Kinder gehabt, hätte ich lieber Kinder erzogen ... Zum Glück hat die Vorsehung es so gefügt, daß alle Anschläge mißglückten. Er trägt ein Panzerhemd, sobald er sich öffentlich zeigt ... Darum hatte ich auf dich große Hoffnung gesetzt: ich dachte, daß du, den er so liebt, leichter als andere ihn bei einem vertrauten Gespräch niederstechen könntest ... Ach, mein bloßer Wunsch war eine Todsünde; und falls Biagio ihn umbringt, wird der Himmel mir nie vergeben, daß der Mordplan in meinem Hause ausgeheckt wurde!«

»Konntet Ihr Biagio nicht abhalten?«

»Ich erfuhr es zu spät; er war bereits unterwegs ... Reite ihm nach, Giuliano! Ich gebe dir das schnellste Pferd meines Stalles. Hindere ihn! Und sollte dir das mißlingen, so hindere Cosmo, von der alten Brücke in den Arno hinabzuspringen!«

»Was wird geplant?«

»Auf den Grund des Flusses sollen aufrechtstehende Schwerter angebracht werden. Springt Cosmo hinunter, so wird sein Körper von einem Dutzend Klingen durchbohrt und zerfetzt.«

»Das darf und wird nicht geschehn, Principessa! Laßt mir Euer bestes Pferd satteln ... und betet zu Gott, daß ich nicht zu spät komme!«

Noch einmal kniet er bei der Aufgebahrten nieder, erhebt sich nach kurzer Andacht, drückt ein allerletztesmal seine heißen Lippen auf den eisigen Mund. Dann folgt er der Fürstin hinaus.


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