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12

Gegen Abend wandert Cellini durch das Magratal nach Sarzana. Am Krückstock humpelnd kommt er langsam vorwärts; – zum Glück nimmt ihn ein vorbeifahrender Fleischer in seinen Karren.

Die Sonne ist untergegangen, als er endlich vor dem Haus der Geliebten steht. Fremde Leute bewohnen das Haus. Da ist ihm, als senke sich ein schwarzer Schleier auf ihn nieder. Kaum noch verwundert, kaum noch bewegt, läßt er sich erzählen, daß Mutter und Kind schon vor Jahren verstorben sind.

Das hätte er sich sparen sollen, das goldelfenbeinerne Amulett für das tote Töchterchen mitzunehmen, sich auszumalen, wie er das Kettchen dem Kind um den Hals hängen werde ... Wem soll er jetzt das Kleinod schenken? Wen vor den Gefahren des Lebens behüten? ... Das hätte im voraus sein Herz ihm sagen müssen, daß er keinen Angehörigen, daß er keinen einzigen Menschen hat auf der Welt.

Die Sonne ist untergegangen. Er ist zu niedergeschlagen und müde, den Weg durchs nachtdunkle Magratal zurückzugehn. Er läßt sich einen guten Gasthof zeigen, nimmt ein Zimmer für die Nacht; und dann setzt er sich in die Wirtsstube, ißt ein Käsebrot und sucht Trost bei einer Flasche Wein.

13

Aus Träumereien wird er aufgeschreckt durch einen Höllenlärm, den an einem Tisch in der entgegengesetzten Ecke der Wirtsstube mehrere trunkene Gesellen anstellen. Er hatte, mit sich beschäftigt, dem Getöse keine Beachtung geschenkt; jetzt aber horcht er neugierig hin, was die Lotterbuben da für wüstes Zeug reden. Besonders auffallend benimmt sich ein stutzerhaft wie ein reicher Kavalier gekleideter Bengel, der seine Kumpane – es sind lauter Marmorarbeiter aus Carrara – verschwenderisch mit den teuersten Weinen bewirtet und darum von ihnen trotz seiner Jugend hofiert und umschmeichelt wird. Andächtig lauschen sie seinen Aufschneidereien, wie wenn es Orakel wären. Aufmerksam lauscht auch Cellini, denn noch nie hat er Massenmord so unverblümt predigen hören. Seinen ersten Impuls, mit der Zuchtrute dreinzufahren, unterdrückt er, da es ihm wichtig erscheint, von den die Kultur bedrohenden Absichten der Zechbrüder Kenntnis zu erlangen. Während er zuhört und seine Augen über den weingeröteten Mund, die pathetischen Handbewegungen, die Körperhaltung des unreifen Menschen hinschweifen, erkennt er ihn plötzlich –: es ist der frühere Page Guerzolo, den er zuweilen in Florenz als Begleiter der La Delfina gesehn hat.

»Pestilenz auf die Blutsauger, die Reichen, die sich von eurer Hände Arbeit mästen!« gröhlt Guerzolo. »Nun, gottlob, ihr seid keine Angsthasen, ihr werdet ihnen das Fell über die Ohren ziehn und sie an der Nase kitzeln, ihr werdet sein wie die Arrabiati zur Zeit der Florentiner Republik! Wißt ihr, wer die Arrabiati waren? Sie massakrierten wie die Tiger, stahlen wie die Raben, schändeten die reinen Jungfräulein wie die Gorillas und mordbrannten wie die apokalyptischen Reiter. Süß sind der Mädchen Brüste, meine Freunde! Die Villen der Medici und anderer Geldschaufeler machten die Arrabiati dem Erdboden gleich. So prachtvolle Kerle wollen auch wir sein, überbieten wollen wir die Arrabiati! Die Hauptsache ist, daß ihr viel Sprengpulver beiseite schafft. Es genügt mir nicht, daß ihr Minen unter Paläste legt, um sie springen zu lassen wie brennende Flöhe; – nein, die ganze heilige Stadt Rom muß in die Luft fliegen, dazu Bologna, Florenz, Mailand, Venedig! Hol mich der Teufel, wenn die brodelnde Steinsuppe im Vesuv nicht kühl erscheinen wird im Vergleich zum Feuer, das wir anzünden werden, – bis alle Reichen vertilgt und alle Armen reich geworden sind! ...«

Wohl eine halbe Stunde lang deklamiert Guerzolo in dieser Weise und verstummt erst, als er gewahr wird, daß seine trunkenen Zuhörer eingeschlafen sind.

Cellini überlegt, ob er sich in ein Gespräch mit dem so plötzlich vereinsamten Brandredner einlassen soll. Warum auch nicht? Keine Gefahr, erkannt zu werden (verschlissen ist ja sein Wams; – und wer kennt noch den Erzgießer des Perseus?) ... Denn Cellini ist nicht gewillt, auf seine Anonymität zu verzichten, die es ihm erleichtern soll, jenen auszuhorchen. Dabei führt ihn seine Abneigung gegen Cosmo auf eine falsche Fährte. Denn immer noch argwöhnt er – wie er es ja am Morgen des Maifestes zu Agostino damals äußerte – ein Verschulden des Duca; er hofft aufdecken zu können, wer die schützende Hand über Don Pietro hielt, wer den Hauptbelastungszeugen Guerzolo entwischen ließ und ihn so reichlich mit Geldmitteln versah ... Wie damals nämlich ist auch heute noch Cellini davon überzeugt, daß La Delfina von Giuliano getötet wurde, – den man ja gleichfalls, noch vor Beginn der Gerichtsverhandlung, entwischen ließ.

Inzwischen versucht Guerzolo vergebens, seine Zechbrüder zu wecken. Zwei von ihnen torkeln erschrocken empor – jedoch nur mit dem Erfolg, daß sie sich auf dem Tisch übergeben und schlaftrunken in ihre Sessel zurückfallen. Dies nimmt Cellini zum Anlaß, den Pagen höflich einzuladen, sich aus dem Gestank fort zu ihm an seinen Tisch zu begeben; einen besseren Zuhörer als jene werde er an ihm haben.

»Ja, hier stinkt es wie auf dem Fischmarkt!« brummt Guerzolo, wankt, taumelt heran und setzt sich an den Tisch Cellinis, der ihn sogleich mit schwerem Monte Pulciano traktiert. Da Cellini einen ärmlichen Eindruck macht, unterhält sich Guerzolo – der ihn für einen Ackerbauer aus der Umgebung hält – überheblich und herablassend mit ihm. Bald freilich verliert er, vom Wein völlig übermannt, die Herrschaft über seine Worte und Gedanken.

»Ihr mögt die Reichen nicht, Signore?« fragt Cellini.

»Pestilenz auf die Geldsäcke!«

»Doch wie? – seid Ihr nicht selber ein Reicher? Ihr schwimmt ja in Dukaten!«

»Du möchtest wohl meine Goldkröten hüpfen sehn, du Bauer? Nein, mein Teuerster, meine Dukaten gehn niemand was an ...«

»Ihr habt gewiß eine Erbschaft gemacht, Signore? War's von Eurem Herrn Vater oder von einem Oheim, daß Ihr erbtet?«

»Von einer Dichterin, du Milchlamm! ... Was verstehst du Bauer von Dichterinnen! ... Ach ja, auch sie war ein Milchlamm ...«

»Wohl Eure Frau Mutter, Signore?«

»Das Milchlamm? Da kann man ja vor Lachen bersten!«

»Wie hieß sie denn?«

»Du kennst sie ja doch nicht, du Bauer! ... Ein Prachtweib, sage ich dir ... Schade um sie.«

»Starb sie?«

»Nun ja. Wäre sie nicht totenkalt, hätte ich ihr Gold nicht und könnte nicht fressen, saufen, prassen ... Was hat man nun davon?«

»Wovon, Signore?«

»Vom Gold. Es ist gelb wie Butter und schmilzt einem weg wie Butter in der Sonne ... Ich wollte, Kamerad, sie wäre nicht totenkalt!«

»Die Dichterin?«

»Weißt du, Kamerad, wie sie mich nannte? ›Mein Eselchen‹ nannte sie mich. Sie war gut zu mir ... Ach ja, ich bin ein Eselchen! Einen rechten Eselskopf habe ich mir aufgesetzt!«

»Ihr seid nicht glücklich, Signore?«

»Nein, nein, nein!« ruft Guerzolo und verbirgt sein Gesicht in seine auf dem Tisch verschränkt liegenden Arme. Da Cellini sieht, daß er das trunkene Elend hat, läßt er es eine Zeitlang gewähren. Dann fragt er:

»Was betrübt Euch so, Signore?«

Nicht sogleich gibt Guerzolo eine Antwort. Er heult noch lauter; und schließlich lallt er tränenschluckend:

»Ach, ich armes Würmlein! Wie gütig lachte sie über mich, wenn ich sagte, ich sei ein Siebenmonatskind! ... Bin ich nicht ein elendes Siebenmonatskind? Die Kehle habe ich ihr durchschnitten, meiner Wohltäterin!«

»Tat das nicht Messer Giuliano, Signore?«

Trotz Trunkenheit und Müdigkeit stutzt Guerzolo und starrt Cellini mit gläsernen Augen an.

»Was weißt du von dem, du Bauer? Was weißt du vom Rex Seraphicus ... Du willst mich wohl ausholen? ... Daß du versauerst! ... Die Pest auf sie, die dich geboren hat! ... Dir sage ich kein Wort mehr ... und wenn du dir den ganzen Bart ausrupfst! ... Kein Wort! ... Pestilenz auf ..:«

Ohne den Fluch zu beenden, schläft Guerzolo schnarchend ein.


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