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Drittes Buch

Ein verwunschenes Schloß

1

König von Etrurien zu werden, war Cosmos geheimes Ziel. Das machte den kühlen Rechner zum Romantiker. Die Krone eines versunkenen Reiches schwebte lockend vor seinen Augen, und immer wieder vergebens streckte er die Hand aus nach dem unerreichbaren Phantom.

Die Hoffnung, es dennoch mit Hilfe allmächtiger Schutzherren erreichen zu können, machte ihn – den man den Tyrannen von Florenz nannte – unfrei und abhängig von seinen Protektoren. Wohl haßte er die Hände, die er küssen mußte; – doch eine Königskrone war schon Demütigungen wert.

Aus taktvollen und auch weniger taktvollen Handschreiben seiner Gönner war zu ersehn, daß am Kaiserhofe, beim Heiligen Stuhl und im Escorial das strenge Gewahrsam Don Pietros übel vermerkt wurde. Die hohen und höchsten Briefschreiber legten dem Duca nahe, den Prozeß niederzuschlagen.

Solche Ratschläge durften nicht übergangen werden ... Cosmos Dilemma war, daß er auch auf die Stimmung im eignen Lande Rücksicht nehmen mußte.

Am liebsten hätte er gesehn, die Gerichtsverhandlung ließe sich vermeiden. Das wäre vor vier Wochen vielleicht noch möglich gewesen. Inzwischen aber hatte das von ihm ernannte geheime Tribunal die Anklage erweitert – des Attentats wegen, das beim Maifest gegen ihn unternommen wurde. Die ursprüngliche Anklage erschien geringfügig im Vergleich zum neuen, ungeheuerlichen Verdacht, Don Pietro habe einen Vatermord geplant und habe einen seiner unauffindbaren Kumpane – sei es Carlo, sei es Santi – zum Mordversuch an dem im Arno schwimmenden Fürsten angestiftet. Für letztere Vermutung freilich Beweise herbeizuschaffen, hätte noch viel Zeit erfordert.

Auf diese aussichtslose Zeitvergeudung wurde (mit Wissen und Willen des Duca) verzichtet und Anfang Juni als Termin für den Gerichtstag festgesetzt.

2

Während Cosmo mit der Duchessa und seinen beiden jüngeren Söhnen an den Abhängen des Apennin im Jagdschlößchen Villa Cafaggiuolo weilte, fällte das Gericht das Todesurteil über seinen verkommenen Sohn.

Don Pietro hatte es nicht anders erwartet. Er hatte es vorausgesehn in jener tollen Karnevalsnacht, als er die kleine Cammilla Martelli auf dem verschneiten Dache hatte tanzen lassen und der Bargello ihm den Degen nahm. Damals war ihm jäh die Einsicht gekommen: »Ich bin verloren! – denn niemals wird Faustina öffentlich vor einem Gerichtshof zugeben, daß sie mit dem azurblauen Schmetterling bemalt wurde; aus Schamgefühl wird sie lügen, und erst recht, weil sie mich haßt ...«

Hiervon zutiefst überzeugt, hatte er während der dreimonatigen Untersuchungshaft nichts zu seiner Verteidigung unternommen. Aus verbissenem Hochmut hatte er auch verschmäht, von seinem ihm zürnenden Vater Gnade oder von seiner Feindin Faustina ein Geständnis der Wahrheit zu erflehn. Für seinen Körper und seine Seele war die Haft bekömmlich gewesen, eine Zeit des Ausruhens und der Besinnung. Er hatte sogar Fett angesetzt. Wein und Weiber vermißte er wohl; dafür blieb ihm Gesang –: vom Morgen bis in die Nacht hinein zirpte er auf seiner Gitarre. In den drei gesündesten, für vornehme Staatsverbrecher eingerichteten Zimmern der Torre di Nona konnte er beinahe vergessen, im Gefängnis zu leben; – einige Edelleute und vier Pagen bedienten den hohen Herrn. Besuche von Angehörigen oder der Hofgesellschaft waren zwar untersagt; nicht beanstandet jedoch wurde es, wenn würdige beamtete Personen ihm Teilnahme zu bezeigen wünschten. Priestern, die mit ihm Horas und Rosenkränze herzusagen kamen, versicherte er: abgefunden habe er sich mit Gottes strenger Prüfung. Juristen, die ihm ihre Dienste anboten, erklärte er tobend und weinend: das Stahlnetz des Fatums zerreißen zu wollen sei zwecklos.

Nicht von ihm war Faustina als Entlastungszeugin genannt worden, sondern von Messer Antonio Martelli, dem Kleinen Walfisch; – und das, obgleich dessen Töchterchen Cammilla auf Befehl des Prinzen in Eis und Schnee hatte tanzen müssen und vom Dache stürzend um ein Haar sich den Hals gebrochen hätte. Den die Voruntersuchung führenden Tribunalsräten war von Martelli zu Protokoll gegeben worden, mit welchen Worten sich Don Pietro in Semprebenes Taverne des blauen Schmetterlings gerühmt hatte. Nicht der einzige war Martelli, der Zeuge dessen gewesen: es hatten auch andere Stravaganti in Semprebenes Kneipe die verfänglichen Reden des Prinzen vernommen. Doch diese alle litten jetzt an Gedächtnisschwund; war es doch kein Geheimnis, daß Donna Faustina Cosmo nahestand; und war es doch unbezweifelbar, daß Schlimmstes zu gewärtigen hatte, wer – in die Zwangslage versetzt, vor Gericht Fragen zu beantworten, – einen gewissen Körperteil der bevorzugten Dame erwähnen würde. Welche Verwegenheit, unter solchen Umständen ein Gedächtnis zu haben! ...

Ja, eine Extravaganz war es, wenn auch eine edle, daß der Kleine Walfisch seine Haut als einziger zu Markte trug, um seinen Peiniger und Widersacher vor dem Henkerschwert zu bewahren. Er tat es nicht bloß aus Gutherzigkeit; er tat es auch, weil ihm Cosmo einstmals ans Herz gelegt hatte, den strauchelnden Prinzen vom Abgrund wegzuziehn. Damals hatte der Fürst gesagt: »Dächte ich unväterlich über meinen Sohn, so würde ich dir befehlen, ihn hinabzustoßen in den Abgrund, statt ihn zu halten! ...« Was niemand ahnte, dem Kleinen Walfisch war es bekannt: daß der Duca seinem Sohn eine strenge Bestrafung, doch nimmermehr den Tod anwünschte. Daher die Tollkühnheit Martellis, der das Wagnis auf sich nahm, zu Gunsten des Prinzen den Ruf Faustinas preiszugeben, – selbst auf die Gefahr hin, daß Cosmos Zorn Cosmos verschwiegenen Wunsch verleugnen würde.

Wäre Martellis Absicht zur Ausführung gelangt, so wäre es eine Katastrophe geworden, und dabei hätte er völlig zwecklos Donna Faustina vor ganz Florenz bloßgestellt. Dazu indes kam es nicht; und sogar eine barocke Rede im Walfisch-Stil vor so illustren Zuhörern zu halten wurde Martelli verhindert. Einer, von dem man es am allerwenigsten erwarten durfte, schonte Faustinas Ruf; – das war Don Pietro selbst.

Zum Ersticken staubig und schwül brütete die Hitze im Gerichtssaal. Durch die weitgeöffneten Fenster drang glühende Juniluft herein, ohne Hauch und ohne Kühlung. Die Sonne, von Fenstervorhängen nicht abgehalten, brannte auf den Scheiteln und Antlitzen der Richter, beperlte die Stirnen der Zeugen und Zuhörer. Kopf an Kopf gedrängt standen die Zuhörer, Nobili und Popolani; – ganz Florenz lauschte dem aufsehenerregenden Kriminalprozeß, wenn auch nur einige Hundert Zutritt erhalten hatten in den Ratssaal des Palazzo Vecchio, wo an der einen Schmalseite auf hoher Estrade der Gerichtshof tagte.

Es wurde beängstigend still, als der den Vorsitz führende Giudice processante Donna Faustina aufrief. Ob sie bereit sei, auszusagen?

Sie bejahte es. (Hatte in ihr nachgewirkt, was Giuliano ihr abends im Boboligarten nahegelegt hatte, bevor sie ihm die rote Rose gab? ... Wird der Mut sie nicht verlassen angesichts der sensationslüsternen Florentiner, die den Atem anhaltend auf ihre Lippen starren, als müßten gleich aus ihrem Munde Kröten und Schlangen kriechen? ...)

Der Procuratore generale scheint um das Kartenhaus seiner Anklage zu bangen, daß es durch ein Wort Faustinas umgeworfen werden könnte. Beflissen belehrt er sie: sie habe als Verwandte des Angeklagten das Recht, die Aussage zu verweigern. Sie schüttelt den Kopf und erklärt, alle Fragen beantworten zu wollen. Nun beginnt der Giudice processante überaus rücksichtsvoll und behutsam, seine Rede in Schleier hüllend, anzudeuten, daß er nicht umhin könne, etwas ganz Unaussprechbares zu erörtern: das Gericht nämlich habe Kenntnis davon erhalten, daß Don Pietro sich einer absonderlichen und geradezu unwahrscheinlichen Rachetat gerühmt habe ...

In diesem Augenblick erhebt sich Don Pietro. Er hatte bis dahin stumm und teilnahmslos auf der Anklagebank gesessen. Jetzt bebt er vor Erregung und ruft mit donnernder Stimme dem Vorsitzenden ein Halt zu: solche versteckten Anspielungen seien eine Beleidigung für die Gentildonna! ... Und nachdem er das gerufen, starrte er Faustina an, als wäre ihm schwer, zu fassen, daß sie da vor ihm steht. Aller Augen aber wenden sich ihm zu. Ein ungewohnter Anblick: er, den man kaum jemals anders als betrunken gesehn, er scheint nüchtern zu sein! Frischgestutzt sein Haar und sein Spitzbart, adrett geschniegelt sein schwarzseidner Anzug, seinem Rang und seiner Geburt entsprechend seine adlige Haltung. Mit einer Verbeugung grüßt er Faustina und sagt:

»Du bist hergekommen, Faustina, obgleich du hättest wegbleiben können – wie mein Vater und meine Brüder, die die Höhenluft des Apennin der Stickluft dieses Saales vorziehn. Ja, du bist eine stolze Medici, du bist tapfer, wie unsere Ahnfrau Catarina Sforza war. Doch auch ich bin ein Medici, – ich will mich von dir nicht beschämen lassen, müßte es mich gleich den Kopf kosten! ... Was ich in der Trunkenheit von dir sprach, war erlogen! Vergib mir, daß meine trunkenen Reden dich mit Kot bespritzt haben, du Reine! Vergib mir, daß ich dich in die peinliche Lage gebracht habe, hier zu stehn!«

Mehr erstaunt als bewegt hat Faustina ihn angehört. In seiner devoten Stimme vibrierte ein leiser, schwer zu deutender Unterton mit, – war es Erbarmen mit ihr, Mitleid, Ehrfurcht oder höhnender Haß? ... Der Gedanke flattert ihr durchs Hirn: Was bezweckt er damit? Denn echt kann die Wandlung doch nicht sein? Oder – hat die Haft ihn gebessert? ... Faustina wendet sich dem Vorsitzenden zu:

»Verlangt das hohe Gericht, daß ich trotzdem aussage?« Darauf antwortet ihr der Giudice processante: »Nein, Signorina. Wenn der Angeklagte verzichtet, verzichten auch wir.«


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