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9

Endlos dehnt sich der Maremmenwald, – tagelang hätten wir dort umherirren müssen, wäre uns nicht der Weg gewiesen worden durch fernes Waldgeschrei, Jagdhörnerklang, zertretenes Farnkraut und Hufspuren im Moos. Wir trafen auf die Jagdgesellschaft, auf die Treiber und Jäger, – die beiden Prinzen jedoch sahn wir nicht unter ihnen. Sie hätten sich abgesondert – sagten uns die Jäger – und seien ohne Begleiter ins Waldesdickicht, wo es am dichtesten ist, hineingeritten. Spornstreichs sprengten Donna Faustina und ich ins Unterholz hinein; Dorngebüsche, die uns aufhalten wollten, zerstampften wir, bis blutige Bäche über die dornzerkratzten Flanken unserer Pferde rannen. Uns leiteten von jetzt ab ferne Geräusche nicht mehr, auch keine Huffährten, keine zertretenen Schachtelhalme; – nur das Irrlicht der Hoffnung lockte uns durch die Waldeinöde hindurch an ein schwarzes Moorwasser heran und ermutigte uns, den weglosen Weg zu gehn und die spurlose Spur zu verfolgen.

Mehr als eine Stunde lang waren wir in die Irre geritten, bis wir schließlich auf einer Anhöhe unsere Stuten anhielten. Vor uns blinkte bleiern fahl ein Moorteich, bewachsen mit Sumpfblumen, umstanden von blaufinsterem, urwaldhaftem Baumgewirr. Totenhaft wie eine verrufene Stelle, wie ein wahrer Mordgrund und Spukplatz, dämmerte das Schilfufer unheimlich düster und lichtarm; nur das Moorwasser hatte den leblosen Glanz eines erblindeten Auges. Plötzlich packte Donna Faustina meine Hand und hauchte ein geflüstertes Stoßgebet: ›Heilige Jungfrau, erbarme dich unser!‹ ... Ich hatte vor mich hin auf die Moorlandschaft geschaut, jetzt aber folgten meine Augen ihren entsetzten Blicken niederwärts, und ich sah es, das Grauenhafte ... Dicht unterhalb der Anhöhe lag in einer Blutlache Kardinal Giovanni; und neben ihm kniete schluchzend Don Gracia, sein Bruder und Mörder! ... Donna Faustina und ich sprangen von unsern Pferden und eilten den Hügel hinab. – Ach, keine Hilfe war möglich –: der Dolch hatte die Lunge durchbohrt, Don Giovanni verblutete. Nicht er, sondern sein unseliger Bruder bedurfte der Hilfe. Das sprach sterbend der Kardinal selbst aus, indem er Donna Faustina und mich beschwor, seinem Bruder zur Flucht über die Grenze zu verhelfen, damit er der unmenschlichen Bestrafung durch seinen Vater entgehe. Sich selbst zieh er der Hauptschuld an Gracias Untat, weil er ihn durch Vorwürfe – (Selmis wegen) – gereizt hatte. Ausgesöhnt mit dem Bruder und dem eignen Los, verstöhnte Giovanni, verstummte, hauchte seine Seele aus. Als er tot und hin war, schrie Gracia so schrill auf, daß die Sumpfvögel emporflogen. Und gleich darauf entriß ihm Donna Faustina ein Messer, mit dem er sich richten wollte. Sie setzte sich neben den wildschluchzenden Knaben, hob ihn auf ihre Knie, wie wenn er ein kleines Kind wäre, küßte und streichelte ihn und suchte nach Trost für den Untröstlichen; bis seine angstverstörten nassen Augen sich ermattet schlossen, bis seine irren Sinne sich in einem Traumlabyrinth zu besänftigen schienen. ›Sieh doch, Schwesterchen, dort klettern Nixen ans Ufer und weinen um mich!‹ sprach er aus einem erlösenden Schlafzustand heraus. Jäh erwachend schrie er um so entsetzlicher. Nachdem endlich seine Verzweiflungstränen versiegt waren, zuckte er am ganzen Körper, von Todesangst geschüttelt. Mit lautem Zähneklappern klammerte er sich an Faustinas Hals – (wahrscheinlich vergegenwärtigte er sich seines Vaters eiserne Stimme, sah das Strafgericht voraus, das ihm bevorstand) – und er bat Donna Faustina und mich, ihn zu retten. Auch sie war der Meinung, wir müßten den letzten Willen des Toten erfüllen und auf Schleichwegen Gracia in die Romagna zu den Orsinis geleiten. Ich jedoch widerriet –: denn selbst, wenn es gelänge, ihn über Toscanas Grenze hinüberzuschaffen, so würde ihn das vor dem Zugriff des himmlischen Strafers doch nicht bewahren, er würde – wo er auch sei – den Schergen Cosmos in die Spieße laufen; und ich überredete Gracia, sich dem Duca vor die Füße zu werfen und seine Gnade zu erflehn. – Düster nickte Gracia zu meinen Worten. Er sehe es ein (murmelte er), ich hätte recht: ihm bleibe kein anderer Weg ... Während er so sprach, ging er auf sein Pferd zu, welches unangebunden – wie ebenfalls das verwaiste des Toten – in der Nähe graste. Das Pferd Don Giovannis floh, als er herankam; seins aber gehorchte seinem Zuruf und erwartete ihn, daß er sich in den Sattel schwinge. Wir glaubten, er wolle geradewegs nach Rossiglione, um zu vollführen, was ich ihm geraten. Doch plötzlich davontrabend rief er uns zu: er werde allein sich retten ... Nicht sogleich konnten Donna Faustina und ich unsere Pferde einfangen; als wir ihm nachsetzten, war es bereits zu spät: seine Fährte ging uns verloren.

Und dann verflossen noch Stunden, bis es uns glückte, die Jäger zu finden und sie an des Kardinals Leiche heranzuführen, damit sie eine Tragbahre zimmerten ...

10

Niemand wollte es auf sich nehmen, dem Duca die Botschaft zu überbringen. Unheil kommt ja immer noch früh genug, auch wenn es unangemeldet kommt ... Nicht vom toten Sohn, sondern von Don Gracia langte spätnachmittags ein stummer Bote an: sein Pferd, gesattelt, doch ohne Reiter, kehrte ins Jagdschloß zurück. Dafür hatten die Schloßbewohner keine andere Erklärung, als daß dem Prinzen etwas zugestoßen sein mußte. Aufs äußerste besorgt, schickte Cosmo Lakaien und Pagen aus, den Wald nach den beiden Prinzen zu durchsuchen. Doch erst nachdem die Nacht angebrochen war, nahte bei Fackelbeleuchtung der Trauerzug mit der Leiche des jungen Kardinals. Donna Faustina und ich schritten neben der Bahre her und das Mark der Seele wurde uns kalt, als wir am Schloßtor von Rossiglione den bedauernswerten Vater uns erwartend stehn sahn, das wachsgelbe Gesicht steinern, gleichsam versteinert und maskenhaft lebenleer. Wir waren darauf gefaßt gewesen, daß er uns anbrüllen werde, als wären war Mitschuldige des Geschickes. Er schwieg jedoch und richtete an uns keine Frage, auch nach Don Gracia fragte er nicht. Vielleicht ahnte er alles und wollte in diesem furchtbaren Moment nicht mehr noch erfahren, als was ihm der grauenvolle Anblick zur Genüge verriet; vielleicht wollte er dem ersten Schmerz eine Rast gönnen, bevor er Stufe für Stufe den Gipfel seines Unheils erklomm ... Er hieß die Träger und uns alle die Stiefel ausziehn, wir mußten, auf den Zehen gehend, die Leiche durch das Schloß tragen, damit die kranke Duchessa nichts erfahre.

Gespenstisch leise wurde Don Giovanni in seinem Bette aufgebahrt. Dann schickte der Duca alle hinaus: er ganz allein wollte bis zum Morgen die Totenwacht halten.

11

Auf den Zehen gehend und flüsternd sagten Donna Faustina und ich draußen im Flur uns gute Nacht, wir trennten uns, suchten unsere Schlafkammern auf. Nach einer Weile kam sie zu mir herein, noch verzweifelter weinend als zuvor: sie könne ja doch nicht schlafen, die Angst drücke ihr das Herz ab, – ob ich erlaube, daß sie bei mir bleibe? ... Mir war es recht, denn auch mir grauste vor meiner schlaflosen Einsamkeit. Und wenn ich auch ein junger Mann war und sie ein wunderschönes Mädchen, eingeschlossen zu zweit in ein abgelegenes Schloßzimmer bei finstrer Nacht, – so hatte doch der Schmerz, der uns zusammenführte, ein schreckensbleiches Furienantlitz, das jeden sinnlichen Gedanken von der Schwelle scheuchen mußte. Und außerdem standen die Schatten Gualdradas und Violettas zwischen mir und Faustina ...

Darum forderte ich sie auf, bei mir zu bleiben; und ich redete ihr zu, ihre Tränen zu trocknen; – sei es doch aller Voraussicht nach gewiß, daß Gracia sich inzwischen in Sicherheit gebracht habe. So sprechend, kämpfte ich selbst vergeblich gegen mein Weinen an und beachtete es nicht, daß ihre Tränen mit meinen sich mischten; – bis es so weit kam, daß Faustina mir meine Tränen vom Munde küßte. Ach, heiße Tränen sind gefährliche Kuppler! Betäubt durch mein Mitleid, ließ ich mich hinreißen, ihr einen Kuß auf die Stirn zu geben. Wie erschrak ich aber, als sie plötzlich sich erhob, auf den Tisch zuging, wo der den Raum erleuchtende Leuchter stand, und rasch die Kerze ausblies. Im Dunkeln umschlang sie mich; schluchzend und Liebesworte stammelnd zerrte sie mich aufs Bett, warf ihren Rock ab, wollte sich mir hingeben.

Zu spät entsann ich mich, daß sie ja wenig bekleidet zu mir hereingekommen war, mit offenem Haar wie eine Meerfrau ... Ob schon in der Absicht, mit mir zu buhlen? (fragte ich mich) ... Arglos hatte ich an ihrem Nachtgewande keinen Anstoß genommen, weil ich so Ungeheuerliches nie hätte argwöhnen können. Es kam mir ungeheuerlich vor, denn die Schloßmauern schrien ›Mord!‹ und ›Brudermord!‹ zum Himmel, während sie, die vorhin durch eine Blutlache gewatet war, sich derart vergaß ... Doch so Schlechtes von ihr denkend tat ich ihr unrecht; bald genug sah ich es ein: sie hatte begierdelos, von nichts als ihrem Gram getrieben, mich aufgesucht, und war überrumpelt worden von der Sinnlichkeit, berauscht vom Taumelkelch der Tränen – (wie beinahe auch ich!)

Einer Wahnsinnigen gleich, kämpfte sie für ihre Schande. Nur mit großer Mühe gelang es mir, mich aus der Umklammerung ihrer nackten Beine und Arme zu befreien und sie von mir zu stoßen – so daß sie aus dem Bett auf den Fußboden hinabglitt.

Viele Minuten lang sprachen dann weder sie noch ich ein Wort. Schwer atmend lag ich auf dem Bett, – sie lag keuchend auf dem Teppich. Meine Augen hatten sich jetzt an die Dunkelheit des Zimmers gewöhnt. Durch ein Astloch im geschlossenen Fensterladen glitt Mondlicht als schmaler Streifen über den Teppich und die dort verkrampft liegende silberweiße Gestalt. Ein Käuzchen krächzte vor dem Fenster, eine Grille zirpte. Und da sah ich, daß Donna Faustina auf mich zukroch. Sie faßte schüchtern meine Hand; – und ich entzog sie ihr nicht, zu grenzenlos leid tat sie mir. Kniend vor dem Bett, ihr Gesicht in meine Hand bergend, sprach sie finstere, schwarze Worte und schüttete wie aus einem Füllhorn der Trübsal vor mir ihr ganzes Elend aus.

›Du hast recht daran getan, mich von dir zu stoßen, Giuliano! Eine Unglücksblume muß man zertreten und zerstampfen, – sonst bringt sie Unglück! Ich bin eine Medici! – Sei froh, daß du keiner bist! Ein Fluch lastet auf allen Medici –: die sechs Pillen unseres Wappens haben noch jedem und jeder unseres Geschlechtes das Dasein vergiftet. Wie ein Habicht schwebt der Fluch über uns, und wenn er herabstößt, geschieht ein Schrecknis, – solch eins wie heute am Waldmoor ... Danke Gott, daß du Lorenzinos Sohn nicht bist, – denn sonst wärst du verflucht wie ich, die Tochter Lorenzinos! ... Weil es jetzt feststeht, daß du mein Bruder nicht bist, hat Cosmo beschlossen, mich mit dir zu verheiraten. Er hat es ja auch dir schon eröffnet; und er meint sogar, dir Gutes zu erweisen, wenn er – trotz deiner Weigerung – mich dir aufdrängt. Ich aber weiß es, daß du zwei Schutzengel hast, zwei Schatten toter Mädchen, die dich abhalten, mich Verlorene zu lieben ... Wahnsinnig war ich, als ich das vergaß vorhin! ... Oh, erlaube fortan auch mir, dir ein Schutzgeist zu sein – gegen mich! Du bist zu gut für mich, Giuliano; du bist ja zu schade dafür, eine Braut zu haben, wie ich eine bin! Wie verworfen die ist, die Cosmo dir aufzwingen möchte, sollst du erfahren, Giuliano, – nichts, nichts werde ich vor dir verbergen! ... Du hast vorhin meine Schamlosigkeit gesehn: dich ekelte, weil ich mich dir anbot wie ein Freudenmädchen ... Doch es genügt nicht, daß du meine Küsse nicht magst; – meine Pflicht ist es, noch weit mehr mich dir zu einem Greuel zu machen, so daß du dich mit Widerwillen und Abscheu von mir wendest; (will ich doch dein Schutzgeist sein und dich vor mir retten!) Ich war dreizehn Jahre alt, als meine Mutter starb und Cosmo mich an den Hof nahm, mich als jüngste Ehrendame im Pittipalast unterbrachte. Zur Schanddame machte er die kleine Ehrendame: er, der Mörder meines Vaters, raubte mir die Jungfernschaft. Ich hatte ihn tödlich gehaßt, aber die seine geworden, empfand ich eine maßlose Glückseligkeit, verschändet zu sein durch ihn, der wie ein Gott unter den Menschen war; und ich vergaß alle meine Rachewünsche. Als seine Hure rechtlos und ihm verknechtet, mußte ich schweigend es dulden, daß er andern antat, was er mir angetan. Er hat ein Herz von Eis, – ach, mein heißes Herz bewunderte auch das an ihm und verzieh ihm alles; – wenigstens kehrte er bisher stets zu mir zurück. Doch seit er Semiramide degli Albizzi ins Garn gegangen, bin ich ihm lästig geworden, und er plant (um mich loszuwerden), dich mit mir zu betrügen – wie ein Händler eine Stute verkauft, deren heimliche Rotzkrankheit er dem Käufer verschweigt ... Ich bin eine rotzkranke Stute, Giuliano, ich bin viel zu schlecht für dich! ... Nicht ihn verurteile, sondern mich! Er war immer krank an der Seele – das weiß ich, weil ich ihn einst geliebt habe. Das viele Glück, das er rings um sich her zerstört hat, hat sein Glück nicht gemehrt. Und bedenke auch das eine: was er heute leidet, ist eine Höllenstrafe auf Erden ...‹


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