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14

Sofort erhebt sich Cellini und geht auf den Gang hinaus, sich mit dem Wirt zu beraten. Von einem verschlafenen Hausknecht erfährt er, daß der Wirt sich bereits zu Bett gelegt hat. Die Absicht Cellinis war, nach dem Magistrato di giustizia zu schicken und den entlarvten Mordbuben festnehmen zu lassen. Weil nun der Wirt erst geweckt werden müßte und weil er selbst todmüde ist, verschiebt er es bis zum folgenden Morgen.

Am folgenden Morgen steht er bei Sonnenaufgang auf. Doch noch frühzeitiger ist Guerzolo aus seinem Rausch erwacht und hat im Morgengrauen Sarzana verlassen. Wo er sich hingewendet hat, sind weder der Wirt noch der Hausknecht anzugeben imstande.

Papier und Tinte läßt sich Cellini geben und schreibt einen Brief an Agostino Selmi – (von dessen Tod er nichts weiß); er teilt ihm mit, daß und wie der Page Guerzolo sich in der Trunkenheit verriet; unaufgeklärt bleibe nur noch, wieso man einen Prinzen ins Mordhaus hineingehn sah ...

Und Cellini kehrt nach Carrara zurück, wo er noch eine Woche für Michelangelo zu tun haben wird.

Und eine Woche lang humpelt er täglich, auf seinen Krückstock gestützt, von Marmorbruch zu Marmorbruch und knüpft, seine Wortkargheit überwindend, mit Arbeitern Gespräche an. Steinmetzen, die er ausfragt, belehren ihn, daß neuerdings wieder Arrabiati in ganz Italien zu finden seien, besonders viele unter den Fischern und Apfelsinenverkäufern Neapels. Als deren »emissario« reise Guerzolo umher, habe aber in Carrara wenig Glück mit seiner Verhetzung gehabt. Eine Bundesgenossenschaft mit den aus Florenz verbannten Patriziern werde von ihm und seinen Gesinnungsgenossen erstrebt; vermutlich wohl in der Absicht, nach einem etwaigen Sieg die vornehmsten Bundesgenossen und Freunde durch ein verräterisches Siegesfest – nach Art der Sizilianischen Vesper oder der Bluthochzeit von Perugia – sich vom Halse zu schaffen ...

15

Mehrere Tage sind vergangen. Da erhält Cellini den Besuch Giulianos, den er bisher noch nie gesehn hatte.

Während Giuliano herankam, saß Cellini auf einem zersägten Marmorblock und blickte gebannt auf die Erde nieder, wo zwei junge, kaum mehr als spannenlange Kreuzottern sich haschten und fingen und umeinander sich ringelten. Den Krückstock, den er schon erhoben hatte, die giftige Brut zu vernichten, läßt er sinken – so bezaubert ihn die Schönheit der beiden Schlänglein. Die Künstlerfreude am Spiel der so graziösen fehlerlosen Leiber überwiegt die angeborene Schlangenfeindschaft und verdrängt die Überlegung, daß durch die niedlichen Dinger da oder durch ihre Nachkommenschaft künftig einmal ein Mensch ums Leben kommen könnte. Gott ist Gottes Feind; Kunstwerke Gottes sind Schlangen sowohl wie Menschen; – »doch fast nie« (denkt Cellini) »sah ich einen Menschenleib so vollkommen ...«

Unversehrt schliefen die Kreuzottern in ihr Erdloch hinein, indessen Giuliano an Cellini herantritt. Er ist barhaupt, er hält den breitrandigen Strohhut in der Hand und sagt respektvoll:

»Verzeiht einem Fremden, Signore, daß er es wagt, Euch im Nachdenken zu stören.«

Eine der Altersschrullen Cellinis ist es, daß er's haßt, angeredet zu werden. Ohne aufzublicken, knurrt er ziemlich unwirsch und höhnend:

»Ihr stört mich allerdings, Signore. Wißt Ihr, worüber ich nachsann? Ob ein Mensch so viel wert ist wie eine Schlange.«

»So reinen Herzens wie eine Giftschlange kann ein Mensch nicht töten!« antwortet Giuliano.

Blitzschnell hebt Cellini den Kopf und blickt erstaunt den Sprecher an. Besser als andere hat sein Beruf ihn gelehrt, eine Physiognomie zu beurteilen – wie auch die dahinter waltende Seele, die sich das Antlitz schuf nach ihrem Bilde. Selten ist ihm eine so makellose Seele begegnet, selten eine so fehlerlose Gestalt. Eben noch war ihm ein Schangenleib edler und vollkommener als ein Menschenleib erschienen – und jetzt widerlegt ihn der Anblick des Jünglings. Er fühlt sich seltsam erschüttert und weiß nicht warum; es ist, als würde durch nekromantische Künste ein Totengeist aus Grüften emporgerufen. An Schotten, die er in Paris bewunderte, wird er erinnert, und mehr noch an normannische Abkömmlinge, die er vor Jahrzehnten in Sizilien traf. Die Erinnerung an eine schöne Frau drängt sich ihm auf, eine Frau, die sein nie war, unerreichbar wie ein Muttergottesbild ... In Messina war es gewesen; – weißgelbes Haar wie dieser Jüngling hatte sie gehabt, und solche Augen – funkelnde wie Sterne im Frost. Seine Bewegtheit meisternd, fragte er Giuliano, was ihn zu ihm führe, was er wünsche.

Ein Leidensgefährte des Don Pietro de'Medici sei er, erwidert Giuliano; im gleichen Turm habe er langwierige Haft wie jener verbüßt, der gleichen Schandtat verdächtigt, doch mehr als der arme Prinz begünstigt vom Himmel und vom Duca, der ihm die Freiheit schenkte. Noch als er im Kerker war, habe er die Überzeugung gewonnen, das Verbrechen an La Delfina sei von deren Pagen Guerzolo begangen worden, und darum habe er, kaum aus der Haft entlassen, sich aufgemacht, ihn zu suchen. Nach Bologna und südwärts bis Amalfi führte ihn eine Spur und schließlich hierher nach Carrara. Auch hier traf er ihn nicht mehr an; doch erfuhr er hier, daß Messer Cellini ihn in Sarzana gesehn und gesprochen habe. Das sei der Grund, weswegen er es gewagt, ihn in seinen Meditationen zu stören: er bitte ihn, ihm mitzuteilen, wo Guerzolo sich befinde.

Blendend wie eine Schneelandschaft ist ringsum die glitzernde Marmorwelt, lichtrasend im Gefunkel der Mittagssonne. Geblendet betrachtet Cellini den rätselhaften Menschen, um dessen ungewisse Herkunft sich ein Legendenkreis gewoben hat, betrachtet ihn, geblendet vom Leuchten seiner Augen, vom Licht, das seine Seele ausstrahlt. Ist es denkbar, daß dieser Giuliano in Florenz für beschränkt gegolten hat? Was keiner der Juristen des geheimen Tribunals zu durchschaun vermochte, – er hat es durchschaut! ... Und plötzlich nistet sich ein unsinniger Gedanke in Cellinis Hirn ein und will sich nicht verscheuchen lassen. »Jetzt begreife ich«, sinnt er, »warum Tote und Lebende sich diesen Fremdgeborenen zum Sohn wünschen. Ich selbst, der ich genau weiß, wie kinderlos ich bin, bin ja nahe daran, ihm das goldelfenbeinerne Amulett um den Hals zu hängen ...«

Doch die Sekunden solchen Gedankenspiels währen schon fast zu lange, und Cellini mag ins Gespräch keine Lücke reißen. Sachlich beschreibt er, wie er Guerzolo in Sarzana traf und wie er ihm das Geständnis entlockte. Schwere Vorwürfe mache er sich, daß er für die sofortige Festnahme des Mörders nicht Sorge trug. Inzwischen sei er nicht müßig gewesen, habe viele Marmorarbeiter ausgeforscht und schließlich in Erfahrung gebracht, Guerzolo halte sich gegenwärtig im Castello delle cento camere auf, wo in diesen Tagen unter dem Protektorat der Fürstin von Massa, Lodovica Malaspina, eine heimliche Zusammenkunft republikanischer Florentiner stattfinde und wo vermutlich Guerzolo gleichgesinnten Aufrührern zu begegnen hoffe.

Giuliano dankt. Er äußert die Absicht, unverzüglich nach dem Schloß der hundert Kammern aufzubrechen: dort wolle er den Mörder entlarven und – mit Beistand der Prinzessin Lodovica – ihn an Florenz ausliefern lassen. Er habe ohnehin vorgehabt, die Fürstin Lodovica zu besuchen, die schon vor einem halben Jahr ihn in ihr Schloß einlud.

Ärgerlich fährt Cellini mit seinen sehnigen Bildhauerhänden durch seinen Kronos-Bart und brummt:

»Mich lud sie nicht ein, denn mich haßt sie wie die Pest, seitdem ich sie einen Würgengel genannt habe. Wären wir nicht verfeindet, säße heute schon Guerzolo in sicherem Gewahrsam. Ein wahres Glück, daß Ihr, lieber junger Signore, – statt meiner – für seine Festnahme sorgen werdet ... Euch sind ja auch meine heidnischen Bedenken nicht im Wege –: ob ich berechtigt bin, einer jungen Kreuzotter das Rückgrat zu brechen, die ja ebenso gottgewollt ist wie unsereins ... Doch ich rate Euch dringend: erwähnt in den beiden Burgen der Fürstin mit keinem Wort, daß Ihr mich hier saht und gesprochen habt. Erzählt der Fürstin, von Arbeitern hättet Ihr gehört, daß der Page in der Trunkenheit seine Mordschuld eingestand.«

»Er wird sein Geständnis nicht wiederholen, Messer Benvenuto.«

»Doch, das wird er, wenn man ihn wieder sinnlos trunken macht; – und Lakaien genug hat Lodovica, denen sie den Auftrag geben kann, den wurmstichigen Buben unter den Tisch zu trinken ... Sagt mir eins, Messer Giuliano, ist Euch bekannt, warum sich die Fürstin in so auffallender Weise Euer angenommen hat?«

»Weil sie an eins jener Märchen glaubt, wo sich ein armer Hirtenjunge als Königssohn entpuppt.«

»Und Ihr glaubt nicht daran, Messer Giuliano?«

»Nein, es sind blaue Dünste. Gott behüte mich vor solcher Narretei!«

»Wollt Ihr klüger sein als Lodovica und Cosmo und Jacopo Malatesti und General Bragadino? ... Vielleicht seid Ihr tatsächlich klüger ... Klüger auch als ich.«

»Als Ihr? Wie versteht Ihr das?«

»Lacht mich Alten nicht aus, Giuliano, daß ich jetzt derselben Narretei verfalle wie jene. Belial hat einen Lehrstuhl in Salamanca, und wir, seine Schüler, verkehren jeden Sinn in Unsinn ... Nur habe ich mehr Berechtigung dazu als andere –: denn auf Menschengesichter verstehe ich mich ... Euer Gesicht, Giuliano, sah ich vor mehr als dreißig Jahren: eine bitterarme Straßendirne in Messina hatte dieses Anjou-Gesicht; und ebenso ihr herrliches vierjähriges Kind.«

»Wollt Ihr damit sagen, es könnte sein, daß Ihr, Messer Cellini – – –?«

»Nein, Giuliano, das kann nicht sein ...; es sei denn, daß ein Wunschkind entstehn kann, gezeugt ohne Beischlaf ...´ Nein, – jenes Kindes Vater war Jedermann.«

»Und des Kindes Mutter eine Hure?«

»Durfte sie denn ihr Kind verhungern lassen? ... Ein armer Handwerker heiratete sie und nahm ihr vaterloses Kind an Sohnes Statt an. Als ich sie zum erstenmal erblickte, verlor ich beinahe den Verstand, – die Franzosen sagen von einem, dem das geschieht: il a vu la chienne blanche: er sah das weiße Hundegespenst. Doch ich hatte zu spät ihren Weg gekreuzt: sie war bereits eine brave Schustersfrau, treu ihrem Gatten, unnahbar, unantastbar ... Fast mehr noch als um sie habe ich den Schuhflicker um das Kind beneidet.«

Cellini schweigt einen Augenblick, sein verwittertes Gesicht erstrahlt und er sagt mit bebenden Lippen:

»Laß mich glauben, daß du es bist, Giuliano! ... Und wenn wir auch beide wissen, daß es ein Irrtum ist, so ist es ein beseligender Irrtum für einen einsamen Greis!«

»Gewiß, gewiß«, murmelt Giuliano verlegen. »Glauben macht glücklicher als wissen, Messer Cellini.«

»Rede mich Vater an, Giuliano! ... Sieh, da hänge ich dir ein Amulett um den Hals, das dich beschützen soll; denn Schutzes bedarfst du im Schloß – oder vielmehr in den beiden Schlössern – der Fürstin! Toll soll es dort zugehn wie in einem Venusberge. Deine Freundin Lodovica ist eine Männerverderberin, eine Circe, – laß dich nicht in ein Schwein verwandeln! – möge das Amulett dich davor bewahren! ... Doch grunze mit den Schweinen und heule mit den Wölfen, damit die Rebellen ihre Geheimnisse vor dir nicht verbergen. Halte Augen und Ohren offen! Ein Anschlag gegen Cosmo würde ein Anschlag gegen Florenz sein; – das sage ich dir, obgleich ich Cosmo nicht liebe; – Bewunderung freilich zwingen mir Giftschlangen und Tyrannen ab, und sie sind das geringere Übel im Vergleich mit den Maulwürfen und Ratten, die die Grundmauern und das Dachgebälk der Menschheit untergraben und zernagen ... – was freilich, wenn auch langsamer, die Zeit gleichfalls besorgt ...«

16

Wo die Apuanische Alpenkette jäh ins Ligurische Meer abstürzt, blinkten, auf Kalkfelsen erbaut, Lodovicas zwei Burgen, und ihre zierlichen schwalbenschwanzförmigen Zinnen schnitten messerscharf und stahlblank in die glutende Himmelsbläue hinein. Schneeige Brandung umsäumte und umschäumte die höchste der Klippen, die, wild und schroff emporgetürmt, sich in ihrer von Falken und Wolken umflogenen Kuppe zu kleinen Fenstersäulen und Spitzbogen formte, den Gesetzen des Ebenmaßes unterworfen, – gleichsam ein von Menschenhand geschaffener vieleckiger, durchscheinender Milchopal, ein facettiert geschliffener Edelstein. Sein Ausmaß rechtfertigte seinen Namen: il Castello delle cento camere. Getrennt durch ein schmales Tal, aus welchem ein kleiner Fluß sich ins Meer ergoß, prangte – kaum eine halbe Stunde entfernt – das andere Schloß, kleiner, schlanker und weniger steil eine Anhöhe krönend. Genannt war es Rocca di Venere, weil einst in heidnischer Zeit ein Tempel der Turan – (der etruskischen Venus Urania) – dort gestanden hatte; nachdem aber Venus vor Maria gewichen war, hatten die Quadern ihres längst verfallenen Heiligtums, verbaut in einem Wartturm, als Schutz gegen Seeräuber gedient, bis Lodovica den Belfried niederreißen ließ, um an seiner Stelle ihr geheimnisvolles Lustschlößchen aufzuführen.

Das Rubinlicht der im Meer versinkenden Abendsonne hauchte beide Schlösser rosa an, so daß ihre Mauern an durchleuchtete Wachsscheiben, an die zarte Haut von Magnolienblüten erinnerten. Seit Stunden hatte ein Torwächter der größeren Burg Ausschau gehalten, und jetzt entdeckte er einen einsamen Fußgänger auf dem von der Küste emporführenden Pfade. Der Beobachter droben, Menschenkenner durch Übung und Beruf, stellte fest, daß alle Kennzeichen mit der von der Schloßherrin erhaltenen Beschreibung übereinstimmten; und er schickte seiner Gebieterin die Meldung: der Erwartete stehe vor dem Tor.

17

Schon drei Wochen zuvor hatte Giuliano von Perugia aus der Fürstin von Massa seinen Besuch angekündigt. Ihre liebenswürdige Antwort auf seinen Brief enthielt rätselhafte Andeutungen, – wie wenn sie ihn auf Überraschungen vorbereiten und dadurch verhindern wollte, daß er beim Übertreten ihrer Hausschwelle kopfscheu werde. Sie freue sich, schrieb sie, daß er jetzt endlich sein Versprechen einlöse; er werde Wunderdinge zu sehen und zu hören bekommen in ihren beiden Burgen, die einzig schön und seltsam gespenstisch seien wie die Schlösser in Tausend und einer Nacht, und sogar das Schloß Klinschors an Feenpracht überböten. Ihm zu Ehren wolle sie mehr Gäste noch einladen, lebende und tote; und darum bitte sie ihn, sich nicht zu verspäten, – denn die Wunder der Nekromantie und Dämonomagie würden sich nicht wiederholen lassen.

Zu enträtseln, was Lodovica eigentlich mit alledem meinte, war Giuliano außerstande. Doch zerbrach er sich nicht den Kopf über die dunklen Worte ihres Briefes, die er für Floskeln hielt. Soviel ersah er ja aus ihrer Antwort, daß er willkommen sei und man ihn freudig erwarte.


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