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3

Ein menschengroßer weißer Vogel schritt vom Domplatz her dem Ponte Vecchio zu. Doch der weiße Vogel hatte ein Menschenantlitz, hatte die klugen Gesichtszüge einer etwa dreißigjährigen Frau von adliger Schönheit. Zuzutrauen war diesen schneeblassen Lippen, daß sie, verfänglich und tückisch, durch zauberhaft süßen Gesang Männer an sich locken und Männerblut trinken konnten wie die wehmütigen Münder ihrer gefiederten Schwestern am Totengestade. Aber war sie denn, wie jene Sirenen der Odyssee, ein Mischwesen, halb Mensch, halb Tier? Wer sie dafür gehalten, erkannte bald, als sie näher kam, seinen Irrtum: nicht aus ihrer Haut heraus wuchsen die langen Schwungfedern, die sich schwanenflügelhaft an ihren Armen fächerten und bauschten; – angeklebt waren sie, und ebenso die ihrer Nacktheit ein Hemd ersetzenden Daunen. Wiegend, knabenhaft schmal, schritt sie, den Kopf finster gesenkt; blauschwarzes Lockenhaar rieselte auf ihre birnenförmigen Brüste.

Mehrere gutgekleidete maskierte Jünglinge führten sie an einer um den Vogelleib geschlungenen Eisenkette. Sie schienen Studenten zu sein, Wärter dieses Meerwunders.

Unheimlich stumm folgte eine unabsehbare Menschenmenge. Witz und Hohn verkrochen sich wie schuldbewußte Doggen vor ihrer Herrin, der sieghaften Anmut.

4

Von der Piazza della Sigrioria her nahte durch eine der Seitengassen eine Kavalkade und stieß mit dem weißen Vogel zusammen. Der Zug machte halt. Kaum hatten die Studenten (oder was sie sein mochten) im vordersten Reiter den Duca Cosmo erkannt, ließen sie die Kette klirrend zur Erde fallen und mischten sich unter die Volksmenge, um unauffällig das Weite zu suchen.

Durch eine wogende Wolke von Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen starrten Cosmo und der weiße Vogel einander wortlos an.

Das längliche, schöne Gesicht des Duca blieb maskenhaft starr und streng, zeigte nichts von der Wut, die in ihm kochte ... Wie hatte diese tolle Frau den Mut aufgebracht, sich nach Florenz heranzuwagen, sich in die Höhle des Löwen zu wagen, – sie, die seit einer Reihe von Jahren (kein leeres Gerücht war das!) immer und immer wieder Attentäter bezahlte und aussandte gegen politische Gegner, so daß er, der vornehmste ihrer Feinde, etlichemal mit knapper Not den Anschlägen ihrer Assassinen entging ... Doch ins Unrecht gesetzt ward er heute durch die Florentiner, die das Gastrecht mißachteten! Welchen unerhörten Schimpf hatte man ihr, einer Feudalherrin, angetan! Sie war gefedert worden: entkleidet, mit Honig beschmiert, in Federn und Daunen gewälzt. So wurden Lustdirnen in Spanien gestraft. Wieviel Übles sonst Aragonesen, Borgias und kaiserliche Truppen aus der Nachbarhalbinsel eingeführt hatten, – diese rohe Sitte kannte man bisher nur vom Hörensagen in Florenz ... Und diese hohe Frau das Opfer! Wenn er Ursache genug hatte, ihr zu grollen, so war die ihr zugefügte Schmach ein Zwang für seine Ritterlichkeit, hinfort ihr ein Beschützer und Helfer zu sein.

Vor Jahren hatte er sie angebetet, bevor sie (ihre Mutter beerbend) die regierende Fürstin von Massa-Carrara wurde und als jungfräuliche Burgherrin in die beiden Meerburgen, das Castello delle cento camere und die Rocca di Venere, einzog. Bis zu ihrer Thronbesteigung war sie fast ein Jahr lang – als Freundin seiner ältesten Tochter – Gast im Palazzo degli Pitti gewesen, täglich im Banne seiner helleuchtenden Augen. Aber er, der Unvergleichliche, hatte sie nicht zu verführen vermocht. Sein Werben war an ihrer Virginität zerschellt wie Brandung am Felsen. Und eines Tages war sie aus dem Palast und aus Florenz verschwunden – gar sehr ihm zum Unheil, da er die durch sie entfachte Leidenschaft auf ein ihr gleichendes Wesen übertrug – (venenum veneno vincitur!) – der Sünde entgehend, in schlimmere Sünde verstrickt ...

Die Erinnerungsbilder in seinem Hirn jagten sich wie aufgeschreckte Hirsche. Dennoch währte es kaum den Bruchteil einer Minute, daß er zögerte, bevor er das Schweigen brach.

»Principessa Malaspina! ... Ihr, Lodovica?! ... Habt Ihr selbst dies kühne Karnevalskleid gewählt?«

Sie warf den Kopf zurück und lachte ihn an.

»Nein, Eccellenza! Der Fastnacht zuliebe würde ich mich so sommerlich nicht kleiden: Daunen sind kein Pelz!«

Augenblicks riß er sich seinen goldbestickten, mit Zobel verbrämten Mantel von den Schultern und legte ihn ihr um. Und hastig erteilte er seinen Begleitern Befehle, eine Sänfte herbeizuschaffen und warme Decken.

»Wer hat sich unterstanden, Euch zu federn, Principessa?«

»Ich kenne die Namen. Und das genügt.«

»Nennt mir die Schandbuben, Principessa!«

»Wozu? ... Mir angetanen Schimpf pflege ich immer selbst zu strafen!«

»Ihr habt meinen Sohn nicht genannt, – doch ich weiß, daß nichts Schmähliches geschieht, an dem er nicht teilhat ... Hört mich an, Donna Lodovica! Florenz schuldet Euch Genugtuung. Wenn Ihr Euch an Pietro rächen wollt, so tut es in den nächsten drei Tagen. Ich werde Euch keinen Stein in den Weg legen. Wir schließen – Ihr und ich – einen dreitägigen Waffenstillstand als ehrliche Feinde, Lodovica.«

»Das nehme ich dankbar an, Eccellenza.«

»Eins aber müßt Ihr mir erklären –: wie habt Ihr den Mut aufgebracht, nach Florenz zu kommen? Was wollt Ihr hier?«

»Ich suche den König von Cypern.«

»Einen König ...? In Florenz?«

»Er soll hier leben.«

»Davon weiß ich nichts. Da aber Venedig Cypern besitzt, kann nur ein Narr sich König von Cypern nennen.«

»Mag schon sein, daß er ein Narr ist. Doch er kommt aus Cypern und kann mir vielleicht Auskunft geben ...«

»Worüber?«

»Über eine Verwandte, die Tochter meines Großoheims, Marchesa Isotta Pasolini; und über meine von ihr adoptierte Base Contessina Violetta da Gambara, von deren mysteriösem Tod ein Matrose in Genua gesprochen haben soll ... Ich muß mir Gewißheit verschaffen.«

»Wünscht Ihr, daß ich nach dem ›König‹ suchen lasse?«

»Das laßt meine Sorge sein, Eccellenza, – ich habe ja drei Tage Zeit dazu.«

Die Sänfte wird gebracht. Des Duca Einladung, im Pittipalast zu wohnen, lehnt Lodovica dankend ab: mit ihrer Dienerschaft und ihrer (aus drei Negern bestehenden) Leibwache bewohne sie den Palazzo Ginori neben San Lorenzo.

Und die Sänftenträger schlagen den Weg nach dem Dom, der Via Larga und der Via Ginori ein.

5

Wie ein besiegter Feldherr mußte in der folgenden Nacht der Vorfrühling den Rückzug antreten und südwärts übers Meer fahren, afrikanischen Gefilden zu, von den schneidenden Winden des triumphierenden Winters verfolgt. Und gegen Abend des nächsten Tages verschworen sich sogar die auf Wolken reitenden Schneeengel, ein Saturnalienfest über Toscana zu veranstalten: lustig pfeifend und umherwirbelnd hüllten sie San Miniato zuerst, dann die Kuppel des Domes, den Turm des Palazzo Vecchio und schließlich alle Dächer, Straßen, Karossen und Fußgänger in einen silbrig flimmernden Flockennebel ein. Kaum noch war es möglich, hinter diesem wogenden Spitzenschleier, hinter dieser schäumenden Tarantella winziger kristallischer Tänzerinnen die flammenden Fanale und die grell erleuchteten Fenster des Palazzo Corsini zu erblicken, wohin die Nobili sowohl wie die reichen Popolani zu einem Maskenball geladen waren.

Der nordischen Landschaft draußen zum Trotz strahlte und glühte der Süden in den Prachträumen des Palastes. Rhododendron und Kamelien standen in Blüte, Liliendüfte und Myrrhenrauch durchfluteten die Tanzsäle. Die sieben Planeten und etliche Tierbilder des Zodiakus – an blitzenden Diamantensternen in den Frisuren kenntlich – promenierten im Festgewühl, astrologisch errechnete Schicksale den Damen ins Ohr flüsternd. Perser und Chinesen gleißten in pfauenhafter Seidenpracht. Langobarden, die Beine mit Lappen umwickelt, schleppten sich müde an ihren langen Bärten. Numidier, wollhaarig und kupferhäutig, boten Kaurimuscheln zum Tausch an. Zottige Wilde Männer – uomini selvatici – schwangen ungeschlachte Keulen. Griechische Nymphen ließen durch spinnwebedünne Gewänder hindurch ihre ätherischen Formen erraten; – nicht jedoch ihre Gesichter: denn alle Nymphen, Sylphen, Undinen, Gnomen und Salamander trugen schwarze Sammetmasken.

Und dies wurde Anlaß zu mancherlei Verwechslungen. So geschah es, daß Cosmos Lieblingssohn, der erst fünfzehnjährige Don Gracia, in einem vom Festgewühl etwas abgelegenen Zimmer einer ihn bezaubernden Nereide nachschlich. Sie hatte große grüne Froschfüße, ein Gewand aus Schilfblättern, und ihr Haar war mit Wasserlilien bedeckt. Als er sie eingeholt hatte, küßte er sie auf die überaus weiße Brust. Jene aber nahm sich lachend die Maske vom Gesicht. Da sah der Knabe, daß die Nereide nicht, wie er geglaubt hatte, die von ihm angebetete Donna Tolla Fiordespini war – sondern sein um drei Jahre älterer Bruder, der junge Erzbischof von Pisa, Kardinal Don Giovanni de' Medici. Heimlich bewunderte Gracia den begabten, zum künftigen Papst ausersehenen Bruder – doch immer hatte er seine Verehrung und Liebe hinter eine knabenhaft rüde Unfreundlichkeit versteckt und sich eingeredet, verhaßt sei ihm Giovannis schaugestellte Engelsgüte, mochte auch alle Welt sie bewundern. Und gerade weil Don Gracia an seiner unterdrückten Liebe litt, hätte er jetzt in die Erde versinken mögen – so beschämte ihn sein Kuß. Gutmütig klopfte der Kardinal dem Erschrockenen auf die Schulter.

»Ein Glück, daß das niemand gesehn hat, Gracia! ... Dein Kuß war ja ein Biß!«

»Verzeih mir, Giovanni«, stammelte der Knabe. »Wie konnte ich ahnen, daß du ... daß du wie ein Mädchen bist ...!«

»Närrchen!« lachte Giovanni und ließ ihn ganz verwirrt stehn.

Der frühreife Knabe hatte nämlich mit Donna Tolla Fiordespini die Verabredung getroffen, sie solle als froschfüßige schilfbedeckte Nereide zum Ball kommen. Älter und reifer als er, tändelte sie mit seiner kindlichen Leidenschaft, verlachte seine Schwüre, ließ es aber unwidersprochen, wenn der kleine Mediciprinz sie seine Braut nannte. Es war kein Zufall, daß der Kardinalerzbischof – (ebenfalls ein Verehrer der leichtfertigen Damigella) – sich ihr ähnlich zurechtgemacht hatte; denn ihm war von ihrer Kammerfrau ihr Kostüm beschrieben worden, und überraschen wollte er sie als ihr froschfüßiges, schilfbekleidetes Spiegelbild.


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