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3

Zu ebener Erde befindet sich der Raum, wo sie Kaffee trinkend und Nargileh rauchend sitzen, von der Gasse nur durch einen Perlenvorhang getrennt.

»Bevor wir von Florenz sprechen«, – beginnt Traiano Bobba – »müßt Ihr meine Wißbegier stillen, Messer Giuliano. Ist es wahr, was man mir erzählt hat, seid Ihr wirklich ein Teufelsanbeter geworden?«

»Und wenn es wahr wäre? Was dann?«

»So würde ich versuchen zu begreifen, was mir unbegreiflich vorkommt.«

»Ist so unfaßlich, daß ich vor dem, was ich sehe, die Augen nicht verschließe?«

»Laßt mich sehn, was Ihr seht, Messer Giuliano.«

»Die Allmacht der Hölle – allüberall ...«

»Wer hat Euch zu diesem Glauben bekehrt?«

»Da es mein Wissen ist, kann es mein Glaube nicht sein ...

Wer mich bekehrt hat? Nicht das grausam verfolgte bücherlose Hirtenvolk, Cavaliere, mit dem ich als Arzt Freud und Leid teile; und auch nicht die fürstlichen Teufelsdiener in Florenz und Massa-Carrara. Nein, ein entsetzliches Erlebnis tat es: ich sah ein geliebtes Menschenkind hinabsausen in unendliche Tiefe, vom Mittelpunkt der Erde an sich gerissen. Das hat mir die Augen geöffnet über das Wesen des Bösen: die Hölle liegt in der Tiefe, Cavalière, der Himmel in der Höhe. Anziehung ist das Böse – (Astarte ist eine Teufelin!); der Wunsch, Mittelpunkt zu sein, ist das Böse. Alle Sonnen wünschen es; und selbst das kleinste Staubkorn kann zum teuflischen Mittelpunkt einer Lawine werden, die alles an sich reißend wächst und wächst ... Gegrübelt habe ich viel hierüber; und hätte ich mehr Zeit, – ich schriebe eine Philosophie des Satanismus.«

»Die schrieb, meines Wissens, noch niemand. Doch die Welt – so betrachtet – erscheint mir trostlos.«

»Mir nicht, Cavaliere. Prachtvoll und gottgesegnet nenne ich einen Urwald, wenn auch die Zedern und Orchideen darin sich gegenseitig erwürgen. Die Welt ist voller Teufel zwar, doch – zum Glück für uns – stehn sie sich allesamt im Wege. Jeder kleine Teufel will zum Allteufel werden und duldet keinen Teufel neben sich. Jeder Heuschreckenschwarm ist so ein Teufel: könnte er, wie er möchte, die ganze Erde würde kahl gefressen. Jede Tierart ist ein Satan, befähigt, Reißzähne und Pranken oder Skorpionenstachel oder Schlangengiftdrüsen sich selber zu erschaffen. Jede Menschenrasse ist ein Teufel und strebt, Alleinherrscher auf Erden zu sein. Das Feuer ist ein Teufel und würde – wäre es durch andere Teufel nicht gehindert – die weite Welt in Kohle verwandeln. Das Meer ist einer der Satane: alle Länder möchte es schlucken, auf daß die Erde ein Wasserball sei. Und die Teufelin Pest will unsern Planeten in ein stinkendes Aasfeld verwandeln ... Die Gesamtheit aber aller gierigen, einander vertilgenden Satane ist dennoch harmonisch, ist hehr und vollkommen wie ein radschlagender silberweißer Pfauhahn, ist die Gottheit, welche Allgüte und Allbosheit in sich vereinigt.«

»Wenn man's so hört, Messer Giuliano, möchte man meinen, Eure Philosophie des Satanismus komme der Lehre indischer Priester nahe, von der ich mir habe berichten lassen, sie setze die Vereinigung von Gut und Böse ins Herz des höchsten Gottes Brahma ...«

»Weil ohne Schatten Licht nicht Licht wäre, und weil Harmonie der Disharmonie bedarf, um zu sein. In meiner Philosophie ist Astarte die Materie und die Gottheit ist der Geist. Sie kommen nicht voneinander los, weil sie eins sind ... Übrigens ist auch die indische Priesterkaste, obgleich der Geisteswelt dienstbar, ein machtlüsterner Teufel – wie ebenfalls die Kaste der Paria und jede andere Kaste die Alleinherrscherin sein möchte auf Erden.«

»Ja, ja, es ist wohl so, wie Ihr sagt, Messer Giuliano – wenn es auch für uns Christen eine Ketzerweisheit ist. Der Teufel – (um mich Eurer Ausdrucksweise zu bedienen) –, der jetzt Italien beherrscht, ist die Gegenreformation, und ihr zur Seite steht der furchtbarste aller Satane, der Großinquisitor. Kein Heuschreckenschwarm frißt Bäume und Felder kahler ab, als diese Höllenbrut den Platonismus und die Renaissance hinweggetilgt hat. Italien, allzu leichtfertig einst, ist zur Betschwester geworden. Seid froh, Messer Giuliano, daß Ihr den kläglichen Niedergang, Verwandlung von Himmelstürmern in spanische Leisetreter, nicht mitanzusehen brauchtet! ... Unsere letzten verwegenen Renaissancegestalten waren Frauen: Isabella Orsini, Lodovica Malaspina und Bianca Cappello.«

4

»Waren – sagt Ihr, Cavalière? ...«

»Alle drei sind tot.«

»Wer war Bianca Cappello? Von der hörte ich nie.«

»Die letzte Großherzogin von Toscana. Kanntet Ihr Don Francesco, Cosmos ältesten Sohn?«

»Nein. Der weilte zu meiner Zeit in Madrid.«

»Ja, am spanischen Hof, wo seine Manieren abgehobelt und zugestutzt wurden. Nun, als nach dem Tode seines Bruders, des jungen Kardinal-Erzbischofs Giovanni, Don Francesco auf der Heimreise nach Pisa kam, fand er im verwaisten erzbischöflichen Palaste die kleine Konkubine des Kardinals, seines Bruders, vor, umdroht von der Gier vermönchter Räuber, ein herrenloses Gut. Don Francesco erlag ihrem Zauber und ist ihr verknechtet geblieben bis zur Unheilsstunde, wo er gemeinsam mit ihr aus dem Leben schied. Vergebens hatte Cosmo versucht, des Thronerben Herz von ihr loszulösen, indem er sie einem wohlhabenden Tuchhändler zur Frau gab und indem er seinen Sohn mit der Tochter des Kaisers verheiratete. Biancas Gatten ließ Don Francesco erdolchen und er schloß – nachdem Cosmo und die Tochter des Kaisers gestorben waren – die Ehe mit Bianca Cappello, machte die Abenteuerin zur Großherzogin von Toscana. Viele Jahre lang hat die Granduchessa Bianca das Land klug und kraftvoll wie ein Mann regiert, während Francesco seine Tage in der Fonderia de'Medici verbrachte, emsig bemüht, dem chinesischen gleichwertiges Porzellan herzustellen. Als aber vor einem Jahr Cosmos jüngster Sohn Kardinal Ferdinando (den zu Eurer Zeit seine Angehörigen Ernando nannten) – zu Besuch im Palazzo Pitti weilte, bot ihm nach einem glanzvollen Festmahl Bianca Cappello vergiftetes Konfekt an, denn sie, die Kinderlose, haßte ihn, der der nächste zum Thron war. Vom Konfekt aß ahnungslos ihr Gatte, und auch sie selbst sah sich gezwungen, davon zu kosten, weil ihr Gast aus Höflichkeit – (vielleicht auch war er gewarnt worden?) – sich weigerte, früher als sie zuzulangen. Des Granduca und der Granduchessa sofortiges Erbleichen und jammervolles Schreien bewahrten Don Ferdinando davor, das Todesgift zum Munde zu führen. Und heute sitzt er, nachdem er auf die Kardinalswürde verzichtet hat, auf dem Lilienthron von Florenz, ein frommer, bescheidener, makelloser Mann. Aber die schöne Teufelin Bianca Cappello war den Toscanern lieber.«

»So sind die Menschen: fürchtend verehren sie die gefährliche Schönheit der Gorgonen, der Tiger, der Adler, der Giftschlangen und der Höllenfürstinnen. Alle himmelreine Schönheit wird übertrumpft von der Schönheit des Bösen ... Wie starb die Fürstin Lodovica Malaspina? Als ich Italien verließ, war sie eine büßende Eremitin geworden.«

»Vier Jahre lang bewohnte sie einen menschenfernen Gipfel des Apennin, hauste wie ein Dachs in einer selbstgegrabenen Erdhöhle, hüllte sich nur in ein härenes Hemd, nährte sich nur von Wurzeln und Beeren, ertrug alle Unbilden der Witterung, Regengüsse und des Winters Kälte, Schnee und Eis, tat nichts als beten und sich in den Anblick eines Totenschädels vertiefen, den sie als ein memento mori vor den Eingang zu ihrer Höhle gelegt hatte. Ihren Freunden galt sie für verschollen und tot. Als aber ein Ziegenhirt, der ihr frommes Tun beobachtet hatte, ihr Versteck verriet, begann das Volk zu ihr, der neuen Heiligen, zu wallfahrten. Die Zahl der sie täglich besuchenden Pilger stieg unablässig, bis die Furcht sie überkam, Eitelkeit und Hoffahrt könnten den Kristallpalast ihrer übermenschlichen Reue, den ihre Seele mühsam sich aufgebaut hatte, zertrümmern; und da sie fühlte, daß ihr durch vierjähriges Eremitentum ausgemergelter Körper künftigen Winterstürmen nicht mehr standhalten würde, verließ sie ihre Erdhöhle und suchte Unterkunft in dem von ihr gestifteten Kloster für gefallene Mädchen. Eine vom Tode Gezeichnete lebte sie noch eine Weile, gepflegt von den jungen Nonnen, ihren einstigen Sklavinnen, und verschied, von vielen beweint.«

»Höllenmäßig war ihre Buße wie vordem ihr Leben ... Doch ich verzieh ihr, als sie mir Biagio della Campanas Vorhaben verriet und mich nach Florenz eilen hieß, so daß ich Cosmo vor den Schwertklingen im Arno warnen konnte.«

»Er schenkte Euch dafür seine Freundschaft und hätte Euch mehr noch geschenkt, wärt Ihr bei ihm geblieben ... Wißt Ihr übrigens, Messer Giuliano, daß er Euch bis dahin für einen Brutus gehalten hatte?«

»Nein, das wußte ich nicht. Für einen Brutus – mich?!«

»Mehrere Tage vor Eurer Ankunft in Florenz erhielt er einen Brief von der Fürstin Lodovica (die ja in jenem Zeitpunkt noch keine büßende Einsiedlerin war). Zugleich mit dem Brief schickte sie ihm ein goldelfenbeinernes Amulett, von dem sie schrieb, sie habe es, während Ihr schlieft, an Eurem Halse entdeckt und, ohne daß Ihr es merktet, Euch abgenommen.«

»Das ist richtig, Cavaliere, – ich merkte nicht gleich, daß ich bestohlen wurde, denn man hatte mich betäubt ... Indes fahrt fort.«

5

»Es sei jetzt erwiesen (schrieb die Fürstin dem Duca), daß Ihr der Sohn des von ihm ermordeten Lorenzino wäret und folglich das Ziel haben müßtet, Euren Vater an ihm zu rächen. Die Aussage der sterbenden Marchesa Isotta beseitige jeden Zweifel an Eurem prinzlichen Geblüt, und auch das goldelfenbeinerne Amulett bestätige es: niemand außer Benvenuto Cellini könne der Goldschmied des Kleinods sein; und bekannt sei ihr, daß Lorenzino genau solch ein Amulett Cellini abgekauft habe. – Beunruhigt durch den Brief begab sich Cosmo in Begleitung von Donna Faustina zu Cellini, – ging es doch auch Donna Faustina an, ob Ihr ihr Bruder wärt oder nicht. Das Kleinod, das Cosmo ihm mit der Frage vorlegte, ob es seine Arbeit sei, betrachtete Cellini mit bösem Lächeln. Eine sich emporschnellende Schlange stellte es dar, gegen deren Kopf ein schießender nackter Schlangentöter den vom gespannten Bogen noch nicht abgeschnellten Pfeil richtet. Er könne, meinte Cellini, sich wohl denken, wer das Amulett gestohlen und auch wem; den Schlangentöter – Symbol des Kampfes gegen die Lüge – habe er selbst dem Sohn eines sizilianischen Schusters um den Hals gehängt. Als jedoch der Duca sich nähere Auskunft erbat, hüllte Cellini sich in Schweigen und lenkte das Gespräch ab. Aus Haß und Rachsucht hielt er den Duca zum besten, dessen Huld ihm seit acht Jahren entzogen war, seit er die Bezahlung der für seinen Perseus ausbedungenen Summe ungestüm zu ertrotzen versucht hatte. Er habe seinerzeit, erklärte Cellini, drei völlig gleiche Amulette gemacht: das eine habe er selbst getragen, bis er es vor kurzem verschenkte; das zweite trug Alessandros Söhnchen; das dritte Lorenzinos Söhnchen; und so übereinstimmend seien die drei Amulette gewesen, daß er schon damals – vor drei Jahrzehnten – sie nicht auseinanderhalten konnte ... Mehr als diese Verspottung aus dem verbitterten großen Künstler herauszufragen, gelang dem Duca nicht. Während er und seine Begleiterin sich eben anschickten, die Goldschmiedewerkstatt zu verlassen, entdeckten sie eine kleine Marmorskulptur Cellinis: ein sich bäumendes Pferd, dem ein Jüngling ein Messer ins Herz stößt. Eure Gesichtszüge, Messer Giuliano, hatte der Jüngling.«

»Saht Ihr die Skulptur, Cavalière?«

»Einige Zeit hernach, als wohl das Schicksal schon beschlossen hatte, sich dieses Kunstwerks als tragischer Waffe zu bedienen ... Hätte Cosmo die schöne Skulptur erstehn wollen, so hätte gewiß Cellini den Verkauf hartnäckig und hohnvoll ausgeschlagen. Es kam indes gar nicht dazu, da der Duca, taub für Donna Faustinas Bitten, kein Angebot machte. Er mißtraute Euch ja noch, glaubte dem Brief der Fürstin von Carrara und trug kein Verlangen danach, das Bildnis eines Feindes und Bluträchers im Pittipalast aufzustellen. – Doch schon wenige Tage später, nachdem Ihr ihn vom Kopfsprung abgehalten und man die aufrechtstehenden Klingen im Arno gefunden hatte, besonders aber nach dem Brand der Rocca, hielt Euch Cosmo so wenig für einen Brutus, daß er Euch Donna Faustina zur Frau geben wollte. Wißt Ihr das?«

»Ja, auf der Reise nach den Maremmen teilte mir es Cosmo mit.«

»In Florenz ging das Gerücht, Ihr wärt unterwegs spurlos verschwunden.«

»Das Morgenland rief mich: die Diener des Königs Pfauhahn bedurften meiner.«

»Auch Donna Faustina bedurfte Eurer – denn sie liebte Euch. Ihr habt unrecht an Donna Faustina gehandelt. Cosmo gab sie seinem Sohn Don Pietro zur Frau.«

»Ihrem ärgsten Feinde? Wie ist das möglich! ... Und Faustina ließ sich ihm antrauen?«

»Cosmo zwang sie. Wie er selbst, hatte ja auch sie verbrecherisch an Don Pietro gehandelt. Hätte sie während der Gerichtsverhandlung bekannt, was Don Pietro ihr angetan, so wäre sein Freispruch erfolgt. Aber sie schwieg, und schwieg auch, als Agostino Selmi sich in Pisa erhängt hatte; und sie schwieg erst recht, als, erschüttert durch Selmis Selbstmord, ihre Dienerin, die Zwergin Rentinola, sich ihr schluchzend vor die Füße warf und mit verzweifelter Selbstanklage ihr gestand: sie sei es gewesen, die ihrem Verlobten, dem Pagen Guerzolo, heimlich einen Anzug Don Gracias verschafft hatte, als Guerzolo während des Stiergefechts in der Vermummung eines mediceischen Prinzen zu La Delfina ging, ihr die Kehle zu durchschneiden. (Dadurch war Agostino Selmi irregeleitet worden, Don Gracia für den Schuldigen zu halten). Erst nachdem Guerzolo von der Stadt Bologna ausgeliefert worden war und in der Folter ausgesagt hatte, kam alles zu Tage, – auch Donna Faustinas schuldvolle Verschwiegenheit. Diese ihre Schuld wollte Cosmo durch die Heirat aus der Welt schaffen – wie ebenfalls Don Pietros Schuld an der Bloßstellung Donna Faustinas: denn ganz Italien lachte bereits über den blauen Schmetterling, der sich auf die Dauer doch nicht hatte verheimlichen lassen ... Aber alles das geschah erst nach der furchtbaren Tragödie in den Maremmen.«

»Tragödie ...?«

»An einem Tage starben die beiden jüngeren Prinzen, Kardinal Don Giovanni und Don Gracia, und mit ihnen ihre Mutter, die Duchessa Eleonora.«

»Erzählt es mir, Cavaliére!«


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