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6

Der persische Tabak der beiden Wasserpfeifen ist zu Asche gebrannt, und Traiano Bobba ruft den Kawedschi, daß er von neuem glimmenden Töbeki auf die Wasserbehälter lege und auch frischgemahlenen Kaffee bringe. Sobald die Nargilehs und die Kaffeetassen wieder dampfen, berichtet der Cavalière vom verhängnisvollen Jagdausflug in die sienesischen Maremmen.

»Gegen den Rat des Hofarztes Baldini, der vor den Maremmen gewarnt hatte, weil die sumpfigen Jagdgründe dort – besonders im Hochsommer – fieberverseucht seien, begab sich Cosmo bei glühender Julihitze in sein unweit von Livorno gelegenes Jagdschlößchen Rossiglione und nahm seine Familie – die sieche Duchessa Eleonora und seine Söhne Don Gracia und Don Ernando dahin mit. Sein in Pisa als Erzbischof lebender Sohn, Kardinal Don Giovanni, traf gleichfalls in Rossiglione ein, um während einiger Wochen – so hatte es der Duca angeordnet – mit Vater und Brüdern Schwarzwild zu jagen. Als ersten warf der Schüttelfrost Don Gracia nieder, der seit dem Maifest – (seit er von Donna Tolla Fiordespini, der am Sumpffieber Erkrankten, angesteckt worden war) – nie ganz sich erholt hatte. Nach ihm überfiel die Krankheit den jungen Kardinal und schließlich der beiden Mutter. Kein Wunder, daß sie der Wut des Fiebers erlag, war sie doch schon seit Jahren eine Sterbende gewesen; ein viel besprochenes Wunder aber war es, daß alle drei Kranken innerhalb von vierundzwanzig Stunden den Geist aufgaben ... Heimwärts fuhren die drei Leichen durchs toscanische Land, ihre Bahren in schwarzsamtenem Prunk von weißen Maultieren gezogen; und sie wurden, bevor man sie im Grabgewölbe der Medici – bei der Porta San Niccolò – beisetzte, in Santa Maria del Fiore ausgestellt, wo ganz Florenz sie beweinte. Bloß Cosmo vergoß keine Träne. Allgemein wurde seine Ergebenheit in den grausamen Ratschluß Gottes bewundert. Seine Feinde allerdings verbreiteten böse Gerüchte ...«

7

Bei den letzten Worten Bobbas erfunkeln die Augen Giulianos. Eben noch rang ein Entschluß in seiner Seele, mit gesenktem Kopfe saß er unschlüssig da. Jetzt hebt er den Kopf und sagt, jede Silbe betonend:

»Es ist verjährt und ich darf darüber reden. Die Gerüchte logen nicht.«

»Nicht?! ...« ruft Traiano Bobba starr vor Staunen. »Wie wißt Ihr es?«

»Erst nach der Katastrophe verließ ich den Duca. Es ist so lange her, daß ich mir das Schloß vom Munde nehmen darf. Ihr sollt alles hören, Cavalière. Damit Ihr es aber versteht, muß ich zurückgreifen auf die Zeit, die der Reise in die Maremmen voranging ... Nach dem verhüteten Anschlag des Drogenhändlers mußte ich, ob ich wollte oder nicht, prinzenhaft im Pittipalast wohnen, als Retter des Duca gehätschelt; – nicht nur seine Freundschaft hatte ich mir erworben, auch die Anhänglichkeit seines Sohnes Don Gracia. Der Knabe schwärmte mich an; und nach wenigen Tagen bereits hatte er kein Geheimnis vor mir. Wie wenn seine Brust aus Glas wäre, ließ er mich in sein Inneres – in sein zerquältes Herz – blicken. Da war Gut und Böse seltsam vereinigt wie im Herzen des indischen Gottes Brahma. Der arme Gracia war besessen vom Gedanken, daß ihm von Kindesbeinen an vorherbestimmt sei, ein Kain, ein Brudermörder zu werden. Er verabscheute seinen Bruder, den Kardinal Giovanni, und begründete vor sich selbst seinen Haß, indem er sich einredete, sein Bruder trage die Schuld am Tode der Donna Tolla Fiordespini. Soviel ich konnte, redete ich es ihm aus und versuchte, ihm nachzuweisen, daß La Delfina die vermeintliche Zusammenkunft – (des Kardinals mit Tolla in ihrem Dirnenquartier) – glattweg erfunden habe, um ihn selbst – Don Gracia – zu sich zu locken. Sein Argument, gegen das ich vergeblich Sturm lief, war, daß Tollas Freundin, Nannina Sansedoni, ihm in der Kirche San Felice die Beichte der sterbenden Tolla mitgeteilt und daß er dem Kruzifixus geschworen habe, die Geliebte an ihrem Verführer zu rächen. Da es umsonst gewesen wäre, Donna Nanninas Wahrhaftigkeit anzuzweifeln, zweifelte ich die Bindung durch den unheiligen Schwur an. Ich hielt Gracia vor, daß er eine Blasphemie beging, als er das Kruzifix zum Mithelfer an einer Bluttat machen wollte, und daß der Heiland den Eidbruch lieber sehn würde als die Ausführung des gelobten Verbrechens. So viel erreichte ich schließlich, daß er die Sündhaftigkeit seines Schwures einsah und mir das Wort gab, gegen die böse Lust anzukämpfen.

8

Während der Reise in die Maremmen ritt ich meist an seiner Seite und freute mich, beobachten zu können, wie der Luftwechsel und der Anblick der Naturschönheiten sein umwölktes Gemüt allmählich aufheiterten. Im Jagdschloß Rossiglione angelangt, begann er mit Feuereifer Vorbereitungen für die Jagd zu treffen; – er tat es im Auftrage Cosmos, – denn die Duchessa Eleonora, überanstrengt durch die Strapazen der Reise, hatte fiebernd sich niederlegen müssen, und der Duca – stets schuldbewußt vor ihr – wollte ungern ihr Krankenzimmer verlassen ... Gegen Abend traf der junge Kardinal-Erzbischof ein. Es war mir nicht möglich zu hindern, daß die feindlichen Brüder nach dem Abendessen einen Spaziergang – zu zweit – durch den nachtfinstern Park von Rossiglione machten. Zitternd harrte ich auf ihre Rückkehr und schickte ein Dankgebet zum Himmel empor, als ich sie freundlich miteinander plaudernd ins Schloß zurückkommen sah ...

Für den folgenden Tag war die Wildschweinjagd anberaumt. Früh morgens wurde bekannt, daß der Duca nicht teilnehmen werde, weil der Zustand der Duchessa sich über Nacht verschlimmert hatte. Als erster ritt Kardinal Giovanni, von der bellenden Hundemeute, Treibern und Jägern begleitet, zum Schloßtor hinaus. Draußen machte er halt und erkundigte sich, ob denn sein Bruder nicht bald komme. Darauf meldete ihm einer der Pagen: Don Gracia habe sich beim Anziehn verspätet und lasse Seine Eminenz bitten, vorauszureiten; in wenigen Minuten werde er Seine Eminenz einholen. Nachdem der Kardinal und seine Begleiter außer Sehweite waren, kam Don Gracia in den Schloßhof, wo sein Pferd gesattelt stand und wo ich auf ihn wartete. Er hielt einen dicken Strick in der Hand. Statt sich aufs Pferd zu schwingen, faßte er mich stumm am Arm und zog mich mit sich fort in den Schloßgarten. Vor einer Platane blieb er stehn. Schneeweiß war sein bebender Mund. ›Binde mich fest an diesen Baum!‹ stammelte er rauh und barsch hervor. ›Rette mich vor dem Teufel in mir, wenn du mein Freund bist, Giuliano! Schnüre mich so fest an den Stamm, daß ich mich selbst nicht befreien kann!‹ Ich begriff und ich gehorchte, ohne ihm zu widersprechen. Stocken mochten wohl die Blutbahnen im Geäder seiner Knie, seiner Ellenbogen, seines Rumpfes, denn ich band ihn unerbittlich grausam an den Baumstamm, wie es Indianer mit todgeweihten Feinden tun. Kaum aber war das geschehn, wollte es sein böses Schicksal, daß ich meinen Namen im Garten rufen hörte; – ein Hoflakai suchte mich, ausgesandt vom Duca, der mich zu sprechen wünschte. Das nötigte mich, den Gefesselten allein dort zu lassen und mich ins Schloß zu begeben. Als ich eine halbe Stunde später wieder in den Garten kam, fand ich Don Gracia nicht mehr an der Platane; nur noch der zerschnittene Strick lag auf den Wurzeln des Baumes. Von Donna Faustina, der ich gleich darauf begegnete, hörte ich, daß sie es gewesen war, die den wimmernden Knaben entfesselt hatte – ahnungslos über die Tragweite ihrer barmherzigen Tat. Mit wenigen Worten klärte ich sie auf .. Wir liefen zum Schloßhof; dort befand sich Don Gracias Pferd nicht mehr. Das Schlimmste befürchtend, ritten wir ihm nach. Die Richtung freilich, die er eingeschlagen, kannten wir nicht –: zu groß war sein Vorsprung.


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