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38

Währenddessen verabschiedete sich der Duca vom Kleinen Walfisch und schärfte ihm ein, ohne Verzug das Weinhaus aufzusuchen, wo Don Pietro Flaschen den Hals zu brechen pflegte, – um beizeiten einen etwaigen Bubenstreich abzuwehren. Mit hohen Beteuerungen versprach es Martelli.

Dem Fürsten in den Flur hinausleuchtend, gewahrte er wohl, daß die Haustür offenstand, verdrängte aber die Besorgnis, da er die behandschuhte Hand zu küssen und überschwengliche Dankesworte zu stammeln hatte. Erst als er allein in die Wohnstube zurückkehrte, wurde er sich seiner Unruhe bewußt. Er rief nach Cammilla. Jedoch sie kam nicht. Er durchstöberte die Küche, den Flur, die Schlafkammern oben; – und nirgendwo entdeckte er sie.

Seine Angst, wie sehr er sie anfangs beschwichtigte, stieg von Minute zu Minute, stieg und stieg und rührte an die Schwelle des Wahnsinns. Schon sah er Cammilla entseelt, gemordet in ihrem Blute liegen – oder verschleppt und verdorben. Und er redete sich ein, er werde sie nie wiedersehn.

Auf die Piazza stürzte er hinaus, die große Stadt nach seinem Töchterchen abzusuchen, Gasse für Gasse. Wie Cammilla vorhin dem Kätzchen, so lief er dem unsichtbaren Phantom nach, ein weinender, trauriger Narr. Versagen mußte er sich's, von Passanten zu erfragen, ob sie Cammilla gesehn. Für die Welt war ja die Verschwundene namenlos und nicht vorhanden; – wie also konnte er sie zurückfordern von der Welt ...

Kurzatmig ächzend, kopflos und planlos lief er hierhin, dorthin, – überallhin; nur nicht, wie der Fürst es geboten, ins Weinhaus, mit dem verlotterten Prinzen Flaschen den Hals zu brechen.

39

Ein unauffälliges Karnevalskostüm hat sich für diesen Abend die Fürstin Lodovica Malaspina gewählt, um der Aufmerksamkeit der Buben, die sie gefedert hatten, zu entgehn. Sie trägt die silbergraue Sammetkleidung eines jungen französischen Edelmannes. Alles an ihr ist grau: die Pluderhosen mit den bis zum Oberschenkel hinaufreichenden Strümpfen, das gesteppte Wams, das Schultermäntelchen, das Straußenfedernbarett. An der Seite hängt ihr ein Rapier, geziert am Griff mit Edelsteinen und Türkisen.

Sie hat ihre drei Neger in einer Seitengasse zurückgelassen und betritt allein Semprebenes gewölbte, kühl und modrig riechende Trinkstube. Noch schläft das Weinhaus, totenstill und leer wie eine verwunschene Kapelle. Noch ist es ja früh, eben erst dämmert es, und bisher hat sich von den Lärmmachern keiner eingefunden.

Den dunkelsten Platz in der entferntesten Ecke der Taverne sucht sich Lodovica aus. In tadellosem, rasch perlendem Französisch redet sie den Wirt an. Sichtlich beeindruckt von ihren Türkisen, bemüht er sich vergeblich, den vornehmen Gentilhomme zu verstehn. Da beginnt dieser, italienisch wie ein Ausländer zu radebrechen. Schon in Paris und Bloys habe man ihm versichert: »wer Florenz mit allen seinen Kostbarkeiten gesehn, die Akademie der Stravaganti aber nicht gesehn, habe nichts gesehn!« Und der Gentilhomme stellt sich vor, sein Name sei: »Seigneur de Destin, Duc de Providence«. (Er darf sich den Scherz erlauben, – seinem Hörer sind es böhmische Dörfer! ...) Als Ausländer müsse er Händeln aus dem Wege gehn; darum sei es sein Wunsch, unbemerkt die Tollheiten der Akademie zu belauschen.

Besser als des jungen französischen Kavaliers Gestammel überredet ein Goldstück den Wirt, diesem willfährig zu sein. Er rückt: den Tisch des Fremden hinter eins der an den Wänden sich auftürmenden Weinfässer.

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Bald darauf wird die Taverne aufgerissen und vier Insensati stürmen herein. Es sind die Häuptlinge: Prinz Pietro und seine Busenfreunde Carlo Panciátichi, Noffo Carnesecchi delle Ruote und Santi di Piero di Vettino. Doch keine Stravaganta hängt an ihren Armen. Eine Aufführung nämlich der Tragödie Sophonisba durch eine Bologneser Schauspielertruppe hat die Damenwelt – alle donne pulzelle e maritate – ins Theater gelockt.

Die aristokratischen Schädel und Gesichter der vier kaum zwanzigjährigen Raufbolde sehn degeneriert doch hübsch aus. Nicht umsonst ist Pietro der Zwillingsbruder der tollen wunderschönen Isabella Orsini. In seine und Carlos Wangen hat das Lotterleben wenig Spuren gegraben, die ererbte Lebenskraft ließ sich von Bacchus und Venus nicht so bald zermürben. Um so entarteter erscheinen Noffo und Santi. Obgleich – (den Statuten ihrer Brigata gemäß) – schon seit den Mittagsstunden angeheitert, blicken sie nicht erhitzt drein, sondern wie durchfroren, nicht weingerötet, sondern blaublaß, livide.

Einen blanken Degen hält Don Pietro in der Hand, daran aufgespießt hängt, hin und her pendelnd, ein kleiner toter Köter. Pietro wirft den toten Hund dem Wirt vor die Füße.

»Schneide das Aas auf, Wirt, – ich fand es im Rinnstein. Nimm ihm das Herz heraus, brate mir das Hundeherz!«

»Mich schaudert vor deiner Genäschigkeit, Pietro!« grinst Carlo. »Bezähme deinen Hundshunger! – Ein Ochsenhunger ist bekömmlicher!«

»Hältst du mich für einen Aasgeier, Carlo? Für die Empusa, die Leichen anknabbert? Für eine Hyäne, die Gräber ausscharrt? ... Nein, Herzensbruder! Der Geliebten werde ich das gebratene Herz auftischen; und wenn sie's verschlang, werde ich ihr mitteilen, daß sie das Herz des Mannes aß, mit dem sie mich betrügt.«

»Wer ist die hungrige Blume der Frauen?« erkundigte sich der grünlich bleiche Santi mit einer Unschuldsmiene.

»Schafsnase! Kohlkopf! ... Aber gottlob gibt es andere Weiber genug, die ohne Zetergeschrei sich in die Schenkel zwicken lassen ... Warum sind keine Weiber hier? Wo stecken die Biester?«

»In der Sophonisba.«

»Da möchtest du auch drinstecken, du Pfuhlschnepfe! Was? ... Schafft Weiber her! Ohne Weiber ist das Leben nicht süß ... Hole Weiber, Wirt! – Soll ich's zehnmal sagen?«

»Ich bin nicht die dicke Lisa, Hoheit ... Aber schaut her, hier bringe ich Eurer Hoheit einen Korb mit Apfelsinen, – die sind ebenso süß wie Jungfrauen.«

»Weg damit! Ich will lebendige Apfelsinen, duftende, feuchte, zum Anbeißen welche! Verstanden? Macht euch auf die Socken! ihr alle! und holt mir einen Korb voll!«

»Von wo? ...«

»Aus den Gäßchen um San Gallo herum. Dort reifen die saftigsten. Bis sie überreif werden und stinken. Doch angefaultes Obst gehört nicht in den Korb, – das verbitte ich mir! Verstanden?«

»Einen so großen Korb haben wir nicht, Hoheit!«

»So nehmt ein leeres Weinfaß, ihr Schöpse! Wenn ich befehle, ist ein Bottich ein Korb und ein Weibsbild eine Apfelsine! Verstanden? ... Bei Gott und dem heiligen Isidorio, weh euch, wenn ihr den Korb nicht bis zum Rande gefüllt zurückbringt!«

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Mit wüstem Hallo wird das Faß von Carlo, Noffo, Santi und dem Wirt auf die Gasse hinausgerollt.

Allein geblieben, setzt sich Don Pietro an seinen Stammplatz, schlürft sizillinischen Wein und zündet sich am Kamin eine Tonpfeife an. Während der aufsteigende Tabakrauch mit dem Weinnebel seiner Augen sich zu vermengen beginnt, ist es dem Prinzen, als sähe er ein paar Stiefel – in hellgelben Ledergaloschen steckende Stulpenstiefel – aus dem Zwischenraum zweier Weinfässer hervorlugen. Alle Wetter! Sind das hochadlige Galoschen, rassige, aristokratische Männerstiefel! Und – höchst sonderbar! – der eine Stiefel wippt. An die Halluzinationen seiner Räusche gewöhnt, nimmt Pietro die Stiefel nicht allzu ernst. Er verlacht sie, blinzelt sie mit einem Auge an, während er das andere zukneift. Kurios, was seine Augen für Einfälle haben. Gespensterschuhe, die ohne das zugehörige Gespenst umgehn und wippen, – gibt es dergleichen? ... Oder sollte es Fopperei des Tabakrauches sein? Er läßt die Pfeife ausgehn. Trotzdem weicht der Spuk nicht ... Und französisch ist der Spuk, Pariser Mode; – das weckt allmählich doch seine Neugier. Er erhebt sich und will der Sache auf den Grund gehn. Doch da erschallen Lachsalven von der Gasse her, durch die Tavernentür rollen seine Trabanten das Faß herein – und aus seinem Gedächtnis verflüchtigen sich die französischen Stulpenstiefel wie der Rauch seiner erloschenen Pfeife.


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