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15

»Bist du Semiramide degli Albizzi?«

»Ja.«

»Und du weißt, wer ich bin?«

»Ja, Eccellenza ...«

»Du kannst dir denken, was mich herführt?«

»Ja.«

»Man hat mir Widersprechendes von dir erzählt: einige nannten dich ein argloses Hirtenmädchen, das einem überspannten Vater zuliebe die Weidenflöte bläst, fromm, unschuldsvoll, keusch wie Eis; – andere nannten dich eine verdammte Lügnerin. Wirst du auch mich belügen?«

»Nein, Eccellenza.«

»Kanntest du Carlo Panciatichi und seinen Freund Santi?«

»Nur ganz flüchtig, Eccellenza.«

»Es sind die wichtigsten Zeugen im Prozeß meines Sohnes ... Verkehren die beiden hier im Hause?«

»Nie. Die Stravaganti und die Floridi sind ja verfeindet.«

»Richtig. Hier sind wir in Arkadien ... Dann mußt du freilich mit Carlo und Santi verfeindet sein. Warum beschützest du sie also? Warum sagst du nicht, wo sie sich verborgen halten?«

»«Weil ich es nicht weiß, Eccellenza.«

»«Wie hast du sie kennengelernt?«

»In der Kirche. Ich hatte mein Taschentuch fallen lassen. Messer Carlo hob es auf, und ich dankte ihm ... Mehr haben wir nicht miteinander gesprochen.«

»Wirklich? Nie? Und auch seitdem nicht? Auch nicht am Fenster dort, während Giuliano hier im Sessel saß und sich am Kaminfeuer wärmte?«

»Das hat Giuliano erfunden, Eccellenza!«

»Ist dir bekannt, was Giuliano ausgesagt hat? Wohlgemerkt, er brachte es vor, erst nachdem du den Verdacht auf ihn gelenkt hattest! Noch vor Beginn des Stiergefechtes, gleich als die erste Fanfare erscholl, will er La Delfina verlassen haben. Das ist durch La Delfinas Pagen Guerzolo bestätigt worden, der sich erst nach der zweiten Fanfare zum Stierkampf begab, wo er von vielen gesehen worden ist. Bei der dritten Fanfare, also genau um vierzehn Uhr, ging La Delfina für einen Augenblick hinüber zu einer Nachbarin, einer erkrankten bettlägerigen Straßendirne, von der sie sich weiße Schminke ausbat. Dabei machte sie der Dirne Andeutungen, sie erwarte einen, den sie liebe, dessen Namen sie nicht nennen könne ... Das alles ist beschworen. Sollte nun Giuliano jener eine sein, so müßte er den Weg zu La Delfina sofort noch einmal zurückgelegt haben, nachdem er beim zweiten Trompetenstoß im Palazzo Albizzi war.«

»War er denn hier, Eccellenza? Niemand sah ihn.«

»Und hörte ihn niemand, Semiramide?«

»Ich verstehe nicht ... Es befand sich ja kein Mensch im Hause, auch die Dienerschaft nicht.«

»Ach so! Ihr wart alle beim Stiergefecht? Dann allerdings steht es schlimm um Giuliano. Denn wie kann er nachweisen, was er behauptet? Ich bekenne, es wäre mir deinethalb lieb, wenn sich's als Verleumdung erwiese.«

»Was, Eccellenza?«

»Er behauptet: er habe – als er von La Delfina heimkam – oben in seinem Zimmer gesessen und Gitarre gespielt eine ganze Stunde lang, weil er dein und Messer Carlos Stelldichein nicht stören wollte.«

»Bei allen Heiligen, das ist Verleumdung! ... Ach, gütiger Gott, wie kann ein Mensch so schändlich lügen! ... Ihr dürft das nicht glauben, Eccellenza!«

»Und warum nicht?«

»Seht doch, wie er sich in seinen eignen Worten fängt: wenn er oben in seiner Kammer war, wie konnte er uns im Erdgeschoß sehn?«

»Euch? ... Also Carlo und dich?«

»Nein, nein! – wir waren ja beim Stiergefecht.«

»Du und Carlo? So unzertrennlich ihr beide?«

»Nein – ich und mein Vater. Mein Vater hat es ja beschworen.«

»Auch du hast es beschworen. Aber auch Giuliano schwor. Wer schwor einen Meineid?«

»Er, Eccellenza! – er kämpft um sein Leben, für ihn steht sein Kopf auf dem Spiel.«

»Und was steht für dich auf dem Spiel, Semiramide? ... Die Folterkammer? ... Noch hat das Tribunal dir und deinem Vater das erspart. Auch ich möchte es dir ersparen. Dafür verlange ich die ganze Wahrheit. Heraus mit der Sprache! Wo steckt Carlo?«

»Wie kann ich es sagen, Eccellenza, da ich es doch nicht weiß ... Wenn Eccellenza mir nicht glaubt, was kann ich da tun?«

»Ich lasse mich nicht hinters Licht führen, Schlänglein! ... Dort hängt ja ein Maienzweig am Fenster. Hast du einen neuen Freund, Donzella?«

»Mein Vater hat die Maie dort angebracht. Soll ich meinen Vater rufen, daß er's bestätigt? ... Kommt, ich will Euch zu ihm hinführen!«

»Wozu? Euer Haushofmeister sagte, als ich kam, dein Vater schlafe noch. Laß ihn schlafen! Er verschlief es, dich zu erziehn und zu behüten, Donzella! ... Schau, schau, ein Zweig, daran das Glück blüht! ... Ja, Glück bringt Blumen und – Grüße!«

Mit einem Aufschrei sinkt Semiramide zu Boden. Das schwarze Lamm erwacht, blökt, sucht Schutz unter dem Schreibtisch. Vorbei am Mädchen, das ihm den Weg zum Fenster versperrt hatte, eilt der Duca und zieht einen unter Akazienblüten versteckten, mit einem Draht an dem Maienzweig befestigten kleinen Zettel hervor, auf welchem ein Gruß und der Name Carlo geschrieben steht. Die großen, etwas vorquellenden Augen Cosmos wetterleuchten.

»Dein Kartenhaus fiel zusammen, Semiramide! Du bist mir eine Durchtriebene! ... Weiß dein Vater hiervon?«

Wild schluchzend liegt Semiramide auf den Knien und trocknet sich die nassen Wangen mit den eignen Haaren.

»Mein Vater würde mich zu Tode prügeln ...«

»Jetzt ohne Umschweif: wo hält sich Carlo verborgen?«

»Drei Häuser von hier – beim Fruchthändler ...«

Mit zorniger Gebärde verläßt Cosmo das gabinetto. Doch während er hinter sich die Tür schließen will, wird sein Grimm von einer erotischen Wallung verdrängt, und er vermag der Lockung nicht zu widerstehn, einen letzten staunenden Blick auf das am Boden liegende Mädchen zu werfen. Wie märchenartig erscheint ihm das Bild: leichenweiß im genäßten Gesicht, wischt sie sich mit ihren Haaren die Tränen vom blendendschönen morbiden Mund, kniet wie eine junge Nonne, und ihre milchigen Knie blinken entblößt ... Cosmo schlägt die Tür zu – mit einer Heftigkeit, wie es ein Asket nicht heftiger tun könnte, der vor der lyra Satanae (dem Weibe) die Flucht ergreift.

16

Kaum ist der Duca draußen, erhebt sich Semiramide behende. Sie ist wie verwandelt, sie lächelt. Unversehrt kam sie aus des Bären Tatze! – ja, mehr als das: sie ist die Siegerin, sein letzter Blick bewies es! ... Daß sie Carlo, den hübschen Burschen, der so toll in sie verliebt ist, der Folter ausgeliefert hat, macht ihr keine Herzbeschwer; denn ebenso toll verliebt in sie ist jetzt ein anderer, um dessen glühenden Abschiedsblick Myriaden Frauen sie beneiden müssen.

Dessen ist sie sicher, daß Cosmo wiederkommen wird ... So sehr sie triumphiert, möchte sie allerdings nicht, daß er sogleich zurückkehre, – es würde sie von neuem in Todesängste stürzen. Denn noch steht die Novelle von Malatesta und Donna Maria auf dem Bücherbord. Ohne Unterlaß hat sie während des Verhörs gezittert wie eine Espe, – weniger Carlos wegen, als weil ihr bangte, die Aufschrift »Malatesta« könnte entdeckt und die Erzählung von der sündigen Liebe der Cosmo-Tochter könnte gelesen werden ...

Es ist nicht geschehn; und nicht einmal das Manuskriptpapier auf dem Schreibtisch – ihre Beschreibung des Dolchkampfes im Arno – ist beachtet worden. Dort auf den bekritzelten Blättern verrät sich allzudeutlich ihr republikanisches Mädchenherz; sie prunkt förmlich mit ihrer Sympathie für den Attentäter. Ein Glück, daß Cosmo das nicht zu Gesicht bekam!

Schon ist Semiramide keine Republikanerin mehr. Sie zerreißt den guelfisch gefärbten Bericht. Sie nimmt ihre Malatesta-Novelle vom Bücherbord und verschließt sie in einer Truhe.

Zufrieden lacht sie. Nun mag er wiederkommen, der Minotaurus. Oh, er wird, das weiß sie gewiß. Und nicht sie wird das Opfer sein. Mehr als ihr droht ihm Gefahr im Labyrinth der Liebe.

17

Inzwischen ist Cosmo aus dem Portal des Palazzo Albizzi auf die Gasse getreten, wo außer dem Kutscher und Lakaien ein Bargello und einige Sbirren warten. Auch Neugierige haben sich angesammelt. Leise erteilt Cosmo den Sbirren einen Befehl, setzt sich in den Wagen und fährt heim.

Die Sbirren, denen er den Unterschlupf Carlos genannt hat, begeben sich zum fruttivendolo. Doch sie kommen zu spät. Vergebens durchsuchen sie das Haus vom Dach bis zum Keller. Der Vogel ist ausgeflogen. Es war Carlo nicht entgangen, daß die Staatskarosse vor dem Palazzo Albizzi hielt, und er hatte richtig vorausgesehn, daß ein kleines Mädchen vor dem Princeps Toscaniae ihr Geheimnis nicht werde festhalten können.

Zwischen Bananen, Tomaten, Zitronen und Orangen finden die Häscher ein Barett, das mit dem Abzeichen der Stravaganti, einem silbernen Affen, verziert ist. Diese Trophäe liefern sie im Pittipalast ab.

Gegen Abend legt Cosmo die schwarze Tracht eines »Guten Mannes von San Martino« an, um, unerkannt wie Harun al Raschid, durch die Gassen zu schleichen. Sein Ziel ist wieder der Palazzo Albizzi. Zuviel Aufsehn und Gerede würde es verursachen, wollte er am selben Tage, zum zweitenmal, in der Staatskarosse bei Semiramide vorfahren; – darum begibt er sich zu Fuß und heimlich zu ihr. Was ihn hintreibt, gesteht er sich nicht ein. Ursache genug hat er ja, sie seinen Groll fühlen zu lassen. Ha! sie soll nicht denken, daß sie ihm auf der Nase herumtanzen kann! Angeführt hat sie ihn mit jedem Wort, das aus ihrem schönen Munde kam; – und als sie unter der Last ihrer Lügen zusammenbrach, als sie die Wahrheit zu sagen vorgab, hat sie erst recht ihn angeführt! Das soll ihr nicht straflos hingehn! ...

Die Ruine eines Haushofmeisters empfängt ihn am Portal. Den greisen Diener verwundert nicht der schwarze Kittel mit dem aufgestickten Christusbild über dem Herzen, nicht die den Kopf verhüllende Kapuze mit der kleinen Mater dolorosa vor dem Munde, – er weiß, daß der Einlaß heischende Gast einer der zwölf Prokuratoren der Compagnia di San Martino ist. Sobald sie ihres Amtes walten, sind die zwölf namenlos, des Selbst beraubt durch die teerschwarze Uniform. Vergebliches Bemühn, einen Unkenntlichen zu erkennen ... Zufällig jedoch fällt der Blick des Dieners niederwärts auf einen unter der Kutte vorlugenden Schnallenschuh. Sah er nicht schon einmal heute solch eine mit tiefdunkelroten Granaten inkrustierte Schnalle? ... Und plötzlich begreift er, wer vor ihm steht. Angeredet vom Unheimlichen, klappert der greise Diener wie ein Totengerippe vor Angst.

Nein, zu Signorina Donna Semiramide kann er Sua Eccellenza Illustrissima nicht führen, denn die Signorina ist unpäßlich und liegt zu Bett.

»Ich bin ein Almosenpfleger – merke dir das«, verbessert ihn der Duca streng; »ich habe weder Namen noch Titel. Ist der Vater der Signorina anwesend?«

»Ja, Euer Gnaden. Soll ich Euer Gnaden anmelden?«

»Nein. Führe mich unangemeldet zu ihm.«


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