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21

Vergebens hatte Don Gracia, als er aus der Ohnmacht erwacht war, mit knabenhaftem Stolz sich vorgenommen, Nannina beherrscht und tränenlos anzuhören. Gar bald ließ die Beherrschtheit ihn im Stich; das unmerkliche Fieber seines Körpers wurde zum merklichen Fieber seines Geistes. Zwar hörte er wortlos zu, doch seine Stummheit war ein kindliches Gewimmer; seine blauen Augen stierten entsetzensvoll und glichen Froschaugen; sein schönes Gesicht verzog sich zu einer Fratze. Wäre nicht Nannina durch die Dunkelheit gehindert worden, die Verkrampfung seiner Gesichtszüge zu beobachten, sie hätte vielleicht eine Hemmung gefühlt, weiterzusprechen; sie hätte beim Anblick seines verzerrten Mundes wohl eingesehn, daß sie mit ungeschminkter Wahrheit des ahnungslosen Knaben Herz so erbarmungslos nicht foltern dürfe. Jetzt, da die Folter beendet ist, erdröhnt plötzlich im Kirchenraum ein tierisches Gebrüll, verstärkt und verzehnfacht durch das schallende Echo der Kreuzgewölbe. Auf ein Kruzifix stürzt Don Gracia zu. Wahnsinn, Schmerztollheit, Fieberdelirium schreien aus ihm, während er die Glieder des Gekreuzigten umklammert: »O mein Herr Jesus Christus, warum hast du das zugelassen? Warum bin ich dir so verhaßt? Sieh, nun muß ich ein Wolf werden und muß auch dein heiliges Blut vergießen! Einen Engel werde ich umbringen, weil er Tolla und mir ein böser Engel war. Wer einen Engel ersticht, ersticht ja dich, o mein Gott! Vergib es mir, wie ich Tolla vergebe, die betrogen wurde gleich mir! ... Mit Blut werde ich Tollas Blut aufwiegen (das schwöre ich auf dein Dornenhaupt), rächen werde ich sie an ihrem Verderber! ... Ach, doch wer ist ihr Verderber? Er, der Gute, – oder ich, der ich grundschlecht bin? Leite, o König der Sterne, meine Rächerhand, daß sie nicht einen Unschuldigen treffe! Darf ich's denn glauben, was Tolla sterbend gestand? – was sie vielleicht erfand –: aus Liebe zu mir erfand, um mich vor den Dolchen ihrer Brüder zu bewahren? Darf ich Giovanni strafen, dessen Schuld nicht erwiesen ist – während mein Verbrechen keines Beweises bedarf und zum Himmel schreit? Ich bin es, um dessentwillen sie aus dem Elternhaus floh, ich bin es, der sie in Schande brachte! ... Ja, ja, ja, an mir muß ich ihren Tod strafen –: ich bin der Schandbube, der ihr Blut vergoß, ich bin ihr Mörder! ...«

22

Eilige Schritte hallen vom Portal her auf den Steinfließen. Nannina faßt Gracia am Arm:

»Komm weg ... Man darf uns hier nicht sehn!« flüstert sie erregt.

Der Fieberrausch des Delirierenden hat sich ausgetobt, das blasphemische Geschrei ist jählings verstummt. Doch es gelingt Nannina nicht, Gracia vom Kruzifix, das er umklammert hält, fortzuziehn. Allein entflieht sie in die dunkelste Ecke der Kirche.

Der so eiligen Schrittes naht, ist Messer Agostino Selmi. Von den beiden Höflingen, die Cosmo in den Palast geschickt hatte, Gracia zu holen, war Sforza Almeni unverrichteter Sache in den Boboligarten zurückgekehrt, während Agostino Selmi – nachdem er festgestellt hatte, daß der junge Prinz sich zweifellos im Palast nicht befand – bei der Dienerschaft und den Wachtposten herumfragte, ob man ihn habe weggehn sehn. So war Selmi schließlich auf die richtige Spur gelenkt worden. In die Klosterkirche San Felice eintretend, hatte er sogleich Don Gracias Stimme erkannt; doch erst als er herankam, war er imstande gewesen, einzelne Silben zu unterscheiden. Ganz deutlich aber hatte er die letzten Worte Gracias vernommen: »Ich bin der Schandbube, der ihr Blut vergoß, ich bin ihr Mörder!«

Würde ein Beilhieb auf seine Stirn niederblitzen, er könnte darob nicht mehr ergrausen. Diese Zwiesprache mit dem Gekreuzigten bestätigte den entsetzlichen Verdacht, den auf der weiten Welt kein Mensch außer Agostino Selmi bisher gehegt hat ... Also doch! Also doch! ...

Verwirrt und verstört, stellt er an den leichenblassen Gracia keine Fragen, unterläßt es, ihm Vorwürfe zu machen, und beschränkt sich darauf, ihm zu sagen, alle seien schon im Garten versammelt, man warte auf ihn.

23

Und wenige Minuten hernach sitzen Gracia und Agostino Selmi mit Cosmo, Faustina, Giuliano, Sforza und Traiano an dem von flackernden Windlichten erhellten Palisandertisch im Boboligarten, wo auf Wunsch des Duca Giuliano sein abenteuerliches Leben erzählt. Voll wacher Aufmerksamkeit lauschen die Zuhörer seinem Bericht, nippen hin und wieder an ihrem Weinglas, essen mit adliger Eleganz Obst und Konfekt, sitzen aufrecht, ein wenig spanisch-steif, wie es die Hofsitte vorschreibt, und gleichen schönausstaffierten Puppen weit eher als von Leidenschaften zerwühlten Menschenkindern, deren Seelen durch Feuerpfuhle schreiten wie die Verdammten in Dantes Hölle.

In Cosmos Innerem brennt die Sünde des vorigen Abends. Seit gestern verschließt er sein Herz vor Faustina – dem einzigen Menschen, dem er bislang seine Gifte und Arzneien, die Teufel und Engel in seinem Herzen zu zeigen sich nicht scheute. Die Ehrlichkeit gegen sie war Ehrlichkeit gegen sich selbst gewesen – und die verlor er. Doch schuldig vor ihr, verlor er auch das Gefühl von Eifersucht, das vor kurzem, in der Fonderia, ihr Eintreten für Giulianos Unschuld in ihm entfacht hatte. Über Nacht haben alle seine Gefühle sich verschoben, haben sich umgelagert wie die Glassplitter in einem Kaleidoskop. Viel Unrecht hat er wettzumachen an Faustina sowohl wie an Giuliano. Erwiesen ist jetzt Giulianos Schuldlosigkeit – was aber ist damit erwiesen? Ein unheimliches Rätsel bleibt er nach wie vor ...

Und auch in Faustinas schmerzlichem Lächeln ringeln sich kleine Schlangen der Hölle. Einen Meineid geleistet hat sie heute früh, als Cosmo sie über den Schmetterling ausfragte. Leichthin und im Scherzton hatte er die peinliche Frage gestellt, er selbst etwas vor ihr verlegen nach umschreibenden Ausdrücken suchend, und hatte sich mit ihren falschen Beteuerungen leicht zufrieden gegeben. Nun schwärt die Lüge wie ein Krebsgeschwür in ihrem Gewissen. Freilich, welches Mädchen auf der weiten Welt wäre solchen Schimpf einzugestehn fähig? ... Doch entlastet sie das? Daß sie nicht längst schon, unaufgefordert, ihre Schande hinausgeschrien, damit ein grundlos Verdächtigter nicht länger leide, ist ihre tragische Schuld und um so verwerflicher, weil ihr Schamgefühl mit Haß vermengt ist, – vielleicht auch mit heimlicher, ihr selbst noch unbewußter Liebe ...


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