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30

Bei meinem Erwachen am nächsten Morgen spürte ich, daß dies Erlebnis aus mir einen andern Menschen gemacht hatte. In den Tag hinein hatte ich bis dahin gelebt, lernbegierig aus Eitelkeit, lustbegierig aus Sinnlichkeit, eigennützig, selbstsüchtig, stolz auf meinen Verstand und mein adliges Gesicht. Und jetzt begriff ich mich selbst nicht: wie hatte ich mich anheischig machen können, den Tod zu besiegen; wie hatte ich mich vermessen können, auf das Wunder zu hoffen, das durch einen Unvergleichlichen dem Töchterlein Jairis geschehn war! Wie war ich verblendet gewesen, Ihm gleichtun zu wollen! Wie wenig glich ich Ihm! Wie schwer würde ich noch an mir zu arbeiten haben, um würdig zu sein, Ihm nachzufolgen ...«

Cosmo unterbrach:

»Das ehrt dich, Giuliano; und ich kann es dir nachfühlen ... Doch sage selbst: glaubst du, daß der Sohn Gottes ein Herz für Teufelsanbeter gehabt hätte?«

»Unser Erlöser, Eccellenza, hatte ein Herz für Sünder und Ehebrecher, für Samariter und Heiden. Er wird auch für mich ein Herz haben, der ich zweimal einen Mord auf meine Seele lud ... Doch die Teufelsanbeter sind ja gar nicht Anbeter des Teufels. Nach dem Tode seines Enkels weihte mich der alte Scheich in alle Mysterien dieser dunklen Religion ein. Sie geben dem Teufel den Namen Melek Ta-wus, das bedeutet: ›König Pfauhahn‹. Sie beten ihn nicht an, sie verehren ihn nicht; sie fürchten ihn bloß als den Fürsten der Finsternis. Ihr Ritus ist Beschwichtigung, Versöhnung, Abwehr der bösen Macht, des bösen Geschickes. König Pfauhahn ist, behaupten sie, ein gefallener Engel; der herrlichste und stolzeste war er seiner Brüder – und darum war sein Fall so tief. Seine Geschwister, die himmlischen Heerscharen, bekämpfen ihn, seinen Hochmut zu dämpfen. Nach einigen Jahrtausenden jedoch wird Gott sich aussöhnen mit ihm. Ein Symbol – nicht ein Idol – ist das kupferne Standbild des Königs Pfauhahn, welches – zwei Tage bevor Norfolk mich abholen kam – der alte Scheich mir zu sehn erlaubte.

31

In Skenderun, dem Hafen Nordsyriens, erwartete uns ein eigens für uns gechartertes französisches Schiff, eine weiße, hochbordige Galeone, schlank und graziös wie ein Schwan und groß genug, außer dem Lord nebst seinen Reisegenossen und gesammelten Kunstschätzen auch noch zwanzig von ihm gekaufte Hengste edelster Rasse übers Meer nach Marseille zu tragen. Er hatte vor, mit arabischem Vollblut sein englisches Gestüt aufzubessern, einige der Pferde vielleicht auch an Freunde zu verschenken.

Keine leichte Aufgabe war es, die unbändigen Tiere über den schmalen Holzsteg an Deck und dann hinab in den Ladungsraum des Schiffes zu schaffen. Der wildeste der Hengste, ein wunderschöner rabenschwarzer Teufel, schnob und wieherte, stieg kerzengerade, weigerte sich, toll um sich beißend; das Weiß seiner Augäpfel funkelte elfenbeinern, blutrot umrandet ... Als das Tier am Euphrat gekauft worden war, hatte es einen arabischen Namen gehabt; doch Norfolk hatte es umgetauft, und da ihm aufgefallen war, daß es sich wie ein herrischer Fürst zwischen, den andern Pferden bewegte, hatte er ihm den Namen König Pfauhahn verliehen. Keinen Reiter außer Norfolk duldete König Pfauhahn auf seinem Rücken. Mit seinem freundlichen Zuruf konnte der Lord den tollen Hengst zum Gehorsam zwingen, – ihn, der sonst keinen Gebieter über sich anerkannte und der selbst der Gebieter der anderen Hengste war ... Auch jetzt, als beim Einschiffen alle Maßnahmen der Reitknechte versagten, mußte Norfolk an den Landungssteg gerufen werden, wo er mit einem gütigen Wort den Eigensinn des Um-sich-Beißenden brach. Wie ein gezähmtes Raubtier folgte König Pfauhahn dem Lord aufs Schiff; – und willig folgten dann die übrigen Hengste.

32

Bei günstigem Winde und wolkenlosem Himmel segelten wir fünf Tage lang westwärts, sahn fernher die Berggipfel Kilikiens, Pamphyliens, Lykiens in rosa Dunst getaucht aus dem nördlichen Horizont emporschimmern, kamen an der Insel Rhodos vorbei – (sie heißt ihrer Rosen wegen ›Roseninsel‹) – und näherten uns bereits der Südspitze Griechenlands, die es zu umschiffen galt, um Messina und das Tyrrhenische Meer zu erreichen. Blau wie die Flügel eines Eisvogels glühten die sonnendurchleuchteten lächelnden Wogen, und meilenweit blieb hinter dem Achtersteven (einem sich verbreiternden Kometenschweif ähnlich) die schaumberandete Kielspur zurück. Am fünften Tage entdeckten die Matrosen im Südwesten ein ›Ochsenauge‹, ein kleines schwarzes Gewölk. Wir andern legten dem Wölkchen keine Wichtigkeit bei. Der französische Kapitän indes, wohlvertraut mit den Tücken jener Gewässer, machte Anstalten, in einem Hafen Kandias Schutz zu suchen. Das schien Norfolk eine übertriebene Vorsicht zu sein; er widersprach und bestand darauf, der Kurs auf Messina solle beibehalten werden. Noch ehe der Streit zu einer Entscheidung geführt hatte, führte das Schicksal die Entscheidung herbei. Beinahe im Nu verwandelte sich das Blau der Wogen in schmutziggraues Grün, verwandelte sich die lichte Bläue des Himmels in dunkles Schwefelgelb. An Stelle des Ostwindes raste ein Westwind heran und trieb unser Schiff wie ein welkes Herbstblatt vor sich her.

Die Hagelschauer und Blitze speienden Wolken droben vermochten mit dem flach über die See hinbrausenden Sturmwind nicht Schritt zu halten; – nach einer grausigen Gewitternacht entführte er uns aus der Zone der prasselnden Sintflutgewässer, freilich erst, nachdem einer der letzten der zehntausend Blitze unser Schiff getroffen und in den Kielraum ein Leck gerissen hatte. Am nächsten Morgen wölbte sich ein makelloser Himmel wieder über uns, die Sonne zeigte sich unverhüllt, – um so unheimlicher war der unsichtbare Feind, der sonnenbestrahlte Wind, der der blauen Glasglocke des Himmels nichts anhaben konnte, nach wie vor jedoch mit unermüdlichem Grimm die Schaumkämme der turmhohen Wogen zauste und peitschte.

Da die Sterne verdeckt gewesen waren, wußten wir nicht, wo wir uns befanden, und ahnten nicht, daß der Sturm uns in kaum mehr als zwölf Stunden fast die ganze in fünf Tagen durchsegelte Strecke zurückgetragen hatte. Daß wir nicht mehr fern von Cypern waren, vermutete keiner von uns.

Die Maste hatten wir gekappt, das Steuer war zerschellt, durch das Leck drang ständig mehr und mehr Wasser in den Kielraum. Ziellos und steuerlos trieben wir dahin.


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