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48

Es hat an Cammilla Martelli gelegen, daß die beiden Spitzbuben jetzt erst an die Ausführung ihrer – schon vor Stunden ausgeheckten – Räuberei gehn können. Unterwegs war die Kleine vor Kälte und Aufregung zusammengebrochen. Messer Lelio war genötigt gewesen, das ohnmächtige Kind in seine Spelunke zu tragen, ihm mit einem von der alten Vettel Finicella gebrauten heißen Getränk die Lebensgeister zu wecken, über einem Feuerbecken es zu wärmen. Und weil ein Ballettröckchen keinen Schutz gegen den schneidenden Borea bot, hatte er seiner Tochter Antonietta befohlen, ihren cyprischen Königsmantel – nämlich eine schäbige, geflickte, mit mottigem Pelz verbrämte Mantille – dem Kinde umzutun. Der Streit mit der aufsässigen Tochter hatte bis in die Nacht gewährt.

Jetzt fegt der Mantel der kleinen Tänzerin wie eine zu lange Brautschleppe über Gräber hin. Vor dem Bronzetor muß sie ihn ablegen, muß wieder frieren.

Die Beobachter in der Kapelle haben den Eindruck, das Kind befinde sich in einem Traumzustand und führe willenlos aus, was Lelio vorschreibt. Sie hören seine Worte:

»Du willst doch deinen Saladino zurückhaben, Bambina? Also tu wie ich es dir sage: schlüpfe hier zwischen den Gitterstäben durch, nimm die Perlenkette vom Arm der Mutter Gottes und bringe mir die Kette.«

Stumm führt Cammilla es aus. Ihre Zierlichkeit erlaubt ihr, durch das Tor zu schlüpfen. Sie verschwindet im Dunkel der Bogenhalle. Eine zu Ewigkeiten sich dehnende Minute ungewissen Wartens vergeht. Aus dem Dunkel wieder auftauchend, erscheint Cammilla hinter den Gitterstäben. Lelio reißt ihr die Kette aus der Hand.

In diesem Augenblick ertönt ein Geräusch wie von einer ächzenden klagenden Männerstimme. Cecco packt den cyprischen Koch am Arm und will ihn wegziehn, um gemeinsam mit ihm zu fliehen. Lelio stößt Cammilla, die im Begriff ist, sich durchs Gitter zu zwängen, in die Bogenhalle zurück und raunt geschwind ihr zu:

»Dort kommt der höchste Engel, dich zu strafen, Cammilla! Schnell, schnell, krieche da hinter den Sarg, damit er dich nicht erwischt!«

Die Spitzbuben klettern über die Kirchhofsmauer und entkommen mit ihrem Raub. Das Kind weicht in das schützende Dünkel der Grabstätte zurück.

49

Der die beiden Diebe verscheucht hat, ist der Kleine Walfisch. Halb unsinnig war er durch Florenz, sein Töchterchen suchend, geirrt. Die Lebende fand er nicht – nun sucht er die Tote. Er sucht sie unter den Toten, denn bereits beginnt der Schmerz seinen Geist zu verwirren.

Als er sich der Kapelle nähert, glaubt Giuliano die Stimme zu kennen ( ... obgleich es ihm schwer faßlich scheint, daß der lustige Kumpan so jammern kann). Zögernd geht er auf ihn zu. Und auch Lodovica verläßt die Kapelle.

Im matten Dunstlicht des Mondes bemerkt Giuliano glitzernde Tropfen auf den Pausbacken Martellis – das könnten allerdings auch Schweißtropfen sein, die ihm wie Tränen von der Stirn herabrinnen. Aber das Schnauben, das er hört, läßt keinen Zweifel daran zu, daß der Kleine Walfisch Tränenbäche vergießt.

»Um Gottes willen, Messer Antonio, was ist Euch? ... Was führt Euch her? ... »Warum weint Ihr so?«

Der Kleine Walfisch ächzt lauter als zuvor, erteilt jedoch nicht gleich eine Antwort. Selbst eine an Wahnsinn grenzende Verzweiflung kann mit listiger Vorsicht gepaart sein. Das streng gehütete Geheimnis seiner Vaterschaft gibt er auch jetzt noch nicht preis.

»Sagt mir, guter Mann ...«

»Ich bin Giuliano. Erkennt mich Euer Gnaden nicht?«

»Doch, doch ... Sagt mir, Signore, habt Ihr hier ein frisch geschaufeltes Kindergrab gesehn?«

»Ein Kindergrab? Nein ... Wen sucht Euer Gnaden?«

»Eine kleine Tänzerin ... Hinter dreihundert Türen hielt ich sie verschlossen, und doch entlief sie. Abhanden gekommen ist sie, verloren wie Geld aus der Tasche, verloren wie ein Ring vom Finger, verloren wie die Seele eines Lutheraners ... Unter den Lebenden fand ich sie nicht ... Und Ihr sagt, kein neues Kindergrab sei hier? ... Oh, Qual ohne Ende, Klage ohne Trost! ... Eine Hexe hat das Kind geschluckt, eine der blutigen Schwestern! ...«

Aus der Bogenhalle schrillt eine Silberstimme. Cammilla zwängt sich durch die Gitterstäbe, stürzt dem Kleinen Walfisch in die Arme.

»Vater!! ... Mein lieber Vater!«

Ihre Freudentränen mischen sich mit seinen, ihre Küsse ersticken ihn fast. Im Rausch seines Glückes kennt er keine listige Vorsicht mehr.

»Cammilla, mein Kind! Du mein Schutzenglein! ... Bist du es? Bist du es wirklich? Ach, was habe ich geweint um dich, du böses liebes Kind! ... Und du bist gesund und heil? ... Ganz durchfroren bist du ja, du Rose im Frost ... Taten dir böse Menschen nichts an? ... Beruhige deinen alten Vater, mein Kind ... Haben diese zwei dich hierher geschleppt?«

»Nein, Vater, diese nicht. Ein anderer Teufel war es, der mir Saladino – – –«

50

Cammilla verstummt jählings. Mit einem erstickten Aufschrei flüchtet sie in die Arme ihres Vaters.

Aus der Kapelle humpeln drei groteske, unheimliche Wesen herbei. Man könnte sie für Krüppel der Florentiner Bettler-Innung halten, denn zwei von ihnen schleppen sich an Krücken und der dritte ist ein Rutscher. Doch sie wirken ganz unkörperlich. Übergroß sind ihre Köpfe, und von grausenerregender Häßlichkeit ihre Fratzen. Des einen hängende Nase gleicht einer Bologneser Wurst; die des andern ist plattgestülpt wie ein verkrummter Nabel; die Nase des dritten ragt vor wie der Schnabel eines Nashornvogels. Die Riesenmäuler, die bleckenden Hauer, die bis zum Kinn herabschlampenden Unterlippen übertrumpfen jeden Vergleich.

Unheimliche, doch höchst aufgeräumte Greuelgebilde sind es. Sie setzen sich auf einen Leichenstein, dicht neben Lodovica, Giuliano, den Kleinen Walfisch und Cammilla.

Der Wurstnasige sagt zum Nabelnasigen:

»Wer ist unser Gefährte, der Scharfnasige?«

»Ein altes Krokodil.«

»Und wer bist du?«

»Ein alter Floh; der Großmeister der Flöhe ... Nun aber sage auch du mir, wer du bist.«

»Eine alte Tarantel.«

»Hast du gehört, daß der Walfisch ein Kind verschluckt hat?«

»Er hat es wieder ausgespien wie der Walfisch den Propheten Jona. Es ist seine Tochter, – du hörtest doch?«

»Hole zwei Bälle.«

»Fangbälle? Schleuderbälle? Wozu?«

»Der Große Meister will es: wir sollen Ball spielen.«

Klumpfüßig humpelt der Wurstnasige zum Beinhaus hin und kehrt, zwei morsche Totenschädel tragend, zurück.

Das fleischgeworde Krokodil fragt:

»Wen stellen diese Bälle dar?«

Der alte Floh antwortet:

»Dieser Ball ist Donna Faustina und dieser ist La Delfina. Laß uns sehn, an welcher von beiden Don Pietro zuerst sein Mütchen kühlen wird.«

Die Totenschädel fliegen in die Luft und werden von den drei Krüppeln geschickt aufgefangen. Schließlich fällt der eine Schädel zu Boden. Da erklärt die alte Tarantel feierlich:

»Das Schicksal hat entschieden: Faustina kommt zuerst daran!«


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