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9

Für eine Weile versank Selmi wieder in seine lugubre Schweigsamkeit. Als er dann, gleichsam erwachend, aufblickte, umspielte ein Lächeln seine dünnen Lippen.

»Ihr habt mir das Schloß von den Lippen genommen, ohne daß ich eigentlich zum Sprechen kam. Da Ihr schon so viel wißt, tue ich kein Unrecht, wenn ich Euch mehr sage; – schon darum nicht, weil dies nicht Don Pietro betrifft, sondern jenen Giuliano. Freilich sind beider Schicksale so verknüpft, daß man den einen nicht betrachten kann, ohne hinter ihm das Schattenbild des andern zu sehn ... Es liegt dem Duca daran, Zeit zu gewinnen, er geht alten verwischten Fährten nach, die sich nicht schnell – wenn überhaupt aufstöbern lassen. Heimlich – (alles tut er heimlich und ahnt nicht, daß das Verborgene sich schwerer verbergen läßt als das Offene!) –, heimlich hat er zwei seiner Diener in zwei ferne Länder geschickt, Erkundigungen einzuziehn. Wozu er das getan hat, was er vorhat, ob er Giuliano töten will, um Pietro zu retten, oder umgekehrt – kein Mensch weiß es. Er hat zwei Eisen im Feuer, um damit vielleicht Giuliano den Kopf vor die Füße zu legen – falls er ihn nicht zum Ritter damit schlägt.«

»Ihr sprecht in Rätseln, Messer Agostino.«

»Ist's ein Wunder, wenn man von Rätseln in Rätseln spricht? Daß der so kluge und nüchtern denkende Duca auf seine alten Tage plötzlich zum Phantasten wurde und einem Phantom nachjagt, – ist es nicht rätselhaft? Und ist es zu begreifen, daß er die Leiden seines Sohnes nicht nur nicht abkürzt, sondern verlängert, weil der andere – sein Sohn sein könnte?«

»Der Cypriote Giuliano? – sein Sohn?!«

»Oder des Duca Alessandro Sohn.«

»Wie kommt Cosmo darauf? ... Ist das durch den Prozeß aufgedeckt worden?«

»Nicht eigentlich durch den Prozeß. Ein merkwürdiger Zufall hat da die Hand im Spiele. Am Vorabend der Ermordung La Delfinas wurde in der Via San Gallo ein Diebesnest ausgehoben. Ihr werdet davon gehört haben, daß die Perlenkette der Duchessa gestohlen wurde.«

»Und ob ich davon gehört habe! Das war ein frommer Spitzbube, der mit solch einem Rosenkranz beten wollte!«

»Nun, als die Sbirren den Dieb nebst seiner Sippschaft festnahmen, fanden sie, außer dem entwendeten Perlenband, auch Aufzeichnungen eines Verstorbenen, eines venezianischen Hauptmanns, aus denen hervorgehn soll, daß der Giuliano von hoher Abkunft, vielleicht sogar ein Medici ist. Weiteres, was in den Papieren nicht stand, hat seitdem der Perlendieb in der Folter vorgebracht – vielleicht weil er merkte, wohin die Fragen der Inquisitoren zielten. Der verstorbene Venezianer, versicherte er, habe den Giuliano nach Florenz gebracht, um auf abgefeimte Weise sich an Seiner Eccellenza zu rächen.«

»Und welchen Grund hatte ein Venezianer, sich an Cosmo rächen zu wollen?«

»Das wird Euch weniger unglaubwürdig erscheinen, wenn ich Euch den Namen des Venezianers nenne. Es war Jacopo Malatesti, der Bruder des unglücklichen Malatesta Malatesti.«

»So, so, – jetzt fange ich an zu begreifen ... Wie aber wollte er sich rächen?«

»Das müßt Ihr den Verstorbenen fragen, Messer Benvenuto ... Zuerst hatte der Perlendieb den Giuliano für einen Enkel der Catarina Cornaro ausgegeben; – das widerrief er auf der Folter und behauptete: auf dem Sterbebett habe ihm Jacopo Malatesti das Geheimnis anvertraut, Giuliano sei der von Chaireddin Barbarossa entführte Sohn des Duca Alessandro.«

»Das ist doch schier unmöglich! Die Leiche des kleinen Prinzen wurde ja von den Seeräubern in einer Truhe nach Florenz geschickt. Kardinal Cybò und Cosmo haben das Kind wiedererkannt.«

»Den gleichen Einwand hat auch Seine Eccellenza gemacht. Da jedoch die Möglichkeit nicht ganz von der Hand zu weisen ist, daß eines fremden Kindes Leiche, gekleidet wie der kleine Prinz, in die Truhe gelegt worden war, verfolgt der Duca auch diese Spur.«

»Auch? ... Und welche andere noch?«

»Falls es wahr ist, daß Mediceerblut in Giulianos Adern fließt, so könnte er z.B. auch der Sohn Lorenzinos sein. Diese Vermutung freilich hat Seine Eccellenza sogleich wieder aufgegeben, leben doch noch zu viele Zeugen, die beschwören können, daß zugleich mit Lorenzino das Kind umkam. Nein, wie gesagt, dieser Gedanke wurde fallen gelassen ... Die zweite Spur, von der ich sprach, führt nach Sizilien. Dorthin zog die Signora Bia della Tessinara ...«

»Die habe ich gekannt, die Blauäugige! Sie war Cosmos Konkubine, – die einzige Frau, die er wirklich geliebt hat. Wie manches Schmuckstück hat er mir abgekauft für sie, um sie wie ein Heiligenbildnis mit Juwelen zu behängen. Er mußte sie sich aus dem blutenden Herzen reißen, sie verstoßen, als der Kaiser Don Carlos ihm vorschrieb, die Duchessa Eleonora di Toledo zu heiraten ... Doch hatte denn Bia ein Kind?«

»Sie war schwanger, als sie nach Sizilien zog. Zu tief verwundet und stolz, hat sie mehrere Briefe, die ihr später der Duca schrieb, nie beantwortet. Man weiß nicht einmal, ob sie die Leibesfrucht ausgetragen, und was aus ihr und dem Kinde wurde ... Seine Eccellenza hat den cavaliere Traiano Bobba nach Palermo geschickt und den Signor Sforza Almeni nach Fontainebleau, Nachforschungen anzustellen.«

»Mich hätte man damit betrauen sollen! Donner und Blitz, wer hat Beziehungen zum französischen Hof, wie ich sie habe! Nun ja, mich warf man zum alten Eisen! ... Ich möchte wissen, was die Blindschleiche Sforza Almeni in Frankreich ausrichten wird? Was soll er dort überhaupt? Welche von Euren tausend Spuren führt denn ausgerechnet nach Fontainebleau?«

»Die erste, Messer Benvenuto, – die an der Truhe endete und vielleicht doch nicht endete ... Chaireddin Barbarossa war verbündet mit Frankreich, er hat Nizza geschont, als er Italiens Westküste brandschatzte! Wenn jemand, so wird Alessandros Schwester, die Königinmutter Catarina de'Medici – die damals Dauphine von Frankreich war – wissen, ob ihr kleiner Neffe Giulio im Himmel oder noch auf Erden weilt ... Übrigens ist Almeni heute morgen von seiner Reise zurückgekehrt.«

»Mit leeren Händen?«

»Das weiß ich nicht, und selbst der Duca weiß es noch nicht. Denn der war, als Almeni eintraf, bereits in die Stadt geritten, sich das Maifest anzusehn.«

10

Vom Turm der nahen Santa-Croce-Kirche ertönten zehn Glockenschläge. Erschrocken erhob sich Selmi.

»Man merkt nicht, wie die Zeit eilt, wenn man Euch gegenübersitzt, Messer Benvenuto.«

»Und Ihr wollt es der Zeit gleichtun und davoneilen? Wohin?«

»Zum Arno. Verzeiht, wenn ich so davonstürme. Per Duca will gegen halb elf Uhr vom Ponte Vecchio hinabspringen und im Arno baden.«

»Und er braucht Zuschauer dazu?«

»Den Kopfsprung macht er sonst ja, auch wenn nicht viele zuschauen. Doch des Festtages wegen werden heute die Ufer schwarz sein von Menschen; und um nicht vom Volk allein bewundert zu werden, hat der Duca die Nobili und alle Höflinge eingeladen, seinen Kopfsprung zu bejubeln.«

»Nehmt mich mit, Messer Agostino! Ich bin zwar weder ein Edelmann noch ein Höfling – aber circenses besuche ich gern. Cosmo als Toreador und der wütende Stier Arno! Wer wird erliegen? ... Kommt, laßt uns gehn.«

11

Inzwischen war auf der Piazza di Santa Croce der Ringelreigen zu Ende getanzt, der Blumenstrauß von der Spitze des Maibaums herabgeholt und der gewandteste Kletterer im Hochtriumph auf den Schultern johlender Kameraden umhergetragen worden. Den ins Backsteinpflaster eingerammten Mast hatten alsdann die Jubelnden niedergelegt. Jetzt schleppen sie den Mast dem Ufer zu, die Kanzone des Poliziano dazu singend: »Ben venga Maggio.« Bald ist kaum noch eine Seele auf der rasch sich leerenden großen Piazza zurückgeblieben. Bedächtig, um nicht ins Gedränge zu geraten, folgen in einigem Abstand die beiden Alten dem zwischen engem Gassengemäuer sich hindurchzwängenden Menschenhaufen.

Launisch wie ein Götze, der mit einem puppenhaften Lächeln auf den Lippen Segen spendet oder Tod und Vernichtung, – so launisch ist der wunderschöne Arno stets gewesen. Dämme bauend hat Menschenlist dem zuweilen Tobenden eine steinerne Zwangsjacke umgelegt, und seitdem ist er gebändigt. Bevor dies geschah, vor Jahrhunderten, brachte er mehr als einmal Florenz in Gefahr. Wie an Meeresküsten eine Sturmflut, spülte 1557 das Hochwasser die Vorstadt Ognissanti weg, riß den aus Granitquadern erbauten Ponte alla Carraia nieder, brandete am Palazzo Vecchio, stieg bis zum Palazzo del Podesta, dem Bargello, hinauf.

So ungebärdig wie damals ist der Arno in diesem Frühjahr nicht, sein Pegel hat sich seit Mitte April gesenkt, – doch reißend sind immer noch seine Fluten.

Auf der delle-Grazie-Brücke staut sich die Volksmenge – denn von dort aus sollen, wie alljährlich, dem rauschenden Pater Arno zwei Opfer dargebracht werden, ein Baum und ein Mensch. In grauer Vergangenheit war das wohl als Sühnopfer gemeint gewesen, weil die Pontifices den Fluß überbrückt hatten. Seit dem Christentum war die Sitte gemildert und zur Volksbelustigung geworden. Den armen Schlucker, der bereit war, sich hinabwerfen zu lassen, stießen nicht heilige Vestalinnen in den Fluß; auch wurden ihm nicht Hände und Füße zusammengebunden, wie den Flußopfern in altetruskischer Zeit, – er konnte, und mußte sogar, zum Ufer schwimmend, sich retten.

Langsam schritten Cellini und Selmi am Arno entlang, den Uffizien zu. Sie kommen an einem Speicher vorbei, zu dessen Tor eine fünfstufige Treppe emporführt. Sie steigen die Treppe hinauf. Von hier aus lassen sich die Vorgänge auf dem Ponte delle Grazie und auf dem Fluß bis hinab zum Ponte Vecchio gut übersehn – besser als vom Ufer aus, das schwarz von Menschen ist. Sie sehn, wie der Maibaum – den man zur Brücke waagerecht getragen hatte – sich plötzlich steil aufrichtet, schwankt, erzittert, das Gleichgewicht verliert, einem trunkenen Riesen ähnlich über die Brüstung taumelt und der Länge nach über den Fluß stürzt, weithin Gischt und Schaum umherspritzend. Kaum hat der Fluß sein hölzernes Opfer erfaßt, schießt er Arm in Arm mit ihm dahin. Wie ein gewaltiger Pfeilschaft erreicht der Mast den Ponte Vecchio, saust durch einen der drei Brückenbogen hindurch und entschwindet den Blicken.

Und jetzt soll ein Mensch erleben, was der Baum soeben erlebt hat. An die Rampe zwischen zwei Brückenhäusern wird ein mit Rosen bekränzter Mann herangeführt und auf die Balustrade gestellt. In schlechten Hadern, verwahrlost, bettlerhaft sieht er aus, der, um einen scudo d'oro zu erhalten, sich als Opfer gemeldet hat.

Die scharfen Augen Cellinis erfunkeln. Er faßt Selmi am Ärmel.

»Seht doch, der Kerl steht da wie ein Perseus! Das ist kein Bettler.«

»Sondern ...?

»Mag's der Teufel wissen! ... Warum hat er sich herangedrängt? Ist's denn ein Vergnügen, sich ersäufen zu lassen wie eine Katze? ...«

Das Gespräch bricht ab, zu einer Unterhaltung ist nicht die Zeit. Atembeklemmend werden die Geschehnisse, die jetzt Schlag auf Schlag einander folgen.

Es beginnt damit, daß das Volk den Mann von der Brüstung hinabstößt. Schrecklich und zugleich komisch ist es. Man möchte an einen fliegenden Hampelmann denken, so ungeschickt purzelt er, Arme und Beine weit von sich streckend, in die Wellen, sinkt unter, kommt prustend an die Oberfläche und müht sich ab, das Ufer zu erreichen. Es stellt sich heraus, daß er nicht zu schwimmen versteht. Er paddelt wie ein ins Wasser geworfener Hund, er schlägt sinnlos um sich, und das sieht aus wie ein Faustkampf mit dem Fluß. Staunenswert gewiß, daß er so sich eine Weile oben halten kann, daß er nicht in die Tiefe gerissen wird oder davonschießt wie vorhin der Maibaum. Aber daran ist nicht zu denken, daß er sich retten könnte. Immer weiter weg vom Ufer in die Mitte des Flusses zerrt ihn die Strömung. Die Tausende auf den Uferstraßen und auf beiden Brücken schauen ergrausend, unfähig zu helfen, seinem Todeskampf zu. Er ist ein Ertrinkender, schon verlassen ihn seine Kräfte ...


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