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59

Ein halber Tag ist vergangen: vierzehn Uhr verkündet der Glockenturm des Doms. Trompetengeschmetter vermählt sich mit dem Geläut. Die giostra dei tori, das Turnier der Stiere, beginnt soeben.

Von allen Insassen des Palazzo Pitti ist Donna Faustina die einzige, die – ihrer Kopfverletzung wegen – dem Ruf der Fanfaren nicht hat folgen können. Sogar die sieche Signora Duchessa hat, als geborene Spanierin, sich's nicht nehmen lassen, in einer sechsspännigen Staatskarosse zur Piazza di Santa Maria Novella zu fahren, wo alt und jung und reich und arm zusammengeströmt sind, der grausamen Volksbelustigung mitleidslos zuzuschaun. Manche Patrioten mißbilligen zwar und verachten die von den Borgia eingeführten Stierkämpfe, doch von den manchen fehlt nicht einer auf den rings um die Arena errichteten Tribünen.

Allein ist Faustina. Nicht einmal ihre Zofe Rentinola, die Zwergin, weilt bei ihr. Gleich nach den ersten Fanfaren war die Melancholie auf dem Kindermund unverkennbar geworden, – hatte doch ihr Bräutigam Guerzolo, der kleine Diener der Kurtisane La Delfina, Urlaub für den Stierkampf erhalten, während ihr die Keckheit fehlte, um Urlaub zu bitten. Doch Faustina hatte es erraten und hatte erbarmungsvoll sie zur Arena geschickt.

Mit Cosmos schwarzem Pflaster auf der Stirn liegt Faustina in ihrem Bett aus vergoldetem Holz; vier gewundene Bettpfosten streben auf als Träger eines Baldachins, dessen schleierige Vorhänge, emporgezogen, ein Musselingewölk bilden, – es ist ja noch heller Tag. Faustina liest im »Cortegiano« des Conte Baltassare Castiglione. So vertieft gibt sie sich diesem Idealbild italienischer Kultur, dieser Schule der verfeinerten Sitte und des Anstandes hin, daß sie nicht merkt, wie die Tür leise aufgeht, und erst emporschreckt, als zwei Männer mitten im Zimmer stehn.

Die Eindringlinge sind Don Pietro und Santi. Unter seinem langen Mantel trägt Santi einen topfähnlichen Gegenstand. Es ist Faustina nicht möglich, durch den Mantel hindurch den Gegenstand zu erkennen. Sie hat sich aufgesetzt im Bett und blickt und blickt ... Sie möchte aus dem Bett springen, davonlaufen und hat die Kraft nicht, vor Entsetzen gelähmt. An Santi würde sie vorbeifliehen können, – zu sinnlos betrunken ist er, sie festzuhalten: er torkelt und rülpst, vermag kaum aufrecht zu stehn; und schon bald läßt er sich in einen Sessel fallen, schlummert ein ...

Don Pietro dagegen ist heute nüchtern. Ohne Gruß stellt er sich neben das Bett und hält einen blanken Dolch Faustina zwischen die Augen. Sie rührt sich nicht. Die Nasenwurzel zwischen den Augenbrauen kitzelt er mit der Dolchspitze. Ihr Kopf weicht zurück vor der Klinge, ihr Rumpf sinkt rückwärts in die Kissen, ausgestreckt liegt sie da wie eine Tote, nur daß das Pochen ihres Herzens hörbar lärmt und ihre Brüste wie zwei verängstigte Täubchen unter dem Hemde flattern.

»Ich könnte zustoßen, Faustina. Doch das wäre nicht Zahn um Zahn. Zieh dein Hemd aus.«

Ein Aufschrei schrillt aus Faustinas Lippen.

»Laß das Geplärr! Keine Menschenseele ist im Schloß! ... Also – wird's bald? Soll ich dich ausziehn?«

Da sie sich nicht bewegt, reißt er ihr weißes Seidenhemd in Fetzen, zerrt es ihr vom Leib, so daß sie nackt daliegt.

»Lege dich auf den Bauch, meine Seele!«

Diesmal gehorcht sie sogleich; – vielleicht, weil sie nicht weiß, wo sich vor Scham zu bergen. Ihr Widerstand ist gebrochen. Leise schluchzend vergräbt sie ihr Gesicht in die Kissen.

»Santi! Schau her: sahst du je einen so weißen Schneehasen? Gib mir den Topf! ... Ist der Kerl eingeschlafen! ... Her mit dem Topf, sage ich!«

Aus seinem Schlummer emporfahrend, zieht Santi den Mantel vom Gegenstand, den er verhüllte, und reicht diesen Don Pietro hin. Es ist ein Farbentopf voll blauer Ölfarbe; und aus dem Topf ragt ein Malerpinsel.

»Jetzt halte fein still, meine Seele. Du hast meinen Hintern braun angestrichen, – dafür bitte ich mir die Ehre aus, den deinen blau zu bemalen. Einen blauen Schmetterling male ich dir auf deine hübschen Hinterbacken, – einen Falter, der über zwei weißen Rosen schwebt!«

Und während Faustina wimmernd wie ein Kind vor sich hin schluchzt, malt er einen großen himmelblauen Schmetterling auf ihr schneeweißes Fleisch.

60

Durch das Tavernenfenster dämmert der Winterabend in die nach Weindunst und Kellerluft riechende Gaststube herein. Noch haben sich keine Gäste eingefunden außer dem Kleinen Walfisch. Mit dem Wirt, seinem Freund, sitzt er kummervoll vor einem Glas heißen Weines und redet von den tollen Ereignissen auf dem Friedhof, von der Demütigung Don Pietros und von dessen rätselhaftem Verschwinden. Seit der Prinz mit den Worten »Ich kann mich vor Menschen nicht mehr blicken lassen!« aus dem Kirchhof gerannt war, hatte ihn niemand mehr erblickt – weder im Verlauf der Nacht, noch in den Vormittagsstunden, noch auch während des Stierkampfes am Nachmittag. Seine Satelliten, die der Kleine Walfisch auf den Tribünen der Arena getroffen, waren in größter Sorge um ihn ...

Sinnend meinte darauf Semprebene: an einen Unglücksfall oder Selbstmord glaube er nicht. Ein Mensch wie der gehe an verletzter Ehre nicht zugrunde. Eher sei zu vermuten, daß er verderbenbrütend seine Zeit abwarte, um plötzlich ganz überraschend aufzutauchen und Vendetta zu üben.

»An wem?«

»An vielen; an dir, weil du seine Schmach mitansahst; vor allem an Giuliano. So wie ich den Prinzen kenne, wird er sein vergiftetes Rapier heute noch nicht gereinigt haben.«

Der Kleine Walfisch schnappt nach Luft vor Aufregung.

»Man hat mich gebeten ... Ich darf nicht sagen, wer ... Ein Mann, der hochsteht wie der Polarstern und allmächtig ist wie ein fließender Lavastrom und –«

»Laß den Strom erkalten, Antonio, sonst kommen wir nie hinüber. Du meinst den Duca. Er hat dich gestern aufgesucht. Alle Welt weiß es.«

»Das –? Unmöglich! ... So unmöglich wie –«

»Wie was?«

»Wie die Rückseite der Mondscheibe sehn, ein Individuum teilen, rote Rosen weißwaschen, einen Schwanzlurch abrichten ... Ach, ich spotte meiner selbst – ich bin ein Eselkönig! ... Also man weiß es?«

»Einem Guten Mann von San Martino, der so königlich schreitet, nützt die schwarze Maskerade wenig. Was wollte er von dir? Es ist nicht schwer zu raten: er hat dir sein liebes verlorenes Söhnlein ans Herz gelegt?«

»Du bist hellsichtig! ... Hilf mir, den Schicksalsschwestern in die Arme fallen, ihnen die Scheren entwinden, lieber Freund! Laß uns die Fässer der Bosheit zustopfen, zupichen, zulöten, zunageln, zuhämmern, zuspunden!«

»Nicht die! – denn wo sind die? wie kommt man daran? ... Nein, Antonio, – sondern das Weinfaß dort oben, das oberste dort, aufspunden, oder noch besser, ihm den Boden ausschlagen, ja, das müßten wir, damit der Feuerkopf in einem Weinbad abkühlt ... Aber Geld würde das kosten, mehr als ich Haare auf dem Kopfe habe.«

»Cosmo hat mehr Haare und mehr –«

Sich unterbrechend lächelt der Kleine Walfisch Giuliano an, der eben hereinkommt. Semprebene begibt sich hinter den Kredenztisch.

Nachdem Giuliano sie begrüßt hat, erkundigt er sich, ob Don Pietro noch immer vermißt werde? – Etwas barsch stellt Semprebene die Gegenfrage:

»Was kümmert es Euer Gnaden? Und selbst wenn er auf einem Besen zum Teufelssabbat fuhr, – wen kümmert das? ... Aha, Euer Gnaden will den Grabschlüssel los sein? Das kann ich besorgen, – gebt her! Ich werde ihn Seiner Hoheit abliefern ... Besser Euer Gnaden begegnet heute dem Prinzen nicht – und morgen auch nicht.«

»Und nach zehn Jahren auch nicht!« fügt der Kleine Walfisch hinzu.

Doch Giuliano gibt den Schlüssel nicht aus der Hand. »Ich habe kein Weiberherz«, sagt er und setzt sich zu Martelli an den Tisch.

61

Aufgerissen wird die Tavernentür und Carlo stürmt herein, fahl wie eine getünchte Wand. Er ist nüchtern, weil er beim Stiergefecht sich mit Semiramide traf und hernach, als sie im Menschengewühl von ihrem Vater getrennt wurde, ritterlich das kleine Fräulein nach Hause brachte, – ihm also die Gelegenheit gefehlt hat, sich einen Rausch anzutrinken. Nicht Weingenuß färbte ihm die Wangen und die Lippen so blutlos, vielmehr eine furchtbare Nachricht, die ihm – erst nachdem er von Semiramide Abschied genommen – auf der Straße zufällig zu Ohren kam. Und er ist hergeeilt, der Akademie der Verrückten das Entsetzliche mitzuteilen.

»Ich wünsche den Freunden einen guten Abend. Auch Euch, Messer Giuliano.« (Seltsam – er reicht Giuliano die Hand.) »Wißt Ihr schon?«

»Was? Was ist passiert? Du schaust käsig aus, Carlo! Hat eine lausige Tarantel Seine Hoheit gestochen? Oder ein epikuräischer Floh? Hat ein Krokodil ihn geschnappt? Haben die Herren Gespenster ein Gespenst angeknabbert?« höhnt Martelli.

»Schweig, Walfisch! Das Lachen ist mir vergangen ...«

»Wie mir gestern, als haarige Leute ohne Fleisch und Bein die Wagenlenkerin Luna mit Totenschädeln bewarfen ... Was ist denn geschehn?«

»Eine höllische Geschichte! ... Mir standen die Haare zu Berge, als ich –«

»Mir auch, Carlo. Es waren monströse Lemuren. Doch am Gequiek erkennt man des Teufels Schweine ... Was für eine Geschichte? ... So sprich doch!«

»La Delfina ist ermordet! Der Guerzolo, ihr Page, kam vom Stierkampf heim und fand sie als schon erblaßte Leiche mit durchschnittener Kehle ... Das Mordmesser fehlt ... Hat sich Don Pietro noch immer nicht blicken lassen?«

Das Schmunzeln ist von den Lippen Martellis gewichen. Er und der Wirt sehn sich tiefbewegt an, mit fragenden Augen, wie wenn sie einander die geheimsten Gedanken ablesen wollten. Schließlich murmelt der Kleine Walfisch:

»Dem armen Sündenkind ist besser so. Requiescat in pace!«

Der Wirt aber forscht Carlo aus:

»Euer Gnaden fragt nach Don Pietro? Wie soll ich die Frage auslegen? Meint Euer Gnaden, daß Don Pietros Verschwinden ...? Euer Gnaden kann doch unmöglich annehmen –«

»Nichts nehme ich an ... Aber andere werden annehmen, daß Don Pietro ... oder daß in seinem Auftrage jemand ... Alle, die über den Apfelsinenkorb lachten, hörten ja auch die Drohung vom Messer in der Kehle ... Wir allesamt können in des Teufels Küche kommen –«

62

Allmählich füllt sich die Taverne mit den Verrückten; fast die ganze Akademie ist versammelt, und alle regen sich auf über die Greueltat. Die einen raunen und tuscheln, die andern gestikulieren und schreien. Aber plötzlich senkt sich eine beängstigende Stille auf das jäh ersterbende Stimmengewoge herab. Alle Gesichter drehen sich der Tür zu. In der Tür stehn Don Pietro und Santi. »Da bin ich, der Totgesagte, der Beweinte! Santi, den ich zufällig im Rinnstein fand, hat mir's beschrieben, wie ihr mich beweint habt, ihr Herzchen! Ja, und ihr habt Kirchhöfe, Totenschreine und Leilachen nach mir durchstöbert? ... Oh, ihr Schöpse! Meint ihr, ich stiege allein in den Sarg? Ohne lustige Gesellschaft? ... Nein, da müssen andere mit! Ihr alle, meine Freunde, müßt mit! Der Sarg, den ich uns gewählt habe, ist diese Taverne – hier wollen wir den Todesreigen tanzen, fressen und saufen bis zum Jüngsten Tag ... Und wenn die Posaune des Gerichts ertönt, saufen wir weiter ...« »Die Posaune des Gerichts wird früher ertönen!« murmelt der Kleine Walfisch erschüttert.

»Ei, schwimmst du heute nicht in Tränen? Schwimmst du heute in Weingläsern herum, Walfischchen? Und hast du die kleine Tänzerin, dein Töchterchen, nicht mitgebracht? – So ein Geheimniskrämer! Und das will ein Freund sein! ... Es war hundert Scudi wert, deine väterlichen Küsse zu sehn, du fetter Wanst! ... Morgen sollst du deine Cammilla uns was vortanzen lassen, Tanzmeister! – Sie gehört mit in den Sarg, verstanden? ... Gib mir den Topf her, Santi! Die alten Griechen meißelten das Bild eines Schmetterlings auf ihre Sarkophage; – darum will ich auf unsern Sarg einen Schmetterling malen!«

Und auf das Stück Kalkwand zwischen Eingangstür und Fenster, wo keine Fässer stehn, malt Pietro einen blauen Falter – an Größe und Gestalt ein getreues Abbild jenes andern Schmetterlings ...

Carlo packt ihn am Arm, schüttelt ihn, wie um ihn wachzurütteln: ob er schon wisse, daß La Delfina mit durchbohrter Kehle tot aufgefunden wurde?

Ruhig beendet Pietro die Malerei, dann wendet er sich grinsend um:

»Aha! Daher eure Leichenbittermienen? ... Ward Florenz um eine Hure ärmer, um so reicher ward Florenz! ... Ich brauche mir also die Hand nicht rot zu färben ... Wer aber griff mir vor? Ich gab den Auftrag nicht.«

Entsetzt ruft Carlo:

»Du hast ein Wolfsgewissen, Pietro! ... Flieh nach der Romagna, zu den Orsinis! noch ist Zeit!«

Eine Weile steht Pietro nachdenklich da, ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht.

»Fliehn? ... Welch ein Unsinn! ... Wie kommst du darauf?«

»Weil du das angedroht hast; weil du nicht beim »Ei, schwimmst du heute nicht in Tränen? Schwimmst du heute in Weingläsern herum, Walfischchen? Und hast du die kleine Tänzerin, dein Töchterchen, nicht mitgebracht? – So ein Geheimniskrämer! Und das will ein Freund sein! ... Es war hundert Scudi wert, deine väterlichen Küsse zu sehn, du fetter Wanst! ... Morgen sollst du deine Cammilla uns was vortanzen lassen, Tanzmeister! – Sie gehört mit in den Sarg, verstanden? ... Gib mir den Topf her, Santi! Die alten Griechen meißelten das Bild eines Schmetterlings auf ihre Sarkophage; – darum will ich auf unsern Sarg einen Schmetterling malen!«

Und auf das Stück Kalkwand zwischen Eingangstür und Fenster, wo keine Fässer stehn, malt Pietro einen blauen Falter – an Größe und Gestalt ein getreues Abbild jenes andern Schmetterlings ...

Carlo packt ihn am Arm, schüttelt ihn, wie um ihn wachzurütteln: ob er schon wisse, daß La Delfina mit durchbohrter Kehle tot aufgefunden wurde?

Ruhig beendet Pietro die Malerei, dann wendet er sich grinsend um:

»Aha! Daher eure Leichenbittermienen? ... Ward Florenz um eine Hure ärmer, um so reicher ward Florenz! ... Ich brauche mir also die Hand nicht rot zu färben ... Wer aber griff mir vor? Ich gab den Auftrag nicht.«

Entsetzt ruft Carlo:

»Du hast ein Wolfsgewissen, Pietro! ... Flieh nach der Romagna, zu den Orsinis! noch ist Zeit!«

Eine Weile steht Pietro nachdenklich da, ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht.

»Fliehn? ... Welch ein Unsinn! ... Wie kommst du darauf?«

»Weil du das angedroht hast; weil du nicht beim Diesen Moment benutzt der Kleine Walfisch, Giuliano am Ärmel zu fassen und ihn hinaus in die Gasse zu ziehn.


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