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Zweites Buch

Das Maifest

1

Märzwinde hatten alle Spuren des Windes hinweggestürmt; heiß und kalt und gewitterschwül war der April gewesen. Jetzt zog der Mai in Toscana ein, von den vergnügungssüchtigen Florentinern mit Gesängen, Girlanden und Reigen bejubelt, als wäre der azurne Frühlingstag ein Potentat oder ein Faschingsnarr.

Im Morgendämmer des ersten Mai durften Knaben und junge Männer zum Hause der heimlich Geliebten schleichen, ihr einen Blumentopf vors Fenster stellen oder ihr ans Fensterkreuz einen blühenden Akazienzweig befestigen. Das war uralter Brauch, von keinem Geringeren als von Lorenzo il Magnifico besungen.

Se tu vuo' appiccare un majo
A qualcuna che tu ami ...

Und schon in den Morgenstunden entbrannte der Kampf um den Maibaum. Ein jedes Stadtviertel hatte seinen Maibaum. In der Mitte jeder Piazza war ein haushoher buntbewimpelter, mit einem mächtigen Blumenstrauß gekrönter Mast aufgerichtet. Und die Volksbelustigung bestand darin, daß die geschicktesten Klimmer und Klimmerinnen sich abmühen mußten, am glasglatt polierten Maibaum emporkletternd den Blumenstrauß herabzuholen. Den meisten mißlang es; und sie wurden, wenn sie beschämt und verlegen wieder herabkamen, mit schadenfrohem Gelächter von der Zuschauermenge empfangen, von halbwüchsigen Kindern umringt, umtanzt, umhergewirbelt, bis ihnen Hören und Sehn verging.

Noch grausamer war der Abschluß dieser Wettkämpfe. Der seiner Blumen beraubte Maibaum wurde vom Volk zum Arno-Ufer geschleppt und in den Fluß geworfen. Ihm nach aber warf man einen Menschen.

In der Regel war es ein Mitglied der Florentiner Bettler-Innung oder sonst ein armer Schlucker, der gegen eine Geldabfindung sich bereit erklärte, das freiwillig-unfreiwillige Bad zu nehmen.

2

Zeitiger als andere Knaben und Anbeter – nicht im Morgenrot, sondern schon beim ersten Erbleichen der Nacht – hatte Don Gracia seinen majo zum Fenster seiner geliebten Donna Tolla Fiordespini getragen; nicht jubelerfüllt hatte er es getan, sondern bedrückt von schweren Gedanken. Zwar war das Glück seiner Liebe ungetrübt, und das was sein Gemüt beschattete, lag außerhalb der Sphäre dieses Glückes: keine Spur war zurückgeblieben vom häßlichen Verdacht, den er zur Karnevalszeit gegen seinen Bruder Giovanni und gegen Tolla gehegt hatte; – sanft, streng, unwiderlegbar hatten zuerst Faustinas Worte und später Tollas Küsse ihn von der Treue der Geliebten überzeugt. Doch beinahe gleichaltrig mit seinem Glück wuchs seine Schwermut heran; – denn damals, zwei Tage nach dem Corsini-Ball, wurde La Delfina ermordet, und seit der Zeit schmachtete sein Bruder Pietro in der Torre di Nona, – ein Unschuldiger im Kerker der Schwerverbrecher! ... Ein Medici als Frauenmörder verdächtigt! ... Und ihn zu besuchen war jedermann, selbst seiner Mutter und seinen Geschwistern, aufs strengste untersagt! ...

In dieser ausgelassener Festfreude voraufgehenden Nacht melancholisch zu sein, hatte Don Gracia noch mehr Ursache: erkrankt an Sumpffieber und schon seit einigen Tagen bettlägerig war Donna Tolla.

In erschreckender Weise hatte nach Cosmos Feldzug gegen Siena, nach der Verwandlung des blühenden Sieneser Gebietes in Wüstenei, die in den Maremmen seit alters hausende Malaria die Grenzen überschritten, war weit nach Toscana vorgedrungen und forderte alljährlich etliche Todesopfer. Sie wütete nicht so sichtbar wie die Beulenpest, hauste nicht wie diese als gnadenloser Todesengel, – denn viele, die ihr verfallen waren, durften gesunden –; dafür aber wanderte sie nicht unstet von Ort zu Ort, zog nicht fort in fremde Länder wie die Pest, blieb vielmehr seßhaft dort, wo sie sich niedergelassen hatte, und ließ sich nicht vertreiben ...


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