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27

Nachdem ihn die Prinzessin verlassen hatte, war Bismarck wie in einem Nebel hinausgegangen, hatte den breitkrempigen Hut und den Stock ertappt und war jetzt plötzlich durch enge Gassen hin auf einer weiten Einbruchsstelle des Lichtes in der Häusermenge. Er erkannte durch ein Netz grauer Fäden Burgtheater und Rathaus. Ein Wagen kam vorbei, der Fürst rief ihn an, die Frage des Kutschers beantwortete er mit einer halbverstümmelten Gebärde. »Schließen!« rief er, als der Fiaker ihn im offenen Zeugl sommerlich entführen wollte, und verwundert mußte sich der Mann dazu verstehen, das Dach aus Leder und Glas über seinen Wagen zu stülpen. Wenn ein Wiener Fiaker nicht genau weiß, wohin sein Fahrgast will, so fährt er in den Prater; also sah der Fürst nach einigem Geschütter und Geklirr die Schiffsschnäbel des Tegetthoff-Denkmales, dann die Baumsoldaten der Prateralleen. »Laßt ihr euch in Reihen aufstellen?« dachte er ingrimmig, »dürfen sie euch an ihre staubigen Wege pflanzen? Zieht die Wurzeln aus dem Boden, beginnt einen Marsch, fort von hier, dröhnend und stampfend, aus der Gefangenschaft in die Freiheit.« Ein Ringelspiel drehte sich, der Watschenmann bot seine Lederwange zum Ohrfeigenausteilen an. Dann wurde es einsamer und wilder, man kam in den Teil, wo die Natur der Praterau gegen Gärtner und Wegräumer Recht behält, mit Wiesen, Dickicht und Bäumen, von denen Wucherpflanzen hängen.

Hier befahl ein Klopfen Halt, und der Mann auf dem Bock sah verwundert, wie der alte Herr sich in ein Gestrüpp schlug; aber da ihm als einem Wiener Fiaker nichts Menschliches fremd war, deutete er sich es auf seine Weise. Ein Wachtmann kam im Geschwindschritt: »Sie, der Ihnere Passagier, dös is ja der Fürst Bismarck.«

»Ah, da schaugst her«, sagte der Fiaker und nahm den Zylinder ab. Ein rotes Tuch fuhr über die Stirn, das Ereignis hatte schweißtreibende Gewalt und nebenbei Preisaufschlagsbedeutung. »Göhst denn net!«

Gemeinsam bewachten sie, der Polizist und der Fiaker, Bismarcks Geborgenheit im Busch.

Morgens hatte es geregnet, feucht schlugen die Zweige ins Gesicht und perlten Tropfen auf Schultern und Arme. Ein halb schon wieder übergrünter Schutthaufen mußte überklettert werden, dann wich das Gesträuch zur Rechten und Linken, fand sich nach einer Bogenschwenkung wieder und gab zwei Bäumen Luft und Licht. Durch tiefhängende Zweige schimmerte silbergrau breites Wasser, die Donau.

Bismarck umfing die alte Linde, neben der sich eine junge leise wiegte. »Baum«, sagte Bismarck, die Wange am Stamm. »Du! Baum!!« Er stöhnte in die Rinde hinein. Nun spürte er, wie ihm das Blut aus der Wunde rann. Sachte rauschte es über ihm, ein Vogel sang im Wipfel, ungeschreckt. Stand er schon lange so, vom Schmerz an die Brust des stummen Freundes geworfen? Das Blut rann, und er hätte sein Leben so hinströmen mögen. Er streckte die Hand aus, ein Büschel Laub schmiegte sich ihm kühl in die Finger, der Vater fiel ihm ein, der an keine Geister glaubte, aber an die Seelen der Bäume, und mußten sie nicht Seelen haben, Geschöpfe der Erde und des Himmels, an beider innerste Kräfte geknüpft: Licht und Dunkelheit, Flüssiges und Festes. Der Atem des Baumes ging, unter der Rinde glitt Leben hin und sang hoch oben im Wipfel mit der Stimme eines Finken. Es war eine Lehre, die da aus den Kräften des Himmels und der Erde kam: seinen Platz behaupten, wurzelzäh im Boden sitzen, und wenn der Feind die Axt anlegte, ihn im Niederbruch noch erschlagen.

Als der Fürst aus dem Dickicht kam, stand der Wachtmann Mödlhammer da, als wäre ihm die Hand an den Helmrand genietet, und Herr Pepi Weinbauer, genannt der harbe Pepi, Mitglied der sangeskundigen Gesellschaft »D' Praterspatzen«, riß den Zylinder herab und den Wagenschlag auf und sagte: »Küss' d' Hand, Durchlaucht«, und das war eine kleine, ganz unbestellte Verehrungskundgebung mitten im Pratergrün. -

Bismarck hatte eben noch Zeit, sich für den Festabend zurechtzumachen, aber sein innerer Mensch blieb, ungeschmückt und dunkel drohend. Das Haus brauste von Gästen, die funkelnden und duftenden Wogen rannen, entgegen den Naturgesetzen, die Treppen hinan, die vergoldeten Löwen und Greifen aus Napoleons Leipziger Schicksalsjahr machten die feierlichsten Mienen, die hohen, schmalen Spiegel und die Glasdreikante an den venetianischen Kronleuchtern warfen einander das Lichtgefunkel zu.

Wien war da und Budapest, und es war, als habe der Wiener Kongreß noch einmal mit neuen handelnden Personen sein schönstes Fest begonnen.

»Wo ist Berlin?« fragte der alte Graf Palffy, strahlend vor Verschnürungen, die Attila über dem Rücken und den Magnatenhut mit Reiherbusch unter dem Arm, »die Botschaft läßt sich Zeit.«

»Berlin kommt nicht. Graf Caprivi hat es für nötig gehalten, mir einen Fußtritt zu versetzen.«

»Wie?« fragte Graf Palffy, indem er ein Auge ganz zukniff und den Brauenbogen des anderen weit hinauf, mitten auf die Stirn, zog.

»Sehr einfach, ein Verbot ist gekommen: die Metternichgasse darf den Weg in die Wallnergasse nicht finden.«

»Unerhört«, keuchte Graf Palffy.

»Aber ich bin nicht der Watschenmann im Prater! Kein Kraftmesser für den Übermut der Herren in Berlin! Finden Sie, daß das eine Beleidigung ist, Graf Palffy?«

Der Ungar war ein Edelmann von der streitbaren Sorte, er hatte sein volles Dutzend Duelle auf dem Kerbholz, und so verstand er sich augenblicks mit dem streitbaren Pommern; und das Blut des einstigen Hannoveraners hinwiederum war um keinen halben Grad kühler als das des ehemaligen Husaren, also daß dem gegenseitigen Verstehen durchaus kein Hindernis bereitet war. Graf Palffy tat ein Reitersignal zur Attacke, und dem war außerdem noch jede Note reichlich mit Paprika bestreut, als welches ungarische Nationalgewürz auch dem magyarischen Seelenleben reichlich beigegeben ist: »Aine Belaidigung?« rief er mit gesträubtem Schnurrbart, »aine Belaidigung? Verzeihen, Durchlaucht, zehn Belaidigungen, zwanzig Belaidigungen … für jedes Familienmitglied aine Belaidigung, bitte. Für Ihre Familie, für meine Familie. Seit König Stefan, bitte, war solche Belaidigung noch nicht da.«

»Schön«, nickte der Fürst, »da Sie meine Ansicht teilen, darf ich Sie bitten, dem Grafen Caprivi meine Forderung zu überbringen. Oh, lieber Graf, ich habe noch meinen sicheren Schuß, ich möchte nicht als mein Gegner vor meiner Pistole stehen. Nehmen Sie an …?«

»Mit Vergnügen … oder mit größtem Vergnügen«, rief Graf Palffy begeistert, »wer ich ihm Bedingungen stellen, daß ihm schwarz vor Augen wird, soll er sich andersmol überlegen, Fürst Bismarck zu belaidigen … wenn noch ainmal überhaupt dazu in Gelegenheit zu kommen versetzt wird.«

Und während rundum das Fest seinen Fortgang nahm, zu den ersten Takten des Fledermauswalzers, begannen die beiden alten Herren in einem Winkel des Speiseraumes bei einem vorweggenommenen Imbiß und einem Glas Sekt ihre blutrünstige Beratung, als wenn jedem von ihnen aus diesem Anlaß etliche Jahrzehnte aus dem Leben gestrichen worden wären.

Am nächsten Morgen, als das kalte Waschwasser Bismarcks Kopf umspülte, da war es, als dringe ihm die frische Kühle auch in die Hirnwindungen. »Na ja«, dachte er, indem er seinen Nacken rieb, »was wird denn geschehen? Man wird sagen: du bist Offizier, ein Ehrengericht hat über die Zulässigkeit eures Duells zu entscheiden.« Er hatte sich beim linken Ohr und muddelte es heftig hin und wieder. »Es werden ein paar alte Generäle mit zusammen dreitausendzweihundertsiebzehn Orden und eineinhalb Pfund Gehirn zusammentreten, und das Ehrengericht wird verhandeln, ob ich wirklich beleidigt bin.« Nun hatte er sich beim rechten Ohrlappen, und der wurde nicht minder gründlich behandelt. »Man wird herumrennen, man wird Versöhnungsversuche machen, man wird sich vor Caprivi stellen, damit ich ihn nur ja nicht vor die Pistole kriege.« Aus dem großen Badeschwamm träufelte ein abschließender Wassersturz auf die blanke Hirnschale: »Zuletzt werde ich ein Protokoll in der Hand haben, eine Ehrenerklärung, einen Wisch Papier, wie nach einer Kaffeehausstreiterei.« Er hob den Kopf aus dem Wasserbecken und begann mit des Handtuchs Rauhigkeit seine Haut zu schinden. »In Wahrheit«, sagte er, »wer ist beleidigt? Beleidigt ist der Kaiser von Österreich, den man unter Vormundschaft stellt, der nicht empfangen darf, wen er will.«

Diesen Reichsdeputationshauptschluß seiner Morgengedanken trug er dem Grafen Palffy vor, der mit merkbar größerer Sanftmut herangeschritten kam. »Durchlaucht baratom«, sagte der alte Herr erleichtert, »genau dasselbe hob' ich mir hait Nocht auch gedocht. Wenn belieben Duell, bitte …! Ober meine Mainung is: laufen lassen. Wird er seine Antwort schon bekommen.«

Die Antwort kam früher, als sie irgend jemand erwarten konnte.

Als die Hochzeit vorüber war, da lief ein Summen durch die Telegraphendrähte nach München hin: »Aufgepaßt, er kommt.« Die Spatzen und die Schwalben, denen die Telegraphendrähte die Nachricht in die Füßchen raunten, zwitscherten es von den Dächern der Dörfer: »Der Fürst kommt.« Da begannen sich die verschlafenen Dörfer und Städtchen an der Bahn zu rühren; aus Scham über langes Stummbleiben und Ingrimm, zwei bitteren Wurzeln, wuchs eine überraschend schöne Pflanze von Herzlichkeit und neuer Liebe. Es war, als hätte der üble Berliner Wind die Winterstarrnis weggefegt und wunderlich innige Keime über Nacht ins Treiben gebracht. Es blühte durchs ganze Königreich Bayern die Bahn entlang von Gesang und absonderlichen Veranstaltungen des Herzens; nicht ein Gedemütigter kam zurück, sondern der Sagenheld, Kaiser Rotbarts Schildgenosse, und vielleicht war auch ein klein wenig Justament dabei, weil man den prächtigsten Anlaß hatte, dem preußischen Bruder eins aufs Dach zu geben.

So fuhr Bismarck durch das blauweiße Deutschland hin, und die Münchener Frauentürme standen blitzblank über der Stadt, als wären Gottes Maßkrüge eigens zu Bismarcks Ehren frisch geputzt und geschmirgelt worden. Es war bei alledem natürlich außergewöhnlich viel Feuchtigkeit in der Luft, und da es schon einmal so eingerichtet ist, daß sich bei solchen Witterungsverhältnissen die tieferen Schichten mehr vollzusaugen pflegen als die oberen, so war es auch nicht sehr verwunderlich, daß Pinnow in der Nähe von Jena anstatt des gewünschten Buches das Rasierzeug in den Salonwagen brachte; worauf der Fürst in Anbetracht aller festlichen Vorfallenheiten milde meinte, Pinnow hätte sich den nächsten Rausch ganz gut auch erst in Jena antrinken können.

Schließlich aber stand man auf dem Jenaer Marktplatz, umgiebelt von alten Dächern; bunt umringt von Bürgerschaft und Senat, umjubelt von Mädchen und Studenten, und da fügte es sich, daß man sich eines in der Nachbarschaft behaust gewesenen Dichters erinnerte und seines Berlichingers, mit dem man eines Sinnes wäre. Vor seiner Kaiserlichen Majestät hatte man nämlich nach wie vor den schuldigen Respekt, ihre Hauptleute aber könnten einem - nicht den gleichen abgewinnen.

Wenn bei der morgendlichen Waschung in Wien die Angelegenheit mit einem Reichsdeputationshauptschluß verabschiedet worden war, so wurde dergestalt auf dem Marktplatz in Jena Punktum und Streusand dazugetan.

Gerade über dem Jenaer Marktplatz saßen an jenem Julimorgen der ehemalige Weimarer Minister und der verflossene k. k. österreichische Finanzbeamte in der Laube der Schenke zu den »Zehntausend Jungfrauen«, von der man eine weitreichende Aussicht über fast ganz Deutschland hatte. Während Grillparzer die frisch gebackene Ambrosiasemmel in den Nektarstutzen tauchte, klang Bismarcks Stimme durch die selige Höhe.

»Hören Sie«, sagte Goethe lächelnd, indem er die Hand auf Grillparzers kaffeebraunen Rockärmel legte, »nun scheint er doch etwas Passendes bei mir gefunden zu haben.«


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