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3

Es war der Tag des Einzuges der Sieger, und Berlin bebte von einem Ende bis zum anderen. Es hatte den Kopf verloren, es war nur noch Herz, alle Schärfe war dahin, nur Wellen von Glück und Stolz durchströmten es, eine nach der anderen. Sein Mark, seine Nerven, sein Blut waren heute in der stundenlangen Siegesstraße vereinigt, deren Hauptstück schnurgerade vom Königlichen Schloß zum Brandenburger Tor lief. Es war jung, bräutlich, strahlend, selig, denn jetzt erst war ihm die große Wandlung seines Wesens ins Bewußtsein getreten. Den Ausziehenden hatte die Hauptstadt Preußens bange nachgewinkt, als Hauptstadt des neuen Reiches empfing sie die Heimkehrenden. Das war in Gruppen auf dem Sockel der Frauengestalt vor dem Königlichen Schlosse dargestellt, der Germania, die nun kein Wunschtraum und keine Allegorie der Sehnsucht mehr war, sondern erdhafte Wirklichkeit von Fleisch und Bein, rundherum mit einem schönen schwarzweißroten Zaun gegen alle neidische Nachbarschaft.

Es gab viele schwarze Kleider in der bunten Menge, aber die Not ist ein Zusatz zum Menschendasein, der rasch aufgesaugt und in Verzicht und Ergebung gewandelt ist, wenn nur ein Tropfen Glück durch die Adern rollt. Musik klang grell unter einem bedachtsam und duldsam hingebend lächelnden Himmel, der den Fahnen ihre hellsten Farben ließ, ab und zu schien er sich ein wenig zu öffnen und einen Sturz von Blumen aus Sphärenwiesen zu entlassen. Man wußte nicht, woher sie kamen, sie hingen plötzlich an Helm und Gewehr, um Hals und Arm, sie häuften sich als jauchzende, duftende Last.

Die Truppen marschierten, dreißig sieghafte Schlachten und Belagerungen hinter sich und hundert strahlende, erhoffte Friedensjahre vor sich. Die Truppen marschierten zwischen Dämmen von Menschen, die waren aber selber die gestaute Flut und trugen ein Rauschen in sich, wie Sturm und Meer. Die kahlen Straßenwände hatten sich in Teppiche und sommerliche Blumenherrlichkeit gewandelt, und alle Steine und Kamine und die Bäume und die Sonnenstrahlen selber schrien Hurra.

Hinter dem neuen Kaiser, im Glanzgetümmel der Uniform, ritt der Halberstädter Kürassier, der jüngste Fürst des jungen Reiches, neben dem General Gablenz, den Österreich entsendet hatte. Alles war jung und neu und ein Anfangen, auch das, was durch den Österreicher schüchtern zu den Siegern zu sprechen begann. Drei Lorbeerkränze hingen dem Kanzler am Sattel, einer von Johannas Hand und zwei herabgeregnete; aber die grünen, liebend gewundenen Unsterblichkeitsblätter raschelten gegen eine Tasche, aus der ein Strom dunkler Sorgen in Bismarcks Herz aufstieg. Theiß hatte ihm die spät eingelaufene Depesche nachgereicht, als er schon im Sattel saß, unter seinen Fingern hatte das Papier geknistert, und da war ein Fenster nach Westen aufgerissen, durch das man zackenrandiges, wildes Wettergewölk sah. Nur ritt er mit der ganzen Wucht seines Wissens ernsthaft und bekümmert durch den jubelnden Taumel holder, bunt gefärbter Ahnungslosigkeit. Inmitten der strampelnden, beglückten Heiterkeit kam er sich wie verflucht und ausgestoßen vor, der Seligkeit des Augenblicks beraubt und auf die Zukunft hingedrängt, mit dieser Last der Verantwortung beladen wie ein von den Göttern gezeichneter Seher. Er hatte sein Herz der Freude öffnen wollen, nun strömte die Begeisterung an ihm vorüber, wie ein kalter Stein teilte er die lebendige Flut. Da waren junge Tage gewesen, voll Übermut und Unbedachtsamkeit, er sah sie in den langen Reihen von Studenten erneuert, mit Bannern und Schlägern und Fuchsschwänzen, das war alles auch einmal sein gewesen; Gottes Donner und Strichpunkt, wie sah die Welt aus, wenn man so einen Fuchsschweif rund um den Schädel trug? Das war alles auch einmal sein gewesen, nun hatte der kümmerlichste Heringsbändiger ein leichteres Herz als er, der trockenste Zahlmeister war minder verstäubt, das armseligste Schneiderlein keuchte weniger unter seinem Dasein als er. Er ritt an den grüßenden Scharen hin, den wehrhaften Burschen der hohen Schule von Berlin, mit denen die tobende Bürgerlichkeit auf eine Strecke hin überaus farbenprächtig gesäumt war. Warum konnte er nicht dort drüben stehen, jung und dumm sein, einen Schläger in die Höhe strecken und Hurra brüllen, anstatt hier als Atlas herumzureiten, dazu verdammt, diese ganze jubilierende Welt auf seinen Schultern mit herumzuschleppen, und überdies mit so einer gottverdammten, angezündeten Pulvermine in der Tasche.

»Sehen Sie, was er für ein ingrimmiges Gesicht macht«, sagte Keudel, »weiß jemand, was es da gegeben hat?«

Sie saßen auf der Tribüne, die über die Gartenmauer des Auswärtigen Amtes ein Stück in die Königgrätzer Straße vorgereckt war. Enge beisammen, trotz der Hitze, wie ein Nest Spatzen, die braven geheimen und wirklichen Legationsräte, Regierungsräte, Sekretäre und Chiffreure, in ihren dunkelblauen Uniformen mit zwei Reihen blanker Knöpfe, der Gardedragoner Bismarck-Bohlen und der hellblaue Kürassier Keudel als kriegerische Ausrufungszeichen in der diplomatischen Gleichförmigkeit. Da saßen sie und starrten hinab, stolzgeschwellt, weil ihr Oberster da unten so mittelpunktmäßig dahinritt, und todunglücklich, weil er nicht hinaufsah.

»Was hat er denn?« stammelte Abeken.

In diesem Augenblick hob Bismarck den gesenkten Kopf und fing seine Getreuen mit einem langen Blick. Ja, da waren sie, die Unbedankten und Unbejubelten, die aus Männertaten Aktenstücke machen mußten, die durch Berge von Papier ihre Stollen schlugen, während draußen die Welthistorie alle Namen aufzeichnete, nur nicht die ihren. Da war Lothar Buchers feines, müdes Gesicht, des Vetters allezeit lachbereite Mienen, Abekens Vogelköpfchen zwischen schwarzem Samtkragen und einem überaus prunkvollen Dreimaster und alle die anderen. Wozu hatte man einen Pallasch an der Seite, wenn nicht, um diese Männer zu grüßen? Breit und funkelnd fuhr er aus der Scheide und winkte blank hinüber. Mit einmal ging ein kleines Glitzern durch Bismarcks Ernsthaftigkeit. Er beugte sich vor, hob eines der grünen Unsterblichkeitsgewinde vom Sattel und fuhr mit der Klinge durch sein volles Rund. Hoch auf schwang sich der grüne Kranz vom Stahl, schwebte durch die Luft und senkte sich in sorgsam bemessenem Flug gerade in des verblüfften Abeken Schoß.

Mit stockendem Herzschlag sahen sie dem Reiter nach, der nickte ihnen zu, ließ das Pferd weiterschreiten und trug ein leises Klingen in der Seele mit.

Ein Stückchen weiter, da sollte aus dem Klingen ein recht herzhaftes Lachen werden.

»Schauen S', Durchlaucht«, sagte der General Gablenz, indem er sein Pferd an Bismarcks Seite drängte, »so haben Sie sich aber g'wiß noch net g'sehn, wie da drüben an dem Haus.«

Wahrhaftig, sooft sich auch Bismarck während des Rittes in allerlei treugemeinten Bildnissen schon begegnet war, in Papier und Gips, zwischen Eichenlaub und Fichtenreisig, gewebt, gestickt, gehauen und gestochen und sogar in Muschelmosaik zusammengesetzt, so hatte er sich noch nicht erblickt, wie an dem Haus des Buchbindermeisters Bannewitz. Da saß er nämlich riesenhaft an einem Ding mit Rädchen, Nadel und Fußtritt, das war, weiß Gott, eine Nähmaschine, und er war damit beschäftigt, eine ungeheure Landkarte zusammenzunähen. Nord- und Süddeutschland waren schon zusammengeflickt, und eben war die heroische Nähmamsell dabei, auch Elsaß-Lothringen mit einer guten, sauberen, festen Naht dem übrigen anzufügen. Aus dem Fenster aber, gerade über des gemalten Bismarck kahlem Scheitel schaute der Buchbindermeister Bannewitz und wedelte mit einem fahnenmäßigen weißen Handtuch, als wollte er ganz Europa zur Schau seiner selbsterdachten Herrlichkeit einladen. Denn als einer, der seit einem Maiabend des Jahres 1866 sein Dasein durch besondere Fügung an das Bismarcks geschlossen glaubte, hielt er sich auch für verpflichtet, sich an diesem Tag, der ohne ihn nicht hätte kommen können, durch etwas Besonderes hervorzutun.


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