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20

Da war man also wieder in Berlin, und das war trostloser als je mit seiner steinernen Tüchtigkeit; statt des Rauschens des Sachsenwaldes hatte man diese See von Menschen. Ihre Brandung von Straßenlärm warf sich gegen die nachgerade doch morsch gewordenen Lebensufer, die gleich den Felsen von Helgoland vor dem steten Anprall zu bröckeln begannen.

Man sah viele und lange Gesichter um sich, längere und kältere, als man je in den vergangenen Zeiten zu sehen gewohnt gewesen war, und die Dienstbeflissenheit hatte keine ins Wesen eindringenden Wurzeln. Im Schloß stand die Sonne tief im Wintergestirn des Mißvergnügens, und alle wärmesüchtigen Pflänzlein von Treue und Anhänglichkeit machten frostbange Blätter, nichts Verwunderliches für einen, der in alle sorgsam versteckten Seelenkammern und unter alle Schädeldecken zu schauen verstand und wenig Erfreuliches darin und darunter gefunden hatte.

Das war es, was die Wilhelmstraße vom Schlosse schied, daß dort die nüchterne Bedachtsamkeit daheim war und hier die brausende Zuversicht, dort die kühle Erwägung der Sache, hier das Vertrauen in die eigene Person und ihren jugendlichen Glanz.

»Parteien fängt man nicht mit Liebenswürdigkeiten«, sagte der Fürst zu Johanna, die seinem Unmut nachfragte, »und am wenigsten die Engerlingparteien. Er glaubt noch an Ideen und hat es noch nicht erfahren, daß Programme härter sind als Ideen. Mit freundlichen Mienen, Wohlwollen und dem Wunsch, alle Welt zu beglücken und zufriedenzustellen, ist nichts getan, denn es gibt Leute, die leben von der Unzufriedenheit der anderen; ein einträgliches Geschäft, kann ich dir sagen. Sie haben Christus gekreuzigt, der kam, um die Welt zu erlösen, und der war Gottes Sohn.«

Beklommen sah Johanna den Geliebten an, das Atmen machte ihr Mühe, schwer hob ihr Herz das Blut in die Adern. Sie hatte eine mütterliche Bangigkeit in sich: »Laß die Dinge laufen, Lieber, schenke dich uns und deiner Ruhe. Dein Werk ist vollendet, es ist fest für die Ewigkeit.« Über ihn, der im tiefen Lederstuhl saß, hingebeugt, legte sie ihre Wange an die seine. »Warum quälst du dich noch?«

»Ich habe es meinem alten Herrn versprochen, auszuhalten. Man kann mich wegschicken, aber ich darf nicht gehen. Ich darf nicht; nie ist ein Werk vollendet, nichts steht fest für die Ewigkeit. Immer erneuert sich der Kampf.«

In diesem Augenblick sah Johanna im Spiegel die beiden Köpfe, die aneinandergeschmiegt waren, diese vom Leben zerfurchten und geprägten Züge, die nichts mehr von der Weichheit der Jugend an sich hatten, und eine quälende und erschütternde Zärtlichkeit machte sie plötzlich kraftlos und warf sie in ein dunkel hinströmendes Gefühl von Not und Glück. »Komm fort«, bat sie, »wirf alles hinter dich. Wie viele Jahre mag uns Gott noch zugedacht haben? Ich habe dich lange genug hergeben müssen. Ein Leben, Otto, ein ganzes Leben. Was für ein kärglicher Rest bleibt uns denn?«

Er nahm ihre Hand, die auf seiner Schulter lag, und dankte mit stummem Druck. »Sind es die Jahre, die mich von ihm scheiden? Manchmal sage ich mir, Erfahrungen sind kein Gewinn, sondern ein Verlust, und Gott hat dem Menschen sein bestes und schönstes Teil in die Jugend gelegt, und jedes Jahr raubt etwas, streicht etwas ab, vernichtet etwas. Das Klügerwerden ist ein Unglück, es macht uns kälter. Wie edel und stolz und groß das ist, was er will; aber Edelmut und Großmut sind schlechte Berater in Menschendingen. Er möchte die goldene Zeit wiederbringen, Versöhnung der Menschen, hoch und niedrig, arm und reich, einig, ein Huhn in jedem Topf. Nur daß der eine sein Huhn schon am Freitag ißt und dann über Ungerechtigkeit schreit, wenn er den andern das seine erst am Sonntag braten sieht. Es sind Menschen um ihn, die Gutes wollen, aber sie wissen nicht, wie das Übel aussieht, das sie bekämpfen. Theorien, Johanna, Theorien, mein ganzes Leben ist ein Kampf gegen Theorien. Da ist einer, ein Maler, der hat des Kaisers Ohr, und er predigt ihm das Elend der Enterbten. Der hat seine Kenntnis der sozialen Frage von seinem Modell. Das ist ein alter Mann, und während er als Vorbild für Apostel und andere würdige Personen dient, schüttet er seine Weisheit aus, eine Armenstuben- und Versorgungshausweisheit natürlich, die ganze Menschheit in der Verkürzung von unten.«

»Wissen sie nichts von deinem Herzen und von deinem Christentum?« Es war Johanna, als sei sie nun ganz an seines Lebens Quellen dahingegangen, sie war ein strahlender, funkelnder Tropfen von Gottes Güte. »Wer ist vorangegangen, wenn nicht du? Wer hat zum erstenmal den Weg betreten, wenn nicht du? Wer ist für seine Sorge um die Armen verhöhnt und beschimpft worden, wenn nicht du?«

»Zu wenig, Johanna, zu wenig! Sie fangen da an, wo ich haltgemacht habe, weil ich die Menschen kenne. Was da alles an Beglückungen und Fürsorgen geplant ist, so viel, daß Deutschland darüber Schaden nehmen wird! Ein vernünftiger Wirt muß Herr in seinem Haus bleiben wollen. Seltsam, daß einer, der sonst so viel vom alten Fritz in sich hat und also von einem starken Herrn, sich Beifall zu erwerben hofft, indem er einen Tribut bezahlt, der sie nur noch begehrlicher machen muß.«

»Ich verstehe nichts davon«, sagte Johanna, »ich weiß nur, daß es schlimm für sie ist, wenn sie dir nicht folgen.«

Solche sanften Stunden waren wenige in diesen Februartagen, sie lagen dünn gesäet zwischen vielen Ärgernissen und Verdrießlichkeiten, Beratungen und Sitzungen. Es erwies sich, daß die Mauer, gegen die Bismarck rannte, zumindest ebenso hart war wie sein Kopf, und daß kein Stein ins Wanken zu bringen war. »Was ist das?« dachte Bismarck, »man ist wie im Traum. Man hat keine Macht über die Dinge, alles hat seine Beschaffenheit geändert.« Widerstände waren plötzlich bei Kollegen, wo sonst flötende Zustimmung gewesen war; Meinungen wurden behauptet, wo man sich sonst beeilt hatte, sein Heil in ihrem Preisgeben zu suchen. Plötzlich war jemand da, der es besser wußte als Bismarck, einer, der auf seinem Willen beharrte und nicht dahin zu bringen war, daß eine Auseinandersetzung so schloß wie zu seines Großvaters Zeiten: »Wenn Sie meinen, Bismarck!« Jemand war da, der es heraussagte, er werde seine Pläne durchsetzen, mit dem Fürsten oder ohne ihn.

Endlich kam ein Tag, an dem die Frage nicht mehr zu umgehen war, ob man Seiner Majestät im Wege sei, und die Antwort darauf war kein zwangloses und zweifelhaftes Nein.

Ein weniges später kam Herr Bleichröder, um zu fragen, ob Bismarck Windthorst empfangen wolle, und er hatte ihn gleich mitgebracht und einstweilen nur draußen im Vorzimmer gelassen.

»Müssen Sie Bleichröder schicken, wenn Sie zu mir wollen?« fragte Bismarck, indem er Windthorst die Hand reichte. »Meine Tür steht Ihnen immer offen.«

Windthorst saß da, ohne die Frage zu beantworten, ein Schmunzeln lag dünn seinen Lippen an, hinter den Brillengläsern war ein seltsames Funkeln.

»Wir haben also eine Kanzlerkrise«, sagte er.

Es war Bismarck, als ströme von diesem kleinen, nun noch mehr verschrumpften Greis eine kalte Luft, eine unheimliche Kühle wie aus der Tür eines dunklen Gewölbes, in dem etwas modert und fault. Als wessen Bote war er gekommen, dieser alte, erbarmungslose und zähe Widersacher von Anbeginn.

»Seine Majestät findet, daß ich der neuen Zeit nicht recht gewachsen bin.«

»Ach, Durchlaucht«, meinte Windthorst händereibend, »Sie haben schon so viel Krisen überdauert und sind dabei munter und gesund geblieben. Als Kanzler, meine ich, denn als Mensch mögen Sie sich schon recht ausgegeben haben. Sie könnten ja bald ein Krisenjubiläum feiern.«

»Das war unter meinem alten Herrn«, sagte Bismarck etwas erstaunt über die unpassende Vergnügtheit, die Herr Windthorst nicht zu verhehlen für nötig hielt; »beim jungen Kaiser haben diese Dinge ein anderes Gesicht.«

»Mir wäre es nicht gerade lieb, mich von Ihnen trennen zu müssen«, schmunzelte Windthorst mit peinlicher Unentwegtheit, »man gewöhnt sich im Laufe der Jahre aneinander. Wir waren einander ebenbürtig, das werden Sie zugeben müssen. Es war mir immer eine Freude, mit Ihnen die Klinge kreuzen zu können. Schließlich kennt man jeden gegnerischen Hieb und jede Finte, und um so besser ficht man selber. Ich würde mich ungern für einen neuen Mann einpauken.«

»Was will er nur von mir?« fragte sich Bismarck, der sich seinem eigenen Raum und seinem Selbstbewußtsein seltsam entrückt fühlte. Was sprach dieser Mann? War alles bereits weiter gediehen, als er selber wußte? Es war ihm, als sei der Zwergenkönig zu Besuch gekommen, ein boshafter, gefährlicher Nicker, dessen Gunst man nur mit Hingabe seiner unsterblichen Seele erwerben kann.

Windthorsts Brillengläser glitzerten und strahlten, sein kleiner Körper zuckte, wie von beständigen Lachkrämpfen geschüttelt: »Ja, es ist so weit, daß ich Ihnen eine Liebeserklärung machen muß, Durchlaucht. Früher hätte ich es ja nicht tun dürfen, wenn ich nicht mißverstanden werden wollte. Sie begreifen. Nun, wenn ich auch hoffe, daß Sie uns - und mir - erhalten bleiben, so muß man doch für alle Fälle schon auf einen Nachfolger bedacht sein. Ein bonus pater familias des Staates muß das tun.«

Und was geschah, wenn man diesen bösen Geist beim Kragen nahm und den Zappelnden vor die Tür warf? War es wirklich so weit, daß sie daran gingen, Bismarcks Kleider zu verteilen? Es wühlte und stürmte in Bismarcks Sterblichem, dort, wo es dem Unsterblichen nahe benachbart ist. Aber dabei war er sich bewußt, daß es galt, die Haltung zu behaupten und sein Gesicht zu wahren. »Sie kommen doch gewiß mit einem Vorschlag in dieser Richtung?«

»Ich denke, es müßte ein General sein«, meinte Windthorst mit gesenktem Blick.

»In Anbetracht der Lage wäre ein General allerdings wünschenswert. Ich habe oft darunter zu leiden gehabt, daß mir kein militärisches Ansehen geholfen hat. In manchen Dingen ist es von Vorteil, an den Degen schlagen zu können.«

»Was meinen Sie, Durchlaucht«, fuhr Windthorst fort, mit eigentümlicher Gier die Zustimmung Bismarcks für sich einheimsend, »was meinen Sie zu diesem Mann: Caprivi?«

Er schlug die Augen auf, senkte sie aber sogleich wieder vor Bismarcks blauem Wettergeleucht. Woher hatte der Welfenführer diesen Namen, den Bismarck vor einigen Tagen so obenhin dem Kaiser selbst genannt hatte? Noch einmal: als wessen Bote war der Kleine gekommen, welchem Netz von Ränken befand man sich da gegenüber, wer hatte es gewebt und wie wollte man ihn darin fangen?

»Caprivi ist ein tüchtiger Arbeiter«, sagte Bismarck mit der Vorsicht eines, der unbekanntes Eis über bodenloser Tiefe begeht. »Er hat unsere Flotte hochgebracht, er hat sich Vertrauen erworben; wie ich sehe, auch bei solchen, die ihr Vertrauen sonst höchst bedachtsam spenden.«

»Er ist unparteiisch und sachlich«, ergänzte Windthorst, »darauf kann sich schon ein Vertrauen aufbauen.« Bismarck wünschte eine Unterredung zu beenden, die größere Ansprüche an seine Zurückhaltung und Vorsicht gestellt hatte, als er sonst zu üben gewohnt war. »Es wird bei Seiner Majestät stehen«, sagte er, »wen er zu meinem Nachfolger bestimmt.«

Windthorst bemerkte, daß das Gespräch an seinem Schluß angekommen war, und glitt von seinem Stuhl. »Gewiß«, sagte er von unten herauf, »gewiß, Durchlaucht! Wir wollen Seiner Majestät niemand aufdrängen, Sie nicht und wir nicht. Vor allem wollen wir hoffen, daß Sie uns erhalten bleiben. Vielleicht sind Sie dann geneigt, eine restitutio in integrum vorzunehmen, auf kirchlichem Gebiet nämlich, daß alles wieder so wird, wie es vor 1870 gewesen war … Auch die letzten Steine des Anstoßes sollten fort …«

»Nein!« sagte Bismarck schroff.

Als Herr Windthorst gegangen war, starrte der Fürst den Sessel an, auf dem der kleine Feind gesessen hatte, und es schien ihm, als schwebe noch ein körperloses Lächeln boshafter Siegesfreude darüber in der Luft. -

Drei Tage später fuhr der Kaiser vor dem Palast seines Kanzlers vor. Er ging starken Schrittes, ohne links und rechts zu sehen, durch die erstarrenden Räume in Bismarcks Arbeitszimmer. Es war zehn Uhr morgens; nach einer durchwachten und arbeitsdurchpflügten Nacht war der Fürst noch dem Schlaf hingegeben, und der Kaiser hatte eine Weile zu warten, ehe ihm Bismarck entgegentreten konnte.

Dann waren die Türen geschlossen, die Mauern umstanden in getreuer Schweigsamkeit das Gespräch, aber weder Türen noch Mauern vermochten zu hindern, daß ein Ahnen von Entscheidendem durch das Haus ging.

»Er ist beim Fürsten«, flüsterten die bronzenen Türbeschläge.

»Das ist die Stunde«, rieselte es im Mörtel der Mauern.

»Ihre Stimmen dringen bis zu uns«, sprachen die Ziegel auf dem Dach, die einen fernen Schall erregter Worte zu hören glaubten.

Der Wind legte sich platt auf den First und machte sich ganz regungslos, um durch die Schornsteine in das Innere zu lauschen.

»Warum sind wir nicht blind?« tränten die Fensterscheiben, »daß wir dieses sehen müssen!«

Und als der Kaiser von seinem Kanzler gegangen war, da raunte und wisperte es wieder im ganzen Haus.

»Wie blaß er gewesen ist«, sagten die Türbeschläge.

»Die Zeit ist aus den Fugen«, rieselte es im Mauerschutt.

»Arge Worte, arge Worte!« sprach ein Dachziegel zum andern.

»Wir wollen nichts mehr sehen«, klagten die Fensterscheiben, »nichts mehr sehen.«

Der Wind aber machte sich mit einem Stoß auf, um es in die Stadt zu tragen, daß der Kaiser im Zorn von seinem Kanzler geschieden sei.

Tag und Nacht und wieder Tag und Nacht, dann stand General von Hahnke, der Leiter der kaiserlichen Militärkanzlei, auf derselben Stelle, auf der vor achtundvierzig Stunden sein Herr gestanden hatte. »Durchlaucht«, sagte er gedrückt, »ich habe Ihnen im Namen Seiner Majestät die Aufforderung zu überbringen, daß Sie Ihr Abschiedsgesuch überreichen sollen.«

Wie ein Turm stand Bismarck hochgereckt, und seine Stimme war klangvolles Erz. »Sagen Sie Seiner Majestät, daß ich die Verantwortung meines Rücktrittes in diesem Augenblick nicht übernehmen kann. Ich kann nicht selbst einen Schritt tun, den ich unter den gegenwärtigen Verhältnissen für ein vaterländisches Unglück ansehen muß. Sie können Seiner Majestät aber sagen, daß er mich jederzeit auch ohne Gesuch entlassen kann.«

Jede Minute dieses Tages brannte sich Bismarck als glühend schmerzliche Scham ein. Er starrte in den Maskenreigen der Minister wie in ein fremdartiges Gewirr. Sie kamen, um ihre getreue Gefolgschaft zu beteuern, und wenn sie dann erfahren hatten, daß der kaiserliche Entschluß unumstößlich sei, zerbröckelte die Ergebenheit in der Furcht des Herrn, und die Losung wurde: Rette sich, wer kann.

Als der Tag zum Ende rückte, folgte auf den Leiter der kaiserlichen Militärkanzlei der Leiter der kaiserlichen Zivilkanzlei, Herr von Lucanus, ein sonst höflicher und umgänglicher Herr, dem die seidene Schnur, die er zu überbringen hatte, als eine faustdicke Ankerkette um die eigene Seele gewunden war.

Schweiß stand ihm auf der Stirn, er setzte die Worte vorsichtig hintereinander, immer darauf gefaßt, daß eines durch eine dünne vulkanische Kruste ins Bodenlose stürzen und ihm aus dem Brandloch eine Flamme entgegenschlagen könne. Schließlich war der Sinn des gewundenen Aufmarsches aber doch unzweideutig der: daß Seine Majestät das Abschiedsgesuch des Fürsten mit aller Bestimmtheit noch im Laufe dieses Tages erwarte.

Bismarck legte die Hände auf den Rücken, denn seiner Mienen war er sicher, seine Hände aber hätten Verrat üben können: »Seine Majestät hat es eilig. Dieser Tag ist fast schon zu Ende, und ich stehe hier als einer, der gegen die Geschichte und gegen sich selbst die Verpflichtung hat, ausführlich zu begründen, warum er seine Entlassung nehmen muß. Kann Seine Majestät nicht bis morgen warten und mir nicht noch die Frist dieser Nacht geben, so steht es ihm frei, mich auf der Stelle abzusetzen … aus eigenen Stücken … Und die Unterschrift auf dieser Verfügung soll meine letzte Amtshandlung sein.«

Lucanus hatte vom Verlauf seiner Botschaft eine beiläufige Vorstellung gehabt, als müsse sie irgendwie in einem Feuerofen oder sonst einer alttestamentarischen Vorrichtung enden, in der unliebsame Sendlinge höherer Mächte von widerspenstigen und abtrünnigen Revoluzzern dem Bekennertod zugeführt werden. Nun schien ihm Sengen und Braten erspart zu bleiben, in der Kühle der Gefaßtheit, die ihm entgegenwehte, wuchs ihm Mut und erleichterte sich ihm das Atmen:

»Seine Majestät hat mich beauftragt, Durchlaucht mitzuteilen, daß der Abschied in Gnaden erfolgen soll und daß mit ihm die Erhebung zum Herzog von Lauenburg verbunden sein wird.«

»Herzog! Herzog! Mein lieber Herr von Lucanus … ein etwas veränderter Fiesco. Der Mantel fällt, dafür taucht der Herzog auf. Den Herzog hat mir mein alter Herr schon längst zugedacht. Aber ich muß meinen untertänigsten Dank sagen. Den Fürsten habe ich zur Not noch vorstellen können, für den Herzog reichen meine Mittel nicht aus.«

Herr von Lucanus wurde eifrig und ein wenig unvorsichtig in der wundärztlichen Behandlung. »Seine Majestät hat auch das bedacht«, sagte er mit spitzen Augen und einem Krabbeln unterhalb des Zwerchfells, »Seine Majestät will dafür Sorge tragen, daß der Reichstag Ihnen eine Zuwendung von einer Million Mark bewilligt … als Dank des Reiches …«

Die Lippen blieben rund geöffnet von diesem O der ungeheuren Zahl, sie schwebte ihm mit einem Geschmack von Metall noch am Gaumen; aber da gefror ihm dies alles gleichsam im Mund, das Metall wurde glühend vor Weltraumkälte und die Lippen in der Rundung ein schmaler und blasser, gespannter Reif. Es durchdrang ihn bis ins Mark, seine Haut wurde körnig und schrumpfte ein, schlotternd sah er zu Bismarck auf, der ihn zerhämmerte: »Als Dank des Reiches? … Als Almosen, wollen Sie sagen, als Abfindung … wie einem vorzeitig entlassenen Dienstboten … wie einer davongejagten, lästig gewordenen Geliebten … Herr! Sie stehen als Bote meines Kaisers vor mir … ich nehme an, daß auch Sie wünschen, früher das Ende dieser Unterredung als das meiner Geduld kommen zu sehen.«

Ein unwiderstehlicher Druck hatte den Sendling zurückgedrängt; es war, als ob er in Treibeis stecke und nicht Herr seines Weges sei; nun fühlte er die Tür in seinem Rücken, das war die Rettung und der Strand von seinesgleichen; taumelnd tappte er nach der Klinke und brachte sich mit einer Verbeugung in Sicherheit.


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