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1

Im Haus Rue de Provence Nr. 14 zu Versailles knallten die Türen. Zu ebener Erde, im ersten Stock und im zweiten Stock nahm sich niemand Zeit, sie sänftiglich und behutsam zu schließen, wie es sich für ein Haus schickte, in dem die rabiat gewordene Weltgeschichte wieder eingerenkt und die Kriegsfurie zur Vernunft gebracht werden sollte. Die Türen, diese sonst mit Ingrimm dem deutschen Klinkendruck gehorsamen französischen Türen, rissen sich dem Unachtsamen aus den Händen und schmetterten hinter dem Hastigen mit edlem, vaterländischem Zorn ins Schloß, daß der Bewurf von den Wänden bröckelte und Madame Jessés boshafter Hausgeist auf der Uhr im Salon mit dämonischem Vergnügen seinen Daumen lutschte.

Herr Leverström war angekommen, Leverström, der schwarze Reiter, und hatte den Briefsack von der Feldpost mitgebracht und eine Ladung von Kisten und Paketen, in denen man allerlei eßbare und trinkbare Sehnsüchte, Grüße und Wünsche der Heimat zu vermuten berechtigt war, in schmackhafter Gegenständlichkeit dargestellte Erläuterungen zu lieben Worten und wehmütigen Gedanken aus der Ferne. Im Bibliothekszimmer des verblichenen Herrn Gustave Jessé ging die Enthüllung und Verteilung vor sich. Krüger handhabte die Schere und schnitt die Bindfaden durch, Engel hämmerte das Stemmeisen in Kistenfugen und hob die krachenden Deckel ab, und der brave Herr Theiß hatte die Amtsmiene eingezogen und eine warme menschliche Anteilnahme aufgesteckt und las zwischen Stirnrand und Zwickergläsern über die gesenkte Nase hin die Namen der Bedachten. Wahrhaftig, aller sonstige Ernst war ihnen so in Umgänglichkeit und Sanftmut gewandelt, daß der lustige Graf Bismarck-Bohlen meinte, wenn ihnen jetzt durch einen Zauberspruch anstatt der Uniform der Rock des Bürgers an den Leib gehext würde, so könnte niemand merken, daß diese drei die Kanzleidiener des königlich preußischen Auswärtigen Amtes seien und den Zugang zu Bismarck zu hüten hätten.

»Sie haben etwas Mythologisches an sich«, sagte der Doktor Bucher, indem er einen Brief aus des Vaters Theiß Händen nahm; »ein Unglück, daß die Griechen alle freundlichen Dreiheiten immer nur als Frauenzimmer dargestellt haben. Ich finde nichts Passendes, und für den dreiköpfigen Höllenhund atmen sie heute zu viel Lieblichkeit.«

Das Vaterland hatte sich mit einer Fülle von Gaben eingefunden, mit nützlichen und erfreulichen Dingen, deren jedes mit einem kleinen Geleucht zärtlicher Bedachtsamkeit umgeben schien, daß die tastenden Finger über dem unscheinbarsten von ihnen zu zittern begannen. Dabei war jedes Empfängers Art und Wesenheit irgendwie hieroglyphisch ausgedrückt; man konnte aus dem inneren Sinn der Gaben ablesen, ob der Beschenkte mehr zu des Lebens Unentbehrlichkeiten oder zu seinen Überflüssigkeiten hinneigte, ob sein Wille mehr auf das Stramme oder auf das Lässige ging, ob er es vorzog, sich dem Erdenhaften des Lebens anzuvertrauen oder an den Rockschößen eines Ideals Höhenflüge zu unternehmen. Die Liebe daheim wußte es und hatte sich danach einzurichten verstanden.

Der Geheime Legationsrat Abeken stand, einen grünledernen Faust unter dem linken und ein Paket mit Pulswärmern und Wollstrümpfen unter dem rechten Arm, am Fenster und las mit gerührtem Augengezwinker den begleitenden Brief. »Damit Du Deinen geliebten Goethe nicht entbehren mußt«, schrieb die Frau Geheime Legationsrätin, und in Abekens Seele sang dazu eine selige Melodie, ein Geklimper von stählernen Stricknadeln, das aus den Maschen des Gewirkes unter seinem rechten Arm aufzusteigen schien. »Ich habe Dir einen Band Spielhagen senden wollen, aber ich weiß, Du hältst nicht viel von den neueren Dichtern …«

»Da sehen Sie mal her, Abeken«, sagte der Gardedragoner und schob ihm eine Dose zwischen Augengezwinker und Briefblatt. Es war eine feste, weiße Porzellandose, und in ihrem ehrlichen, makellosen Rund hegte sie eine gleichmäßig braungraue Masse, die mit einem Ring hellgelben Fettes umrandet war und einen köstlichen Duft von Versuchung und Üppigkeit ausströmte. »Riechen Sie, ich bitte! Riechen Sie! Gänseleberpastete! Von der Gräfin Johanna. Ist sie nicht lieb, denkt sie nicht an alles?«

Der Geheime Legationsrat hob den Arm zum Winkel und zog das Wollgewirk aus der Achselklemme: »Von meiner Frau! Alles selbstgestrickt!«

Graf Bismarck-Bohlen kam nicht dazu, seiner Bewunderung Ausdruck zu geben, denn in diesem Augenblick ließ Engel die Schere, Krüger Stemmeisen und Hammer sinken, der Vater Theiß schob seinen Zwicker von der Nasenspitze an die Augen, und alle drei waren mit Leichtgeschwindigkeit wieder in königlich preußische Kanzleidiener zurückverwandelt; die Ordonnanz, die hinten beim Ofen in einem Berg französischer Briefschaften herumgewühlt hatte, war herumgefahren und stand stramm mit an die Hosennaht geklebten Händen; ein wenig gelassener, mit einem Rest von Lächeln auf den Lippen, nahmen auch die Herren Stellung.

Ein schwächlicher Kistendeckel zerkrachte unter Bismarcks Tritt. »Na, was haben wir denn da?« fragte er fröhlich, »ist auch etwas für mich gekommen?«

In des würdigen Theiß dienstlichen Ernst schmunzelte wieder ehrfurchtsvollstes Behagen: »Es sind einundzwanzig Stück da, Exzellenz.«

»Und zwei Flaschenkisten darunter!« sagte Bismarck-Bohlen, der mit der freudigen Nachricht voranlief und sich nicht einholen lassen wollte.

»Machen Sie auf, Theiß! Ich bin neugierig! Wir sind neugierig, meine Herren!« und widerspruchslose Zustimmung überglänzte die Anwesenden. Krachend bogen sich die Kistendeckel unter dem Druck des Stemmeisens, klirrend fiel die Schere über die Verschnürungen her, Hälse reckten sich hoch, denn was da auch zum Vorschein kommen mochte, es war gemeinsames Gut, und jeder hatte seinen Anteil daran.

Nur der Herr, der mit Bismarck gekommen war, machte trübe Augen zu der Bescherung; sie strichen mit wohlerwogenem und standhaftem Gleichmut über die Dinge hin, als wären Eß- und Trinkbarkeiten Dinge einer anderen Ebene, über die man sich durch tapfere Entsagung längst hinausgehoben hat. Bismarck wandte sich um: »Es ist spät geworden, wollen Sie mir die Ehre machen, mein Gast zu sein?«

In Jules Favres gelbem Gesicht sank die Unterlippe noch tiefer hinab, der graue Bart zitterte leise, und mit einer müden Stimme sagte er: »Ich muß Eurer Exzellenz meinen ergebenen Dank sagen.« Er hob den Kopf und die Stimme zu rednerischem Nachdruck: »Es geht nicht an, bei Ihnen zu Gast zu sein, während meine Landsleute in Paris hungern müssen.«

Bismarck fuhr mit der Hand durch die Luft, als wische er mit dem Schwamm über eine Tafel: »Ach was, wird es dadurch etwas besser, wenn Sie mithungern? Und übrigens: wenn Sie bei mir essen, können Sie sich eine patriotische Tat gutschreiben. Drinnen ein Esser weniger, und hier helfen Sie unsere Vorräte verringern.«

»Oh!« sagte Herr Favre und bückte sich nach einem Brief, der, mit Spuren von Schuhnägeln auf dem Umschlag, vor seinen Füßen lag.

Bismarck warf einen kurzen Blick hin: »Ja, der gehört zu dem Haufen dort drüben beim Ofen, sehen Sie. Wir haben eine ganze Ballonpost abgefangen. Glauben Sie, ich weiß nicht, welch einen Berg von Qual, von brennendem Warten, von zerfleischender Unruhe wir da haben? Wir haben es an uns selbst erfahren, Ihre Franktireurs haben oft genug unsere Post abgefaßt. Was kann man tun? Das ist der Krieg; sträuben Sie sich nicht länger, es liegt nur an Ihnen, ihn rasch zu beenden.«

Lothar Bucher kam gerade in Bismarcks Blickfeld zurecht, denn in Jules Favres Brust schwoll hörbar eine Phrase empor. »Wollen Sie Menschen suchen, Bucher?« lachte der Graf.

Bucher schwang diogenisch seine Laterne: »Man hat mir diese Taschenlampe geschickt. Ich kann sie brauchen, wenn ich nachts nach Hause gehe. Die Straßen sind dunkel wie Hegel; welchem man doch übrigens aus dem Weg gehen kann, wie ich es getan habe, aber auf dem Boulevard de la Reine hätte ich mich sicher noch einmal zu Tode gestolpert.«

»Sie haben recht, Doktor. Lux in tenebris. Eine handfeste Laterne tut unter Umständen bessere Dienste als eine Enzyklopädie des Geistes. Und wie nimmt sich gegenüber dem absoluten Subjekt eine Spickgans aus? Sehen Sie nur …«

»Sieben Spickgänse«, bedeutete Theiß ernsthaft, »zwei Kisten Hummer, ein Baumkuchen, drei westfälische Schinken …« Die Getreuen umstanden die enthüllten Herrlichkeiten; Leibliches wog schwer in diesen Tagen nervöser Anspannung des ganzen Menschen, ein Geschlecht von Ringern um die Zukunft, Arbeiter bei Tag und Nacht, setzte Kräfte ein, verströmte sich in entsagungsvoller Mühe.

»Eine Forellenpastete!«

»Das ist mein braver Friedrich Schulze vom Leipziger Garten.«

Bismarck-Bohlen drehte eine verstaubte Flasche um und um. »Deidesheimer Kirchenstück.« Seine Hand wischte über einen gänzlich verschlissenen Zettel: »Forster Hofstück«, entzifferte er: »Gott erhalte uns die Pfalz!«

»Ihr Vaterland hat alle Ursache, Ihnen dankbar zu sein«, sagte Jules Favre wehmütig. »Mein Gott, ich will zufrieden sein, wenn das unsrige uns nicht verflucht.«

»Machen Sie sich keine Gedanken darüber«, Bismarcks Hand lag breit auf Favres Arm, »es ist das schlechteste aller Geschäfte, sein Leben auf Dankbarkeit zinstragend anlegen zu wollen. Tun Sie das, wozu der Geist Sie treibt, nachher lassen Sie die anderen nach Gefallen segnen oder fluchen« -

Der Kaffee wurde in den Salon gebracht, Keudels Hände liefen leicht über die Tasten hin, und ganz von selbst woben sich die Töne nach einigem Hin- und Herschweben zu einem kleinen, innigen Heimatsliedchen. Er umrankte es mit leicht geschwungenem Rahmen, ließ es untersinken und leise wieder auftauchen, gedämpft aufsteigen wie ein unauslöschliches Erinnern aus den Tiefen des Herzens.

Der Jessésche Hausdämon auf der Uhr unter dem Spiegel biß sich mißvergnügt auf den Daumen und wünschte dem ungetreuen Wimmerkasten, der sich zu so unpatriotischem Geschwärme hergab, die Motten in den Bauch. Wäre er nicht aus Bronze und mit dem Uhrgehäuse fest verbunden gewesen, so hätte er seine Fledermausflügel ausgebreitet und diesen Raum verlassen, in dem die Sieger zu Herren geworden waren. Schieläugig maß er die Fremden mit hochmütigem Hohn. Drüben am Kamin verriet Favre das Vaterland an den dicken Geldmann aus Berlin, der gekommen war, um das Lösegeld in Empfang zu nehmen. In der Hand des Räuberhauptmanns, der in der Sofaecke saß, knisterten französische Zeitungsblätter. Und die anderen Banditen lagen so bequem als möglich in französischen Polsterstühlen, die bereitwillig ihre Arme ausgebreitet hielten und die Lehnen dem Kopf zur Stütze boten, als wäre nichts geschehen und als hätte Paris nicht in diesem Zimmer einen Waffenstillstand erkaufen müssen.

»Wie finden Sie ihn?« fragte Graf Hatzfeld mit unmerklichem Deuten nach dem Franzosen hin.

»Er ist ein wenig ruppig geworden«, meinte Bismarck-Bohlen, dem vor starken Worten niemals bange war. »Ruppig, melancholisch und gedunsen«, fuhr er fort, »letzteres kommt wohl vom Pferdefleisch her.«

»Spotten Sie nicht!« Der Doktor Bucher öffnete spielend seine Laterne und sah in ihr Inneres aufmerksam hinein. »Eine große … man mag sagen, was man will, eine große und für die Menschheit bedeutsame Nation hat einen unverdienten Schmerz erlitten. Die Völker leiden immer unverdient.«

»Dieses Volk nicht«, ereiferte sich Bismarck-Bohlen, den Gardedragonerpallasch zwischen den Beinen, »nie war eine Nation mit ihren Verführern so im Innersten einverstanden.«

»Es ist das Unglück der Franzosen, daß sie zu musikalisch sind. Nicht so musikalisch wie wir, sondern ungefähr so wie die Ratten oder Schlangen; man braucht ihnen nur die gewisse uralte, bewährte Melodie vorzupfeifen, und sie laufen den betreffenden Rattenfängern oder Schlangenbändigern blind nach. Ins Wasser, wenn es sein muß. Wir tun ihnen unrecht, sie nicht ernst zu nehmen. Jeder hat darauf Anspruch, so ernst genommen zu werden, als er es meint. Aber ich gestehe, sie machen es einem schwer, wenn man sieht, daß sie sich immer wieder seit ein paar hundert Jahren durch dieselben Jahrmarktkunststücke hypnotisieren lassen.«

»Sie meinen, Jules Favres Schmerz ist echt?« fragte Hatzfeld.

»Ich weiß nur«, bockte Bismarck-Bohlen, »daß bei der Versorgung dieser edlen Stadt Paris, dieser unentweihten Königin Europas, von den Lieferanten gestohlen wird, daß sich die Balken biegen. Warum glauben Sie wohl, daß man unseren Antrag, ihnen Lebensmittel zu geben, abgewiesen hat? Aus nationalem Stolz? Ach nee - weil daran nischt zu verdienen war.«

»Gestohlen wird überall«, sagte Bucher, indem er die Laterne zuklappte.

Bismarck-Bohlen zuckte die Achseln und summte dann leise mit dem Liedchen, das unter Keudels Händen aus dem Pianino aufschwebte: Ach, wie ist's möglich dann, daß ich dich lassen kann …

Abeken hob das verwitterte Geheimratsköpfchen: »Was glauben Sie? Ob wir wohl in Paris einziehen werden?«

In den Händen des Lesenden im Sofaeck knisterte ein Zeitungsblatt besonders laut, wie Feuer prasselte es ihm unter den Fingern, und als er nun den Blick hob, da leuchtete es ihm unter dem Brauengestrüpp wie Gottes zorniggroße Gegenwart im Dornbusch. Den Sprechenden dorrten die Stimmen, der tückische Uhrkobold erbebte in seiner bronzenen Seele, als der Mann wuchtig aufstand und zu den beiden andern am Kamin trat.

»Sagen Sie Ihren Zeitungsschreibern meinen besten Dank«, er hob das in Falten gekrampfte Blatt bedrohlich nahe vor Jules Favres Gesicht, »für die gute Meinung, die sie von uns haben. Ich glaube, man muß es so auslegen. Denn nur eine außergewöhnlich gute Meinung von der Gutmütigkeit und Großmut eines Menschen kann sich das Wagnis erlauben, ihn so zu reizen, wie es Ihre Blätter tun.« Bismarcks Stimme schwang sich hinan: »Im Ernst gesprochen, mein Herr, Sie werden guttun, Ihren Zeitungen einen Beißkorb anzulegen. Was soll das? Ihre Literatur bildet sich etwas darauf ein, eine psychologische zu heißen. Verstehen Ihre Zeitungsschreiber gar sowenig davon? Sagen Sie, ist es klug, den Feind vor den Toren der Hauptstadt herauszufordern, wenn man im Begriff ist, den Waffenstillstand in einen Frieden umzuwandeln? Oder ist das nicht Ihre Absicht? Wollen Sie den Frieden, dann dämpfen Sie die Sprache Ihrer Presse. Durch Lügen und Verleumdungen wird drinnen der Haß gegen uns genährt und hier bei uns die Neigung zum Frieden nicht gefördert.«

Der Anwalt Frankreichs saß schon auf dem sturmmähnigen Hippogryphen seiner Beredsamkeit. »Sie sehen mich aufs äußerste bestürzt über Ihren Unwillen, Exzellenz. Aber denken Sie sich in die Seele einer gedemütigten Nation, die den Ruhm von Jahrhunderten wohl nicht vernichtet, aber gefährdet sieht, der das Schicksal die letzten und bittersten Leiden auferlegen will, den Feind nicht bloß an der Schwelle ihres Tempels zu sehen, sondern über diese selbst in das Innere des Heiligtums einlassen zu müssen.«

Bismarck hörte zu, wie die Worte über die dicke Unterlippe rollten, und während der Gelbgesichtige den gesamten Olymp Frankreichs, Edelmut, Tapferkeit, Freiheit und zwei Dutzend anderer, ausschließlich dem ersten Volk der Welt vorbehaltener Tugenden ausrücken ließ, schwand das Zorngeleuchte unter dem Dorngestrüpp der Brauen. Konnte man ihnen ernstlich böse sein? Sie schlugen dem Nachbar die Fenster ein, und wenn man sie bei den Ohren nahm, riefen sie die Götter zu Zeugen ihres Leides und ihrer Demütigung an. Er hob die Hand: »Vergessen Sie nicht, es liegt an Ihnen, den Parisern unseren Einzug zu ersparen. Überlassen Sie uns Belfort. Wir lieben die Schauspiele der Glorie nicht so sehr, daß wir auf den Einzug nicht verzichten könnten, uns wäre Belfort lieber, aber es war Ihr Vorschlag, wie Sie sich erinnern wollen.«

Jules Favre breitete die Arme aus. Tiefinnen zermalmte ihn ein unsagbarer Schmerz. Die Scham brannte ihm in den Eingeweiden und stieg ihm wie siedendes Öl in den Hals. Es war ihm, als müsse er sich die Brust zerfleischen und das Herz mit beiden Händen herausreißen. Aber als alles das zum Vorschein kam, war es eine etwas geschnürte und geschminkte Rednerei mit hohen Stöckeln und roch nach Kulisse und Lampenruß. »Sie sind der Sieger«, sagte er mit bebender Stimme, »Sie zwingen uns, durch Ihr Joch zu gehen. Nun gut, wir werden es tun, um dem Vaterland ein Stückchen seines heiligen Landes und eine durch das Blut seiner Söhne geweihte Stadt zu erhalten. Wir werden den Kelch des Leidens bis auf die Hefe leeren, aber Sie werden uns nicht hindern können, ihn mit unseren Tränen anzufüllen. Die Weltgeschichte und Europa werden sehen, daß die französische Nation eine Schmach zu ertragen weiß, ohne entehrt zu sein, wenn es die Rettung des vaterländischen Bodens gilt.«

Bismarck nickte Geduld und Wohlwollen. »Es geht übrigens auch Sie an, Bleichröder«, sagte er, indem er das Zeitungsblatt flattern ließ, »Sie und mich! Da drin steht, wir hätten miteinander unsaubere Geschäfte gemacht, und Sie hätten es einzurichten gewußt, daß ich am Kriege einiges ins Verdienen gebracht hätte.« Noch einmal blitzte das Wettergewölk: »Ich bin nicht Ihr Monsieur Magnin, der, unter uns gesagt, an zwei Tagen siebenmalhunderttausend Franken verdient hat - mit Schafkäufen für das hungernde Paris.«

Er schwieg, die Feuerzungen des Kamins leckten nach seinen Reiterstiefeln, im Leib der Uhr unter dem Spiegel rumorte die Zeit. »Na«, sagte er, »gehen wir - Stosch wird uns schon erwarten.«

Er schritt hinaus; tückisch grinsend schielte ihn der Uhrdämon von unten an. Lächelnd legte ihm Bismarck die Hand auf die bronzenen Flügel: »Da haben Sie den Vitzliputzli Ihrer Presse. Ich möchte gerne mit Ihnen zu Frieden und Verträgen kommen, mein Herr, denn Sie mögen sagen, was Sie wollen, wir sind aufeinander angewiesen, und Deutschlands und Frankreichs Eintracht verbürgt den Frieden der Erde. Aber da hockt so ein Ölgötze, schielt Löcher in die Welt und saugt sich Bosheiten aus dem Daumen. Er ist eng an die Zeit gebunden, aber sie läuft rastlos unter ihm davon; er spürt wohl, daß sie tickt, aber er versteht im Grund nicht das mindeste davon. Sagen Sie das den Herren in Paris, ich meine, es sei verfehlt, sich irgendeiner Art von Götzen zu verschreiben, sie möchten besser auf die Zeit hinhören, die lehrt, das einzig Bleibende sei der Wechsel.« -

»Also doch … also doch!« schluckte Abeken mit erhelltem Gesicht, »wir ziehen in Paris ein.« -


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