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Die drei alten Herren aus der Bismarckschen Familie, die aus Varzin geholt und an die Wände des Arbeitszimmers in der Wilhelmstraße gehängt worden waren, sahen unter ihren Perücken her ernsthaft nach dem Schreibtisch, an dem der Fürst saß und mit der seit der Kullmannschen Wunde etwas ungelenken Hand schrieb. Der riesige Bleistift malte ungefüge Buchstaben auf das Papier, ringsum summte die Nacht der tiefen Einsamkeit, noch zitterten die Dinge von dem Nachhall des Geschehenen, die Stille bebte von verlorenen Klängen.
Bismarck legte den Bleistift quer über das Papier, sein Blick drang starr durch die Hüllen des Seins und suchte den Grund des Wesens, wo Sinn und Unsinn nicht mehr starr gegeneinanderstanden. War das Leben nun wirklich ein umgestülpter und ausgeronnener Becher? War die Schmach ein Brandmal, das ätzend durch alle Schichten fraß und den Kern zerstörte?
Was sagten sie, die da an den Wänden hingen, die Ganzen und Ungebrochenen, in deren Mienen noch eine letzte Spur des Zornes zu lesen war, daß man den Bismarcks dereinst Burgstall weggenommen hatte? Wie hatte der Vater gesagt? »Wenn der König vor jemand Respekt hat, so sind's die Altmärker, die vier: die Schulenburg, die Knesebeck, die Alvensleben und die Bismarck.« Wie stand Soll und Haben zwischen den Hohenzollern und den Bismarcks jetzt, wie wog Verdienst und Dank gegeneinander?
Weggejagt! Weggejagt wie ein Hund! heulte ein gefährliches Tier in Bismarck.
Er erhob sich und trat vor die drei Bildnisse der Früheren seines Geschlechtes. »Haltet Rat und Gericht über mich.«
Es regte sich nichts, der altersmüde Tyras stöhnte leise im Schlaf.
»Ist Wissen um den Menschen - Schuld? Ist Gott mit den Unbedachten und verwirft den Zweifler? Warum sind wir in die harte Wirklichkeit gesetzt, wenn wir uns nicht ihrer erwehren und sie zu unserem Besten zwingen dürfen?«
Und als die drei ernsten Gesichter in ihren verblichenen Farben fortfuhren, schweigend auf ihn herabzublicken, hob Bismarck die Stimme, als müsse er die Last der Einsamkeit wie einen schweren Stein abwälzen. »Ich frage, darf ich das tun, was man mich zu tun zwingen will? Ich sehe Unheil für Volk und Reich, mein Werk ist zu gut für Versuche, die ein jugendlicher Ehrgeiz unternimmt. Kennt ihr unseren Wappenspruch: ›Das Wegekraut sollst stehen lan?‹«
Es war, als habe der Wappenspruch die Seelen der Gewesenen stärker beschworen. Sprach da nicht einer? Hatte da nicht Christoph Friedrich die dünnen, festen Lippen aufgetan, und kamen nicht Worte von ihnen? »Bin der erste Bismarck, der den preußischen Generalsrock angetan hat, und hab' dem Großen Kurfürsten bei Fehrbellin siegen helfen. Hab' auch allzeit nichts anderes sagen hören, als daß Dienst Gehorsam will.«
»Gehorsam dem Schlechtberatenen ist Verrat«, sagte Bismarck trotzig. »Willst du der Pflicht Grenzen setzen? Ist Pflicht das, dem du zustimmst, fragt Pflicht nach deinem Willen?«
Die Augen in dem breiten Gesicht August Friedrichs, des gewaltigen Zechers, wurden lebendig. »Ich weiß, was Dienst, Gehorsam und Pflicht ist, wie ein anderer«, grollte er, »hab' mein Leben für den großen König bei der Czaslauer Bataille dahinten lassen. Aber ein Bismarck ist weggejagt worden, Brüder, ist euch der alte Geist so ganz und gar austrieben worden? Schmach ist über uns kommen.«
August von Bismarck, der das abgebrannte Schönhausener Schloß wieder aufgebaut hatte, sagte bedachtsam: »Zwei harte Stein' mahlen gut. Warum solltet ihr nicht können übereinkommen?«
»Seine Freunde sind nicht meine Freunde«, sagte Bismarck, »meine Freunde nicht seine Freunde. Seit hundert Jahren plagt sich die Welt mit Fragen, die er im Handumdrehen nach seinem Kopf lösen will. Er will die wilden Leidenschaften im Menschen streicheln, und sie werden ihn in die Hand beißen.«
»Der Bauer hinter den Pflug«, brummte August Friedrich ingrimmig, »der Bürger hinter den Laden, der Edelmann aufs Pferd, so hat es Gott haben wollen und anderst nit.«
»Andere Zeiten«, sagte August, »andere Zeiten! So einfach ist's nimmer. Ist's wahr, daß er sich's erzürnt hat, daß er dich auf der Fahrt zu deinem Haus aus seinem Wagen auf die Straße gesetzt hat?«
»Das ist nicht wahr. Aber wahr ist, daß er sich erzürnt hat, weil ich den Russen zum Freund haben will und er den Engländer.«
»Ist es das allein?« fragte Christoph Friedrich.
»Das ist nicht alles. Er will von allem wissen und alles selbst entscheiden, und ich soll nur Ja und Amen sagen. Auf meinen Schultern liegt die Verantwortung, und ich kann nicht dulden, daß hinter meinem Rücken Dinge geschehen, die dann mir zugerechnet werden.«
»Ist das alles?« fragte Christoph Friedrich.
»Das ist nicht alles. Er will wissen, wer über meine Schwelle geht und mit wem ich spreche. Es war einer bei mir, der Windthorst, und er glaubt, ich hätte mich mit dem gegen ihn verschworen, nun sollen mir Handschellen und Beißkorb angelegt werden, es soll kein wichtiger Mann bei mir aus und ein gehen, ohne sein Wissen, ich soll immer erst anmelden müssen und fragen, ob ich ihn empfangen darf. Bin ich dann noch Bismarck oder bin ich Lakai?«
August Friedrichs Degen rasselte, die rote Faust war scharf nach dem Gehänge gefahren: »Potz Himmelhund! Bis zu Bismarcks Schwelle reicht Ihrer kaiserlichen Majestät Macht und Befehlsgewalt, dahinter ist Bismarck selbst der Kaiser.«
Er war einer der Zornmütigen unter den Bismarcks, und es sah aus, als wolle er jetzt seinen Rahmen verlassen, von der Wand heruntersteigen und geradeswegs irgendwohin gehen, wo er noch besser auftrumpfen konnte.
»Genau so habe ich gesprochen«, sagte Bismarck beruhigend, »genau so, und es ist kein Zweifel darüber geblieben, wie ich es meine, und daß mein Haus meine Burg ist, wo niemand gebietet als ich. Das war unser letztes Zwiegespräch, ich bin dem Bismarckschen Namen nichts schuldig geblieben, und ihr könnt euch denken, daß die Worte heiß und laut gewesen sind.«
»Ist schon recht«, grollte August Friedrich nach, »solche Dinge müssen durchaus im klaren stehen.«
Christoph Friedrich sah den Fürsten mit seinem festen Soldatenblick durchdringend an: »Nun willst du von uns wissen, was du tun sollst?«
»Sagt es mir«, bat Bismarck, »ich bin uneins in mir, ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Ein Wort kam von den Lippen des Generals, der bei Fehrbellin gefochten hatte, ein einziges Wort, das bleiern alle Decken durchstieß: »Gehorchen!«
»Ich habe es meinem alten Herrn versprochen, daß ich den Seinen beistehen werde.«
August hob die Hand in der Spitzenmanschette aus dem Bild: »Dein Wort ist gelöst, denn der Enkel entbindet dich davon.«
»Was willst du tun?« fragte Christoph Friedrich, »eine Empörung anzetteln? Ein Recht behaupten, das dir vom Kaiser kommen ist und das dir von ihm kann genommen werden? Willst den Quitzow spielen und Raubritterschaft treiben?«
»Es ist mir nicht um mich, es ist mir um mein Werk, dem fürchte ich Gefahr und Einsturz. Ich habe es nicht um Dank getan, aber nie habe ich gewußt, daß Undank so brennen kann. Ich habe geglaubt, ich könnte auf alles Lob und alle Ehre, verzichten, ich bin keinen Orden und keinen Titeln nachgelaufen, und Dank war mir Wind. Nun sehe ich auf meinen Feldern Undank aufgeschossen; die vielen, denen ich geholfen habe, freut mein Sturz. Die Klinkendrücker haben hochmütige Mienen aufgesetzt, und das Schlimme ist, daß das Lachen darüber schmerzhafter ist, als ich je dachte.«
»Laß du dein Werk seinen Weg gehen«, sagte August, »es wird nicht zerfallen, es ist größer als du. Das Große, das ein Mensch wirkt, engt ihm das Leben und den Pfad; ein Volk kann dauernd nicht durch einen Mann gezwungen sein, sein Wachstum ist unbegrenzt, das einzelne Leben ist beschränkt, und so zersprengt das allgemeine Leben die Formen, die ihm der einzelne gegeben hat, und wächst über ihn hinaus.«
Christoph Friedrichs Blick wurde durchdringend, und der Fürst fühlte ihn wie eine Flamme ganz tief in sich: »Ist es nicht die Macht, um die du klagst, weil sie dir soll verlorengehen?«
Lange lauschte Bismarck in sich hinein; es war ihm, als hinge das Heil seiner Seele an der Redlichkeit der Antwort. Tief atmend hob er sich aus dem Ringen: »Ich bin nie herrschsüchtig gewesen. Macht war mir Mittel - nicht Zweck.«
»Daß sie einem Bismarck das haben antun dürfen«, murrte der Obrist der Ansbach-Bayreuther Dragoner.
»Sprecht eueren Spruch!« bat Bismarck.
Milde sah August von Bismarck auf den späten Enkel herab. »Du hast unser Geschlecht hochgehoben und unserem Namen Unsterblichkeit geben. Dir soll dein guter und gerechter Spruch werden.«
Christoph Friedrich öffnete den strengen Mund: »Du sollst deinen Abschied nehmen, denn du sollst gehorsamen deinem Kaiser.«
August Friedrich, der Obrist, sagte grollend: »Du sollst deinen Abschied nehmen, denn ein Bismarck soll niemandes Knecht sein.«
Mit einem gütigen Lächeln sagte August von Bismarck: »Du sollst deinen Abschied nehmen, denn du hast dich in Verachtung über den Menschen erhoben und sollst wieder zu ihm zurückkehren.«
Darauf schwiegen die drei Bilder und hingen regungslos an der Wand, in den alten Farben, die trübe durch das Dunkel der Zeiten herüberschimmerten.
Bismarck ging festen Schrittes zum Schreibtisch, ergriff den Bleistift und schrieb im Rauschen der Nacht eine Seite um die andere, und als er fertig war, zerknickte er den Stift über dem Papier, mit einem Ruck, als sei der Stab gebrochen und das Urteil gesprochen, und warf die Stücken hinter sich.