Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es muß eingeräumt werden, daß die fürstliche Tafel an diesem Geburtstagsvorabend etwas reichlich besetzt gewesen war.
Sie hatte mit Austern und Kaviar begonnen, von jenem Malosol, den man durch die Botschaft in Petersburg bezog; denn wozu war man schließlich seinerzeit selbst in ganz Europa herumkutschiert, als um zu wissen, an welche Quelle man sich als ausgewachsener Kanzler zu halten hatte. Nach der Wildsuppe waren Forellen dahergeschwommen, gebratenerweise natürlich, in goldgelben Butterbächen, und eine Krammetsvögelpastete hatte dahinter eine Art von Doppelpunkt gemacht. Die Morcheln mit Spickgans waren der Auftakt zu dem gewichtigen Schwerpunkt der ganzen Folge, dem Wildschwein mit Cumberlandtunke und dem ehrlichen, unverzierten, nur vom eigenen, braunen Saft umflossenen Rehziemer. Nachdem man sich so durch die drei Reiche der Tierwelt gegessen und von Schwimmenden, Fliegenden und Laufenden seinen Tribut genommen hatte, ging man zum Pflanzenreich über und sah die Äpfel von Borsdorf in einem bequemen und wohlschmeckenden Schlafrock von Butterteig mit Behagen als dessen Vertreter an. Bis man sich am Ende in einem letzten Aufgebot von Kraft noch an einem Gemengsel aus verschiedenen Zonen der eßbaren Welt, als Schwarzbrot mit Käse, Marzipan und Schokolade, mehr naschhaft als überzeugt beteiligte.
Zu erwähnen ist, daß die Laune des Geburtstagskindes, das morgen sein Siebenundsechzigstes vollenden sollte, während dieser etwas langatmigen pommerschen Vorführung nicht gleichmäßig dahinlief, sondern ziemlichen Störungen ausgesetzt war, jenem Auf und Ab von Heiterkeit und Verdrossenheit, das sich in der letzten Zeit recht bemerkbar gemacht hatte. In die Wildsuppe war dem Fürsten der Abgeordnete Windthorst gefallen und war als ein unangemessen dickes Haar darin gefunden worden. Die Cumberlandtunke hatte durch Herrn Eugen Richter einen unangenehmen Beigeschmack bekommen. Und der Rehziemer war die Tafelgegend gewesen, wo die Reichstagsstenographen auftauchten, als das nichtsnutzige Pack, das sie waren und das sich ein Vergnügen daraus machte, alle Bismarckschen Reden zu verstümmeln und ins Sinnlose zu verunstalten.
Die Reichstagsstenographen waren unter den störenden Geistern die hartnäckigsten, denn sie traten noch einmal auf, ganz gegen Schluß, beim Waldmeisterbowleneis; es mußte mit Nachdruck dargelegt werden, daß sie sich nicht entblödeten, auch die Mißfalls- und Beifallskundgebungen ungenau zu vermerken, indem sie die ersteren mit aller Bosheit verzeichneten und die letzteren vollkommen übersahen. Das waren so die kleinen Nadelstiche und Widerborstigkeiten gegen ein unbeliebtes Kanzlerdasein, und man suchte durch Beschwerden beim Reichstagspräsidium umsonst Abhilfe. Über diese Stenographiermenschen war der Fürst in Hitze geraten und hatte sie mit Waldmeisterbowleneis gekühlt, und da er sehr in Hitze geraten war, hatte er sie stark kühlen müssen, was wieder eine Erwärmung des Magens durch sechs harte Eier mit Butter nötig machte, und dazu hatte er dreizehn Pfeifen geraucht, und am nächsten Morgen hatte der deutsche Reichskanzler einen Schlaganfall. Er war jedenfalls mitten in der Nacht erwacht, hatte sich einigemal übergeben, und nun lag ihm die Zunge völlig lahm im Mund, und sein Gesicht war gelb und verfallen.
Es gab einen Tumult von Angst in der Wilhelmstraße, und wiewohl der Doktor Struck einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Bowleneis herstellen wollte und von Erkältung des Magens und Lähmung der Gaumenmuskeln als deren Folgeerscheinung sprach, blieb Bismarck bei dem Schlaganfall; und es wurde erst besser, als er die Zunge regen und den Doktor anbrüllen konnte, er möge ihn mit seiner Weisheit verschonen und sich zum Teufel scheren. Hierauf holte der Doktor Struck Verstärkung, nämlich den Professor von Leyden; aber dadurch, daß dieser dasselbe oder etwas Ähnliches sagte, wurde nicht viel geändert als höchstens die Tonart vom Zum-Teufel-Scheren. Der Fürst wollte überhaupt niemand um sich haben, nur Tyras durfte bleiben; den Hund zu seinen Füßen, holte er sein Tagebuch vor und schrieb mit steifen Fingern: »Heute zum erstenmal vom Schlag getroffen.«
Ja, das war der Tod, der zum erstenmal an den Fensterladen geklopft hatte, kein Wunder übrigens bei diesem Dasein, das die Nerven zerpflückte und die Muskeln zermalmte. Jung und alt neben ihm begann wegzusterben, der tüchtige Bülow war an der Gasteiner Kur eingegangen, Bismarck-Bohlen war am Leben selbst vernichtet worden, Roon war seit dem vorigen Jahre tot, und selbst die alte Frau Bellin auf Schönhausen, die doch wahrhaftig keine anderen Sorgen hatte als das Wetter und ihren Strickstrumpf, war dahingegangen. Schließlich: man hatte sich in seine Aufgaben redlich geschickt, und, so vieles auch noch halb oder gar nicht vollendet war, die anderen mochten jetzt sehen, wie sie geschickter damit fertig wurden. So ein rechtzeitiger Abgang war jedenfalls besser als die Frage, die am Ende eines jeden allzu ausgedehnten Menschenschicksals von der Undankbarkeit getan wurde: »Willst du denn ewig leben?« Auch hatte man ja sein persönliches Dasein bereits in das zweite Geschlecht hinein verlängert, denn ein gräflich Rantzauscher Enkelbub lag in der Wiege. Somit wäre die Gedankenparade gänzlich im Trauermarsch vor sich gegangen, wenn nicht im Hintergrund so eine töricht bunte Hoffnung auf ein kabbalistisches Rechnungskunststück gewesen wäre, nach dem der endgültige Hingang erst in etlichen Jahren zu erwarten war. Lothar Bucher mit der Aktenmappe hatte an diesem Tage zwar Zutritt, fand aber wenig Gehör, denn für den Spaziergänger am Rand der Ewigkeit verblaßte der in Frage stehende Beitritt Hamburgs zum Zollverein zu einer wenig wesenhaften Angelegenheit. Wiewohl Bismarck in seinem Kaminsessel nicht bloß als Reichskanzler, preußischer Ministerpräsident und preußischer Minister des Auswärtigen, sondern auch noch als derzeitiger Handelsminister daran Anteil zu nehmen gehabt hätte, hatte er ihn nicht und ließ die Hamburger sich sträuben, soviel sie wollten. Während Bucher fortfuhr, die Aussichten der von Preußen vorgeschlagenen Reichsstempelsteuer bei der Abstimmung im Bundesrat zu beleuchten, hatte Bismarck das Gefühl, als sei sein Magen das nördliche Eismeer, und als schwämmen die sechs harten Eier wie Eisberge darin herum, und die Reichstagsstenographen tauchten seehundsmäßig mit runden Köpfen und Hängebärten zwischen den Schollen auf und bellten heuchlerisch klagend.
Gerade nur zwei Unterschriften gab der Fürst her, mit dem übrigen fand sich der Herr Wirkliche Geheime Legationsrat überraschend schnell vor der Tür, ein wenig in den Gelenken schnappernd und inwendig schlotternd, als sei sein Kern von der äußeren Hülle losgeschlagen und wackele haltlos darin herum. Die ins Himmelsakermentische übertragene Todesahnung hielt mehrere Tage vor und wurde nicht besser dadurch, daß die preußische Reichsstempelsteuervorlage im Bundesrat abgelehnt worden war; hierauf schien der Zornteufel nur gewartet zu haben, um sich einmal ordentlich auszulassen. Bismarck erklärte sich und Preußen und seinen Kaiser und den gesunden Menschenverstand im allgemeinen beleidigt und bewies aus dem Gothaischen Almanach, daß die Neinsager bloß siebeneinhalb Millionen Deutscher gegen die achtunddreißig Millionen der Jasager vertreten und doch gegen sie recht behalten hätten. Solche haarsträubende Irrsinnigkeiten müßten durch Änderungen der Geschäftsordnung unmöglich gemacht werden, und überhaupt sei Bismarck nicht geneigt, weiter mitzutun. Dies ließ er dem Kaiser auf vier Bogenseiten mitteilen, und der Punkt saß fest wie der Nagel im Holz.
Während dieser Donnerwetterstimmung gingen die Allernächsten scheu am Außenrand seines Bereiches herum, und Fremden war es ganz und gar unmöglich, auch nur einen Blick auf ihn zu werfen.
Mit der Immediateingabe an den König hatte es ungemeine Eile gehabt. Bismarcks Stirnrunzeln hatte vier Schreiber zugleich in Bewegung gebracht, um halb vier Uhr war der Entwurf in die Kanzlei getan worden, um halb fünf Uhr saß Leverström, der schwarze Reiter, bereits mit der Reinschrift im Sattel; aber die Unterschrift mochte noch kaum trocken und Leverström im Sattel noch nicht warm geworden sein, als der Fürst ein hastiges Klingeln vollführte.
Anstatt Engels trat aber die Gräfin Marie ein, mit einem sanften und verlegenen Lächeln, das etwas vom Warten auf passende Gelegenheit an sich zu haben schien.
»Ist Leverström schon fort?«
»Ja, er ist schon weggeritten! Aber du hast Besuch bekommen.«
»Man soll ihm nachreiten. Das Abschiedsgesuch soll nicht in die Hände des Kaisers gelangen. Ich habe mir zugeschworen, als ich ihn in seinem Blut liegen sah, ihn nicht zu verlassen, und nun … jeder Quark …«
Marie aber, die um alles Geschehene wußte, entgegnete sanft, daß dies wohl nichts mehr helfen würde, da ja auf des Vaters Befehl bereits am Morgen ein Bericht an die Norddeutsche Allgemeine Zeitung abgegangen sei, in dem auf das Entlassungsgesuch Bezug genommen werde. Übrigens sei ein Besuch angekommen.
»Man soll telephonieren! Man soll den Flügeladjutanten vom Dienst aufrufen.«
Alles zu spät, das Abendblatt werde wohl schon im Erscheinen und die vollendete Tatsache geschaffen sein, meinte die Gräfin Marie; übrigens sei ein Besuch angekommen.
Vollendete Tatsachen waren für Bismarck jene Art von Erscheinungen, mit denen er sich am leichtesten abzufinden verstand. »Gut«, sagte er fast erleichtert, »dann mag die Geschichte ihren Lauf nehmen. Er hat mich oft genug 'reinfallen lassen, heute lasse einmal ich ihn 'reinfallen. Aber mit der alten Geschäftsordnung arbeite ich nicht mehr.« Und jetzt erst kam ihm Maries hartnäckige Anmeldung an sein inneres Ohr. »Mit deinem Besuch! Du weißt doch, ich mag keinen Menschen sehen.«
»Diesen Besuch kannst du nicht abweisen«, sagte Mariechen mit der immer gleichen Sanftmut, die sie Johannas Mütterlichkeit oft so ungemein ähnlich machte.
»Wer zum Teufel beehrt mich denn, daß ich folgen muß?«
»Es ist Richard Wagner, weißt du, er hat sich angemeldet, du hast ihn eingeladen, nun kannst du ihn nicht abweisen.« Trotz der gesellschaftlichen Logik dieser Beweisführung sah Mariechen einigermaßen unsicher nach dem Augenbrauengestrüpp über des Vaters Augen.
Es sträubte sich wohl zusammen und drohte mit Flammen, aber dann kam Einsicht und Sänftigung; verdrossen seufzend erhob er sich und wanderte ergeben nach dem Salon voran, wo Herr Richard Wagner auf einem mit hellroter Seide überzogenen Polsterstuhl an einem Marmortisch der Fürstin Johanna gegenübersaß.
Sogleich nach den ersten Worten konnte man merken, daß er die Wartezeit nicht ohne Ungeduld und Mißbehagen verbracht hatte, denn er hörte die Begrüßung etwas ungnädig an und äußerte dann, Durchlaucht sei offenbar sehr beschäftigt. Es war etwas im Ton seiner Stimme, das die beiden Frauen besorgt machte und sie mit mildem Nachdruck einige auseinanderhaltende Wendungen einschieben ließ.
Die beiden Männer standen einander gegenüber und betrachteten einander und fanden, daß sie voneinander sehr verschieden seien, und äußerlich waren sie es auch, denn in Bismarcks Gesicht war alles mehr ins Knollige und Weiche gestaltet, bei dem wesentlich Kleineren aber mehr ins Gekrümmte und Hakenförmige, und Nase und Kinn näherten sich einander über einem streng geschlossenen und eigensinnigen Mund.
»Wovon soll ich mit ihm sprechen?« dachte Bismarck. »Sprechen wir von Musik!« Aber da er keine Lust hatte, von Wagnerscher Musik zu sprechen, die er zu wenig kannte, zog er es vor, von Beethovenscher Musik zu sprechen, als von einer allen Seelen gemeinsamen Liebe und Sprache zu Gott. Also sagte er etwas von der Musik im allgemeinen und meinte, man solle über Künste eigentlich überhaupt möglichst wenig Worte machen und am wenigsten über Musik, denn das sei eben das Wunderbare an ihr, daß sie das Gefühl entbinde. »Worte sind immer ein Zwang und eine Fälschung. Wahrhafte innere Freiheit ist nur im Gefühl. Und das ist Beethovens Amt: er kommt wie ein Kerkermeister und rasselt mit den Schlüsseln, und man spürt die Dicke und Feuchte der Wände, dann aber lächelt er und schiebt zauberhaft so eine ganze Wand einfach weg, und wir schwingen uns der Unendlichkeit entgegen.«
Richard Wagner war aber gekommen, um über Richard Wagner und nicht über Beethoven zu sprechen, und nebenbei galt es den Versuch, ob sich an den Ufern des Überflusses nicht irgendein Schöpfwerk würde aufstellen lassen, mit dessen Hilfe die ständige Bayreuther Dürre würde berieselt werden können. Es blieb also bei einer etwas zurückhaltenden Zustimmung, wie sie einem Laien gegenüber angebracht war, dem das Beste ja doch nicht anvertraut werden durfte.
»Die Musik hat die seltsame Eigenschaft«, fuhr Bismarck fort, »daß sie das Gefühl bloß entbindet, aber nachher jeden auf seine Weise selig werden läßt. Sie schreibt nichts vor, wie es ein Bild tut oder gar wie die Bücher. Sie gibt sozusagen nur das Element, aus dem wir selber nach unserem Wesen die Schöpfung vornehmen müssen. So kommt es, daß bei demselben Stück der eine dies, der andere jenes empfinden kann, nur gemäß jener höchst unbestimmten Stimmung, in die es uns versetzt. So wird die Musik zur Prüferin der Seelen, und wer etwa bei der d-molI-Sonate an sein Bankguthaben denkt, ist gewogen und zu leicht befunden.« Bismarck war froh, durch leises Rühren an die goldenen Pforten von sich selbst erlöst zu werden, und ließ eine dumpfe Gedrücktheit hinter sich zurück als eine schwere Last von Tagen. Immer weiter schritt er von diesem abgefallenen Haufen Erdenunbill weg. »Leider komme ich nun selten zu guter Musik im großen. Es müssen Menschen dabei sein, viele Menschen, das macht es einem verdrießlich, der nicht gern im Schwarm mitgeht; so muß ich mich mit dem begnügen, was im Haus selbst erzeugt wird. Verstehen Sie es, daß ich mir nach dem Erlaß des Rüstungsbefehles gegen Frankreich die c-moII-Sinfonie vorspielen ließ? Beethovens c-moll, vom vollen Orchester, aber als Publikum niemand als die Meinen und ich.«
Das war Bismarcks Meinung, und sie lief der Wagners schnurstracks zuwider. Denn wenn dieser auch solche alleingängerische Neigungen von seinem königlichen Freund von Bayern her zur Genüge kannte und hinnehmen mußte, so waren die Höhepunkte musikalischer Wirkungen doch in großen festlichen Versammlungen vieler Menschen gelegen und der Gottesdienst zu Bayreuth der Gipfel, wo aller Künste Eigenstes in gegenseitiger Durchdringung zusammenfloß. Zudem war ein verschwommenes Gefühl ja etwas Schönes, aber doch Minderes gegenüber einem ordentlichen, festen und gedankenreichen Bau, der nach einem genauen Plan entworfen war, und in dem jedes Leitmotivs Wandlung und Wendung nach Dur und Moll seine besondere dramatisch-philosophische Bedeutung hatte.
»Ja, eben«, beharrte Bismarck, »über Musik hat jeder seine Ansichten. Meines Oberförsters Junge will durchaus Musiker werden, aber der Alte sagt: ›Eher hacke ich ihm die Pfoten ab, als daß er anderen Leuten aufspielen darf. Er soll sich selber aufspielen lassen können.‹ Das ist auch ein Standpunkt, und kein ganz dummer. Was mich betrifft, so habe ich es immer so gehalten, daß ich Musik machen will, wie ich es für gut finde, oder gar keine.«
Sie sprachen aneinander vorbei, und es war offensichtlich, daß sie sich niemals nähern würden, bei aller brüderlichen Ähnlichkeit hinter dem ersten Schichtenwuchs, die aber, wie es so oft zu geschehen pflegt, obenauf ein recht feindseliges Ansehen hatte.
Bismarck merkte etwas von Verstimmung und Enttäuschung. »Wissen Sie«, sagte er, sich einer scherzhafteren Angelegenheit zukehrend, »daß man Sie einmal bei mir als einen ganz gefährlichen Verschwörer hat aufschreiben wollen. Sie sollen in der Schweiz zwischen den russischen Nihilisten und den Internationalen vermittelt haben.«
»Die deutsche Politik«, sagte Wagner in unverminderter Steifheit, »ist immer eine Angsttraumpolitik gewesen. Man hört die Mörder über die Stiegen kommen und will die Tür versperren, aber der Schlüssel dreht sich nicht im Schloß. Man will fliegen und flattert nur mit den Armen. Ein einziges Mal ist man wirklich geflogen.« Wagner machte eine wirksame Fermate nach dem Paukenschlag. Dann setzte er mit seinem boshaften Blechton wieder ein: »Wer ist nach Euerer Durchlaucht Ansicht der erste Diplomat in Europa?«
Bismarck sah zur Decke empor und war zum erstenmal nach langen Tagen der Trübsal wieder voll inneren Lachens: »Ja«, sagte er mit gerunzelter Stirn und einem leichten Spiel von Lichtern um Nase und Mund, »das weiß ich nicht, aber sicher ist Lord Beaconsfield der zweite.«
Hierauf verrann das Besuchsgespräch ins Überflüssige, und man empfand, daß man einander nichts weiter zu sagen habe. Wagner erhob sich und nahm den Mantel seiner Selbstherrlichkeit zu königlichen Falten zusammen. Die Einladung nach Bayreuth blieb unangebracht; er verdient es nicht, dachte er, er ist die Vergangenheit, ich bin die Zukunft. Als er die Stiege hinabschritt, mit seiner abgekühlten Begeisterung und einem neu angefachten Gefühl von Überlegenheit, sagte er sich, daß es sehr gut gewesen sei, sich nichts vergeben, Männerstolz gezeigt und von dem Schöpfwerk für die Bayreuther Trockenheit geschwiegen zu haben. Diese Art von Menschen, dachte er, ist unerträglich; sie benehmen sich, als hätten sie die ganze Weltgeschichte instrumentiert, und haben dabei nicht einmal den rechten Takt in sich.
»Er ist vom Erfolg verwöhnt«, sagte Bismarck im selben Augenblick zu Johanna, die ihm sanfte Vorwürfe machte, daß er etliches über des Wagners neueste Opern zu sagen unterlassen habe, »ich weiß mir nichts mit ihm anzufangen. Es ist schon recht, wenn einer an sich selber glaubt, aber der möchte allerorten der erste sein und ist beleidigt, wenn man findet, einiges andere sei noch über ihm.«
Die beiden Lebensschiffe, die sich auf kurzer Fahrt genähert hatten, wichen wieder in scharfer Krümmung auseinander, jedes nach seinem inneren Muß, und die beiden Seelen ahnten nicht, daß sie aus dem gleichen Samen Gottes waren, dem der Stolzen und Unbedingten, der Gewaltsamen und Unbeugsamen, unter deren breiten Kronen alles niederwüchsige Menschenstrauchwerk erdrückt wird.