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Auf dem schroffen Felsen über der Gasteiner Ache stand das König-Otto-Belvedere, in dem König-Otto-Belvedere stand ein zerwackeltes, zerschnitzeltes Tischchen, und um das Tischchen im König-Otto-Belvedere auf dem schroffen Felsen über der Gasteiner Ache saßen fünf Menschen, ernst wie Schachfiguren und schweigsam wie Sicherheitsschlösser. Sie hielten ihre Hände dem Tischchen aufgelegt, und zwar so, daß sich die Finger auseinanderspreizten, als hätten sie sich gezankt und seien jetzt böse aufeinander; nur die Daumen waren noch in Berührung, und die kleinen Finger suchten die Verbindung mit den beiderseitigen Nachbarn, also daß die magische Kette nach allen Regeln der Geheimwissenschaften rund um den Tisch geschlungen war und die psychischen Ströme in sein Holz eindrangen. Und während sie so aus Leibeskräften auf das Tischchen einwirkten, schweiften die inneren Kräfte im Reich des Unsichtbaren umher und lockten durch allerlei Versprechungen und Anerbieten unbedingter Gläubigkeit einen Geist herbei, der, redseliger als Geistern sonst rätlich scheint, zu Auskünften bereit wäre.
Allerlei Menschengeräusche kamen bruchstückweise aus der Tiefe zwischen Villa Orania und Hotel Straubinger, ein Stück Melodie der Kurkapelle aus der Wandelbahn, das hatte bisweilen etwas Staub von Menschengemurmel auf den Flügeln, und manchmal hatte es ein blechernes Brimborium von Ringelspielmusik angehängt, von jenem Drehkrankheitszelt, das auf dem Stückchen Wiese hinter der Villa Meran seine hölzernen Pferde, Schwane, Wägelchen und Ferkelchen unablässig im Kreise laufen ließ. Von Naturgeräuschen kam auch allerlei hinzu. Eine Amsel sang irgendwo im Gebüsch am Felsabsturz, unten brummte der Wasserfall urtümlich bärenhaft in seiner schmalen Felsenkluft, und in aller dieser von der Augustsonne übergoldeten Gegenständlichkeit saßen die fünf Geisterbeschwörer da und versuchten, den guten Tisch auf Geheiß der Fürstin Odescalchi zum Reden zu bringen.
Es war ein biederer Tisch, und er hatte im Lauf seines langen Lebens Verschiedenes mitgemacht und den mannigfachsten Menschenwünschen ergeben stillgehalten. Er hatte glühende Liebesbriefe und tränenreiche Abschiedsbriefe auf sich schreiben lassen und nicht gezuckt, wenn scharfe Messer die Hieroglyphen einer Leidenschaft oder auch nur die Runen Kieselakischen Ehrgeizes in seine Platte eingruben, bis schließlich seine jugendliche Ebenmäßigkeit zu einem narbenreichen Feld von Schriftzeichen geworden war. Über all diese schmerzhaften Geduldproben und den vielfältigen Wechsel von Wetter und Wind war er alt und morsch geworden, ohne, als der richtige Landschafts- und Freilufttisch, der er war, jemals vor eine ausgesprochen verzwickt städtische Aufgabe gestellt worden zu sein. So verstand er gar nicht einmal recht, was man von ihm wollte; aber da er gutmütig genug war, den Anforderungen seiner Gäste nach Tunlichkeit entgegenzukommen, rann eine verlegene Unruhe durch ihn und machte seine Beine zapplig.
Zwei Männer kamen den ansteigenden Weg aus den Schwarzenberganlagen hinan. »Sehen Sie nur, Graf«, sagte Bismarck, »wen haben wir denn da? Das ist Ihre Landsmännin, die Odescalchi, und ich glaube, sie beschäftigt sich damit, den Tischen das Tanzen beizubringen, nachdem es die Männer schon längst nach ihrer Pfeife gelernt haben.«
Graf Andrassy lächelte ein paar Schritte lang der Bemerkung des Fürsten nach und der Verführerin entgegen, und dann standen sie an der Brüstung des Aussichtstempelchens, die ein übertrieben knorriges und rauhrindiges Geäst urwüchsig durcheinander flocht.
»Kommen Sie«, sagte Bismarck, »wir stören. Hier wird die Zukunft befragt, und niemand weiß so wenig von ihr als wir. Da vertreiben wir die Geister nur.«
Die Fürstin Odescalchi streckte das reizendste Schnuppernäschen, das je in Spitzentaschentücher gesteckt worden war, hoch und sog die Luft heftig ein.
»Nein, Fürst Bismarck«, rief sie, »Gott sendet Sie mir. Ich darf die Kette nicht unterbrechen, und der Tisch rührt sich schon. Bitte, schauen S', helfen S' mir. Mein Taschentuch steckt im Gürtel.«
»Im Gürtel!« sagte Bismarck. »Ich sehe ein, daß ein so wichtiges psychisches Experiment nach Kräften unterstützt werden muß. Wo ist das Taschentuch? Links? Rechts?«
Es steckte links, auf der Herzensseite, und während Bismarck im Gürtel suchte, sandte die Fürstin einen jener schmachtenden Blicke zu ihm empor, an denen die Männer wie am Anhauch der gottwohlgefälligsten Sündhaftigkeit dahinwelkten und verbrannten. Obwohl dieser Blick den Nachbar zur Linken sowohl wie den zur Rechten nicht das mindeste anging, ja sie nicht einmal streifte, erbebten sowohl der Flügeladjutant Graf Lehndorff als der Flügeladjutant von Lindequist innerlich auf so grausame Weise, daß der Tisch das mitfühlte und zu zittern begann. Indessen hatte Bismarck ein winziges Gewirbel von Spitzen hervorgebracht, in dem jede Zacke ein verdichtetes Wohlgerüchlein zu sein schien, die Gräfin neigte den Kopf, versenkte das Näschen in das duftende Geflock, und ein leiser, überaus melodischer Ton war wie eine ins Sphärenhafte gehobene Läuterung einer sonst grob irdischen Angelegenheit. Sorgsam wischte Bismarck noch zweimal zwischen Nase und Oberlippe hin und her und tat das Tüchlein dann wieder an seinen Ort.
»Dank' schön«, sagte die Fürstin, »vergelt's Gott! Wann S' was von mir brauchen, Durchlaucht … ich bin Ihre ergebene Dienerin!«
»Man kann nicht wissen«, erwiderte der Fürst, »wenn vielleicht einmal so eine kleine Hexerei nötig sein sollte, so weiß ich, zu wem ich gehen muß.«
Darauf trat er von seinem anmutigen Geschäft zurück und setzte mit dem Grafen den unterbrochenen Wandelgang fort. Von dem Bestreben geleitet, die Aufmerksamkeit der Meisterin über die Geister wieder mehr auf die vitale Elektrizität ihrer Tischgenossen zu ziehen, rief Graf Lehndorff plötzlich mit einer tiefen Seherstimme: »Er bewegt sich … er bewegt sich schon … gleich wird er klopfen.« Aber es sollte unentschieden bleiben, ob der Tisch wirklich begriffen habe, was man von ihm verlange, und Neigung zeige, zum Sprachrohr der Geisterwelt zu werden. Plötzlich löste nämlich die Fürstin Odescalchi ihre Hände mit einem Ruck aus der magnetischen Kette und schlug mit der Hand gerade auf das Herz, in dessen Umrissen die Namen Emma und Ferdinand auf ewig vereint dastanden. »Hören S' auf«, sagte sie, »der Tisch is ja blöd. Gehen wir.«
Wenn die Fürstin Odescalchi sagte, der Tisch sei blöd, dann war ihm von keiner menschlichen und keiner göttlichen Macht mehr zu helfen, und er war es und blieb es für Zeit und Ewigkeit; und, wenn sie sagte: »gehen wir«, dann war kein Widerspruch und keine Auflehnung, und man hatte eben so lange zu gehen, bis sie etwas anderes befahl. Man ging also, und es war des weiteren selbstverständlich, daß man die Richtung einschlug, die Bismarck vorgezeichnet hatte, denn das war so ziemlich im allgemeinen die Richtung, in der die Gasteiner Tage der Fürstin Odescalchi überhaupt dahinflossen.
Eine außergewöhnlich lebhafte Eheenttäuschung hatte ihr die Libellenflügel keineswegs gebrochen und ihrer Phantasie nichts von ihrer Spannkraft zwischen Tag und Traum genommen. Ihr Lachen hatte durch einen längst abgetanen Gefühlstumult nicht ins Seufzen verkehrt werden können; ja, sie hatte von dem seinerzeitigen Elend nicht einmal die sonst beliebte Geste der Schwermütigkeit übrigbehalten, sondern blitzte und funkte so vergnügt ins Leben hinein, als müsse von dem übriggebliebenen, noch recht umfänglichen Rest jede Minute mit doppelter und dreifacher Freude genossen werden. Überall baute sie ihre Luftschlösser hin und stattete sie mit so wunderhübschen Einfällen aus und hob das alles aus dem Potemkinschen in eine so drollige Glaubwürdigkeit, daß ihre Begleiter darin ein und aus gingen, als seien es wirklichste Wirklichkeiten. Von ihren beiden derzeitigen Schwärmereien bewegte sich die eine auf der Astralebene und bewarb sich um Kundschaft aus der Geisterwelt, die andere aber tanzte und schwebte um die durchaus erdenfeste Gestalt Bismarcks; wobei sie freilich den Zusammenhang mit der übersinnlichen Zone insofern betonte, als sie behauptete, er sei ein in Erscheinung getretener Dämon.
Es war nicht ganz aus dem Leeren gegriffen, denn ihre feine und für große Eindrücke empfängliche Seele verstand hinter der aller Welt zugekehrten Äußerlichkeit etwas wie eine tragische Dämmerung. Sie ahnte die geheimnisvolle Dunkelheit auf dem Grund seiner Liebenswürdigkeit, die undurchdringlichen Schatten auf der Rückseite des in weiter Entfernung schwingenden Gestirnes, das den Betrachtern immer den gleichen Aspekt zeigte. Zu dieser großen Seelenneugierde gesellte sich eine kleine Frauenneugier mit der Frage, worüber brütet er eben jetzt? Ohne irgendwie politisch gerichtet zu sein, hätte sie gerne gewußt, an welchen weltbewegenden Angelegenheiten er gerade Hand angelegt hatte, und sie hätte es als ihre eigentlichste Bejahung und Bestätigung empfunden, wenn sie wenigstens andeutungsweise in ein kleines Geheimnis mit einbezogen worden wäre. Zumal jetzt hatte sie ein unerträgliches Gefühl, daß bedeutsame Dinge im Werden seien, und Andrassys gleichzeitige Anwesenheit in Gastein - nach der vorjährigen Zusammenkunft in Salzburg - schien ihr ein Anzeichen zu sein, worüber ihre ganze kleine Person lichterloh entbrannt war.
»Ein herrlicher Mensch, was? Sagen S', meine Herren, is er net ein herrlicher Mensch?« sang sie zu der rascheren Gangart, die sie angeschlagen hatte, um ihn noch auf dem Wege einzuholen.
Die beiden Flügeladjutanten nickten und bekräftigten mit leichten Veränderungen das angeschlagene Thema. Sie hätten es, trotz aller Verehrung für den Fürsten, lieber gesehen, wenn sich die Fürstin mit anderen Dingen, zum Beispiel mit ihnen, beschäftigt hätte. Denn obwohl sie Flügeladjutanten des deutschen Kaisers waren, schienen sie diesen Urlaub für Gastein eigens deshalb genommen zu haben, um sich wenigstens für ein paar Sommerwochen den Libellenflügeln der kleinen Ungarin beizugesellen und auf diese Weise eine im vorigen Jahre gewonnene Bekanntschaft ins Vertraulichere und Zärtlichere zu steigern. Bei diesen Bemühungen wollte keiner dem anderen einen Vorsprung lassen, und es gewann auch keiner einen, so daß sie als die beiden Unzertrennlichen auftraten; ein Doppelgespann sozusagen, das den lieblich bekränzten Triumphwagen der Fürstin mit der berückendsten Liebesgöttin durch die Gasteiner Tage zog.
Die Verfolgung geschah also in der gewohnten Ordnung: die Fürstin mit ihren beiden Flügeladjutanten vorauf und hintennach die Gräfin Kornis, eine Landsmännin der Fürstin, und ihr Landsmann Desider Hatfy, der ein Zeitungsmensch war mit einem ganzen Kopf voll politischer Phantasien, die er nicht versäumte in Gestalt von guten Ratschlägen und Vorschlägen und Anschlägen verschwenderisch an Bismarck gelangen zu lassen, wo immer sich Gelegenheit bot.
Unten auf der Erzherzog-Johann-Promenade wandte sich die Fürstin mitten aus einer äußerst wohlgesetzten Begeisterungsrede des Grafen Lehndorff über die unvergleichliche Anmut der Wiener Mundart, zumal aus dem Mund einer schönen Frau und zumal, wenn die schöne Frau eigentlich eine Ungarin war, über die Schulter weg mit einer ungarischen Frage an den Landsmann hinter ihr. Das war immer eine Katastrophe für die beiden Flügeladjutanten, denn bei aller Vorliebe für ungarisches Wesen waren sie mit einer solchen Wendung sogleich ins Kühle gestellt und empfanden diesen Mangel in ihren Sprachkenntnissen als eine unverdiente Härte des Geschickes.
Die Marschordnung änderte sich. Desider Hatfy kam an Seite der Fürstin, um mit ihr im Ungarischen unverständlich weiter zu schwelgen, während die abgesetzten Kavaliere zur Gräfin Kornis abfallen mußten; auch einer äußerst liebenswerten Dame, wiewohl mit Abstand, aber mit einem feinen Verständnislächeln für die Regungen des Herzens. So blieb den Adjutanten nichts anderes übrig, als mitten im Gespräch mit der Gräfin die Ohren nach vorn zu spitzen; wobei freilich nichts weiter aufgefangen wurde als die zwei Namen Bismarck und Andrassy, was nur höchst ungefähre Schlüsse auf die vordere Unterhaltung zuließ.
Indessen war es klargeworden, daß die Besprochenen entwischt seien, vielleicht angesichts der Bedrohung durch ein Gewitter, das den Nachmittag über von den Bergen her die Fäuste geballt hatte und nun mit seinen Vorboten den Sonnenschein fahl zu machen begann. Man schlug den Weg nach Haus ein, und wirklich saß Bismarck selbfünft im Familienkreise beim Kaffee unter dem Gartenzelt. Der Graf Andrassy war inzwischen ins diplomatische Geheimnis entrückt, und das war gut, denn das Zeltrund, das noch zehn und mit dem eben hinzukommenden Doktor Bucher elf Menschen zur Not faßte, wäre für ein volles Dutzend schon zu klein gewesen.
»Denken Sie, Kilian ist krank«, sagte die Gräfin Rantzau bekümmert. Die Vorsehung hatte mit Bismarcks Mariechen Mitleid gehabt und den Schmerz um die verlorene erste Liebe im Glück einer zweiten gelöst, die im vorigen Sommer zur Ehe gereift war. Um das Glück aber nicht allzu vollkommen werden zu lassen, hatte sie ihr hinwiederum die Sorge um Kilian aufgeladen; und wirklich lag das schwärzliche Hundegetier auf einem rotsamtenen Kissen im Gras und nahm sich mit seinem aufgetriebenen Bauch und den weggestreckten Beinen recht erbarmungswürdig aus.
»Sie sollten Ihren Tisch um ein Mittel fragen, Fürstin«, sagte Bismarck.
Die Fürstin legte das rechte Bein über das linke, die Hände umschlangen das Knie, und sie sah den Fürsten mit einer entzückend kußfertigen Nachdenklichkeit an. »Da müßte man den Geist von einem verstorbenen Tierarzt zitieren«, sagte sie, »und ich weiß nicht, ob so was auf der Astralebene herumspaziert.«
»Er könnte auch nichts anderes sagen, als daß sich der Kilian überfressen hat«, brummte der Doktor Bucher, aber gar nicht laut, denn in allen kilianischen Belängen war die junge Frau ein wenig ungehemmt empfindsam.
Das Gewitter knurrte recht bedenklich nahe zu Häupten, von allen Villen ringsum und von der eigenen klang das Klirren der Fenster, die geschlossen wurden, hinter der grünen Buschwand schwankte eine hohe Staubsäule langsam vorbei und fiel an der Straßenecke in sich zusammen. Man fand, es sei Zeit, ins Zimmer zu gehen, Kilian wurde von Lehndorff und Lindequist auf seinem Kissen sanft mitgenommen, und man hatte sich kaum zurechtgerückt, als auch schon die ersten Regenstriche über die Scheiben fuhren. Das Gespräch schwirrte ein wenig bunt durcheinander, und nur Bismarck stand, noch mit dem breiten Hut auf dem Kopfe, am Fenster, teilnahmlos und, wie die Fürstin fühlte, drangvoll im Ansturm seiner meeresgleich stürmenden Gedanken, die einander mit weißen Schaumkämmen jagten.
Sie hatte den Flügel aufgeschlagen, ihre Finger banden die schwarzen und weißen Tasten zu sanften Mehrklängen, sie sehnte sich danach, diese gigantische Gehirnwelt mit ihrem eigenen ungezogenen Persönchen zu durchbrechen. Plötzlich begann sie fest in das bewegliche Tongitterwerk zu greifen, und nach ein paar vorspielhaften Klängen kam eine Melodie im Dreivierteltakt daher, die roch nach Bier wie eine Kellnerin im Hofbräuhaus und war überhaupt die höchste Fidelität. Und die Worte lauteten:
Warum sollt' im Leben
Ich nach Bier nicht streben,
Warum sollt' ich denn nicht einmal lustig sein?
Meines Lebens Kürze
Allerbeste Würze
Sind ja Gerstensäfte und der Wein.
Also sang die Fürstin Odescalchi, und das war, weiß Gott, ein ganz unzweifelhaftes Bierlied, wie es ringsum auf allen hohen Schulen Deutschlands klang, und insbesondere auf Göttinger Kneipen. Aber es nahm sich in ihrem Munde auch keineswegs übel aus, sondern es war sogar ganz herzig, wenn sie versicherte, daß sie Gerstensäfte und Wein als ihres Lebens Würze ansehe. So war es denn auch nicht weiter merkwürdig, daß die ganze Gesellschaft in den Kehrreim einfiel und mitsang, Johanna und Maria, trotz der Sorgen um Kilian, und alle bis auf zwei. Den einen, auf den es ankam, und Desider Hatfy, der ihn überfallen hatte, um ihm seine Ansicht über Rußland nebst einigen Winken zu dessen Bändigung mitzuteilen.
Aber auf einmal zog der Doktor Bucher einige Blätter aus der Tasche und meinte, er habe einen schönen neuen Text zu dieser mit Recht so beliebten Weise mitgebracht, »gedruckt in diesem Jahr!« Näher besehen, waren es Verse, mit violetter Hektographentinte säuberlich vervielfältigt, und sie galten den Unzertrennlichen und ihrer zärtlichen Erwärmung; wer aber der Dichter war, das verschwieg des Sängers Bescheidenheit. Als die Blätter verteilt waren, stand der neue Gesangverein malerisch gespannt da und begann:
»Ach, die sehr galanten
Flügeladjutanten
Haben Dienst bei Tag und Nacht, in Krieg und Fried'.
Lindedorff und Lehnquist
Sind, wie hier zu sehen ist,
Auch bei schönen Frauen
à la suite.«
Es war jedenfalls ergreifend und ein Beweis für die poetische Gewalt der neuen Dichtung, daß Herr von Lindequist selbst den Takt dazu schwang, mit einem Taktstock, den er aus dem Semmelkorb vom Tische geholt hatte, einem länglichen, goldbraunen, geraden Zapfen, der mit viel Salz und Kümmel bestreut war, also einem richtigen österreichischen Salzstangel natürlich. Man sang die Strophen mit einem herzinnigen Vergnügen und einigem beifälligen Gelächter zwischen je zweien ab. Man hatte aber Bismarck noch immer nicht von Desider Hatfy freigesungen, dieser war vielmehr auf die Balkanpolitik Österreich-Ungarns übergegangen, und das war ein Feld, auf dem für einen geriebenen Schlaumeier immerhin Erkleckliches zu tun war.
Trotz aller landsmännischen Zuneigung faßte die Fürstin eine kleine, stille Wut, sie ließ die Biermelodie in ein Nachspiel auslaufen und nahm mit einigen herzhaften Übergängen eine andere auf; die gehörte dem Kilianwalzer an, den Keudel komponiert und als Zeichen der Anhänglichkeit an alles Bismarcksche Hauswesen aus Konstantinopel geschickt hatte. Sie war noch gar nicht weit gekommen, da hörte sie verdächtiges Tanzgeräusch hinter sich, und als sie den Blick über die Schulter wandte, da sah sie Desider Hatfy weggeschoben und Bismarck mit Frau Johanna im Arm in langsamem Walzerschwung zwischen den Sesseln und Tischen hingedreht, während das gesamte Publikum große, aber äußerst zufriedene Augen machte.
Ein wenig betrübt fuhr die Fürstin in ihrem Takt fort und beschied sich etwas enttäuscht mit der Wahrheit der Weltweisheit, daß man nicht zugleich aufspielen und selber tanzen könne.