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s. Bildunterschrift

W. Mulot, Kirche in Kroppach.

Elz und die Musikanten

Von Joh. Plenge

Die Elzer Überlieferung schweigt über den Beginn des bunten Musikanten- und Gauklerlebens, das den Ort weit herum berühmt gemacht hat. Schon im 18. Jahrhundert lebten Elzer von der Musik. Dann weiß man allerhand von einem gewissen Ötz (Heler) zu erzählen, der etwa seit den Befreiungskriegen mit zwei bis vier dummen Buben nach Holland, später sogar nach Norwegen zog; er selbst blies die Klarinette, die Jungen lernten auf der Reise notdürftig Harmonika, Horn, Guitarre oder Klarinette spielen und betrieben im Ausland – unterwegs, in Preußen war's verboten – den ehrlichen Spiel- und Bettelmannsberuf. Gleichzeitig wanderten noch etwa fünf andere Elzer mit Knaben als Unternehmer fort und in denselben Jahren spielten Elzer Mädchen in holländischen Kneipen Guitarre und sangen dazu; die ersten sollen von einer nach Cleve verzogenen Frau aus Hartenfels mitgenommen worden sein.

So ist Elz musikalisch geworden. Als die ersten Unternehmer starben, war die Musik schon ein verbreitetes Gewerbe, das bereits viel solider betrieben wurde, als die bettelhaften Anfänge verheißen hatten. Seit den ersten 30er Jahren traten an Stelle der Knabenbanden mehr und mehr vollbesetzte Kapellen, die eine Ehre darein setzten, gut und richtig zu spielen, und in holländischen, englischen und französischen Bädern, bei einem Zirkus oder einer Schaubude Engagement fanden. Das Betteln hörte auf. Die Leiter von Musikvereinen in Limburg und Hadamar und ein Lehrer in Elz gaben den Kindern Unterricht; einige Elzer, die draußen Geld verdient hatten, schickten ihre Söhne sogar auf das Konservatorium, freilich nicht, um sie als Wandermusiker auszubilden.

Aus den Wirtshaussängern, die mit der Guitarre herumzogen, sollen namentlich seit den 50er Jahren die »Elzer Tiroler« geworden sein: Sängertruppen und Streichmusikanten, die das Geschäft viel feiner betreiben und in Vergnügungslokalen in der Gegend von Frankfurt auftreten. Noch vor wenigen Jahren spielte aber in Elz selbst eine 90jährige Frau in der Weihnachtsnacht mit der altgewohnten Guitarre, eine andere alte Veteranin, die Alma von Niedererbach, ist vor nicht langer Zeit im Rausch in eine Pfütze zwischen Elz und ihrem Heimatdorf gefallen und hat ihr bewegtes Leben traurig geendet.

Der Ruhm von Elz stammt aber nicht allein von seinen Musikern her, sondern ebenso sehr von dem Jahrmarktsvolke, das sich in dem alten Dorfe niedergelassen hatte, der Zahl nach freilich weit weniger Bedeutung besaß als die Musiker. Elz ist die Heimat der berühmten Seiltänzerfamilie Müller. Der alte Gottfried Müller stieg bis in sein 80. Jahr auf das Schwungseil; in den 40er Jahren begann sein Sohn Johann die Kunstreiterei und entzückte daheim die Elzer Jugend, wenn er als Clown, auf ungesatteltem Pferde stehend, zwölf Westen nacheinander auszog. Später hatte die Familie einen richtigen Wanderzirkus mit 12-15 Pferden, einem Hirsch usw. Der Zusammenhang mit der Heimat lockerte sich, eine Tour hielt die Familie 12 Jahre von Hause fern und die 10 Kinder des Johann sind seit den 60er Jahren ganz fort geblieben, haben aber noch etwas Grundbesitz in Elz. Andere Elzer Familien waren an der Seiltänzerei nicht beteiligt. Ein französischer Zirkusreiter war durch Heirat mit einer Musikantin nach Elz verschlagen. Er war in seinem Fach ein Künstler und verdiente viel Geld, das er nach Elz schickte, damit Frau und Schwiegereltern Land kaufen sollten. Schließlich versuchte er selbst in Elz eine Wirtschaft zu betreiben und dressierte nebenbei Pferde für den Adel der Umgegend; das Geschäft wollte sich aber nicht machen, das verdroß ihn, weil er ein genauer Mann war, und da er auch mit seiner Frau Streit hatte, ging er auf und davon. Von den 50er bis Anfang der 70er Jahre hatte ein Elzer ein Karussell, später ein Ballspiel, drei oder vier besaßen damals Schießbuden, von denen noch eine vorhanden ist, kurz Elz war ein Dorf der fahrenden Leute. Heute sind das vergangene Zeiten. Jahrmarktsgaukler gibt es in Elz nicht mehr und die Musik verschwindet. Mindestens seit den 60er Jahren war sie bei den Kapellen wie bei den »Tirolern« ein durchaus anständiger Erwerb gewesen, den rechtliche Leute betrieben, die das Ihrige zusammenhielten. Es war nichts in der Nähe, womit man recht verdienen konnte und draußen war Geld zu erwerben. Die 60er und 70er Jahre waren glänzend. Ein alter Musiker wird auf ein Gesamtvermögen von 70 000 Mk. geschätzt; ein anderer, der auch wesentlich damals sein Geld gemacht hat, war für die Ergänzungssteuer auf 6000 Mk. Kapitalbesitz veranschlagt worden, bei einer Steuerreklamation führte er dann aus, daß er nur 18 000 Mk. verlehnt habe.

Von 1880 an etwa ist das musikalische Künstlertum der Elzer in Verfall. In den 60er und 70er Jahren gab es sechs große Gesellschaften mit je 10-12 Mann und im ganzen zogen über 100 als Musiker fort. Jetzt ist die Zahl auf ein Drittel herabgesunken und sie treten nur noch in Vergnügungslokalen auf: die wandernden Kapellen sind ausgestorben. Die Elzer gehen heute in Fabriken und arbeiten als Maurer oder Bahnarbeiter.

Aber es sitzen in Elz noch gegen vierzig Personen, die musizieren können und größtenteils auch auf Kirchweihen in der Umgegend sieben- oder achtmal jährlich Musik machen. Die ganze Einwohnerschaft ist noch musikalisch und gilt in der Gegend noch immer als ein eigentümliches Volk.

Die Elzer Musiker, deren erste Verbindungen nach England und Holland sich nicht mehr erklären lassen, scheinen die ältesten im Elbtal gewesen zu sein, die ins Ausland zogen, und sie haben das Gewerbe unzweifelhaft auf eine Reihe von Ortschaften, wie Oberhausen, Nentershausen, Niederhadamar, Niedererbach, Niederzeuzheim, Thalheim, Wölferlingen übertragen. Zuerst wurden Knaben und Mädchen zur Bettelmusik engagiert, später Mitglieder für richtige Kapellen angeworben. Von Niederzeuzheim z. B. wurden nach und nach sechs Frickhofener mitgenommen, so daß direkt und indirekt der Einfluß von Elz weit herum von Bedeutung war. Die neuen Kräfte hatten vielfach schon vorher ein Musikantengewerbe betrieben. In manchem Dorfe findet sich ja eine Kirchweihkapelle, die aus kleinen Bauern und Tagelöhnern besteht, oder in der der Schuster, der Weber, ein Steinschläger, einige Maurer zusammenwirken, die ihr Handwerk schlecht ernährt: Rekruten für den Zug ins Ausland waren also leicht zu gewinnen.

In ähnlicher Weise wurde das Gewerbe nach Irmtraut übertragen. Dort wurde zuerst 1835 ein Kirmesmusikant Groß von einem Darmstädter aus der Wetterau für dessen Kapelle engagiert, um mit nach England zu ziehen. Gleichzeitig wurde ein Elsoffer mitgenommen und vermutlich auch Steinbacher und Waldernbacher für die Reise ins Ausland gewonnen. Damit stoßen wir zuerst auf den Einfluß, den das Wanderleben der Wetterau auf den Westerwald gehabt hat, weil die dortigen Händler und Musikanten über den Westerwald nach Köln zur Reise nach Holland und England zogen. Bei den vollbesetzten Kapellen verschwand diese Beziehung in kurzer Zeit; der Irmtrauter Musikant machte sich bald selbständig und stellte eine eigene Kapelle zusammen, und in wenigen Jahren gab es in Irmtraut drei Gesellschaften, in denen gelegentlich auch Ellarer, Langendernbacher, Wilsenröther, Pottumer, Hergenröther, Waldmühler, Renneröder und Hintermeilinger usw. mitgingen. An einzelnen Orten entstanden infolgedessen weitere selbständige Kapellen, die all ihren Zug nach Holland, Belgien (aus Niederhadamar), England und Frankreich hatten; nur vereinzelt wurde einmal die weite Reise nach Rußland unternommen. Man spielte in Bädern oder in Schaubuden, einem Zirkus usw. Eine Irmtrauter Kapelle ging lange Jahre nach Cork in Irland und musizierte auf Lustdampfern, eine andere war im Frühjahr vier Wochen in Bath für die Milizen engagiert und ging dann als Badekapelle mit Monatsgehalt nach Clevedon bei Bristol, um den Kurgästen mittags und abends am Strand eine Stunde aufzuspielen.

Seit der Blütezeit der 50er und 60er Jahre geht das Geschäft zurück, aus manchen Orten sind wohl noch jetzt einige Musiker draußen, aber sie haben die alte Heimat ganz aufgegeben. Mit dem Bettelleben der Elzer Knaben und dem späteren Treiben in Rußland, das auch von der Wetterau her übertragen wurde, haben diese wandernden Dorfmusiker nichts zu schaffen gehabt, sie hielten auf ihre Kunst und den ganzen Winter über wurde fleißig geübt, damit man draußen gut bestehen konnte. Als das Gewerbe in Flor gekommen war, zog man nicht nur geübte Kirmesmusikanten aus der Umgegend heran, sondern bildete auch im Winter junge Kräfte besonders aus.


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