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Karl von Ibell, ein nassauischer Staatsmann

Von Wilhelm Frischholz

Der nassauische Staatsmann und Regierungspräsident Karl von Ibell, der auf dem alten Friedhof in Unterliederbach seine letzte Ruhestätte gefunden hat, war in großer Zeit einer der größten Männer im nassauischen Lande.

Er wurde am 29. Oktober 1780 zu Wehen als Sohn des nassauischen Amtmanns Ibell geboren. Bis zu seinem 7. Lebensjahre gab seine schwächliche Konstitution zu ernstlichen Sorgen Anlaß; eine planmäßige Körperpflege wirkte jedoch so günstig auf seine Entwicklung ein, daß er sich schon als Schüler die größten geistigen und körperlichen Anstrengungen zumuten konnte.

Den ersten Unterricht erteilten ihm seine Eltern. Mit seinem 10. Lebensjahr trat er in die Erziehungsanstalt seines Oheims, des Pfarrers Schellenberg in Bierstadt, ein, der die hervorragenden Fähigkeiten des Knaben entdeckte und glücklich entwickelte. Nach dreijährigem Aufenthalt hierselbst wurde er dem Gymnasium zu Idstein zugeführt. Ein früh entwickeltes Pflichtgefühl verband sich bei ihm mit glücklichster Veranlagung. Die Heimat und das Elternhaus blieben Mittelpunkt seines Seelenlebens, und ein reger Briefverkehr mit den Eltern führte ihm den frischen Lebensstrom aus dem Elternhause zu.

Nach glänzend bestandener Abgangsprüfung an dem Gymnasium zu Idstein bezog er die Universität Göttingen, die nach der Aufhebung der Hochschule zu Herborn zur nassauischen Landesuniversität erklärt worden war, um Rechtswissenschaft zu studieren. Daneben übte er sich im Reiten und Fechten und brachte es darin zur Meisterschaft.

Die Briefe an seinen Vater aus jener Zeit offenbaren überraschende Reife der Gedanken und Klarheit des Urteils. 1801 bestand er nach kurzem Aufenthalt im Vaterhause das juristische Examen. Es zeugt für seine bescheidenen Ansprüche, wenn er als vornehmstes Ziel seines Lebens erstrebte, Nachfolger seines Vaters im Amte zu werden.

Doch das Schicksal hatte es anders bestimmt. In Regierungskreisen war man auf ihn aufmerksam geworden, und der nassauisch-usingische Regierungspräsident v. Kruse veranlaßte ihn, 1802 als sein Privatsekretär mit nach Regensburg zu gehen, wo die Reichsdeputation tagte. Hier bewährte er sich so glänzend, daß ihn sein Chef bei einer notwendigen Abwesenheit mit seiner Stellvertretung betraute. Nassau verlor in dem Reichsdeputations-Hauptausschuß alle seine linksrheinischen Besitzungen, wurde jedoch rechtsrheinisch so reichlich entschädigt, daß es sich um mehr als die Hälfte seines früheren Besitzstandes vergrößerte.

Die Eindrücke, die Ibell in Regensburg empfing, waren so ungünstig, daß er sich von den beteiligten Persönlichkeiten wie ihrer Geschäftsführung lebhaft abgestoßen fühlte, wenn die gewonnenen Erfahrungen auch seine Menschenkenntnis bereicherten. Er schrieb ins Vaterhaus: »Liebe Mutter! Praktische Weltkenntnis sich erwerben heißt: sein Gefühl abstumpfen, seine Menschenliebe zerstören, seine Achtung für Menschenwerte verlieren, sich zum Egoisten umbilden, und was Sie alles noch hierher rechnen wollen, als notwendige Folge der näheren Bekanntschaft mit dem Menschengeschlecht. Wohl dem, der in seiner Familie Menschen findet, die ihn anderes vergessen machen. Wohl mir, daß mir das Schicksal so gute Eltern, Brüder, Schwestern gab. Ich streite nicht, aber ich fühle, daß diese Denkungsart innig mit meinem Ich verwebt ist, und daß sie mir viele individuelle Leiden verursachen wird.« Ahnungsvoll lag sein reiches Werk und sein Ringen vor ihm, ahnungsvoll sah er dessen Abschluß.

Von Regensburg zurückgekehrt, wurde Ibell 1804 zum Regierungs-Assessor ernannt, obwohl seine Wesensart sich dagegen auflehnte; denn die Heimat, das schlichte Dörfchen mit seiner Umgebung, Einfachheit und Wahrheit waren seine Sehnsucht. Doch Kruse wußte ihm die Wahl zwischen Wohlbehagen und Pflichten gegen das Vaterland ins rechte Licht zu setzen. Er sagte ihm: »Wenn Sie die Wirksamkeit in Wehen vorziehen, so dürfen Sie auf ein angenehmes, unabhängiges Leben rechnen, wenn Sie aber bei der Regierung bleiben, werden Sie Ihrem Vaterland nützlich sein.« Da blieb er, wie es ihm die Pflicht gebot.

Erst 35 Jahr alt, wurde er 1815 zum Regierungspräsidenten und Mitglied des Staatsrates ernannt. Bei seiner Ernennung zum Regierungsrat schrieb er seinem Vater einen Brief, der ein helles Licht auf seinen Charakter wirft. Es heißt darin: »Indem ich mit dem Eintritt in diese neue Laufbahn auf eigene Ruhe und Zufriedenheit und häusliches Glück Verzicht leiste, hoffe ich darin einigen Ersatz zu finden, daß ich zum Wohle und Glücke anderer so viel beitrage, als mein ausgedehnter Wirkungskreis mir erlauben wird. Ich werde bemüht sein, mich stets in einer solchen Unabhängigkeit zu erhalten, daß ich nie meine Stimme der Mehrheit zu entziehen und nach äußeren Verhältnissen zu modifizieren genötigt bin, sie soll immer der göttlichen geweiht und ihren kriechenden Gegnern furchtbar sein.«

Ibells Geist war universell, sein Charakter lauter wie Gold, seine Arbeitskraft unermüdlich, sein Scharfblick nicht zu täuschen, seine Sachlichkeit nicht zu beeinflussen. Von Cäsar sagt man, er habe zu gleicher Zeit lesen, schreiben und mehrere Briefe diktieren können. Dasselbe gilt auch von Ibell.

Was seit 1804 zur Verbesserung der inneren Einrichtung und zur Hebung der Landeswohlfahrt in Nassau geschah, ist vorzüglich Ibells Werk.

1809 erschien das Steueredikt. Es hatte den Ruf, daß es unter allen Steuersystemen, welche die neuere Zeit hervorgebracht, in seiner Anwendung das einfachste und zweckmäßigste sei und auf den Prinzipien der allgemeinen Rechtsgeltung und Gleichheit vor dem Gesetz beruhe.

1808 schon war das Gesetz über die Aufhebung der Leibeigenschaft erschienen, 1812 folgte das Gesetz über die Aufhebung der älteren Abgaben. Sein Werk war auch die Verminderung der Beamtenstellen durch Vereinigung der obersten Verwaltungsbehörden.

Er verbesserte die Gerichtsordnung und die Einrichtungen zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit. Ebenso verdankt ihm der Verkehr den Bau neuer Straßen.

Das Medizinalwesen förderte er durch Verteilung der Ärzte auf das Land, die Gemeinden wurden zur Unterhaltung ihrer Armen verpflichtet, und »4 Jahre nach Einführung des Armen-Unterhaltungsgesetzes sah man keinen Bettler mehr in Nassau«. Die Gemeinden verwalteten ihr Vermögen selber. Die Handelsfreiheit wurde eingeführt, und die Zölle wurden aufgehoben. Nur der Rheinzoll und der Wasserzoll in Höchst blieb bestehen.

Seine ganze Kraft stellte er in den Dienst des Zollvereins. Jedoch gelang es ihm nicht, das Mißtrauen des Herzogs Wilhelm zu überwinden. Dunkle Kräfte in der Umgebung des Fürsten machten vorläufig einen Anschluß an den Zollverein unmöglich. Erst 1835 trat Nassau bei.

Ibell war ein eifriger Vorkämpfer der nassauischen Simultan-Einrichtungen. Das 1817 gegründete Lehrerseminar zu Idstein bildete evangelische und katholische Zöglinge für den Volksschuldienst aus. Die allgemeine Schulpflicht und die Freiheit des Unterrichts wurden eingeführt, und das Schulwesen in Nassau wurde bald vorbildlich.

1818 entstand auch eine landwirtschaftliche Lehranstalt in Idstein. 1834 wurde sie auf den Geisberg bei Wiesbaden verlegt, wo sie noch heute blüht.

Wenn Nassau bald den Namen eines freisinnigen Landes führte, freisinnig im besten Sinne des Wortes, so verdankt es diese Ehrenbezeichnung dem Präsidenten Ibell.

Wie drückend der echte Vaterlandsfreund den Rheinbund, dem auch Nassau angehörte, empfand, und wie 1813 die Freiheit von ihm begrüßt wurde, bedarf keines Beweises. Nach der Schlacht bei Leipzig vermittelte Ibell den Anschluß Nassaus an die Alliierten durch die feindlichen Heere hindurch. Zwischen zwei Einlegesohlen seiner Schuhe verbarg er das geheime Dokument, in welchem sich der Herzog den Verbündeten zur Verfügung stellte, und brachte es glücklich durch die Reihen der Feinde in Blüchers Hand.

Die großen Erfolge des Staatsmannes fanden einen dankbaren Fürsten. Dem uneigennützigsten aller Staatsmänner, der in seiner persönlichen Bescheidenheit dem Freiherrn v. Stein in Preußen glich, verlieh der Herzog von Nassau 1817 ein Landgut zu Unterliederbach, das sich heute im Besitz der Stadt befindet – die Villa Graubner.

Die Verfassungskämpfe der Zeit nach 1817 spielten auch nach Nassau hinein, und es wurden Landstände gewählt. Am 3. März 1818 wurde der erste Landtag in Wiesbaden eröffnet. Es bildete sich eine Opposition, die jedoch nicht durchdrang. Ibell verstand es, sie zum Schweigen zu bringen. 1819, bei der Sitzung des zweiten Landtags, traten zwischen Ibell und dem Minister Marschall scharfe Gegensätze zutage. Die Ursache war die allzu scharfe absolutistische Verwaltungsordnung der Domänenangelegenheiten. Mit Mühe gelang es, Ibell zum Verbleiben in der Regierung zu veranlassen. Trotz seines Kampfes mit der Reaktion hielten ihn die Fortschrittler für ihren gefährlichsten Gegner, und Ibell stand zwischen beiden Parteien. Als er in Langenschwalbach zur Kur weilte, überfiel ihn der Apotheker Löning aus Idstein mit Dolch und Pistole, doch Ibell blieb unverletzt. Löning suchte und fand durch Verschlucken von Glasscherben den Tod im Kriminalgericht zu Wiesbaden. Durch diese Umstände begünstigt, gewann die Reaktion an Boden. Der nassauische Minister Marschall ließ sich in Wien für die Politik Metternichs gewinnen. Ibell vertrat nun immer schärfer die gegenteilige Ansicht. Er forderte: 1. Wiederherstellung der ediktalen Verfassung; 2. ihren weiteren und freien Ausbau; 3. Erhaltung der landständigen Rechte auch in Sachen der Domänenverwaltung. Nun suchte ihn die Opposition an sich zu fesseln; daraufhin wurde er 1821 plötzlich seines Amtes entsetzt. Die folgenden 7 Jahre brachte er durchweg auf seinem Gute in Unterliederbach zu.

1828 wurde Ibell hessen-homburgischer Regierungspräsident. In dieser Stellung machte er sich um die Gründung des Zollvereins so verdient, daß ihn der König von Preußen in den Adelstand erhob. Was Stein für Preußen war, bedeutete Ibell für Nassau, und er trägt mit Recht den Namen »der nassauische Bismarck«.

Der Streit um die fortschrittliche Verwaltung in Nassau ging noch weiter, aber die alte Kraft war verpufft. 1836 kam die Einigung zustande. Die beiden Gegner Marschall und Ibell erlebten sie nicht mehr. v. Ibell starb am 6. Oktober 1834 zu Unterliederbach. Auf dem Friedhof neben dem alten Kirchlein ruht sein sterblicher Teil. Sein Werk wird nicht vergessen werden.


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