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Schinderhannes

Von Kurt Elwenspoek

Verfasser von Schinderhannes, der rheinische Rebell. Aus Akten, Dokumenten, Anekdoten. Stuttgart 1925. Süddeutsches Verlagshaus G.m.b.H.

Jede Generation braucht einen abenteuerlichen Helden, den sie bewundert, an dem sie sich erbaut, für den sie sich begeistert. Ein solcher Held kann – je nach Umständen – Odysseus oder Achilles, Old Shatterhand oder Kara ben Nemsi, Sherlok Holmes oder Buffalo Bill heißen. Wer dem jetzt heranwachsenden Geschlecht als Idol vorschwebt, muß ich bekennen, nicht recht zu wissen; aber wenn mich nicht alles trügt, so ist es Henry Ford. Das Abenteuerliche, soweit es erdacht oder konstruiert ist, will nicht mehr recht locken; so bleibt denen, die die aufregenden Reize spannender Geschehnisse nicht entbehren mögen, nichts anderes übrig, als diejenigen Historiker oder Biographen zu bemühen, die ihre Aufmerksamkeit den Außenseitern der Gesellschaft, den Gaunern oder Verbrechern, zuwenden.

Das Räuber- und Gaunerwesen hat in Deutschland immer eine große Rolle gespielt, eine größere, als man gemeinhin denkt, und seit dem Dreißigjährigen Kriege hat es sich besonders in Schwaben, am Main, am Rhein, an Nahe und Mosel in ununterbrochener Tradition fortgepflanzt und behauptet. Von all diesen Räubergestalten hat sich keine so lebendig erhalten wie der Schinderhannes. Dieser Räuberhauptmann war ganz gewiß besser als sein Ruf, denn die Legende hat ihm nach und nach so ziemlich alles zur Last gelegt, was zwischen 1780 und 1815 auf deutschem Boden an kühnen Verbrechen geschah. Im Hunsrück, im Odenwald und weit über diese seine engere Heimat hinaus dient heute noch sein Name als Kinderschreck. Schinderhannes, dessen Name vielleicht nur deshalb so volkstümlich geworden ist, weil er grausige Vorstellungen von »schinden« und andern Martern erweckt, hieß bürgerlich Johannes Bückler und wurde im Jahre 1778 oder 1779 zu Miehlen bei Rastätten rechts des Rheins geboren. Sein Vater war, wie der Großvater, Abdecker, Schinder, Hannes war also der Hannes des Schinders, der nach Ortsgebrauch ebenso »Schinderhannes« hieß, wie etwa der Sohn des Lehrers »Lehrerstoffel«. Anfang der achtziger Jahre gab der Vater seine Abdeckerei wegen Bankerotts auf; wie einige Quellen behaupten, hatte ihn ein unglücklicher Prozeß mit einem Wucherer ruiniert. Er wurde Soldat in Olmütz, desertierte nach einigen Jahren und kehrte mit seiner Familie in die Heimat zurück, wo er teils als Feldschütz, teils als Kleinbauer sich kümmerlich ernährte.

Der kleine Hannes Bückler besuchte die Schulen, er hat auch leidlich Lesen und Schreiben gelernt und wurde zu Cappeln in der lutherischen Religion konfirmiert.

Zeit und Ort waren ruhig-bürgerlicher Entwicklung wenig günstig; der Rhein, von jeher Zankapfel und Kriegsschauplatz, bildete seit fast einem Jahrtausend das Dorado verzweifelter, kühner, wilder, revolutionärer Existenzen. Nach dem Westfälischen Frieden gar hatte das Räuber-, Diebes- und Wegelagererunwesen im Hunsrück, im Taunus, im Odenwald, im Spessart ununterbrochen geblüht. Alle Räuber und Verbrecher jener Gegend begannen mit dem Pferdediebstahl. Dieser richtete sich zunächst gegen die durchmarschierenden feindlichen Truppen, denen man auch durch ein ausgebildetes Franktireurwesen nach Möglichkeit Abbruch zu tun suchte. Der heimtückische Kleinkrieg galt als verdienstlich und ertötete naturgemäß die angeborene Scheu vor fremdem Eigentum und fremdem Leben. – Auch Schinderhannes begann mit einem Pferdediebstahl. Er sollte für einen Gastwirt im benachbarten Städtchen Branntwein besorgen, tat sich von dem Gelde aber im Wirtshaus gütlich, so daß er nicht mehr heimzukehren wagte und nach einigem Herumstreichen, vom Hunger getrieben, ein Pferd stahl, das er verkaufte. Dazu muß freilich bemerkt werden, daß damals der Pferdediebstahl als ein sozusagen erlaubtes Verbrechen, als eine Art Sport galt, wie heute bei den Arabern. – Seine beabsichtigte Rückkehr zu den Verwandten scheiterte schließlich an der schlechten Gesellschaft, in die er geriet, mit der er weitere Diebstähle, Einbrüche und Raubüberfälle beging. Man braucht nur einige Namen dieser seiner Kumpane zu hören, um eine ganze Welt von Kneipendunst, Brutalität und hinterwäldlerischer Räuberromantik erstehen zu sehen. Da war der Petronellen-Michel, der Schwarze Peter, der Rote Fink; da gab es einen Hampel-holmi, einen Placken-Klos, einen Scheelen Franz, einen Schlechten Freier und viele andre.

Schinderhannes begründete seinen Ruhm dadurch, daß er in kurzer Zeit dreimal aus festen Kerkern auf nahezu wunderbare Weise ausbrach. Dies Glück stärkte sein Selbstbewußtsein so sehr, daß er im Jahre 1800 eine eigne Bande gründete und sich als »Herr des Soonwaldes« fühlte – mit einer deutlichen Spitze gegen die unwillkommenen Machthaber der jungen französischen Republik. Sein erster Minister war der hinkende Schuster Johannes Leyendecker aus Lauschied, der seinem Kapitän den poetischen Namen »Johannes durch den Wald« beilegte, die Brand- und Drohbriefe redigierte und das System der Sicherheitskarten begründete. Diese Karten, deren Mindestpreis einen Kronentaler das Stück betrug, verbürgten dem Inhaber für eine gewisse Zeit Schutz vor den räuberischen Überfällen der Bande und lauteten feit 1801 folgendermaßen:

Im dritten Jahr meiner Regierung im Soonwald
             ††† Johannes durch den Wald.

Sei es nun, daß Schinderhannes den angeblich an seinem Vater begangenen Unglimpf eines israelitischen Handelsmannes an dessen ganzem Volke rächen wollte, sei es, daß bei der jüdischen Bevölkerung damals allein etwas zu holen war – jedenfalls richtete Hannes seine größeren Unternehmungen fast ausschließlich gegen Juden, von denen er in der ganzen Gegend vor Eröffnung der Feindseligkeiten zunächst einen sehr willkürlichen Tribut einzuziehen begann.

Zu offener Gewalt ging er erst über, wenn er auf »Unbotmäßigkeit« stieß oder ein »Strafgericht« zu vollziehen hatte. Solch einer Strafexpedition war schon im Dezember 1799 das Leben seines Kameraden Placken-Klos, der sich an einer der vielen Geliebten des Räuberhauptmanns hatte vergreifen wollen, zum Opfer gefallen, ebenso das Leben des Müllers Riegel zu Otzweiler, der seine Tochter einem braven Burschen vorenthalten und an einen reichern Schwiegersohn verheiratet hatte.

Seit dem Jahre 1800 geschahen die gewaltsamen Einbrüche, bei denen nie mehr als 15 bis 20 Mann beteiligt waren, auf Rat des Generalstabschefs Leyendecker folgendermaßen: Nachts wurde die Tür des Opfers mit einem Rennbaum eingerannt und die erschreckten Bewohner zur Hergabe von Geld und Kostbarkeiten, häufig sogar durch Mißhandlungen und Foltern, gezwungen. Vorher pflegte man den Nachtwächter durch Branntwein, die Sturmglocke dadurch zum Schweigen zu bringen, daß man das Schlüsselloch der Kirchentür mit Sand und Steinen verstopfte. Späterhin respektierten die amtlichen Nachtwachen den Räuberhauptmann viel zu sehr, um ihm auch nur, wie er selbst sagte, »die mindeste Hindernis« entgegenzusetzen. Solche Einbrüche hat Schinderhannes zu Dutzenden unternommen, und es muß zu seiner Ehre gesagt werden, daß er dabei Roheiten stets entgegentrat. Er selbst hat notorisch nie einen Menschen getötet, kaum einen mißhandelt. Auch hat er selbst öfters versucht, in die bürgerliche Gesellschaft zurückzukehren. Das wäre ihm um so leichter gefallen, als er ein bildschöner Mensch von gewandtem Auftreten, großer Liebenswürdigkeit, herzlicher Gutmütigkeit und urwüchsigem Humor war. Als flotten Tänzer und Don Juan von vielen Graden liebten ihn nicht nur die Frauen, sondern auch ehrenwerte Männer in Amt und Würden schätzten ihn gewissermaßen hoch. Die französische Behörde knüpfte sogar Verhandlungen mit ihm an, die sich allerdings zerschlugen. Man war geneigt, ihm Straffreiheit zuzusichern, falls er seine Bande auflöste. Auch rechtsrheinisch, um Heidelberg und Wiesloch, hat er, zum Teil im Bunde mit Abraham Picard, dem Führer der Niederländer Bande, manchen »Strauß«, wie er sagte, unternommen. Auch den berühmten Leihhauskassendiebstahl zu Nürnberg hat man ihm – fälschlich – zur Last gelegt. Eine Fülle von Anekdoten, in denen er fast immer als Freund der Armen, als Feind der Reichen und der fremden Unterdrücker erscheint, zeigt deutlich, wie sehr Schinderhannes ein wahrer Räuberkönig, ein echter Volksheld war.

Als im Frühjahr 1802 seine Verhandlungen mit der französischen Behörde gescheitert waren, ließ sich Schinderhannes bei den kaiserlichen Truppen in Limburg anwerben, um dem Räuberleben zu entsagen, hatte seinen Heiratskonsens schon in der Tasche – da wurde er erkannt, verraten und über Frankfurt nach Mainz ausgeliefert, wo die Franzosen ihn vor ein Spezialgericht stellten. Die Voruntersuchung dauerte über ein Jahr. Schinderhannes legte ein rückhaltloses Geständnis ab und deckte damit eine weitverzweigte, Hunderte von Mitgliedern umfassende Organisation auf, der auch Lehrer, Förster, Dorfschulzen und andere Amtspersonen angehörten. Neben ihm saßen gleichzeitig 67 Mitschuldige auf der Anklagebank. Am 24. Oktober 1803 begann im Akademiesaal des Kurfürstlichen Schlosses zu Mainz die öffentliche Verhandlung. Dabei erwarb sich Schinderhannes durch sein freimütiges, chevalereskes und humorvolles Auftreten, Julchen durch ihre Schönheit große Sympathien beim Publikum. Trotzdem sprachen die Geschworenen ihn in allen 53 Anklagepunkten schuldig, und am 24. November 1803 fiel sein Kopf unter der Guillotine. Mit ihm starben neunzehn seiner Spießgesellen. Das Schafott war gegenüber der Mainmündung auf dem Platz der ehemaligen »Favorite« in den jetzigen Mainzer Anlagen errichtet. Schinderhannes starb ruhig und gefaßt. Noch heute bezeichnet ein Kreis von neunzehn Pappeln, in dessen Mitte ein besonders stattlicher Baum emporragt, das Grab des Räuberfürsten und seiner Kumpane. Wer unter den Wurzeln dieser Bäume dem Jüngsten Tage entgegen schlummert, wissen freilich die wenigsten, sonst diente dieser Ort nicht seiner gegenwärtigen Bestimmung als – Kinderspielplatz.


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