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s. Bildunterschrift

H. Aulmann, Deckel einer Steinzeugkanne aus Grenzhausen, Museum zu Mettlach.

Westerwälder Steinzeug

Von E. Berdel

National in ihrem tiefsten Wesen ist die Steinzeugkunst des Westerwaldes. In unserm ganzen Vaterlande treffen wir keine Töpfergegend, die eine derart eigenartige und blühende Kunst erstehen ließ, wie in den waldigen Bergen, die zwischen Lahn und Sieg auf dem rechten Rheinufer sich ausbreiten. Nur die alten Erzeugnisse aus Köln und Raeren, die im innigsten Zusammenhang mit ihnen stehen, sind auf gleiche Höhe gelangt.

Es ist einzig und allein das Material selbst, das die Möglichkeit zu solcher Entwicklung in sich trug. Und so, wie Gold und Edelstein schon ihrem innersten Wesen nach höher zu schätzen sind als unedle Stoffe, so steht das Steinzeug, das Porzellan des Mittelalters und der Renaissance, an Adel und natürlichem Wert hoch über den schwachen, erdigen Produkten der Töpferei, der Majolika, der Fayence. Nicht umsonst hat man seit Jahrhunderten die Waren des Westerwaldes »steinern« genannt, man erkannte scharf und deutlich das Besondere dieser hochgebrannten Kunstprodukte, die hart, dicht, versintert, klingend wie Naturgesteine sich darbieten, mit milden Naturfarben und zartem Glanz.

Die Steinzeugtone aber, die aus den frühesten geologischen Epochen stammen, findet man nur in besonderen Gegenden, wo die alten Schichtungen der Erdbildung erhalten geblieben sind. Nur dort konnte sich, gleichsam aus dem Boden heraus, in organischer Entwicklung eine wahrhaft »bodenständige« Keramik entwickeln.

So ist Höhr im Westerwald das uralte keltische »Horle«, dessen Name bereits auf Ton und Kannen hindeutet. Als die Römer über den Rhein drangen und ihren Grenzwall zogen, da schufen sie, ihrer eigenen Heimat entnommen, blühende Töpfereien und Ziegeleien – ohne zu ahnen, daß tief in den Waldbergen eine bescheidene Industrie herrschte, die den Keim zu späterer hoher Kultur in sich trug. Wir finden in den Gräbern der germanischen Edelinge und Herzöge große, mächtige Urnen, roh und kraftvoll, adelig in Stoff und Form. Steinklingend schon manche, in langsamer, Jahrhunderte währender Entwicklung höheren Formen und Dekoren entgegenreifend – ein Abbild der gesamten germanischen Kulturentwicklung.

Schon damals haben die feingebildeten Römer von dem Naturvolk gelernt: hie und da, dem limes entlang, brannten sie Töpfe, in deren Resten wir heute kopfschüttelnd echtes Steinzeug erkennen, mit zarter Salzglasur bedeckt! Aber die Hauptmasse der Töpferei blieb germanisch, sie paßte nicht zur Überkultur und zur Zierform der Fremden. Ganz allmählich bildete sie sich aus, und erst mit dem sinkenden Mittelalter gab es eine deutsche Steinzeugkunst, die ihren Siegeszug in die nordische Kulturwelt antreten konnte.

Aus dem lebhafteren Verkehr, wie er in den Städten sich entwickelte, entstammte das Bedürfnis nach schöneren Formen, das Suchen nach Dekoren und Zierat. So erwuchs zuerst an der Nordgrenze des Westerwaldes, in der alten Abteistadt Siegburg, aus der uralten Töpferei für Gebrauchsgeschirre schon im 14. und 15. Jahrhundert ein eigenartiges Steinzeugkunstgewerbe, das fast keine romanischen Einflüsse spüren läßt.

Zur selben Zeit begann rheinaufwärts im Unterwesterwald eine Steinzeugindustrie aufzublühen, die berufen war, die Siegburger abzulösen und weiterzuführen. Das eigentliche kunstlose Töpfergewerbe war daselbst ebenfalls uralt, seit Jahrhunderten eingesessen. Auch hier brannten die Euler steinerne Gefäße mit zarter Salzglasur, meist feurig braune Krüge und Töpfe. Dabei war das Gewerbe ländlich, nicht zentralisiert in einer Stadt. Eine ganze Reihe von Orten ist zu nennen, welche zum Teil – und das ist das Wichtigste! – auch heute noch hohe Bedeutung in der kunstkeramischen Industrie besitzen, und zwar in neuester Zeit mehr denn je: Höhr, Grenzhausen, auch Grenzau, Hillscheidt sind die bedeutendsten. Den ersten Anstoß, das Gewerbe auf künstlerische Höhe zu bringen, gaben kluge Meister aus Raeren links des Rheines, das um die Mitte und das Ende des 16. Jahrhunderts ein so prachtvolles Kunststeinzeug schuf, daß selbst die Siegburger Arbeiten zum Teil in den Schatten gestellt wurden. Raerener Meister, deren Nachkommen heute noch im Unterwesterwalde wirken, wie die Mennicken und Kalb, wanderten gegen Ende des Jahrhunderts nach Grenzhausen und Grenzau aus und brachten Ideen und neue Techniken. Vor allem lernten die Westerwälder von ihnen das graue Steinzeug, verziert mit blanken blauen Schmalten (Kobaltglasuren) zu brennen, das in Raeren neben dem leuchtenden Rotbraun fabriziert worden war. Und nun zog auch aus Siegburg der Meister Knütgen aus nach Höhr, wo ebenfalls heute noch seine Nachkommen leben und wirken. Weshalb kamen all die Fremden in die stille, unbekannte Provinz? Wir mögen uns vorstellen, daß ihnen die Welt, besonders die Welt der Zunft zu enge wurde. Die alten Schriften deuten an, daß Knütgen in Pön genommen ward, also von Zunft wegen Strafe dulden mußte. Vielleicht auch wurden sie gerufen von den Landesherrn, die Ausschau hielten nach guten Meistern, um ihren Provinzen eine blühende Kunstindustrie zu schenken.

Und tüchtige Meister waren es, die eingewandert waren. Nicht umsonst wurden sie mit Privilegien ausgestattet, und wie eine Katastrophe scheint ihr Wegzug aus der Heimat gewirkt zu haben: Keine 20 Jahre dauerte es, daß die Siegburger Industrie von der höchsten Blüte jäh zum kläglichsten Verfall heruntersank. Es ist ein tragischer Sturz gewesen, den die Töpfer der alten Abteistadt erlitten; und die Kriegsstürme, die dann zu Anfang und Mitte des 17. Jahrhunderts die Gaue des deutschen Landes durchtobten, rissen den stolzen Bau der Siegburger Töpferindustrie vollends zu Boden. Das Gewerbe wurde unheilbar, von Grund auf vernichtet, die letzten Töpfer flohen vor den Schweden in die schützenden Wälder des Unterwesterwaldes – und bis heute ist die Siegburger Steinzeugkunst nicht wieder erstanden!

Auch die Kölner und Raerener Kunsttöpfereien verschwanden, und in den stillen Waldtälern des Unterwesterwaldes blühte nun eine neue Kunst empor, die sich wiederum völlig eigenartig entwickelte und vor allem den ganzen Prunk der Hoch- und Spätrenaissance und des Barocks prachtvoll zum Ausdruck bringt.

Von den Raerener Meistern hatten die Westerwälder die lebhafte Dekoration des rauchig gebrannten grauen Steinzeugs mit leuchtenden blauen Glasuren übernommen und arbeiteten sie zu prächtigen Wirkungen aus. Auch die zarten intimen Reize des weißgrauen Siegburger Scherbens, den sie anfangs von Knütgen übernommen hatten, mußten bald diesem kräftig gerauchten Grau und dem Leuchtblau weichen. Bald schufen sie eine noch schönere Schmalte, indem sie die Gläser mit Braunstein tief violett färbten, eine Technik, die mit vielen Brennschwierigkeiten zu kämpfen hat. Wettstreit und Ehrgeiz waren groß. Die eingewanderten Meister hatten lange ein Privileg auf die neueren Techniken und Dekore, und die Westerwälder mußten in langen Streitigkeiten durch Bittschriften und Bittgänge sich das Recht erkämpfen, den Graubrand und die Schmalten ebenfalls anwenden zu dürfen.

So entstand also im Westerwald, im »Kannenbäckerland«, zu Ende des 16. und das ganze 17. Jahrhundert hindurch, sogar während der wilden dreißig Kriegsjahre das berühmte »altdeutsche« Steinzeug der Renaissance. Wir freuen uns heute noch der prächtigen Formen dieser Krüge und »Krausen«, wie die reich verzierten Stücke genannt wurden, wir bewundern ihren feinen architektonischen Aufbau, die kräftige harmonische Wirkung der reichen Ornamente. Sei es, daß Wappen aufgelegt, Zierformen eingestempelt oder Ornamente eingeritzt wurden, stets ist alles aus einem Guß, von stiller, wuchtiger Größe. Von besonderer Eleganz waren die Schnabelkannen zum Eingießen des Weines; die Flach- und Ringkrüge (aus der Feldflaschenform entstanden) wurden zu den reichsten und prächtigsten Ziergefäßen ausgearbeitet; von figürlichen Friesen finden wir auf Krügen und Kannen wieder, wie in Siegburg, vielfach epische und biblische Motive liebevoll ausgestaltet; Flaschen und Maßkrüge, Kannenkrüge mit herrlichen Stern- und Rosettenverzierungen, Bauchkrüge und Blumenvasen, Tafelaufsätze und Fruchtschalen, Schreibzeuge und Sandstreuer, aber auch hervorragend schöne Blumenkübel und Gartenständer, sowie Dachspitzen – kurz alle erdenklichen Gegenstände und alle erdenklichen Formen und Ornamente schufen die unermüdlichen und geschickten Euler. Auch als das Barock sich aus der Renaissance entwickelte, wurde der bewegliche Geist der Westerwälder Künstler von der Zeitströmung befruchtet; immer reicher und phantasievoller werden Formen, Ornamente und Henkelansätze, sogar ganz eigenartige, materialechte Steinfiguren entstanden damals, die in Form und Auffassung älteren Figuren aus Porzellanmanufakturen oft nicht unähnlich sind.

Wie schon die unendliche Mannigfaltigkeit der Erzeugnisse andeutet, haben wir es hier im 17. Jahrhundert mit einem äußerst blühenden Kunstgewerbe zu tun, das nicht nur in der Güte, sondern auch in der Masse seiner Fabrikate seinesgleichen sucht. Zur Zeit, als der Dreißigjährige Krieg seinem Ende zuging, dürfte seine höchste Blüte zu verzeichnen sein. Den modernen Menschen berührt diese Tatsache eigenartig: aber wir dürfen uns jene wilde Zeit nicht als einen zusammenhängenden Kriegszug vorstellen! Gerade die Berge und Täler des Kannenbäckerlandes, darinnen wir heute noch meilenweit durch die Wälder streifen können, blieben ziemlich verschont, wenn auch die Burg Grenzau einer streifenden Schwedenschar zum Opfer fiel. Die Kannenbäckerei hatte damals solche Bedeutung, daß sämtliche Meister all der verschiedenen Dörfer, von den Landesherren – Trier, Wied, Isenburg, Sayn, Metternich – unterstützt, eine mächtige gemeinsame Zunft gründeten, die von sieben Meistern geleitet wurde. Ein Kartell, ein »Trust« im kleinen. Die Zahl der selbständigen Meister soll darin auf 600 angestiegen sein – etwa das Sechsfache von all denen, die heute im Unterwesterwald tätig sind, selbst wenn Krugbäcker und Kannenbäcker kunstloser Betriebe dazu gezählt werden.

Natürlich trug die massenhafte Ausbreitung der erstmals von wenigen gediegenen Meistern geübten Kunst bald zum Verfalle bei, den wir in bedenklichen Ausartungen des Barockstils, in gequälten, auffallenden Plastiken wahrnehmen; die schöne Kunst der Flächengliederung und der farbigen Flächenornamente ging verloren. Aber wie ein gesunder innerer Kampf gegen diesen Verfall mutet es an, daß in einzelnen Werkstätten, und besonders in dem stillen einsamen kleinen Grenzau in dieser Zeit wunderschöne Ritz-Ornamente geschaffen wurden von einer so bewußten und so betonten Einfachheit und Eigenart, daß man von einer Sezession sprechen könnte. Oft gar nicht mehr an Renaissance oder gar Barock erinnernd entstanden einfache Krüge und Kannen, deren Hauptreiz der Künstler in farbige Flächenornamente zu legen suchte. Es ist begreiflich, daß Zierformen, die mit der Hand eingeritzt werden, schöner, frischer und eigenartiger wirken als die mehr oder minder konventionellen Beläge, die aus den vielbenutzten Hohlformen hervorgingen. Frisch und lebendig, die Farben von höchster Leuchtkraft, besonders oft ein herrliches Violett und auch Blau auf der grauen Salzglasur tragend, präsentieren sich noch heute diese Stücke, die künstlerisch an die feinste Prunkware der Renaissance heranreichen. –

Im Laufe des 18. Jahrhunderts aber starb die Kunst des Kannenbäckerlandes. Wohl mag die Majolika, die Fayence, dann auch das Porzellan, die nun immermehr hochkamen, unsere herrliche deutsche Steinzeugware verdrängt haben, aber auch die Kannenbäcker selbst legten durch ihr Zuviel die Axt an die Wurzel ihrer blühenden Industrie. Wie in Dornröschenschlaf versank das ganze reiche Kunstleben – Einmachtöpfe, Wasserkrüge wurden wieder das einzige Fabrikat. Traumhaft regte sich manchmal ein höheres Streben; einzelne Geschirre, Krüge, Kannen zeugten hin und wieder von verborgenem Leben.

Bis im deutschen Volke dann im vergangenen Jahrhundert das Sehnen und Drängen nach nationaler Einheit entstand und im ruhmreichen Kaiserfrieden der Traum Wahrheit geworden war. Da: reich, lebendig, farbenprächtig, in erstaunlich kurzer Frist erstand auch die alte deutsche Steinzeugkunst wieder im Westerwalde. Museen und Burgen öffneten ihre Pforten, die alten Formen und Ornamente erstanden zu neuem Leben. Viel wäre zu künden von den Strömungen und Kämpfen, die seitdem schaffen und wirken. Wie von jeher die Kunst des Westerwaldes in enger Berührung stand mit dem gesamten Kunstleben der Nation, so fühlen wir auch heute in unsern stillen Waldtälern deutlich den Pulsschlag aller technischen und künstlerischen Neu-Strömungen im Blute unseres deutschen Volkes.

So wohltätig das Erwachen des Alten, des »Antiken«, wie der Kannenbäcker sagt, gewesen ist – durch das technische Raffinement der Vervielfältigung und die daraus resultierende Massenproduktion mit bunten Farben, unscharfen Dekorationen, dicken Steingutglasuren und all dem – wurden die Nachahmungen bald den Prachtwerken der Väter möglichst unähnlich. Und mit vollem Rechte und wahrhaft erlösend setzte die Moderne ein, im engen Bunde mit moderner wissenschaftlicher Erforschung des Materials und der Feuertätigkeit der Glasurschmelzen. Trotz manches Extravaganten hat die Moderne mit dieser liebevollen und warmherzigen Vertiefung in Material und Technik gesiegt. Und erst jetzt entdecken wir neu die Schönheiten des Alten, seit wir nicht mehr als schwächliche Nachahmer, sondern als eigene schaffende Künstler uns mitfühlend ihm nähern. So ist die Moderne im Kannenbäckerland heute dem wahrhaft Antiken verwandt, wesensähnlich geworden, und Künstler wie Chemiker reichen den alten Meistern verständnisvoll die Hand.

Daß bedeutende Kulturwerte hier zu schaffen sind, erkannte auch der Staat: Seit 45 Jahren wirkt in Höhr still und geräuschlos die Keramische Fachschule, die dem Besucher wohl manches Fesselnde zeigen mag und in den letzten Zeiten sogar vom Ausland dankbar als Bildungsstätte gepriesen wird. Sie hat vielen Anteil an dem siegreichen Durchdringen moderner Strömungen, aber auch das Eigenstreben mancher Fabrikanten bewegt sich auf schöpferischen Bahnen. Heute arbeiten die bedeutendsten Künstler Hand in Hand mit der Industrie des Kannenbäckerlandes, die in der ganzen Kulturwelt wieder hohe Bedeutung gewonnen hat und – wenn wir die einfachen Gebrauchswaren mit heranziehen – in Höhr, Grenzhausen, Baumbach, Ransbach, Mogendorf, Hillscheidt zusammen etwa 3000 Personen lohnende und dankbare Beschäftigung gibt.

s. Bildunterschrift

P. Dahlen. Aus Idstein i. T.

s. Bildunterschrift

R. Biringer, Feldbergweg mit Altkönig.


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