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s. Bildunterschrift

P. Dahlen, Eberbach, Klostergarten.

Der Rheingau als Weinbaugebiet

Von Wilhelm Ruthe

Das Stromgebiet des Rheines und seiner Nebenflüsse ist die Heimat des deutschen Qualitätsweinbaus. An erster Stelle steht unbestritten der Rheingau, das Mutterland der edelsten Hochgewächse der Welt. Im Norden begrenzen den Rheingau die westlichen Ausläufer des Taunus. Dieser ist ein sogenanntes einseitiges Gebirge, dessen Abfall vom Kamm nach Süden etwa 7  Kilometer, nach Norden dagegen etwa 32 Kilometer beträgt. Durch die geschilderte Formation ist das Rheingauer Rebgelände nicht nur gegen die rauhen und kalten Nordwinde geschützt, sondern durch seine Neigung zum wärmespendenden Süden klimatisch vor vielen Landstrichen gleicher geographischer Breite bevorzugt. Die Luft des Rheingaus ist zudem infolge der Verdunstung aus dem Rhein, der hier seeartig erweitert und bis 800 Meter breit ist, reichlich getränkt mit Feuchtigkeit, die besonders im Herbst als Nebel und sogenannter »Traubendrücker« die Reife der Beeren ungemein fördert. Zu diesen hervorragend günstigen, klimatischen Faktoren gesellen sich außergewöhnlich gute Bodenverhältnisse, die in erster Linie entscheidend sind für die Entwicklung des Körpers und des Buketts der berühmten Rheingauer Hochgewächse. Die Grenzen des Rebgeländes fallen vielfach mit bestimmten geologischen Formationen zusammen. Die blumenreichsten Weine wachsen hier in der Hauptsache auf zwei Bodenarten, dem kalireichen und leicht verwitterbaren Serizitschiefer der älteren Gebirgsschichten (Nauenthalerberg, Gräfenberg, Steinberg, Johannisberg, Geifenheimer Rothenberg, Rüdesheimer Berg), und auf tertiärem Cyrenen-Mergel (z. B. zwischen Erbach, Hattenheim und Markobrunn, bei Eltville und Hallgarten). So vereinigt der Rheingau für seine Trauben die günstigsten Wachstumsbedingungen: vorzüglich tiefgründigen Boden, intensives Sonnenlicht, Wärme, Windschutz und ausreichende Feuchtigkeit.

Eine Betrachtung der Rheingauer Weinorte erfolgt am besten in der Reihenfolge, in der wir sie in der Richtung des Flußlaufes antreffen. Dabei müssen wir merkwürdigerweise mit einem Ort beginnen, der eigentlich gar nicht zum Rheingau gehört, dessen Weine seit alter Zeit aber den Rheingauer Gewächsen zugerechnet werden.

Hochheim am Main liegt unweit der Stelle, an der der Main in den Rhein mündet. Der Name Hochheim gelangte in England zu solchem Ansehen, daß nach ihm die Rheinweine überhaupt genannt wurden. » Good Hock keeps off the doctor«, lautet ein englisches Sprichwort. Die bekanntesten Lagen nennen sich: Domdechaney, Kirchenstück und Hölle.

Der eigentliche Rheingau gehörte früher politisch zum Erzbistum Mainz und die Spuren dieser Zusammengehörigkeit sind auch heute noch mancherorts zu erkennen. In späterer Zeit wurde Wiesbaden, der Hauptort des dem Rheingau benachbarten Gaues (Königshunderte), als nassauische Residenz auch für den zu Nassau gehörigen Rheingau Hauptstadt und ist es auch beim Übergang des Landes an Preußen als Sitz der Regierung des gleichnamigen Regierungsbezirkes geblieben. Aber nicht nur als Haupthandelsplatz für Rheingauer Wein hat Wiesbaden eine stetig wachsende Bedeutung erlangt, sondern der Weinbau ist auch selbst im Stadtbezirk zu Hause. Mitten zwischen Stadt und Wald, weithin sichtbar, grüßt der Neroberg als vereinzelter Vorposten des rheingauischen Weinbaus ins Land hinein. Biebrich hat nur einen sehr kleinen Weinbergsbesitz. Sein Name ist indessen durch den Nassauischen Cabinetskeller im Biebricher Schloß berühmt geworden. Im Jahre 1866 wurden die Schätze dieses Weinmuseums vor den anrückenden Preußen nach Straßburg in Sicherheit gebracht. Später kamen sie zurück und wurden von der Herzoglich Nassauischen Verwaltung allmählich verkauft.

Schierstein hat einige 20 Hektar Weinbergland im Ertrag stehen. Bekannte Lagen sind: Schiersteiner Hölle und Platte. Auch der Weinhandel und die Sektindustrie sind am Platze vertreten. An der Mündung der Walluf in den Rhein finden wir Niederwalluf, etwas oberhalb des Baches Oberwalluf. Beide Orte haben in der mittelalterlichen Geschichte des Rheingaus eine beachtliche Rolle gespielt. An der Waldaffa, wie der Walluf früher hieß, aufwärts zog sich ehemals das bereits früher erwähnte »Rheingauer Gebück« hin, bis auf die Höhe des Gebirges, von wo aus es sich nach Westen wieder dem Rhein zuwandte, um so den ganzen Gau nach der Landseite abzuschließen.

Die Stadt Eltville war zu kurmainzischer Zeit Hauptort des Rheingaus und vorübergehend auch Residenz. Heute hat die preußische Domänenverwaltung für den Rheingauer Bezirk hier ihren Sitz. Zahlreiche Baudenkmäler verweisen den Beschauer auf die Bedeutung des Platzes. Besonders bemerkenswert ist der Freiherrlich Langwerth von Simmernsche Besitz, sowie das Graf Eltzsche Haus. Auch die Sektindustrie ist durch eine ihrer bedeutendsten Firmen vertreten. Von den Weinbergslagen sind Sonnenberg, Taubenberg, Klümbchen, Sandgrube, Kalbspflicht und Dickned die bekanntesten. Taleinwärts in der Richtung Schlangenbad finden wir den bekannten Weinort Neudorf. Nicht weit davon, aber auf sonniger Höhe, Rauenthal. Ebenso wie der Hallgartner und Rüdesheimer Bergwein nimmt der Rauenthaler Wein unter den Rheingauern eine besondere Stellung ein. Seine eigentümliche herrliche Blume, vornehmer Ton sowie Süße und rosenölartiger Schmelz erregten stets die Bewunderung der Weinkenner. Die Lagen Baiken, Gehrn, Wieshell, Nonnenberg und Rothenberg haben Weltruf.

Am Rhein unterhalb Eltville folgt Erbach mit den edlen Marcobrunn (Grenzbrunnen) und Siegelsberg. Unmittelbar am Ausgang von Erbach nach Hattenheim liegt Schloß Reinhartshausen, dessen Besitzer, Prinz Friedrich Heinrich von Preußen, vorzügliche Weinbergslagen in der Erbacher und Hattenheimer Gemarkung sein eigen nennt. In nördlicher Richtung finden wir landeinwärts Kiedrich mit dem berühmten Gräfenberg. Außer ihm sind an guten Lagen zu bezeichnen: Wasserrose, Turmberg und Steeg.

Hattenheim mit über 100 Hektar in Ertrag stehender Weinberge besitzt eine große Anzahl bevorzugter Lagen, unter denen sich Nußbrunnen, Wieselbrunnen und Mannberg neben anderen einen hervorragenden Namen geschaffen haben. Die Bahn durchschneidet in dieser Gemarkung besonders kostbares Weinbergsgelände, dessen hoher Wert sich durch die Zahlreichen Grenzpfähle veranschaulicht. Das Streben nach Weinbergsbesitz gerade in dieser Gegend hat die zahlreichen Parzellierungen verursacht. Die preußische Staatsdomäne und Graf Schönborn sind neben dem zu Reinhartshausen gehörenden Besitz in erster Linie an dem wertvollen Gelände beteiligt. Im Hattenheimer Bezirk liegt auch der ehemals Wilhelmische Besitz Schloß Reichartshausen, mit dem reichgeschnitzten Riesenfaß, das den Inhalt von einigen 60 000 Flaschen in sich aufzunehmen vermag und seinerzeit von Ignaz Müller aus Eltville verfertigt worden ist. Das bekannte Heidelberger Faß ist kaum halb so groß. Im Kloster Eberbach hatten die Zisterzienser ein fast gleich großes Faß errichtet und es soll im Jahre 1500 zum ersten Mal mit köstlichem Steinberger Wein gefüllt worden sein. Aber nach einigen Dezennien wurde es von aufständigen Bauern zerstört. Von Hattenheim gelangen wir auf einer allmählich steigenden Landstraße zum Kloster Eberbach, das im Jahre 1131 von, Erzbischof Adalbert I. von Mainz gestiftet und schnell durch den vorzüglichen Weinbau seiner Mönche berühmt wurde. Heute ist es das Juwel unter den Gütern der Staatsdomäne im Rheingau. In seinen Hallen rinnen die edlen Tropfen aus dem Steinberg, dem Marcobrunn und Gräfenberg aus der Kelter, und im Gewölbe seines alten Kapitelsaales finden die Proben der ausgebauten Hochgewächse statt. Ganz in der Nähe des Klosters finden wir den berühmten Steinberg, mit dessen Anlagen die Mönche des Klosters im 13. Jahrhundert begannen. Wegen der ziemlich bedeutenden Traubendiebstähle ließ der Abt Adolf Werner den Steinberg in den Jahren 1761–1763 mit der noch jetzt vorhandenen Mauer umziehen.

Nördlich von Östrich liegt als echtes Weindorf mitten im Neuland Hallgarten, mit den bekannten Lagen Schönhell (im Besitz des Fürsten Löwenstein-Wertheim-Rosenberg), Sandgrube und Kies.

In der Gemarkung der drei engzusammenhängenden Ortschaften Östrich, Mittelheim und Winkel werden hervorragende Weine produziert. Das Wahrzeichen von Östrich ist der am Wasser gelegene alte, dunkle Kran, mit dem gar manches Fäßlein auf die stromauf- und abwärts gehenden Schiffe verladen worden sein mag. Östrich ist mit über 150 Hektar ertragsfähigen Weinbergen eine der größten Rheingauer Gemarkungen. Besonders hervorzuhebende Lagen sind Eiserweg, Lenchen und Doosberg. Mittelheim mit seiner alten Kirche, dem Muster einer romanischen Basilika, hat gleichfalls über 100 Hektar im Ertrag stehender Weinberge.

Auch in Winkel finden wir Baudenkmäler früherer Kunstrichtungen. Unter anderen aus frühromanischer Zeit das sogenannte »Graue Haus«, in dem nach der Überlieferung der Erzbischof Rhabanus Maurus gestorben sein soll, dem vor der Kirche zu Winkel ein Denkmal errichtet ist. Bemerkenswert ist ferner der Brentanosche Familienbesitz. Von den etwa 125 Hektar Weinbergen Winkels sind die besten Lagen Hasensprung, Dachsberg, Bienenberg und Honigberg.

Von Winkel aus führt uns die bergansteigende Landstraße nach Schloß Vollrads, dem alten Familiensitz der Freiherren von Greiffenclau. Der Weinbergsbesitz mit rund 120 Morgen liegt in unmittelbarer Nähe des Schlosses, zum größten Teil in der Gemarkung Winkel, einige Morgen in der Gemarkung Hattenheim. Die Weine werden ebenso wie die des Schlosses Johannisberg nicht unter dem Lagenamen, sondern unter dem Schloßnamen abgegeben. Die Gutsverwaltung verwendet vorwiegend Rieslingsatz und legt das Hauptgewicht auf die Erzielung von Qualitätswein. Die Auslesen und Trockenbeerauslesen der großen Jahre zählen zu den hervorragendsten Weinen der deutschen Produktion. Der Greiffenclauschen Familie entstammen eine Reihe hervorragender Kirchenfürsten. Richard v. Greiffenclau, 1511 zum Kurfürsten und Erzbischof von Trier gewählt. – Georg Friedrich v. Greiffenclau, Kurfürst und Erzbischof von Mainz 1626–1629. – Johann Philipp v. Greiffenclau, 1699 zum Fürstbischof von Würzburg und Herzog von Franken gewählt. – Karl Philipp v. Greiffenclau, Fürstbischof von Würzburg und Herzog von Franken 1749–1754.

Eine der am meisten ins Auge fallenden Weinbergslagen des Rheingaus ist der Johannisberg mit dem weithin sichtbaren Schlosse gleichen Namens. Ursprünglich befand sich auf dem früher sogenannten Bischofsberg ein Benediktiner-Kloster, das dem heiligen Johannes geweiht war. Daher der Name. Mit der Aufhebung des Klosters im Jahre 1802 kam die Besitzung an das Haus Nassau-Oranien. Später schenkte es Napoleon I. seinem Marschall Kellermann, der in dem köstlichen Weinjahr 1811 den gesamten Ertrag noch am Stock für 32 000 Gulden an das Haus Mumm in Köln verkaufte, das mit diesem Geschäft den Grundstein zu seinem bedeutenden Vermögen gelegt haben soll. Denn ein einziges der 50 geernteten Stücke brachte ihm bereits den Erlös von 11 000 Gulden. Nach den Freiheitskriegen bewarben sich Stein und Gneisenau um den Besitz. Aber im Jahre 1815 wurde es dem Kaiser von Österreich zuerkannt, der seinen Kanzler von Metternich für sich und seine Nachkommen unter Vorbehalt des Weinzehntes im August 1816 damit belieh. 1826 erhielt das Schloß durch einen Umbau seine heutige Gestalt.

Geisenheim mit etwa 170 Hektar Weinbergsfläche steht der Größe nach unter den Rheingauer Gemarkungen an zweiter Stelle. Aber auch seine Weine stehen mit an der Spitze der Rheingauer Produktion. Die Lagen Morschberg, Mäuerchen, Rothenberg, Fuchsberg, Decker, Lickerstein, Kläuserweg und Kosackenberg haben guten Klang. Im Orte selbst befindet sich die staatliche Lehranstalt für Obst- und Weinbau. Auch die Sektindustrie ist mehrfach vertreten. Von geschichtlich interessanten Baulichkeiten ist der Gräflich Ingelheimsche Besitz hervorzuheben. Das Schloß in Geisenheim wurde im Jahre 1683 durch den Kurfürsten Anselm Franz von Ingelheim als Sommerresidenz erbaut und später dessen Neffen, dem Reichsgrafen Franz Adolf Dietrich von Ingelheim, wirklichem Kammerrichter und Präsident des Reichskammergerichtes in Wetzlar, vermacht. In der Geisenheimer Gemarkung ist die Gräfliche Familie im Rothenberg und Morschberg begütert und hat den Kosackenberg als Alleinbesitz. In der Gemarkung Rüdesheim gehören ihr die Lagen Rottland und Burggarten. Ein Teil ihres Rheingauer Weinbergbesitzes liegt in Hochheim in den Lagen Domdechaney, Stein und Kirchstück. – Hier ist auch der Gräflich Schönbornsche Besitz zu erwähnen. Die Familie ist an zahlreichen Stellen des Rheingaus von Lorch bis Hochheim begütert und auch an der Lage Marcobrunn beteiligt.

Nach dem Ertrag an der Spitze aller Rheingauer Gemarkungen steht Rüdesheim mit über 190 Hektar. Auf dem mächtigen, weithin sichtbaren Bergrücken, der vom Niederwald steil bis zum Flußufer abfällt, gedeiht in den Lagen Rottland, Hinterhaus, Engerweg und Berg der in seiner Art einzig dastehende Rüdesheimer Bergwein. Neben dem Weinhandel sind auch die Sekt- und Weinbrandindustrie seit einer Reihe von Jahren in Rüdesheim ansässig.

Nach Aßmannshausen mit seinen vorzüglichen Rotweinen bildet Lorch mit angenehmen und milden Tischweinen den Abschluß des Rheingaus nach Norden. Von Lorcher Weinen bekannt sind insbesondere die des Gräflichen Walderdorffschen Gutes. –

In großen Weinjahren haben die Rheingauer Trockenbeerauslesen Mostgewichte von 200–300 Grad (Öchsle) erreicht. Die von keinem anderen deutschen Weinbaugebiet erzielte Harmonie der Bukett- und Ertragsstoffe, ihre Honigsüße und ihr unerreichtes Aroma haben sie zu den begehrtesten und auch teuersten Weinen der Welt gemacht.

s. Bildunterschrift

P. Dahlen, Dorfstraße in Lorch.


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