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Höchster Porzellan

Von Kurt Röder

Am 1. März 1746 verlieh der Kurfürst von Mainz den beiden Frankfurter Kaufleuten Johann Christoph Göltz und Johann Felician Clarus sowie ihrem Teilhaber Adam Friedrich von Löwenfinck ein Privileg zur Einrichtung einer Porzellanmanufaktur. Der Speicherhof in Höchst am Main wurde zu ihrer Unterbringung bestimmt. Da damals erst zwei Porzellanmanufakturen in deutschen Landen arbeiteten, die Kursächsische in Meißen und die Kaiserliche in Wien, und die große Beliebtheit, deren sich das Porzellan erfreute, bedeutenden Gewinn versprach, kann es nicht Wunder nehmen, wenn das seltene Wissen von der Porzellanbearbeitung so hoch gewertet wurde, daß Löwenfinck als technischer Direktor gleichen Anteil an dem Ertrag des Unternehmens haben sollte wie die beiden Geldgeber. Es erwies sich jedoch bald, daß Löwenfincks Kunst zwar zur Herstellung von Fayence, keineswegs aber zur eigentlichen Porzellanbereitung ausreichte, was erklärlich erscheint, da er in der Meißener Manufaktur nur als Buntmaler und im übrigen nur in Fayencefabriken gearbeitet hatte. Seine getäuschten Teilhaber hatten Mühe, vom Kurfürsten die Aufhebung des Gesellschaftsvertrages zu erreichen. Im Februar 1749 schied der unfähige Direktor aus dem Unternehmen aus. Dem nunmehr mit der Leitung der Manufaktur betrauten Johannes Benckgraff gelang es tatsächlich, Porzellan herzustellen; wie es scheint, hatte er seine Kenntnisse in Wien erworben. Jedenfalls stand er mit der Kaiserlichen Manufaktur in Beziehung, denn Johann Joseph Ringler, von dem sich Benckgraff den richtigen Brennofen für Porzellan bauen ließ, kam aus Wien. Es ist wahrscheinlich, daß die Höchster Manufaktur etwa 1750 in der Lage war, Porzellan herzustellen, denn schon kurz danach erreichten den erfolgreichen Direktor die verlockendsten Angebote der Besitzer anderer Manufakturen. Im Mai 1753 siedelte er denn auch nach Fürstenberg über. Dort ereilte ihn zwar schon nach Monatsfrist der Tod, doch hatten seine Angaben genügt, um der braunschweigischen Manufaktur zu dem ersehnten Erfolg zu verhelfen.

Die Höchster Manufaktur wurde nunmehr von einem ihrer Besitzer geleitet. Da die Porzellanproduktion jedoch über die Absatzmöglichkeiten hinaus gesteigert wurde, kam es 1756 zum finanziellen Zusammenbruch, von dem das schließlich an eine Aktiengesellschaft übergegangene Unternehmen sich nie mehr recht erholen sollte. 1778 sah sich der Kurfürst genötigt, es in eigene Verwaltung zu nehmen. Auch danach gesundeten die Verhältnisse nicht. Obwohl der Kurfürst Zuschüsse zur Deckung des Defizits der Kriegskasse entnahm, der damit die Unterhaltungsgelder für die Festungswerke von Mainz entzogen wurden, und seine Unterstützung sogar noch fortsetzte, als Custine 1792 die vernachlässigte Stadt erobert hatte, mußte das unfruchtbare Unternehmen, das dem Kurfürsten 57 000 Gulden gekostet hatte, 1798 versteigert werden. Es wurde dem Amtsschreiber Hinz aus Höchst um 6800 Gulden zugeschlagen.

Die Erzeugnisse der Höchster Manufaktur, der dritten, die auf deutschem Gebiet gegründet wurde, nehmen in der Geschichte der deutschen Keramik eine bemerkenswerte Stellung ein.

Für die Fayencen, die sie während der drei ersten Jahre ihres Bestehens ausschließlich und auch hernach noch bis 1758 herstellte, ist die Verwendung naturalistischer Motive bei der Gefäßbildnerei charakteristisch, die andernorts zwar nicht unbekannt war, aber kaum mit gleicher Vollendung geübt wurde. So gibt es Terrinen in Form von Kohlköpfen, Kürbissen, Spargelbünden und anderen Gemüsepflanzen ebensowohl wie in Gestalt von Geflügel und Wildbret jeder Art. Auch wurden Kannen wie knorrige Eichenstrünke mit Schmuck von Eicheln und Blättern gebildet. Bei den anderen Geschirren herrscht ein plumpes Rokoko vor, dessen zarte und flüchtige Ornamentik in diesem Material nicht glücklich zu gestalten war. Die figürliche Plastik wurde zwar auch geübt, trat aber hinter der Gefäßbildnerei zurück. Allen Fayencen von Höchst ist der sorgfältige, geschmackvolle Dekor gemeinsam; von Löwenfinck und seiner Frau, einer geborenen Schick aus Fulda, sind uns gute Arbeiten an Malereien erhalten. Löwenfinck scheint auch den Dekor der Geschirre mit Blumen im ostasiatischen Geschmack in Höchst eingeführt zu haben, den er in Meißen kennengelernt hatte; wie er überhaupt einen Stamm guter Maler seinem kenntnisreicheren Nachfolger als Erbe hinterließ.

s. Bildunterschrift

R. Biringer, Höchst, Schloß.

Mit dem Beginn der Porzellanfabrikation änderte sich die Art der Höchster Produktion nicht nur insofern, als die Manufaktur seitdem das Porzellan bevorzugte. Auch der Charakter der Erzeugnisse wird ein anderer: die figürliche Plastik nimmt nunmehr den Vorrang gegenüber der Gefäßbildnerei ein. Die Schwierigkeiten, die zunächst die Verarbeitung des neu gefundenen Materials bereitete, zeigen sich vor allem darin, daß die Figuren aus Porzellan mit ihrer Plumpheit sehr an Erzeugnisse aus Fayence erinnern. Sehr bald jedoch änderte sich das. Hatte Höchst, da ihm ein für Porzellan geeigneter Vorrat an Formen fehlte, in den ersten Jahren Figuren aus Meißen einfach abgeformt, so gewann es bald eigene Modelleure und damit die Möglichkeit individueller Entwicklung. Es kann nicht erstaunen, daß die wechselvollen äußeren Schicksale der Manufaktur sich auch in der Gestaltung der Erzeugnisse spiegeln.

Das Porzellan aus der Epoche Benckgraff läßt sich nach den Malersignaturen bestimmen. Es wurden damals allegorische Figuren als Verkörperungen der Tugenden und der Jahreszeiten gefertigt, mythologische Gestalten und Heiligenfiguren. Daneben begegnet man aber auch schon Motiven aus der Zeit. Es finden sich italienische Komödianten, Bauersleute, Schäfer und Gärtner. Sogar exotische Vorwürfe, wie sie Herold seinerzeit als Dekor von Meißener Porzellan einführte, gestaltete Höchst mit Geschick, wofür die Gruppe des Türkischen Kaisers ein Beispiel bildet. Während bei den zuerst genannten Gruppen ein schlichter massiver Sockel von unregelmäßiger Form verwendet wurde, dessen einziger Schmuck in aufgelegten bunten Blättern und Blüten besteht, führt die Gruppe des Türkischen Kaisers das modische Rocailleornament, das schon bei der Gefäßbildnerei benutzt wurde, nun auch zur Ausschmückung der Gruppen und Figuren, vor allem ihrer Sockel ein, was bereits hohe Vervollkommnung der Porzellantechnik voraussetzte.

Unter seinem Nachfolger Göltz fand das Porzellan dann ausschließlich die Ausgestaltung, die die Mode forderte. Zunächst lassen schon die leichtgewölbten, von einem Rahmen reliefierter Rocaillen eingefaßten Sockel über den Einfluß des Rokoko keinen Zweifel. Dargestellt sind zumeist Damen und Kavaliere in der reichen Zeittracht, galante Schäfer, Jäger, kurz alles, was sich irgendwie auf das Leben der höfischen Gesellschaft bezieht. Als Vorbilder dienten Stiche nach den Gemälden französischer Künstler, wie überhaupt in Höchst der Einfluß des in der Mode tonangebenden Frankreich immer eher und nachhaltiger wirksam war als in anderen deutschen Manufakturen.

Diese fruchtbare Epoche der Herrschaft des Rokoko fand durch Göltzens Bankerott 1756 ein vorzeitiges Ende. Es besteht Grund zu mutmaßen, daß der Künstler, der in Höchst die Rokokoperiode inaugurierte und der vermutlich Johann Friedrich Lück geheißen hat, sehr bald nach dem finanziellen Zusammenbruch die Höchster Manufaktur verließ und in Frankenthal Beschäftigung fand. Als dann 1759 Johann Heinrich Maas die Leitung des Unternehmens erhielt, verbot sich ihm eine weitere Ausformung und Verwertung der alten Modelle, da diese in genügenden Mengen zu billigen Preisen von der Konkursverwaltung feilgeboten wurden. Die Mode selbst zeigte ihm den Weg, auf dem er sich den Absatz für seine Porzellane sichern konnte.

Auf die Darstellung höfischen Lebens verzichtete er. Das Leben der großen Gesellschaft hörte langsam auf, mit seinem Glanz zu blenden. Schon Chardin und Greuze wählten für ihre Gemälde Vorwürfe aus dem bürgerlichen Leben, und die geistige Strömung der Zeit entwickelte immer mehr eine Vorliebe für das natürliche und unschuldige Leben der Kinder und Landleute. Auch der neue Höchster Modellmeister Laurentius Russinger scheint für Maas in dem neuen Geiste gearbeitet zu haben. Wieder sind es die Sockel, die zunächst von der neuen Gesinnung künden. An die Stelle der zierlichen Rocaillesockel sind solche aus Felsstücken und Rasen getreten. Auf diesen stehen nun die Kinderfiguren, die Bauern und braven Leute, die gemeinsam mit dem Felssockel für Höchst so charakteristisch geworden sind, daß man an sie vorwiegend denkt, wenn der Name der kurmainzischen Manufaktur genannt wird. Im Anfang erinnert die Sorgfalt, mit der die Gewandung dieser schlichten Naturkinder behandelt wird, die zierliche Fältelung der Röcke sowohl wie auch der geschmackvolle Dekor, an die Schulung der Manufaktur durch das Rokoko, bald aber wird eine natürlichere Behandlung der Vorwürfe Brauch. Der Felssockel wird wie natürlicher Felsboden mit Rasenbelag durchaus in Braun, Grau und Grün gemalt, wobei aber der Deutlichkeit halber die Grashalme noch in schwarzer Zeichnung aufgetragen werden. Das Inkarnat, das früher am liebsten durch das Weiß des Porzellans selber wiedergegeben wurde und höchstens eine leichte Aufhöhung mit Rot erfuhr, erhebt sich allmählich durch Auftragung einer Farbschicht von stumpfem Rosa zur sinnfälligen Vorführung blühender Gesundheit.

Allein das köstliche Material, dessen Bereitung unter großen Opfern erreicht war, eignete sich wenig zur Reproduktion so schlichter Vorwürfe. In dem Maße, in dem das Gefühl für die Erlesenheit des Porzellans schwand und seine Herstellung fabrikmäßig betrieben wurde, mußte es die Schätzung der Gesellschaft verlieren. Aus den prunkvollen Räumen der Fürsten, die meist große Summen für den Erwerb von Porzellan aufgewendet hatten, wandert es in die Bürgerhäuser, die keineswegs gesonnen und in der Lage waren, für den freundlichen Zimmerschmuck Opfer zu bringen.

Der Künstler, der die Verbürgerlichung des Porzellans mit heiligem Eifer durchgeführt hat, war der 1767 zum Modellmeister der Manufaktur ernannte kurmainzische Bildhauer Johann Peter Melchior. Seine berühmten Kinderfiguren weisen in nichts mehr die zarte Delikatesse der vergangenen Jahre auf. Auch bei den mythologischen Vorwürfen, an die er sich wagte, blieb er seinen Idealen treu. In schlichter Natürlichkeit formt er die üppigen Formen seiner Venus, die strotzenden Muskeln seines Flußgottes. Sogar einen Kalvarienberg modellierte er, der zwar in den Einzelheiten trefflich durchgebildet ist, aber für die Reproduktion in jedem anderen Material geeigneter erscheint als in Porzellan. Die besten Leistungen Melchiors sind seine Porträts, die er mit Vorliebe anfertigte. Wir verdanken ihm Bildnisse der Eltern Goethes sowie ein Reliefbild des Dichters selbst, den Melchior als den Verfasser des Werther hoch verehrte.

Es ist bezeichnend für ihn, daß er das unglasierte und unbemalte Porzellan, das sog. Biskuit, besonders liebte. Dieses Halbfabrikat wurde als willkommener Ersatz für den von der Mode geschätzten Marmor angesehen. In ihm wurden die unpersönlichen antikisierenden Gruppen ausgeführt, die der Zeitgeschmack forderte.

Die schwache Schätzung, die Melchiors Kunst dem Porzellan noch zu verschaffen vermochte, schwand bald. Im Jahre 1790 vergab der Kurfürst, der Besitzer der Manufaktur, den Auftrag für ein Prunkservice, das er zur Kaiserkrönung in Frankfurt benötigte, nach – Sèvres.


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