Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Frankfurt, ein Lebensgebiet

Von Alfons Paquet

Die von der Schweiz nach den Niederlanden gerichtete Linie des Rheins teilt sich da, wo der Main in sie mündet und stark genug daherfließt, um den Rhein auf eine kurze Strecke in seinen Weg zu zwingen, gabelförmig. Die eine dieser beiden nach Norden weisenden Senken setzt sich im Strom selber fort, die andre weist nach Hamburg. Sie ist eine der großen Schnellzugsstrecken. In der ganzen Welt gibt es keine Linie, die bei ihrer verhältnismäßigen Kürze von einer so dichten Reihe von Hochschulen besetzt wäre; ein untrüglicheres Zeichen gesteigerten Lebens ist kaum zu denken; an ihr liegen, mit Basel beginnend, die Universitäten und Hohen Schulen von Freiburg, Karlsruhe, Heidelberg, Mannheim und Darmstadt, dann Frankfurt, Gießen, Marburg, Göttingen, Braunschweig, Hannover und Hamburg. An der Stelle aber, wo Rhein und Main einander begegnen, liegt der seit altgeschichtlicher Zeit bedeutende Landstrich der fränkischen Erde mit Frankfurt selber in der Mitte. Diese einst Freie Reichsstadt bewahrte ihre alte stadtstaatliche Selbständigkeit bis zur Annexion durch Preußen; ihre ehrwürdigen Hoheitsrechte waren wie die von Köln ein letzter Überrest mittelalterlich selbständigen Städtewesens im Rheintal, das einmal im rheinischen Städtebund seinen Weg zu einer kräftigen demokratischen Staatsform gesucht hatte. Die Politik des freien Frankfurt, dem es an kriegerischen Neigungen durchaus gebrach, ist immer ein wenig die des hausväterlichen, klugen, welterfahrenen Kaufmanns gewesen.

Niemals seit den Söhnen Karls des Großen war Frankfurt der Sitz oder das Eigentum einer der zahlreichen deutschen Dynastien, dennoch sah diese Stadt mehr politisches Getriebe in ihren Mauern als irgendeine des innern Europas. Sie hat den Dreißigjährigen und den Siebenjährigen Krieg überdauert, ohne zerstört zu werden. Frankfurt war, was es als Verkehrsstadt und als Hauptstadt eines großen Wirtschaftsgebietes noch heute ist, schon vor einem Jahrtausend. Der Dom und der Römer zu Frankfurt waren der Schauplatz glanzvoller Kaiserkrönungen, wichtiger Reichstage, großer politischer Zusammenkünfte. Das Mainufer mit seinen Speichern, Kranen und Gewölben war Jahrhunderte hindurch der berühmte Ort der Frankfurter Messe, die zweimal jährlich die Handelsleute aus allen Enden Europas versammelte. Aus Franken und Sachsen, aus den Niederlanden wie aus der Schweiz sowie aus dem Elsaß und Lothringen brachten Planwagen und Lastschiffe die Gütermengen nach Frankfurt und führten sie nach Ende der Messe in neuer Verteilung nach allen Richtungen der Windrose, nach England, Italien, Böhmen und Polen davon. Mitten in dem bunten Treiben dieser Gütermesse lagen die Gewölbe und Stände der Buchhändler und Drucker. Schon wenige Jahrzehnte nach Erfindung der Buchdruckerkunst stand Frankfurt an der Spitze des europäischen Buchhandels. Peter Schöffer, Christian Egenolff, Siegmund Feyerabend, Andreas Wechel, Matthias Merian, das sind nur wenige aus den Namen jener großartigen Zeit. Das erste Volksbuch mit der Sage vom Doktor Faust erschien in Frankfurt um 1587, und noch im 17. Jahrhundert war die Büchererzeugung der Mainstadt mit ihren zahllosen Auflagen gelehrter Folianten und volkstümlichen Streit- und Flugschriften unermeßlich. Von seiner vielseitigen und überragenden Bedeutung für das Buchgewerbe ist Frankfurt in den spätern Jahrhunderten herabgestiegen; heute zeigen seine stark beschäftigten graphischen Gewerbe, denen eine Anzahl bedeutender Buchverlage zugehört, einen Wiederaufstieg. Einige der großen, neuzeitlichen, über die Welt bekannten Schriftgießereien des heutigen Frankfurt gehen übrigens in ihrer Wurzel noch bis in das mittelalterliche Frankfurt zurück, das den Druckern bis nach Holland und Italien seine schöngeschnittenen Bleibuchstaben lieferte.

Man wird sich daran gewöhnen müssen, das ganze Stromgebiet des Rheins von Rotterdam bis an den Bodensee als eine natürliche Einheit zu erkennen. So wie die einzelnen Landschaften dieses Gebiets durch den Strom, der sie verbindet, zur Großlandschaft zusammenwachsen, so wachsen aber auch ihre wirtschaftlichen Einzelgebiete langsam zur größern Einheit zusammen. Am dichtesten besiedelt und vom größten Schwergewicht ist der Bereich der auf Kohle und Eisen gegründeten Industrien, der sich von Westfalen über den Rhein bis an die Mündung der Schelde erstreckt. Die jüngste dieser Einheiten wächst am Oberrhein empor, sie reicht von Basel bis zum östlichen Zipfel des Bodensees; ihre kommende Bedeutung stützt sich auf die Wasserkraftwerke dieses Oberrheins mit seinen neuen elektrochemischen Industrien. In der Mitte aber liegt das mittelrheinische Wirtschaftsgebiet mit seinen Ausläufern an Main und Neckar. Es umfaßt die Ufer des Rheins von Biebrich-Wiesbaden bis Ludwighafen, es umfaßt die Mainebene von Mainz bis Hanau und den Neckar aus dem Winkel von Mannheim heraus bis Heidelberg. Diese von Flußschiffahrt und Eisenbahnen belebte Fläche ist das Gebiet eines gewaltigen Umschlaghandels und hochentwickelter fertigverarbeitender Industrien, deren wissenschaftliche Grundlagen vor allem Chemie und Mechanik sind. Und in der Mitte jener noch jungen Industriegründungen am untern Mainlauf, die sich von Gustavsburg über Rüsselsheim und Höchst bis Offenbach mit seinen hundertfünfzig Lederwarenfabriken und bis zur Goldschmiedestadt Hanau fortsetzen, liegt Frankfurt, die Fabrikstadt. Die Industrieviertel dehnen sich an den Flanken der alten Stadt mainaufwärts bis zur Mainkur, mainabwärts bis nach Griesheim und Höchst; sie umfassen jene chemischen Werke, deren Farben in den Kleidern der ganzen Welt bis in die Tiefen Chinas und Südamerikas hineinleuchten. Frankfurt hat seine eignen Industrien spät gegründet; es hat den Weg zur Industrie zuerst über die bankmäßige Industriebeteiligung seiner Geldinstitute beschritten. Es hielt vor allem seine alte Bedeutung als Handelsstadt aufrecht und fand erst durch die sich immer weiter ausbreitenden, zu einem wahren Weltnetz ausgesponnenen Beziehungen seines Metallhandels den Weg zu den Werkstätten selber. Dasselbe Frankfurt, das vor hundert Jahren noch die Stadt der weltgebietenden Börse und der wichtigsten Bankhäuser des europäischen Festlandes war, kehrte nun zu seinem Boden zurück und wurde zum Standort wichtiger Industrien. So ist es Handels- und Arbeitsstadt zugleich geworden; seine berühmten Oberbürgermeister, Miquel und Adickes, haben früh die Bedeutung des Mainweges zwischen Rhein und Donau erkannt und allen Einfluß der Stadt aufgewandt, um den Ausbau des Mains zur modernen Schiffahrtsstraße zu fördern; sie haben durch die Anlage des Westhafens und des noch vor dem Kriege vollendeten Osthafens die beträchtliche Entwicklung vorweggenommen, die unser Zeitalter der binneneuropäischen Kanalpolitik einleitet. Die Namen der Rothschild, Bethmann, Passavant, de Neufville gehören heute zum Teil schon dem alten historischen Frankfurt an, mögen auch einzelne von ihnen noch in gesunden Zweigen fortleben. Neben der ansehnlichen Zahl seiner alten und jüngern Privatbanken sind jetzt auch alle die Großbanken Deutschlands mit dem unpersönlichen steinernen Stil ihrer Paläste an den Straßenzügen des modernen Frankfurt vertreten; die großen Konzerne des Metallhandels ordnen sich um die von Wilhelm Merton gegründete Metallgesellschaft, um die Veer-Sondheimer-Gruppe, um Adler jun. Die Fahrradwerke, Telephonfabriken, Apparatebauanstalten bauen ihre Arbeitsorganismen auf Metall und Mechanik; ihr Zeichen ist die Drehbank. Wie am westlichen Ende der Stadt, so entstanden auf dem neu geebneten Gelände des Osthafens Mühlen, Fabriken, Kontorhäuser und Lager. Dieses von breiten, proletarischen Stadtgürteln eingeschlossene, von den Dämpfen seiner Fabrikschornsteine umzogene Frankfurt mit seinen fast zum Gürtel gewordenen Bahnanlagen und seinen zahlreichen Bahnhöfen, die den siebenundzwanziggeleisigen Hauptbahnhof entlasten, vollzieht an sich selbst immerfort den Umschwung in einen Hamburg verwandten Charakter. Unzerstörbar in seinem sachlichen Ausdruck, tritt diese Stadt in die Reihe jener neuen Städte mit alten Namen, die am Bande des Rheins ihren modernen Zusammenhang immer deutlicher spüren: zu Rotterdam, Köln und Basel.

Das Rheintal war einst der Weg der Mittelmeerkultur in den Norden, es war die Wiege der germanisch-romanischen Zivilisation, der Grundlage des europäischen Lebens. An dieser großen, nordsüdlich gerichteten Kulturstraße tat Frankfurt als Ort der Messe und des Bücherhandels seinen unvergeßlichen Dienst; als Bank- und Wechselplatz fand es seinen Vorteil in der Mitte zwischen den wichtigsten Plätzen Europas und im Wechsel der Epochen. Europäische Veränderungen haben begonnen, die Bedeutung des Rheintals zu ändern. Das Rheintal wird heute als eine der wichtigsten Verbindungen des Weltmeeres mit dem Binnenlande verstanden, und auch in dieser noch nicht abgeschlossenen Umstellung, die allen Strömen, Hafenorten und Binnenplätzen Europas einen neuen Stil gibt, findet Frankfurt ohne weiteres seinen Platz. Im Absterben der alten Messe, im Verfall des alten Römischen Reiches Deutscher Nation, im Aufstieg des kapitalistischen Zeitalters, in den Rückwirkungen des Weltkrieges hatte diese alte Stadt ihre Nöte wie alle, aber ihr Lebenswille blieb ungebrochen, sie erwies sich als wandelbar genug, um weltbürgerlich zu sein wie die großen Dichter und Maler, die die innern Kräfte des Bodens dieser Stadt verkörperten. Frankfurt verdankte der Geschicklichkeit, dem Einfluß und der Fürsprache seiner bedeutenden Kaufleute und Bankherren die politische Freiheit bis in unsre Zeit hinein und seinen oft etwas gravitätisch zur Schau getragenen Wohlstand. Etwas von jener Großzügigkeit drückt sich in dem alten Sprichwort aus, daß Frankfurt gewohnt sei, vierspännig zu fahren.

Die Einsicht in die unzerstörbaren Möglichkeiten des Ortes und die Forderungen des Handeltreibens brachten unmittelbar nach dem Kriege die Frankfurter Messe in neuen Formen zum Entstehen. Dieses Wiedererstehen der Messe rechtfertigt das Erinnern an die alte, die einst aus dem juristischen Vorzug des kaiserlichen Privilegs neben dem geographischen ihre Gewinne zog. Die werkbundmäßigen, künstlerisch strengen Gebäude der Messe, ihre Plätze und Hallen, auf Turmhäuser und Säulengänge eingerichtet, beginnen dem Gesicht der Stadt einen neuen Zug einzufügen. Das Geheimnis in diesem Gesicht des heutigen Frankfurt ist der Wettstreit der schwarzen und der weißen Kohle. Frankfurt liegt auch hier auf der Linie der Übergänge. Bis zum Main herab wirkt die wirtschaftliche Nähe des niederrheinischen Kohlengebiets, aber auch die im Süden Deutschlands erschlossenen Wasserkräfte senden ihre Ausstrahlungen bis hierher, man erinnert sich des klassischen Versuchs der Frankfurter Elektrizitätsausstellung von 1890, die Energie der Stromschnellen bei Lauffen bis nach Frankfurt zu führen. Die neue Frankfurter Messe ist gewiß von der alten so verschieden wie die Neuzeit selber vom Mittelalter; aber ihre Bedeutung ist dieselbe. In der systematischen Anlage ihrer Einzelgebiete, in der technischen und architektonischen Einkleidung des Ganzen, im Ausstreuen ihrer Vertretungen über die Welt, in der Schaffung fester Arbeitsgemeinschaften mit Hamburg und mit den Handelsorganisationen des Auslandes hat sie manches Vorbildliche geschaffen, sie ist zu einem der Pioniere des kämpfenden deutschen Wirtschaftslebens geworden; welches wird ihre Rolle in der jetzt anbrechenden Epoche der Ausbeutung Deutschlands durch das amerikanische Weltkapital sein?

Neues nationales Leben kündet sich im Westen des Reiches an, begleitet von neuen internationalen Beziehungen. Die stürmische Industrieentwicklung der neunziger Jahre schien auch Frankfurt mit der Gefahr zu bedrohen, eine Allerweltsgroßstadt zu werden. Wuchtigen Neubauten, brutalen Durchbrüchen fiel manches kostbare und unersetzliche Baudenkmal einer reichen Vergangenheit ohne innere Nötigung zum Opfer. Diese chaotische Entwicklung hat aufgehört. Frankfurt bewahrte im jähen Auf und Nieder der Wirtschaftskurve seine Bedeutung als einer der großen Brennpunkte der europäischen Wirtschaft; es verlor trotz allem nicht seine Eigenart, es vertieft sie eher. Man sehe nur, was eine Handvoll tatkräftiger Männer in wenigen Jahren aus dem einst verachteten, von gänzlicher Verunstaltung bedrohten Kern der innern Stadt gemacht haben: eine Augenfreude, ein Gewoge wie von bunten Schiffen und Barken um den roten Sandsteinfels des Domes, dessen schöner Turm mit der gedrungen ästigen Spitze hoch in die Schluchten niederschaut. Daneben eine Fundgrube künstlerischer und kunstgeschichtlicher Entdeckungen.

Frankfurt, die Großstadt, hat den Vorzug eines organischen Wachstums, den ihr das räumige und leicht gewellte Gelände der Ebene vor den Höhen des Taunus gewährt. Man kann in dieser Stadt nur die drei Straßenzüge großstädtisch nennen, die an der laut umbrandeten Hauptwache zusammenstoßen. Alles übrige trägt das Gepräge einer gemächlichen, fast passiven Lebensentwicklung. Die Kontorgebäude dieser Handelsstadt liegen nicht in einer lärmenden City, ihre Fabriken nicht in stinkenden, vernachlässigten Vororten. Die meisten ihrer Arbeitsstellen liegen an ruhigen Straßen und im Grünen. Ihre Bevölkerung erneuert sich stetig aus den dörflichen und kleinstädtischen Bevölkerungen der benachbarten Landschaften, aber in ihrem ganzen Ausdruck, bis in den der Sprache hinein, ist sie einheitlich. Das kommt daher, daß Taunus, Odenwald, Rhön und Spessart, die Frankfurt in der Weite umkränzen, ihrer Staatlichkeit nach zwar preußisch, hessisch und bayrisch sind, aber alle diese Gebiete denselben Typus des fränkischen Menschen hervorbringen, der ja mit dem Typus des abwärtigen Rheinlands am nächsten verwandt ist. Über diesen breiten, bodenständigen Massen des Alt- und Neufrankfurtertums und in sie hineingewoben ist die kosmopolitische Schicht der Besitzenden und Eingeweihten, deren Aufmerksamkeit auf die Sachen des Geldes und der Fernbeziehungen ebenso unerschütterlich ist wie auf ihre Bereitschaft, sich in Neuyork und London wie auf dem eignen Boden zu bewegen.

s. Bildunterschrift

R. Biringer, Nied.

Geschichte.

s. Bildunterschrift

R. Biringer, Schloß Biebrich.


 << zurück weiter >>