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Der Apostel des Lahngaues

Von Adolf Becker

Vor tausend und mehr Jahren war der Felsen am Lahnufer, der die Dietkirche trägt, von dichtem Urwald umgeben. Stärker rauschte der Fluß, breiter waren seine Ufer. Meist ragte der Felsen einsam und still aus mächtigen Bäumen auf. Doch wenn hier im Reckenforst die Männer des Gaus am Tage des Dings zusammenkamen, drang das Gewirr rauher Stimmen und das Geklirr der Waffen über das Wasser. Dann mied das scheue Wild die Tränke drunten am Ufer und barg sich im schützenden Dickicht.

Einst trat in den Ring der Freien ein Mann im langen, dunklen Gewand. Waffenlos war er gekommen, fremdartig klang seine Sprache, ernst war sein Antlitz und furchtlos. Und was er kündete, ward nur ungern vernommen. Laut tönte seine Stimme: »Wotan und Donar, Freya und Frigg und all die anderen Götter sind unholde Wesen. Sie haben nicht Macht über Menschengeschick. Einer nur ist es, der über alles gebietet, dem Sonne und Mond gehorsam sind, der Sturm in den Lüften und Gründen.« Er gab ihnen Kunde vom Gottessohn, dem Gekreuzigten, der fern im Südland litt und starb. Der Fremdling – Lubentius nannte er sich – fand Herberge im Hause des Edelings. Oft predigte er noch den Mannen des Lahngaus von Christus, dem Heiland und Friedebringer. Viele ließen sich taufen, Männer und Frauen, Freie und Hörige. Auf dem Felsen baute Lubentius ein schlichtes Kirchlein.

s. Bildunterschrift

H. Aulmann, Dietkirchen.

Nach Jahren zog er flußabwärts zum Strande der Mosel, wo treue Freunde oft seiner gedachten. Hier warf ihn eine Krankheit aufs Siechbett. Doch ehe er die Augen für immer schloß, bat sein erblassender Mund: »Beim Kirchlein der Lahn begrabt meinen Leib.« Man trug den Entseelten zum Ufer der Mosel und bettete ihn in den Kahn. Trauernd standen die Freunde am Ufer und wollten das Schifflein besteigen. Doch siehe! Die Wellen führten es fort, es entschwand den Blicken. Kein Fährmann wies ihm die Bahn. Doch nahm es den Weg zur Mündung der Mosel, schwamm gegen den Strom rheinaufwärts und trieb dann auf den Wassern der Lahn. Die Wellen stauten sich, fluteten rückwärts, talauf. Ein wundersames Wehen durchzog die Luft, es raunten die Wasser. Es klang wie feierliches Geläut, wie verhallendes heiliges Lied. Sicher und schnell zog der Kahn dahin, vorüber an Sandbank und Riff. Bei Dietkirchen legte er an. Hier senkte man Lubentius ein, den Apostel des Lahngaues.

Von weit her wallten Pilger zu seinem Grabe. Heilig war er den Schiffern der Lahn. Wenn Wind und Welle ihr Fahrzeug bedrohten, erscholl ihr Rufen: »Lubentius, schirm uns in Not!« Dann schwebte sein Schatten über den Wassern, und sicher kamen Boot und Schiffer ans Land. Ein silbernes Schifflein schenkten sie seiner Kirche. Jetzt ist es nicht mehr vorhanden, und auch das vergoldete Bild des Heiligen fehlt. Doch wenn ein leichter Talzug die Wellen stromaufwärts teilt, dann heißt es noch heute: »Wir haben St. Lubentiwind.«


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