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Der heimliche Kaiser

Von Ricarda Huch

Zu einem bekannten Staatsrechtslehrer, Nikolaus Vogt in Frankfurt, kamen einige junge Leute mit der Frage, ob nach den Reichsgesetzen der Freiherr vom Stein deutscher Kaiser werden könne. Der Professor antwortete bejahend: denn wenn auch die Kaiserwürde erblich geworden war, so galt doch als Recht noch immer die alte germanische Anschauung, daß jeder freie Mann der höchsten Würde fähig sei, wenn seine Volksgenossen sie ihm übertragen wollten. Was für ein wunderbarer Augenblick, aus dem nichts als eine Anekdote wurde! So wollte es der erbarmungslose Gang der Völkergeschichte, der die Deutschen hatte sinken und immer wieder sinken lassen. In der verzweifelten Zeit, als Preußen sich von neuem an Frankreich gebunden hatte, schrieb Stein an einen Gesinnungsgenossen, den merkwürdigen Westfalen Justus Gruner: »Man muß soviel als möglich die wahre Ansicht verbreiten, daß das Vaterland da ist, wo sich die Ehre und Unabhängigkeit findet.« Zu jener Zeit hatte sich die Ehre und Unabhängigkeit bei Stein gefunden und denen, die ihm anhingen und ihn willig als ihr Haupt verehrten. Sollte der Mann, der das Bild des freien deutschen Reiches als eine Lebensflamme im Herzen bewahrte, nie davon geträumt haben, die heilige Krone selbst zu tragen? Jeder große Mann, so hatte er im Jahre 1811 an den Grafen Münster geschrieben, der fähig wäre, eine auf Einheit, Kraft und Nationalität gegründete Verfassung herzustellen, würde der Nation willkommen sein. Es ist undenkbar, daß er nicht einmal seine eigene Berufung im Herzen sollte erwogen haben. Nach der Schlacht bei Leipzig wurde Stein an die Spitze der Zentralverwaltung gestellt, welche die dem Feinde wieder entrissenen deutschen Länder einstweilen regierte; er beherrschte also tatsächlich das Reich, das heißt beinahe die ganze deutsche Ländermasse außer Österreich und Preußen. Gerade in dieser Zeit, wo man erwarten konnte, ihn befriedigt, triumphierend zu finden, war er reizbarer als je, so daß auch seine Vertrautesten nicht mit ihm auskommen konnten. An seine Heftigkeit war man gewöhnt und trug sie ihm nicht nach, es muß also eine Laune hinzugekommen sein, mit der es schwerer hielt, sich auszusöhnen; es fällt auf, daß selbst Arndt in dieser Zeit ein nicht ganz freundliches Urteil über ihn fällte, auch in dem Sinne, daß er doch der Retter nicht sei, dessen Deutschland bedürfe. Es war die wunderbare Mitternacht, wo die versunkene Krone aus unerreichbaren Abgründen an das Licht der Sterne stieg und von der Hand eines Glücklichen, Furchtlosen ergriffen und entzaubert werden konnte. Ein Augenblick mußte benutzt werden, dieser, wo das Reich noch aufgelöst, in Bruchstücken dalag, wo die bisher herrschenden Mächte erschüttert, teils ganz ausgeschaltet waren, wo das Volk bewaffnet, zur Teilnahme aufgeregt, bereit war, sich seine alte, ehrwürdige Daseinsform zu erkämpfen. Um diese Krone, das Symbol der Kraft eines edlen Volkes, hatte Gustav Adolf umsonst die verborgensten Wünsche kreisen lassen; noch früher hatte Johann von Sachsen, der Beschützer und Schützling Luthers, den Mut nicht gehabt, die Hand nach ihr auszustrecken. Wenn einer, so war Franz von Sickingen so geartet, daß die Deutschen ihn gern jenem Maximilian angereiht hätten, der dem Gedächtnis des Volkes so teuer ist. Ein stolzer Ritter: Fürstenfeind wie Stein, wie Stein nicht groß von Gestalt, denn im Volksmund hieß er das Fränzchen, wie Stein durch unvergeßlich sich einprägende Gesichtszüge ausgezeichnet; nennt ihn doch die Überlieferung das Urbild des Dürerschen Ritters. Ihm verwehrte der frühe Tod, die Entwicklung abzulenken, die unwiderruflich vorbereitet war; ein anderer, der dreihundert Jahre später kam, schien berufen, die unterbrochene Tat so zu vollenden. Es gibt innerste Gedanken und Wünsche, die niemals ausgesprochen werden, die kaum die äußerste Not auf die Lippen drängt wie der Tod dem Schwan seinen einzigen Gesang. Von seinem Sterbebette schrieb Scharnhorst seiner Tochter, er würde alle Auszeichnungen, Titel, Orden hingeben, wenn er ein einziges Mal eine Schlacht kommandieren könnte. Stein hat seine tiefsten Träume verschwiegen.

Die verhängnisvolle Stunde, wo der Schatz blühte, überströmte Deutschland weithin mit ahnungsvollen Schauern. Die Jünglinge berauschten sich an fabelhaften Erinnerungen des Mittelalters, die lange vergessen waren, die Großes gewagt und errungen hatten, hielten sich zu gut, um wieder in die frühere Nichtigkeit zu versinken. Körner, der Freund Schillers, brachte Arndt auf den Gedanken, es sollten Gesellschaften zur Pflege deutscher Sprache, deutscher Gesinnung, deutscher Zukunftshoffnung gegründet werden; Arndt ergriff ihn lebhaft und warf mit der gewohnten Schwungkraft einen Aufruf hin, der dazu aufforderte. Vielerorts kam ihm Verständnis entgegen, in Steins Heimat, im Nassauischen, traten zwei begabte und feurige junge Männer, die Brüder Snell, in den Mittelpunkt der Bewegung. Der erste Gedenktag der Leipziger Schlacht wurde benutzt, um den Gedanken der Freiheit und Größe im Volke lebendig zu erhalten, die Gründung einer deutschen Freischar wurde geplant, die die Wache des künftigen Kaisers bilden und das Reichspanier tragen sollte. Wo aber war der Kaiser?

Goethe hatte einmal grollend gesagt, nur an der Spitze einer Armee, mit dem Säbel in der Faust könne man befehlen und Gesetze geben. Steins Lage war nicht ganz so ungünstig. Blücher, der Abgott der Soldaten, war sein Freund, Gneisenau und andere Offiziere hingen ihm an, vielleicht hätte sich ihm, rechnet man dazu noch die Schar Studenten und anderer opferbereiter junger Leute, ein Heer zur Verfügung gestellt, wenigstens ansehnlich genug, um nicht ruhmlos zu fallen. So kühn er war, er war doch nicht der Mann, das zu wagen. Nicht die Gefahr scheute er, aber die Aussichtslosigkeit, die an das Lächerliche streifte. Das unentrinnbare Ende wäre gewesen, daß die siegreichen Fürsten mit strafenden Mienen auf den Überwundenen herabgeblickt hätten wie einst auf den sterbenden Sickingen. Das war erträglich für einen Soldaten, der, das Schwert in der Hand, fällt, nicht für einen Staatsmann, der bei aller Glut der Liebe und des Hasses kühl mit gegebenen Größen zu rechnen gewöhnt ist. Er war nicht phantastisch genug, um das Unmögliche zu wollen, was er selbst als unmöglich erkannte und fühlte. Wenn es möglich gewesen wäre! Er wäre der echte Volks- und Wahl-Kaiser gewesen, was ein Fürst niemals werden konnte. Vor dieser ungeheuren Tatsache hätte die usurpierte Fürstenherrschaft, die das Deutsche Reich und Volk sich selbst entfremdet hatte, sich aufgelöst. Kaiser und Reich, eine organische Harmonie widerstreitender und sich ausgleichender Kräfte, hätten lebenglühend wieder dagestanden. Allein nur in unendlich langsamer Verwandlung kann die Vergangenheit wieder Zukunft werden. Von Steins unterirdischen Kämpfen drang nichts in die Öffentlichkeit, außer daß es auffiel, wie zerrissen und gequält er erschien. Er sah die Krone in ihrem Geisterlicht schwimmen und fühlte sich magnetisch gezogen; aber er griff nicht nach ihr. Er zählte die Schläge der Mitternacht, ohne sich zu rühren, er sah das Licht erlöschen und die Krone versinken. Wird je eine Schicksalsstunde sie wiederbringen und den erlösenden Ritter dazu?

s. Bildunterschrift

Siegel Konrads I.


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