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s. Bildunterschrift

H. Aulmann, Dreifelder Weiher.

In den Zwölfnächten

Von Leo Sternberg

Schmelzwasserbäche durchrinnen den narbigen Schnee;
Nässend über den Schneefeldern graut die Luft.
Schwärzer hebt sich der schwitzende Stamm in die Höh.
Schwärzer enttauchen die Hecken gespenstigem Duft.
Kirchhofkreuze wanken aus schneeiger Gruft.
Und die Nacht erfüllt ein Nebelsee.

Hat der Schatten dort sich nicht bewegt?
Morsch entweicht der Schnee unter patschendem Gang.
Durch die Hecke, die den Garten hegt,
Ziehn Gestalten ein, im Zuge, lang,
Die, geweckt von Tau- und Tropfenklang,
Ihre Totenlaken abgelegt.

Pfähle sind übers Kreuz mit Seilen bespannt,
Linnentücher über die Leinen gehängt.
An die Klammern greift es mit knöcherner Hand,
Mäntel werden um knöcherne Schultern geschwenkt.
Bald ist Laken nach Laken abgehängt –
Patschend verläßt der Zug das Gartenland.

Und es geht ein Fenster auf am Haus:
»Wessen Schritte hör ich immerzu?
Welcher Mund sprach meinen Namen aus,
Zwingt mich anzuziehen meine Schuh,
Nachzufolgen in die Nebelruh
Dieser tödlich-feuchten Nacht hinaus?«

Tritt sie vor die Türe, tut es einen Schlag,
Daß sie auf das Herz die Hände drückt –
Nicht die Schneelast, donnernd von dem Dach,
Nicht das leere Seil, was sie erschrickt!
Wer hat ihr das Totenhemd geschickt?
– Aber die Hecke bleich noch ein Leintuch lag ...

Und das Wasser drang in ihren Schuh,
Doch sie holte sich das Laken dort.
Legte dann sich wiederum zur Ruh.
Frost kam wieder – eisigkalter Nord.
Und den nächsten Abend ging sie fort.
– Und der Schnee deckt ihren Hügel zu.


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