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Von eines Wingertmanns Arbeit, Freud und Leid

Von Otto Stückrath

Es hat im 1581. Jahr von der Geburt unseres Herrn und Heilandes her gerechnet der eifrige und tugendsame Pfarrherr zu Aßmannshausen, Herr Joist Moyß, zu Köln am Rheine mit römischer kaiserlicher Majestät Freiheit ein Büchlein in Druck ausgehen lassen, in welchem »von dem schweren Mißbrauch des Weines« in lieblichen Reimen und Knittelverslein ergötzlich und lehrhaft zu lesen. Es ist mir dies Büchlein erst heute zu Händen gekommen, und schreiben wir schon das 1608. Jahr, so daß es fast freventlich erscheinet, jetzo des gelehrten Autoris Werklein widerlegen zu wollen, mangelt mir auch jegliches Geschick zum Reimeschmieden, dieweil ich ein einfacher rheingauer Wingertsmann bin, welcher nur schwer den Gänsekiel in der Hand hält, viel lieber mit der Rodhacke gehet. Will darum auch dem Herren Pfarrer seine Meinung als eine, so er sich selbsten, vielleicht an unserem Zinsweine, welcher ein trostlos Gesöff und nur über die Trester aufgegossen, erworben, nicht bestreiten oder ihr einen Abtrag tun, vielmehr denen guten Deutschen, Männern sowohl als Frauen, erzählen von eines einfachen Wingertsmannes Arbeit, Freud und Leid, und so der günstige Leser dabei einen Tropfen trinket, der ihm lieblich durch die Gurgel rauschet, so möge er wissen, daß die Trank gewordene Sonne nur hervorgelocket wird durch Wingertsmannes Müh. Mir, dem Schreiber, hats in diesem Jahr den Keller zerschlagen, ist kein Tröpflein darinnen, so daß mir die Zung am Gaumen klebet ob meiner harten Schreibarbeit, denn es ist ein uralt Sprüchlein:

»Im Rhingau leben und kein Wein haben
ist härter als Stein graben!«

Will dies vorausgeschicket haben, so vielleicht eine barmherzige Seel mir ein reiflich überlegtes, gut faßlich gemachtes Weinlein als eine Sondergab und Gratification sollt zuschicken wollen.

Es hat mein Vater selig, da ich an die zehen Jahr gewesen bin, unseren alten Wingert in der »Höll« ausgehauen. Es hat dies Flecklein Land danach gelegen an die drei Jahr. Darauf, im bitterkalten Winter, haben mein Vater und ich dorten gestanden, einen Graben gezogen wohl an drei Schuh tief und darauf das ganze Flecklein gerodet. Es ist aber über dieser schweren mühsamen Arbeit der Winter dahingegangen, und sind mir gar oft die Hände klamm und die Füße wie Eis gewesen. Wir haben auch die Mauer, so das Stücklein gegen unsern Nachbar Hans Sturm abgrenzet, säuberlich wieder errichtet aus lauter harten Felssteinen, und haben sie Stück um Stück getragen mehr denn zweihundert Schritt gegen den Berg. Auch einen ehrsamen, tüchtigen Mist haben wir mit eingegraben und Fladen um Fladen geleget, also, daß es fast schön war anzuschauen. Darauf aber, als der Mai kam, haben wir unsere Blindreben gestecket, alle nach der Schnur, stunden allda wie ein Fähnlein Landsknecht.

Also nun, wie mein Vater dazumalen getan, muß ein Wingertsmann jedesmal tun, so er einen alten Wingert ausgehauen und in Geruhsamkeit hat liegen lassen an die drei Jahr. Hat also von seinem Stücklein, so er nicht etwas Grünfutter holet, drei Jahr keine Arbeit damit, aber auch keine Ernt, darauf aber im vierten Jahr viel Arbeit und lang noch keine Ernt, da sich solche erst völlig einstellet, nachdem fünf oder gar sechs Jahr dahingegangen, statt dessen aber Arbeit genug.

Es ist nämlich in den rheingauischen Ländern der Brauch, vier Baue zu machen im Wingert, und ist der erste Bau, welchen man schon im November, Dezember oder im Märzen vornimmt, genannt der Winter- oder Märzbau, wobei man die Erde rauh herumwirft, daß der Frost die Schollen klein mache. Im April oder Anfang Mai kommet das erste Graben. Da zieht man die Erde von den Stöcken weg in die Mitte der Zeilen, setzet sie dort mächtiglich auf, daß sie gar erhöhet ist, nennet dieses auf Balken setzen. Ende Juni, Anfang Juli folget dann das Rühren oder Gleichgraben, wobei man die Erde wieder einebnet, so daß der Wingert fast fein anzusehen. Endlich aber, wenn die Trauben lautern, demjenigen, so des Wingertbaues und der Reben fremd, sei gesagt, daß dies die Zeit, da die Beeren weich und ihre Haut durchsichtig werden, fällt der vierte Bau.

Nun lasse sich aber keiner bedünken, daß das alles so sein ginge, wie es allhie beschrieben stehet. Wie das Wetter, so die Arbeit, und wie das Unkraut wächset, so wächset die Müh, also daß man oft mehr Zwischenarbeiten machet als wirkliche Baue. Und nun hast du nur die Erden bearbeitet, noch nichts an den Stöck getan, welches auch ein Ding für sich und nicht das leichteste. Da kommet das Schneiden, eine gar subtile und nicht von einem Dümmling zu machende Arbeit. Darauf, so gerten wir die Bogreben an den Mittelpfahl, heften die Loden, wie wir die jungen Triebe zu nennen pflegen, an die Pfähle, müssen die Schosse aus dem alten Holz auspflücken, geizen die überflüssigen Seitentriebe und dürfen auch das Gipfeln nicht vergessen, da sonsten bald ein Wingert gar wild aussähe, hier einen hohen, dort einen gar niedrigen Rebstock trüge.

Wer will es einem armen Wingertsmann verargen, wenn ihm das Herze hüpfet, so die ersten Gescheine sich zeigen und ihren lieblichen Duft gen Himmel senden gleich einem Weihrauch? Wer kann ihm böse sein, wenn er Freudensprünge tut, so der Wingert zur Lese bereit ist? Jetzo soll er einheimsen, was Wintersmüh und Sommerarbeit, was sein Fleiß, der Sonne Kraft und des Düngers Saft in der Reben gekochet und mit Gottes Hilf gereifet. Da ist er fast fröhlich den ganzen Tag, gehet mit Singen an sein Werk, welches ihm schwer sein sollt, so er unter schweren Lasten keuchet. Er gehet aber auch fast frei, das Winzermesser in der Hand und löset die Trauben mit einem fröhlichen Gemüt, füllet sie in die Legel und freuet sich, wenn der erste Most hell und klar und süß rinnet, ein Labsal der Zunge, und dem Leibe eine starke Reinigung.

Es hat mir einmal ein Studentlein, welches der Chymie ergeben, ein Langes und Breites geredt, wie es zuginge, daß aus dem Most erst das rechte Traubenblut würde durch das Sausen und Gären im Fasse; hab davon nichts behalten, da er mir das sagete, als der Most eben anfinge zu bützeln und gar lieblich hinten die Nasen herauf zu steigen, also daß man schon einen linden Vorschmack des künftigen Weins gewann, ist wohl auch kein Schade, wenn ich dies in meinem Schreiben, welches mir fast schwer fället, daneben lasse und nur noch sage, daß es der Sprüchlein vom Weine immer zwei gibt, eines dafür, das ander dagegen. Saget man: »Im Wein ist Wahrheit«, so krätschet ein anderer dagegen: »Ein Bündel Lügen ist der Wein!« Jubilieret der eine: »Aus dem Weine steigt die höchste Fröhlichkeit auf Erden!«, so jammert der andere: »Viel Leid kommt aus dem Weine!« So gehet es hin und her, stimmet und stimmet auch nicht.

Das aber stimmet: ein Weinlein, wenn es in heißer Sonne geboren, tuet der Zungen sehr wohl; da wird jed Fäserlein von der annehmlichen Sauerkeit umspület, wird gereizet, daß es für Freud den Mund zu einem spitzigen, ründlichen Mäululein formieret, auf denen Backen zwei Runen lässet erscheinen, die voll Zufriedenheit sind, gibt den Augen einen Schein als wie die liebe Sonne und scheuchet wie ein Zaubertrank oder Wunderarzenei alle hypochondrische Gedanken. Es ist ein gar liebliche Fabula, daß sich einst ein Rheingauer wollt erhenken. Hatte sich auch schon ein Stricklein gekaufet, mit welchem er wollt sein arm Leben zu einem End bringen. Ging also in den Keller, welchen er, nach Art der guten rheingauischen Keller – da er doch vorher ein habsamer Mann gewesen – gar lieblich ausgezieret und mit langen Faßreihen als denen Lusttrummeln ausgestattet hatte, fand dorten noch ein rundlich Fäßlein, das einen lieblichen Schall gab, nun, da es angeschlagen, läutete es nämlich die volle Mette. Ei, denket er, sollst du gutes Weinlein ungetrunken bleiben? Probieret also einmal, und siehe, wie er in den Geschmack gekommen, da nimmt er den Totmacher, meine damit den Strick, versenket ihn in das Faß und lässet fürs erste- und für allemal das Henken sein. Es war dies aber der einzige Rheingauer, welcher sich selbsten um sein Leben bringen wollte, sonsten tuet es der Wein und das liebe Leben, auf welches der Tod als ein Punkt und Schlußstrich folget.

Hätte aber dieser Rheingauer, wie es mir einmal ergangen, einen richtigen Strumpfflicker getrunken, so wäre ihm die Kehl von selbsten zugegangen, denn siehe, ich habe in selbigem Jahre auf einer Nachbarschaft einen Becher dieses rambassigen Weins getrunken, hätte es wahrlich nicht bis auf den Grund ausgeläppert, so mich nicht drei Nachbarn hart gehalten, dieweil ich dabei schuckerte, als ob mich der Frost hätte. Meinem Nachbar Jost hat dazumal der gar saure Wein einen zinnern Becher ratzebutz gefressen, und bei meinem Vetter Hannlipps haben die Fässer ramuret, als wehreten sie sich. Das ist Wingertsmanns Leid, wenn der Keller riechet wie ein Essigstall. Meiner in diesem Jahr, er riechet gar nicht, alle Weinlein sind vertan, weiß Gott, ob bald ich wieder eins soll han ...


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