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s. Bildunterschrift

R. Volland, Parktor des Steinschen Schlosses in Nassau.

Die beiden größten Deutschen

Von Ernst Moritz Arndt

Im Sommer des Jahrs 1815 kam Stein nicht lange vor seiner zweiten Fahrt nach Paris in Köln an, wo ich damals saß. Er schickte einen Bedienten, ich möge nach dem Dom kommen, wo ich ihn finden werde. Da kam auch sein Adjutant Eichhorn frisch aus Berlin auf einen Morgengruß zu mir, im Begriff nach Paris weiter zu gehen, wo er als des preußischen Ministers Freiherrn Altenstein Adjutant wirken sollte. Altenstein nämlich war als ein sehr wissenschaftlicher Mann dem Staatskanzler besonders empfohlen, um aus der großen französisch-napoleonischen Löwenhöhle Paris den Raub deutscher Denkmäler, Bibliotheken, Urkunden usw. wieder herauszuholen, ein Diebsraub, welchen das erste gebildetste Volk Europas, wie es sich immer betitelt, mit der schamlosesten Habgier aus allen Ländern zusammengeschleppt hatte. Ich sagte ihm: »Stein ist da, wir finden ihn im Dom« – und wir gingen flugs dahin. Er begrüßte uns auf das allerfreundlichste – und wen erblicken wir nicht weit von ihm? Da stand der neben ihm größte Deutsche des 19. Jahrhunderts, Wolfgang Goethe, sich das Dombild betrachtend. Und Stein zu uns: »Liebe Kinder, still! still! nur nichts Politisches! das mag er nicht; wir können ihn da freilich nicht loben, aber er ist doch zu groß.« Wunderbar gingen die beiden deutschen Großen hier nebeneinander her wie mit einer gegenseitigen Ehrfurcht; so war es auch im Gasthause am Teetisch, wo Goethe sich meistens sehr schweigsam hielt und sich früh auf sein Zimmer zurückzog.

Wie waren die beiden zusammengekommen? wie dann miteinander nach Köln gekommen? Goethe hatte seine Vaterstadt und einige alte Genossenschaft und Freundschaft einmal wieder besucht. Da hatte ihn sein Herz gefaßt, und er hatte sich wieder das Herz gefaßt, die Pfade, auf welchen seine lustige, genialische Jugend sich ergangen und getummelt hatte, die Pfade, welche bei Wetzlar an der Lahn und durch ihre schönen Täler nach Nassau, Koblenz, Ehrenbreitstein und Valendar hinlaufen, noch einmal wieder zu durchwandeln. Da vernimmt Stein in seinem Schlosse die Nachricht, Goethe ist in Nassau im Löwen abgestiegen. Er flugs in den Löwen und holt und zwingt den Sträubigen in sein Schloß hinauf. Da nun Goethe einen Ausflug nach Köln vor hat, so läßt Stein seinen Wurstwagen vorspannen, und sie rollen zusammen den Rhein bis nach Köln hinunter. Ich kann mir denken, wie die beiden Reisegefährten jeden Zusammenstoß vermieden; es war gewiß die äsopische Reise des steinernen und irdenen Topfes. So gingen sie auch in Köln nebeneinander hin mit einem zarten Noli me tangere. Nimmer habe ich Steins Rede in Gesellschaften stiller tönen gehört. Er war ungewöhnlich sanft und mild, hielt den kühnen und geschwinden Atem seiner Natur an und zügelte den Löwen, daß er nimmer herausguckte.

Hier konnte ich mir unsern Heros Goethe ein paar Tage recht ruhig betrachten, mich seines herrlichen Angesichts erfreuen: die stolze, breite Stirn und die schönsten, braunen Augen, die, immer wie in einem Betrachten und Schauen begriffen, offen und sicher feststanden und auf jeden Gegenstehenden und Gegenschauenden trafen; aber doch gewahrte ich, was mir in seiner Haltung früher schon aufgefallen war, ein kleines Mißverhältnis in der Gestalt des schönen Greises: wenn er stand, gewahrte, wer überhaupt dergleichen sehen kann, daß sein Leib eine gewisse Steifheit und gleichsam Unbeholfenheit hatte: seine Beine waren um sechs, sieben Zoll zu kurz. Ich habe mir das Wesen der Zukurzbeinigen im Leben genug betrachtet. Sie entbehren immer einer leichten, natürlichen Beweglichkeit und Schwunghaftigkeit des Leibes, und ich glaube daher, daß der junge Goethe, von seinem 18. bis 35. Jahr gerechnet, als Reiter, Fechter, Tänzer, Schlittschuhläufer nimmer ein Leichtfliegender hat sein gekonnt. Es gab ihm dieser leibliche Mangel wohl etwas von einer natürlichen Steifheit; anderes mochte in Art und Gewohnheit liegen.

Goethe war ja Minister und Exzellenz und in Wahrheit eine der exzellentesten Exzellenzen des Vaterlandes; aber hier in Köln wie? wie? Es kamen von den jungen Offizieren, die in Köln standen, einige, sich vor ihm zu verneigen, solche, deren Väter oder Vettern er kannte, Thüringer und andere, Ministersöhne, Baronensöhne, unter ihnen Wilhelm Humboldts Erstgeborener, Jungen, vor welchen Stein, ja nicht einmal unsereiner, nicht die Mütze abgezogen hätte – und Goethe stand vor ihnen in einer Stellung, als sei er der untere. Eine solche Ungefügigkeit des Leibes, eine solche fast dienerliche Haltung einem Altadeligen gegenüber, vielleicht aus Jugendgewohnheit, womit eine gewisse Steifheit verknüpft war, ist dem sonst zwar stolzen, aber sehr großmütigen, liebenswürdigen Manne von den Unkundigen wohl oft als Hoffart ausgelegt worden. Aus dem Gefühl eines gewissen körperlichen Mangels hat er in Beschreibungen und Schilderungen seiner sogenannten ritterlichen Männer auf jene körperliche Bequemlichkeit und Gewandtheit, welche jeder Jagdjunker und Kammerjunker von Kind auf leicht und umsonst gewinnt, wie mir deucht, im kleinen zu großen Wert gelegt. Er war übrigens äußerst liebenswürdig und freundlich mit allen und zu allen und eroberte nicht bloß das Herz des alten, wackern Wallraff, der für ihn sich gern zum Cicerone machte, sondern die Herzen aller andern, die in seine Nähe kamen.

Im Sommer das Jahres 1817 kam Stein auf vier Tage mit Goethens Herrn, dem Herzog von Weimar, nach Köln. Sie wollten in der alten heiligen Stadt allerlei Raritäten beschauen, der Herzog hat dort auch eine ganze Reihe schöner gemalter Glasfenster des Mittelalters eingekauft und eine schönste silberne Schüssel, welche Friedrich Barbarossa seinem Paten, dem Sohn des Grafen von Kappenberg, wo Stein jetzt wohnte, als Taufgeschenk verehrt hatte; so besagte die Inschrift. Ich konnte hier in der Stadt nun schon den Cicerone machen und war viel mit ihnen auf den Beinen. Die abendliche Teestunde war immer die allgemeine Versammlungsstunde. Stein war gesund und von der köstlichsten Laune, der Herzog nach seiner gewöhnlichen alten, sehr soldatischen Weise: der geborene Fürst über jeden Zwang hinaus und immer der helle, frische Mann von Mut und Geist. Er hatte von seiner welfischen Mutter Amalia wohl das Beste in seinem Naturerbteil bekommen; der Eindruck, den er auch den nur oberflächlich Betrachtenden machte und hinterließ, höchst liebenswürdig; er blieb der Herr in der Gesellschaft und machte doch jeden frei.

Die beiden hohen Herren gingen höchst ungezwungen miteinander um, fast wie alte Jugendgenossen; der hochgeborene Reichsfreiherr schien dem höher geborenen Fürsten auch keinen Augenblick unterlegen. Das war aber das Besondere, daß, wo von ernsten Gegenständen gesprochen, ja wo nur, wie im leichten Gespräch geschieht, darüber hingewinkt oder nur gelächelt ward, Stein immer als der Fürst und der andere oft nicht viel über dem Diener zu stehen schien. Da empfand man klar, dies war ein Gebiet, auf welchem der Herzog sich fremd fühlte, oder vielmehr, wo er sich mit allen Sitten und Gewohnheiten auf sein gemeines Feld verlief und verlor. Hier erschien er nur als der leichtfertige Hohnlächler und Spötter oder als der krittelnde und zweifelnde Noten- und Glossenmacher, als ein Mephistopheles, der vielleicht auch Goethen oft mehr herabgezogen als gehoben hat. Hierbei war auch das wunderlich, daß ihn immer der Kitzel stachelte, Stein zum Zorn zu reizen und sich an seiner Heftigkeit gleichsam zu ergötzen: denn er selbst blieb bei allen geschwindesten Einhieben und Gegenhieben des Freiherrn in fürstlicher Gleichmütigkeit.

Der Herzog erzählte eine Menge anstößlicher Geschichten von dem Dichter, welcher eine Zeitlang unter seinen Augen in Weimar gelebt hatte, alles in seiner leichtfertigen, lockeren Weise, so daß dem Freiherrn der Kamm schwoll: »Der arme dünnschalige Kerl«, sagte der Herzog, »hatte sich eingebildet, er könne und müsse in einer Art körperlicher Seelenwanderung durch alle möglichen weiblichen Naturen den Durchgang machen, bis er die finde, welche Gott recht eigentlich für ihn geschaffen habe. Das war so seine poetische Naturlehre.« Stein fiel ihm hier ein: »Sie sollten sagen, es war eine fürstliche.« Der Herzog schloß mit der Nutzanwendung, daß eigentlich jeder Mann Ähnliches durchgemacht habe, »und Sie«, wendete er sich an Stein, »haben auch wohl nicht immer wie Joseph gelebt«. – »Wenn das wäre,« erwiderte Stein, »so ginge das niemand was an, aber immer habe ich Abscheu vor schmutzigen Gesprächen gehabt, und halte es nicht für passend, daß ein deutscher Fürst dergleichen vor jungen Offizieren (es saßen mehrere solche neben älteren Männern da) so ausführe.« Der Herzog verstummte, und es erfolgte eine Totenstille. Nach einigen Minuten fuhr der Herzog mit der Hand über das Gesicht und setzte, als sei nichts vorgefallen, die Unterhaltung fort; den Anwesenden aber war heiß und kalt geworden.

Der Oberst von Ende, jüngst noch in herzoglich weimarschen Diensten, jetzt Kommandant der Stadt Köln, gestand beim Nachhausegehen seinem Begleiter, er wolle lieber das Feuer von zwei Batterien als solche Reden lange aushalten; und Graf Solms-Laubach, Oberpräsident der preußischen Rheinlande, rief doch auch im Gefühl des alten Reichsgrafen und früheren Reichshofratsmitglieds in Wien aus: »Nein! wie der mit Fürsten umgeht! Ich zittere immer, es würde Szenen geben.«

Und es hatte, mein' ich, eine ganz bunte, muntere Szene gegeben.


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