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s. Bildunterschrift

L. v. Matuschka-Greiffenclau, Die Sauerburg.

Der letzte Sickingen

Von Alphons Baron Engelhardt

Ein Gemälde des Unterganges und Verfalles, ein ergreifendes Bild von Schicksalskampf und der zermalmenden Wirkung der Geschichte, die Geschlechter zu hohem Glanz emporhebt und dann mit einem Male fallen laßt, ist die alte Sickingensche Sauerburg im Nassauischen, von Kaub oder Lorch von einem rüstigen Fußgänger bequem in einer Stunde zu erreichen; während der Reunionskriege Ludwigs XIV. zerstört und noch als Ruine in ihrer mächtigen Anlage mit dem stolzen Bergfried einen gewaltigen Eindruck gewährend.

Denkwürdig ist sie als der letzte Besitz, der dem letzten seiner Linie von allen seinen ausgedehnten Ländereien zu eigen verblieben war; die Ebernburg wurde 1792 von den Franzosen bei einem Rückzug niedergebrannt, und die Herrschaft ging an Kurpfalz über; die linksrheinischen Besitzungen zu Landstuhl, Schallodenbach usw. verlor er in der Französischen Revolution und sah sich später genötigt, seine bedeutenden Güter in Böhmen zu veräußern, wozu im Jahre 1818 noch das Stammschloß Sickingen kam.

Nun war dem in Reichtum, Macht und hohem Ansehen (1760) geborenen Reichsgrafen Franz von Sickingen, der mittlerweile im neunundfünfzigsten Lebensjahre stand, in der Tat nichts übrig geblieben als die Ruine Sauerburg nebst einem kleinen dazugehörigen Bauernhofe; hier schlug er seinen Sitz auf und lebte bei dem Pächter, in dessen Hände das Gut gegen geringe Anzahlungen alsbald überging. Aber den letzten Lebensabschnitt des Grafen finden wir in der »Naturgeschichte des Volkes« von Riehl, dem Soziologen und Kulturforscher ohnegleichen, folgende Betrachtung:

»Es gedenkt mir,« so schreibt er, »aus meinen Knabenjahren eines armen Mannes. Ob er schon keinen Beruf hatte und nichts tat und in abgetragenem Rocke umherging, hatten doch die Leute eine gewisse Achtung vor ihm; denn der arme Mann war ein Reichsgraf und dazu der letzte unmittelbare Nachkomme eines großen Kriegshelden und gewaltigen Geistes, dessen Name unter den besten in der deutschen Geschichte genannt wird. Das Besitztum dieses Grafen war zerronnen bis auf einen kleinen Rest, auf dem nur noch ein einziger Pächter saß, und dieser kleine Rest war so überschuldet, daß der Graf weit ärmer war als sein eigener Pächter. So ward dieses Gut zuletzt auch noch Eigentum des Pächters. Und der vordem reichsunmittelbare Graf wanderte eines Tages zu Fuß auf jenes, einst sein kleinstes Gut, um sich bei, der Wohltätigkeit seines früheren Pächters, der unlängst noch sein Untertan gewesen, ein Unterkommen zu suchen. Dieser nahm ihn auf und gab ihm das Gnadenbrot von dem Acker, den er einst von ihm zu Lehen getragen; allein der Acker hätte den Grafen auch nicht mehr standesgemäß nähren können. Und ob der Graf auch nichts mehr hatte, begleitete ihn doch noch – sein Privatsekretär! Er lebte von treuer ehemaliger Dienstleute Barmherzigkeit und lebte dennoch wie ein Graf; niemand konnte sagen, daß der Kostgänger des Hofbauern, der kein Gefolge mehr befaß als einen Privatsekretär, zum Adel gehöre, und doch war er auch kein Bürger, kein Bauersmann. Die Bauern sagen heute noch, er sei so eigentlich kein Graf mehr gewesen, aber wenn man ihn dann schlechtweg bei seinem Namen nannte, fielen sie einem doch gleich berichtigend ins Wort und sagten: der Herr Graf! Und in diesem Widerspruche deckten's die Bauern auf, wes Standes Glied der Graf eigentlich gewesen: er war ein Glied des Standes der Widersprüche, des vierten Standes. Eines Tages bewegte sich ein Karren, davor zwei Kühe gespannt waren, von dem Hofe gegen das Dorf; des Hofbauern Junge führte das Fuhrwerk, auf dem Karren stand ein Sarg, und hinter demselben gingen der alte Hofbauer und der Privatsekretär als Leichengefolge. Der Sarg umschloß die Hülle des letzten Reichsgrafen aus einem der berühmtesten deutschen Geschlechter. So begruben sie ihn aus dem kleinen armen Kirchhofe zwischen versunkenen Bauerngräbern. Und auf den Kirchhof schaut die stolze Burg herab mit ihrer geborstenen Warte: es war die letzte Burg, die der Reichsgraf da unten besessen, freilich nur, da sie schon halb in Trümmern lag. Das Grab stand längere Zeit ohne Zeichen und Schmuck und ward vergessen wie die versunkenen Bauerngräber zur Rechten und zur Linken. Da kamen eines Morgens Steinmetzen in das stille Tal, brachten einen Grabstein, setzten ihn auf des Reichsgrafen Grab, und keiner weiß bis auf diesen Tag, wer den Stein hat setzen lassen. Auf der Vorderseite des Steines ist in goldenen Lettern des Verstorbenen berühmter Name zu lesen. Darüber das Wappen des stolzen Geschlechtes. Auf der Rückseite aber steht in schwarzen Lettern: »Er starb im Elend.« Und am Sockel sind die Worte eingegraben: »Von einem Freunde vaterländischer Geschichte.« Das ist die Mär vom aristokratischen Proletariat. Der Reichsgraf, welcher zuletzt nichts mehr auf der Welt besaß, war an seiner Geburt gestorben; seines Geschlechtes große Geschichte hatte ihn nicht erhalten, nicht ernähren können. Und ein Unbekannter, ein Freund eben jener zermalmenden Geschichte, nicht ein Freund des Hauses oder des Verstorbenen, erweist ihm die letzte Ehre, weil die Tragödie dieses hochgeborenen Proletariers, den er vielleicht nie mit Augen gesehen, ihn erschüttert hat. ... Dieser Reichsgraf, dem noch ein Privatsekretär folgte, hatte lange Zeit ein schönes Besitztum, und als er nichts mehr hatte, hatte er doch noch einen Freund, und wenn es auch nur ein geringer Bauersmann, ein ehemaliger Dienstmann war, der ihn pflegte, der ihm die Augen zudrückte; und doch war er unendlich ärmer gewesen als der arme Arbeiter, den oft genug der wirkliche Hunger beißt, den man ohne Hemd begräbt, und dem man trotzdem nur auf sein Grab schreiben würde: er entschlief im Herrn – und nicht: er starb im Elend!«


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