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Mit Scheffel auf Burg Reichenberg

Von Wilh. Heinr. Riehl

Wenn ich eine schöne Gegend auf einsamem Gang entdeckte, dann dachte ich immer schon im ersten Genießen daran, wie ich sie andern zeigen wollte, und glückte mir's nachher, einen gleichgestimmten Kameraden zu finden, dem ich meine Entdeckung vorführte, dann war das ganze weite Land erst ganz mein eigen ...

Wir hatten in St. Goarshausen übernachtet und waren früh aufgestanden, geweckt vom prächtigsten Sonnenschein.

Unser nächstes Ziel, die Burg Reichenberg, war bald erreicht. Schon von fern freuten wir uns des Anblicks der großartigen Ruine, die an malerischem Reiz der Türme und Mauern die meisten Rheinburgen überragt, nur mangelt dem Vordergrunde der Schmuck des Stromes, denn Reichenberg erhebt sich etwa eine Stunde landeinwärts im Hügelland.

Aber gerade die einsame Lage des weltvergessenen Gemäuers lockte uns. Wir waren beide der Ansicht, daß zu einer wahrhaft schönen Gegend auch schöne, recht gründlich ruinierte Burgen gehörten, »freie Burgen«, das heißt unbewohnte und unbewachte Trümmer, die dem Wanderer offenstehen, die wir beherrschen und auf eine Stunde unser eigen nennen, solange wir darin herumklettern, in alle Winkel kriechen und treiben, was wir wollen.

Wir suchten in dem alten Mauerwerk nach syrisch-fränkischer Architektur, nach maurischen Hufeisenbogen, nach Alhambraornamenten, wir suchten den Orient im Herzen der Niedergrafschaft Katzenelnbogen. Ich hatte Scheffel schon den ganzen Morgen lüstern gemacht nach dieser merkwürdigen Burg, die den Einfluß der Kreuzzüge auf den deutschen Burgenbau bekunde. Der mächtige Hauptturm, auf dem Grundriß eines Vierpasses erbaut und also in vierfacher Rundung profiliert, oben mit einem Stachelkranze von horizontal weit hervorragenden Säulenbasalten phantastisch geschmückt, dünkte uns wenigstens von weitem sehr morgenländisch. Allein im Innern der Burg fanden wir zwar manche interessante Konstruktion und Ornamente, die von der großartigen und reichen Anlage des alten Baues zeugten, die wir aber doch trotz allen Widerstrebens nur für abendländisch erklären mußten, bis ich zuletzt Scheffel darauf aufmerksam machte, daß bei den ältesten Bauteilen nirgends ein Rest oder Ansatz eines Giebels zu entdecken sei. Die Dächer seien in der Tat alle flach gewesen, flache, massiv gebaute Dächer wie bei den Burgen der Kreuzfahrer in Syrien, auf Blanche-Garde bei Askalon, auf der Burg zu Saona. Wo die Wände aufhörten, da fange der Orient an.

Nachdem wir uns im Schatten des großen Turmes gelagert hatten, erzählte ich, daß Graf Berthold von Katzenelnbogen den Vierten Kreuzzug im Jahre 1204 mitgemacht habe und glücklich wieder heimgekehrt sei; da sei nun nichts wahrscheinlicher, als daß er sich diese stolzeste Burg seines Landes zum Andenken im orientalischen Stile habe erbauen lassen.

Scheffel meinte, man lerne doch jeden Tag etwas Neues. Bisher habe er nur gewußt, daß Franzosen und Italiener den Vierten Kreuzzug unternommen hätten, um in Konstantinopel sitzen zu bleiben und das »Lateinische Kaisertum« zu gründen; nun erfahre er, daß doch auch ein deutscher hoher Herr dabei gewesen sei.

»Allein der Deutsche wurde totgeteilt, als die Lateiner die Beute teilten«, bemerkte ich dazu. »Die Venezianer erhielten die schönen Inseln des griechischen Meeres zu Lehen, ein Lombarde Mazedonien, der französische Kriegsberichterstatter Villehardouin Achaja, andere französische Ritter Athen und etliche weitere Städte; nur der deutsche Graf hat nichts gekriegt, und es wäre doch so schön gewesen, wenn Athen damals katzenelnbogisch geworden wäre.«

Scheffel meinte, der Graf Berthold sei dann wohl aus Verdruß wieder nach Haus gegangen und habe sich im Herzen Katzenelnbogens sein eigenes Konstantinopel gebaut, dieses Reichenberg mit den platten Dächern, dem nur ein Stückchen Bosporus fehlt.

So gestalteten wir, wie im Duett herüber und hinüber spinnend und erfindend, ein phantastisches Gewebe von mittelalterlicher Romantik und modernem Humor, und Scheffel meinte zuletzt, das sei ein prächtiger Stoff zu einem lustigen Gedicht, und er wolle von Reichenberg und dem Katzenelnbogener in Konstantinopel singen und sagen, sobald er wieder in der Stephanienstraße zu Karlsruhe sitze.

Ob er diesen Plan wirklich weiter verfolgt, ob er wenigstens irgendwelche Skizze niedergeschrieben hat? Ich weiß es nicht. Der Stoff wäre wenigstens echt scheffelisch gewesen.

Als wir die Burg verließen und wieder an der Pförtnerwohnung vorbeikamen, erhob ich warnend den Finger und sprach: »Es ist gut, daß uns vorhin der Mann nicht belauscht hat, dem die Burg gehört, Archivar Habel von Schierstein. Er hat Reichenberg vor dem schon begonnenen Abbruch gerettet, aber wenn er jetzt vor uns stände, würde er den ganzen romantischen Aufbau deines geplanten Gedichtes schonungslos umreißen und dir erklären, daß jener Berthold, der allerdings Herr dieser Lande war und den Vierten Kreuzzug mitgemacht hat, Reichenberg nicht erbaut habe, sondern vielmehr Wilhelm, ein anderer Graf seines Hauses, und zwar hundert Jahre später. Es wäre dann ein neues Rätsel, wie Graf Wilhelm lange nach den Kreuzzügen zu der orientalischen Bauweise seiner Burg gekommen sei, und wir könnten ihn zu diesem Zwecke etwa eine Pilgerfahrt ins gelobte Land machen lassen. Vielleicht würdest du nun aber noch lieber den kritischen Archivar Habel selbst besingen, der die Burgen rettet und die Burgenpoesie vernichtet, einen alten Junggesellen, den leibhaften Jonathan Oldbuck, Walter Scotts Altertümler ins Deutsche übersetzt, der eine ganze Anzahl schöner Burgen sein eigen nennt, auf denen er sich hier und dort ein kleines Stübchen hergestellt hat, um ab und zu einsame Tage in stiller Beschauung zu verbringen.«

Scheffel meinte, die kritischen Einwände des Archivars würden ihn gar nicht stören; als Poet habe er das unumschränkte Recht, die Burg Reichenberg durch den Grafen Berthold hundert Jahre vor ihrer Erbauung erbauen zu lassen, allein er werde den Archivar Habel auch in das Gedicht bringen und das Dörfchen Reichenberg dazu, für welches der Burgherr Stadtprivilegien von Kaiser Ludwig dem Bayern erwirkt und das es trotzdem in einem halben Jahrtausend nicht einmal zu einem ordentlichen Wirtshaus gebracht habe. Er brummte noch eine Weile über diese urkundlichen Privilegien und das mißratene Dorf; denn es war sehr heiß geworden, und wir hatten großen Durst. Wir begannen darum so schnell wie möglich nach dem gastlichen St. Goarshausen zurückzukehren.

Als wir uns aber nach einer Strecke Wegs noch einmal nach der Burg umschauten, fand Scheffel das Bild so wunderschön, daß er sich unter den nächsten Baum setzte und fast eine Stunde lang, trotz allen Durstes, Burg und Landschaft sorgsam zeichnete.

Ich spann während der unerwarteten Rast an meinen Gedanken über die prächtigen Ruinen weiter; der Pförtner kam mir sehr glücklich vor, der Jahr um Jahr in der Burg und mit der Burg wie mit einer treuen Freundin leben durfte. Ich beschloß eine Novelle zu schreiben, worin solch ein verfallenes Mauerwerk das Glück und Geschick eines sonst aller Glücksgüter ledigen guten Menschen bestimme, und so entstand in mir der Plan zu der Novelle »Burg Neideck«, den ich dann nach meiner Gewohnheit jahrelang in mir herumtrug, bevor ich ihn ausführte.


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