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Das Ende der Günderode

Von Bettina von Arnim-Brentano

Du warst die Huldin jener Sagengaue:
ihr planlos Feuer, Mond und Geisterscheine
hast du mit dir gelöscht hier an der Aue ...
Ein leerer Nachen treibt im nächtigen Rheine.
Stefan George, Grab der Günderode in Winkel.

Da wir in Geisenheim ankamen, wo wir übernachteten, lag ich im Fenster und sah ins mondbespiegelte Wasser. Die Magd, die den Tisch deckte, sagte: »Gestern hat sich auch eine junge schöne Dame, die schon sechs Wochen hier sich aufhielt, bei Winkel umgebracht. Sie ging am Rhein spazieren ganz lang, dann lief sie nach Hause, holte ein Handtuch; am Abend suchte man sie vergebens; am andern Morgen fand man sie am Ufer unter Weidenbüschen, sie hatte das Handtuch voll Steine gesammelt und sich um den Hals gebunden, wahrscheinlich, weil sie sich in den Rhein versenken wollte; aber da sie sich ins Herz stach, fiel sie rückwärts, und so fand sie ein Bauer am Rhein liegen unter den Weiden an einem Ort, wo es am tiefsten ist. Er riß ihr den Dolch aus dem Herzen und schleuderte ihn voll Abscheu in den Rhein, die Schiffer sahen ihn fliegen. – Da kamen sie herbei und trugen sie in die Stadt.«

Ich hatte im Anfang nicht zugehört, aber zuletzt hört' ich's mit an und rief: »Das ist die Günderode!«

Man redete mir's aus und sagte, es sei wohl eine andere, da so viel Frankfurter im Rheingau wären. Ich ließ mir's gefallen und dachte: Gerade, was man prophezeie, sei gewöhnlich nicht wahr. – In der Nacht träumte mir, sie käme mir auf einem mit Kränzen geschmückten Nachen entgegen, um sich mit mir zu versöhnen; ich sprang aus dem Bett in des Bruders Zimmer und rief: »Es ist alles nicht wahr, eben hat mir's lebhaft geträumt!« – »Ach,« sagte der Bruder, »baue nicht auf Träume!« – Ich träumte noch einmal, ich sei eilig in einem Kahn über den Rhein gefahren, um sie zu suchen; da war das Wasser trübe schilfig; die Luft war dunkel, und es war sehr kalt; ich landete an einem sumpfigen Ufer, da war ein Haus mit feuchten Mauern, aus dem schwebte sie hervor und sah mich ängstlich an und deutete mir, daß sie nicht sprechen könne; – ich lief wieder zum Schlafzimmer der Geschwister und rief: »Nein, es ist gar nicht wahr, denn mir hat geträumt, daß ich sie gesehen habe und ich hab gefragt: ›Günderode, warum hast du mir das angetan?‹ Da hat sie geschwiegen, hat den Kopf gesenkt und hat sich, traurig, nicht verantworten können.« –

Am andern Morgen fuhren wir bei früher Zeit auf dem Rhein weiter. Dort stand der Fritz Schlosser am Ufer, und der Bauer, der sie gefunden, zeigte ihm, wo der Kopf gelegen hatte und die Füße, und daß das Gras noch niederliege, – und der Schiffer lenkte unwillkürlich dorthin, und da mußt' ich denn mit anhören die schauderhaften Bruchstücke der Erzählung vom roten Kleid, das aufgeschnürt war, und der Dolch, den ich so gut kannte, und das Tuch mit Steinen um ihren Hals und die breite Wunde; – aber ich weinte nicht, ich schwieg.

Wir landeten in Rüdesheim; überall erzählte man sich die Geschichte; ich lief in Windesschnelle an allen vorüber, den Ostein hinauf, eine halbe Stunde bergan, ohne auszuruhen; – oben war mir der Atem vergangen, mein Kopf brannte, ich war den andern weit vorausgeeilt. –

Da lag der herrliche Rhein, mit seinem smaragdenen Schmuck der Inseln; da sah ich die Ströme von allen Seiten dem Rhein zufließen und die reichen friedlichen Städte an beiden Ufern und die gesegneten Gelände an beiden Seiten; da fragte ich mich, ob mich die Zeit über diesen Verlust beschwichtigen werde, und da war auch der Entschluß gefaßt, kühn mich über den Jammer hinauszuschwingen; denn es schien mir unwürdig, Jammer zu äußern, den ich einstens beherrschen könne.


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