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Der Wein blüht

Von Leo Sternberg

Das Volk der Rebenhügel riecht es nicht. Ihm ist es der Duft der Jahreszeit, der die Luft erfüllt, die Kleider ihm durchdringt und Haar und Haut.

Man steigt zwischen mauerpfefferglühenden Weinbergswänden hinan und tastet witternd in die Ferne, von der es so würzig heranweht. ... Ein Lindenbaum? ... Ein wildes Resedenfeld?

Endlich gewahrst du die bewimperten Gescheine, die bekrönten Traubenküglein und die sandig berieselten Nebenblätter darunter, die den goldnen Blütenstaub mit schützenden Manschetten fangen. Doch zugleich mit dem Quell des Wohlgeruchs entdeckst du auch das heimliche Genist, das Knospenhütchen, Kelch und Stiel in filzigen Klumpen zusammenspinnt.

Der Heuwurm frißt sich darin groß. Das schmarotzende Insekt, das in gleichem Rhythmus mit dem Pflanzensafte lebt und webt und ständig sich verwandelt. Als Motte stieg es aus der Erde und legte die Eier in die geschlossenen Gescheine. Jetzt seilen sich die schwarzköpfigen Würmer weinfarben in die Erde hinab. Kaum aber fängt die Traube an zu schwellen, so flattert es wieder als Motte aus dem Grund, die Frucht mit Eiern übersäend, aus denen nun der – Sauerwurm hervorkriecht, sich durch das Traubenfleisch miniert, bis er herausschnellt, eine peitschende Schlange, und sich wieder in die Erde seilt, um als Heuwurmmotte in den nächsten Lenz zu flattern ... Ewiger Kreislauf. Vom Blut der Rebe abgezweigt und abrollend mit ihrem Wachsen und Werden. Denn Verwandlung ist auch ihr Gesetz.

Doch noch der Wein in den Fässern will von dem Mutterstocke sich nicht lösen. Wenn die Rebe blüht, wird es unruhig in den Kellern. Er fühlt, wie die goldnen Antennen der strahlenden Blütenfäden die Süße droben aus der Sonne holen; wie die Antennenbündel der Wurzelfasern die Kräfte drunten aus den Gründen fangen; wie Himmel und Hölle zu künftigem Trank sich mischt. Da gären im alten Wein die gefesselten Himmel und Höllen. ...

Die Julinacht ist schwül und in den Straußwirtschaften singen die späten Zecher. Sie singen laut in die Stille und hören nicht, wie in den Weinbergen leis die unscheinbare Rebenblüte singt:

»Wie viele werden uns fluchen, wie viele uns segnen. ... Wir haben Kriege entzündet und öfter noch Frieden geschlossen. ... Goldne Paläste sind in uns versunken und goldne Paläste sind uns entstiegen. ... Wir haben ins Grab gestürzt und Geschlechter gezeugt. ... Ehen gestiftet und Ehen geschieden. ... Mit Tränen der Freude Meere gefüllt und mit Tränen der Trauer. ... In Götter und Tiere Sterbliche verwandelt. ... Und weben ewig am Schicksal der Erde. ...«


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