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Die nassauischen Heilquellen

Von L. Katzenstein

Von allen Gegenden der Welt ist wohl keine so reich an Mineralquellen, wie Nassau und innerhalb seiner Grenzen wieder das Taunusgebirge. Fast 20 Mineralbäder von mehr oder minder großer Bedeutung befinden sich hier, und noch eine weitere Anzahl liegt an der Grenze des Gebietes, geographisch noch zu ihm gehörig. Die Ursache für das reiche Zutagetreten der Mineralquellen dieser Gegend beruht wohl darauf, daß durch frühere vulkanische Eruptionen sich tiefe Spalten in der Erde gebildet haben, die die Erdoberfläche mit dem Erdinnern verbinden; hier aber befindet sich ein glutflüssiger Gesteinsbrei, Magma genannt, der außer Gasen und Salzen die Mineralstoffe der Lava enthält. Beim Emportreten dieses glühenden Breies kondensiert sich der Wasserdampf zu flüssigem Wasser, die Gase und Salze werden frei, und das Ganze steigt dann, indem es auf seinem Wege zur Erdoberfläche noch die Salze der durchlaufenen Erdschichten auslaugt, als Mineralquelle zu Tage. Die verschiedene Zusammensetzung der Mineralquellen hängt ab von der Art der Salze, die das vulkanische Wasser aus den Erdschichten auslaugt, die Temperatur der Quellen dagegen von der Tiefe, aus der sie kommen. Da nun erfahrungsgemäß die Temperatur im Erdinnern von 30 zu 30 Meter um 1 °C zunimmt, so kann man aus der Temperatur des Wassers auch einen Rückschluß auf die Tiefe seines Herkommens ziehen, die z.B. bei dem Wiesbadener Kochbrunnen mit seiner Temperatur von 65,7 °C etwa 2000 Meter unter der Erdoberfläche beträgt, bei den Emser Quellen mit ihrer zwischen 30 und 50 °C liegenden Temperatur zwischen 700 und 1400 Meter, während die kalten Quellen von Homburg und Langenschwalbach nur eine Tiefe von 200-300 Meter aufweisen.

Die Mineralquellen Nassaus sind in der verschiedensten Weise zusammengesetzt, und fast alle Charaktere von Mineralquellen sind unter ihnen vertreten; sie genügen also auch in therapeutischer Hinsicht den mannigfaltigsten Anforderungen und haben sich daher in ihren spezifischen Heilwirkungen auf die verschiedensten Krankheiten einen Weltruf erworben, wie ihn kein anderes Quellengebiet genießt.

Die Perle der Nassauischen Bäder, wie der deutschen Bäder überhaupt, ist Wiesbaden, berühmt seit Jahrtausenden durch die Heilkraft seiner Quellen und seine klimatischen Vorzüge, bekannt durch die großartigen Kureinrichtungen, deren hervorragendste das Kurhaus und das Kaiser-Friedrich-Bad sind, denen kein anderes Bad der Welt an Schönheit, Eleganz und Großartigkeit der Einrichtungen etwas Ähnliches an die Seite zu stellen hat.

Am Südabhang des Taunusgebirges, in der Nähe des Rheines gelegen, bettet es sich malerisch hingezaubert in eine Talmulde, die von drei Seiten von schützenden Bergen umgeben, nur nach dem wärmespendenden Süden hin geöffnet ist.

Wie aber das milde Klima die zarte Pflanze schont, so schont es auch den empfindlichen Organismus der Rekonvaleszenten, der Blutarmen, Neurastheniker und aller derer, denen ein rauher Landstrich Erkrankungen bringt; deshalb hat sich Wiesbaden in letzter Zeit immer mehr auch den Ruf eines klimatischen und Winterkurortes erworben.

Zu dem klimatischen Heilfaktor tritt der Heilung bringende Quellgeist. Schon den Römern waren Wiesbadens Quellen, die Aquae Mattiacae, bekannt. Sie errichteten in Wiesbaden eine prächtige Bäderstadt, deren großartige Anlagen zum Teil bei dem Bau des Palasthotels und des Schützenhofes wieder frei gelegt wurden. Während Plinius etwa 70 n. Chr. schon von den heißen Quellen berichtet, besitzen wir allerdings erst in den aus dem 3. Jahrhundert stammenden Votivtafeln, auf denen den Göttern Dank für die Heilung dargebracht wird, Zeichen dafür, daß die Quellen Wiesbadens auch zu Heilzwecken verwendet wurden. Nach dem Sturz der Römerherrschaft im 4. Jahrhundert verschwindet auch das Interesse und Verständnis für die Wiesbadener Quellen; erst aus dem 14. Jahrhundert kennen wir wieder einen Bericht über ein Badefest in Wiesbaden, wobei wir erfahren, daß Männer und Frauen gemeinsam badeten, daß Kurgäste sich selbst beköstigen mußten und die Bäder durch Gegenleistungen bezahlt wurden. Im 17. Jahrhundert wird das erstemal der Trinkkur Erwähnung getan. Im 18. Jahrhundert war Wiesbaden schon eine Badestadt von internationalem Gepräge, in der Ungarn und Polen, Schweden, Engländer und Franzosen als Badegäste weilten. Einen besonderen Aufschwung nahm Wiesbaden unter Wilhelm I. von Nassau im Anfang und Adolf von Nassau in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die durch die Errichtung der bemerkenswertesten Bauten und Kureinrichtungen den Grund legten für die großartige Entwicklung, die das Bad Wiesbaden zur Zeit der Hohenzollern nahm.

Wiesbaden besitzt 27 Quellen, die zur Gruppe der warmen einfachen Kochsalzquellen gehören. Einige der Quellen, aber die wichtigsten, befinden sich in städtischem Besitz, die meisten im Besitze verschiedener Hotels, »Badhäuser« genannt. Die wichtigste Quelle ist der Kochbrunnen, der auch das Wasser für die Trinkhalle liefert; er ergibt täglich 5472 Hektoliter, während alle Quellen zusammen etwa 20 000 Hektoliter zutage fördern. Der Kochbrunnen – ich will ihn als Vertreter der anderen Thermalquellen nennen – enthält 8,8 Gramm feste Bestandteile im Liter, unter denen das Kochsalz die Hauptrolle spielt. Außer Kochsalz enthält er von wesentlichen Mineralien noch 0,0037 Gramm pro Liter Lithium, dem auch in dieser geringen Menge eine stark harnsäurelösende Wirkung zugesprochen wird, sowie Eisenoxydul- und Manganverbindungen, die selbst in geringster Menge als sogenannte Katalysatoren durch ihre bloße Anwesenheit bedeutende chemische Wirkungen entfalten. Erst in neuester Zeit hat Ludwig Fresenius auf die große Bedeutung dieser Verbindungen und der Wasserstoff-Ionen-Konzentration aufmerksam gemacht. Die Temperatur des Kochbrunnens beträgt 65,7 °C. Die übrigen Quellen kommen in ihrer Zusammensetzung und Temperatur dem Kochbrunnen ziemlich gleich. Was die Heilanzeigen für die Wiesbadener Thermen anbetrifft, die zu Bade-, Trink- und Inhalationskuren verwendet werden und als Quellprodukte auch zum Versand kommen, so genießen sie einen Weltruf für die Heilung der gichtischen und rheumatischen Erkrankungen der Gelenke, der Muskeln und Nerven, unter Letzteren vor allem von Ischias, ferner für die Heilung der Erkrankungen der Schleimhäute des Magens und Darms und der Kartarrhe der Stimmorgane, auf die sie einen vorzüglichen Einfluß haben, ferner für die Rekonvaleszenz nach erschöpfenden Krankheiten und für die Heilung von Weichteilverwachsungen nach Knochenbrüchen und Verwundungen.

In der Nähe Wiesbadens, an einer der schönsten Stellen des rechten Rheinufers, unterhalb des Niederwalddenkmals, liegt das »Gichtbad« Aßmannshausen. Auch diese Mineralquellen waren wahrscheinlich schon den Römern bekannt und wurden schon im 15. Jahrhundert zu Heilzwecken verwendet. Nachdem sie mehrere Jahrhunderte in Vergessenheit geraten waren, kamen sie 1878 wieder in Aufnahme. Sie gehören zu den warmen alkalischen Kochsalzquellen und werden gegen Gicht und Rheumatismus, Magen- und Darmkatarrhe, Nieren- und Blasenleiden angewandt. Aßmannshausen hat einen starken Mineralwasserversand.

Das bedeutendste Taunusbad nach Wiesbaden ist Homburg v. d. H., vor dem Kriege ein internationales Bad von vorwiegend englischem Gepräge. Auch die Homburger Quellen benutzten die Römer schon im 2. und 3. Jahrhundert zu Badezwecken und zur Salzgewinnung. Wie bei keiner anderen Niederlassung ist uns hier auf der wiedererbauten Saalburg ein einzigartiges Denkmal der Römerzeit erhalten. Aber auch die Homburger Quellen benutzten die Römer nicht zu Heilzwecken; erst 1744 werden sie zum erstenmal als Heilquellen erwähnt.

Es sind ihrer acht, die zusammen täglich 1300 Hektoliter Wasser liefern. Die bekannteste von ihnen ist der Elisabethenbrunnen, der ja auch zu »Homburger Kuren« in die ganze Welt versandt wird. Mit seinen beträchtlichen Mengen von Calcium, Magnesium und seiner reichen Kohlensäure, gehört er, wie mehrere andere Quellen, zu den erdigen Kochsalzsäuerlingen, während der Stahlbrunnen und der Luisenbrunnen mit ihrem hohen Eisengehalt und ihren Eisenionen zu den erdig-muriatischen Eisensäuerlingen zählen; sie werden, ebenso wie der Kaiserbrunnen und der Soolsprudel, zum Baden und Inhalieren benutzt, während der Elisabethenbrunnen zu Trinkkuren Verwendung findet. Die Temperatur des Elisabethenbrunnens beträgt 10,6 ºC. Das hauptsächlichste Indikationsgebiet für die Homburger Quellen sind die Krankheiten des Verdauungsapparates, wie Magen-, Darm-, Leber- und Gallenleiden; aber auch Herzkrankheiten, ferner Gicht und Rheumatismus, Frauenleiden und Blutarmut werden in Homburg mit Erfolg kurgemäß behandelt.

s. Bildunterschrift

P. Dahlen, Alt-Wiesbaden, Rathaus.

In der Nähe Homburgs liegt Bad Soden a. T. Von seinen 25 Quellen, von denen heute 9 zu Heilzwecken verwendet werden, sind einzelne schon von altersher bekannt. So wurde der Milchbrunnen schon 1494 gefaßt, der Sprudel aber erst 1858 erbohrt. Die Quellen Sodens werden wegen ihres mehr oder weniger hohen Gehaltes an Kochsalz und an freier Kohlensäure ebenfalls zu den Kochsalzsäuerlingen gerechnet. Sie enthalten außerdem an wesentlichen Bestandteilen Calcium, Magnesium und Eisen. Ihre Temperatur schwankt zwischen 15 und 30 ºC. Sie werden zur Bade- und Trinkkur und zu Inhalation – in dem ganz modernen Inhalatorium – mit sehr gutem Erfolg angewandt, einerseits wegen ihrer Eigenschaft, die Sekrete der Schleimhäute zu verflüssigen und diese wieder zu normaler Sekretion anzuregen, bei allen Katarrhen der Atmungsorgane und des ganzen Verdauungsapparates, andererseits wegen ihres Einflusses auf die Anregung des Gesamtstoffwechsels und die Aufsaugung pathologischer Produkte in der Behandlung der Skrofulose, Rhachitis, der Gicht und des Rheumatismus, ferner der Blutarmut und der verschiedenen Exsudate.

Als Stahl- und Moorbad seit vielen Jahrhunderten bekannt ist Langenschwalbach, am nördlichen Taunusabhang in einem langgestreckten Tale gelegen. Seine Entwicklung zum Badeort fällt in die Mitte des 16. Jahrhunderts, wo der Arzt Tabermontanus aus Worms durch seine Schriften auf die heilsame Wirkung der Quellen hinwies. Durch die Fürsorge der Landgrafen zu Hessen-Darmstadt blühte Langenschwalbach schon zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges zu einem der bedeutendsten Luxusbäder Deutschlands auf. Nach dem Übergang an das Herzogtum Nassau im Jahre 1816 förderten die Schriften des Arztes Fenner und des englischen Majors Head seine Entwicklung, die auch unter der Herrschaft der Hohenzollern (seit 1866) weitere Fortschritte und Langenschwalbach zu einem weltbekannten Badeort von spezifischer Wirkung bei Blutarmut, Frauen- und Herzkrankheiten machte. Das Bad besitzt 8 Quellen, die zu den stärksten reinen Stahlquellen Deutschlands gehören und sich durch einen sehr hohen Kohlensäuregehalt auszeichnen. Auch seinen vorzüglichen Moorbädern, deren Moor aus benachbarten Lagern stammt und mit Mineralwasser angerührt wird, verdankt Langenschwalbach einen Teil seiner Besucher.

Nicht weit von ihm entfernt liegt in einem idyllischen Tal, von grünen Bergen umschlossen, Schlangenbad, dessen neun Quellen, schon im 17. Jahrhundert zu Heilzwecken benutzt, auch heute noch ebenso geschätzt sind wie das anregende und besonders in der heißen Sommerszeit erfrischende Waldklima Schlangenbads. Seine Quellen gehören zu der Gruppe der warmen Wildbäder und enthalten nur 0,4 Gramm feste Bestandteile im Liter, unter denen das Kochsalz überwiegt. Ihre Temperatur schwankt zwischen 28 und 31 ºC. Zur Behandlung in den Badehäusern und dem neu errichteten, prächtigen Kurhaus kommen hauptsächlich chronische Hautausschläge, Nervenkrankheiten und chronische Frauenleiden; auch bei Stoffwechselkrankheiten sind die Quellen, getrunken oder in der Form des Bades, heilsam.

Zur Behandlung chronischer Hautleiden wurde früher vielfach die kalte alkalische Schwefelquelle des Bades Weilbach (zwischen Frankfurt und Wiesbaden gelegen) benutzt, das heute nur noch einen Wasserversand hat. Die Quelle enthält Glaubersalz und Kochsalz sowie ziemlich viel freien Schwefel-Wasserstoff; in der Form von Trinkkuren und Inhalationen wirkt sie auch auf die chronischen Katarrhe des Atmungsapparates, Leberanschoppungen, Hämorrhoiden, Syphilis und Metallvergiftungen günstig. Die andere Quelle Weilbachs ist eine Natronlithion-Quelle, die bei der Behandlung der harnsauren Diathese, bei Gicht und Rheumatismus, Blasen- und Nierenleiden Verwendung findet.

Eines der berühmtesten Bäder nicht nur Nassaus, sondern überhaupt, ist Bad Ems a. d. Lahn, wegen der geschichtlichen Ereignisse, die sich an seinen Namen knüpfen, ebenso bekannt wie als einziger warmer alkalisch-muriatischer Säuerling Deutschlands. Seine zahlreichen Quellen, unter denen das Kränchen und der Kesselbrunnen die hervorragendsten sind, wurden schon zur Römerzeit zu Heilzwecken benutzt, wie eine dort aufgefundene römische Badeanstalt beweist. Danach hörte man erst wieder 1172 von ihnen. Von 1429 bis 1803 gemeinsam Nassau-Oranien und Hessen-Darmstadt gehörend, erfreute sich Ems im 16. Jahrhundert schon solcher Schätzung, daß viele berühmte Ärzte ihm Schriften widmeten. So im 17. Jahrhundert Dr. Weigel und der Frankfurter Arzt Dr. Horst, und im Anfang des 19. Jahrhunderts der Wirkl. Geh. Rat Friedrich Diel. 1852 wurde von Dr. Spengler das erste Inhalatorium errichtet. Nachdem Ems 1866 vom Herzogtum Nassau an Preußen übergegangen war, begann für das Bad eine ungeahnte Blütezeit.

Wie Temperatur der Emser Quellen schwankt zwischen 30 und 50 ºC. Die Summe der gelösten festen Bestandteile im Liter ergibt etwa 3,9 Gramm, unter denen das Kochsalz überwiegt. Die Quellen werden meistens für die Trinkkur, für Inhalationen und Gurgelungen verwendet, die Neuquelle und die Römerquelle auch für Bäder. Sehr groß ist der Versand des Emser Wassers – etwa 3 Millionen Flaschen jährlich – des Quellsalzes und der Pastillen. Auch ein zahnsteinlösendes Zahnpulver, aus Emser Salzen gewonnen, wird jetzt hergestellt.

Zur Behandlung kommen vornehmlich die Katarrhe der Nase, des Rachens, des Kehlkopfes und der Bronchien, ferner Rückstände von Lungen- und Rippenfellentzündungen, Emphysem und Asthma, Katarrhe des Verdauungsapparates und der Harnorgane, Frauenleiden, Gicht und Rheumatismus.

Es gibt noch eine Reihe sonstiger bemerkenswerter Quellen in Nassau, die aber weniger zu Kuren am Ursprung der Quellen, wie als Tafelwasser Verwendung finden. Am bekanntesten sind Fachingen, ein alkalischer Säuerling; Cronthal, ein erdiger Kochsalzsäuerling, sowie Oberselters und Niederselters, die zu den alkalisch-muriatischen Säuerlingen gehören. Auch die Quellen von Kiedrich, die in ihrer Zusammensetzung den Wiesbadener Quellen sehr nahe kommen, dienen hauptsächlich zum Versand.

In alle Lande der Welt tragen die Nassauischen Quellen den Ruf ihrer Heimat, und bringen der kranken Menschheit der ganzen Erde ihren Segen. So bildet der Gesundbrunnen, den die Menschenträume von jeher in weiter Ferne suchten, in Wahrheit eins der Wunder unsres heimischen Bodens, wo er aus den Straßen dampft, über die wir gehen, und aus den Waldtälern schäumt, in denen wir lagern.


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