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s. Bildunterschrift

H. Dienz, Kloster Arnstein b. Obernhof.

Das Bild von Arnstein

Von Ernst von Wildenbruch

An den Ufern der Lahn, oberhalb der Ems, nicht weit davon, liegt ein Ort, der sich Arnstein nennt. Ein Bach geht zwischen den Häusern entlang; über den Häusern steigt ein Hügel auf, und auf dem Hügel, weit sichtbar, erhebt sich eine prächtige Kirche.

Ein Bild hängt darin, ich glaube, nur ein einziges; und dieses Bild hat es bewirkt, daß ich die Kirche nie wieder vergessen habe.

Nicht, daß es ein besonderes Kunstwerk gewesen wäre – im Gegenteil, eine mittelmäßige Schilderei, vielleicht aus dem siebzehnten Jahrhundert. Aber der Gegenstand! Ein Mann ist im Brustbilde dargestellt. Der Mann ist unbekleidet; Flammen umlodern ihn, zur Rechten und Linken, mit großen, roten Zungen, so daß er mitten im Feuer zu stehen scheint. Zwei Schlangen ringeln sich über die Schultern des Mannes, zwei große, dicke Schlangen: die eine hat sich in seine Brust verbissen, da, wo in der Brust das Herz schlägt; die andere sperrt den Rachen auf, um gleichfalls hineinzuschlagen in das unbeschützte Fleisch. Gerade weil man dem Bilde ansieht, daß es dem Maler nicht auf die Malerei angekommen ist, sondern auf den Vorgang, wirkt dieser Vorgang so gräßlich. Mit der einen Hand hat der Mann die beißende Schlange gepackt, als wollte er sie von sich losreißen; aber es hilft ihm nichts; das Untier haftet fest. Und so muß er aushalten in der Höllenqual. Denn daß es Höllenflammen sind, die ihn umlecken, Höllenqualen, die ihn zerreißen, das sieht man seinem Gesicht an, dem fahlen, aschgrauen, das in Verzerrung dem Beschauer in die Augen blickt. Um den oberen Rand des Gemäldes läuft eine Inschrift, ein Distichon in lateinischer Sprache. Ich kann mich des Wortlautes nicht genau mehr erinnern, nur den Inhalt habe ich behalten: »Der du mich anschaust und fragst, was mich in diesen Höllenpfuhl gestoßen, wisse, es war der Neid.« Invidia – so lautet das lateinische Wort.

Ich drehte mich um. »Was hat es für eine Bewandtnis mit dem Bilde da?« fragte ich die Beschließerin, die hinter mir stand. »Wie kommt es her? Wen stellt es dar?«

»Das ist das Bild«, erwiderte die Frau, »von dem Mann, der die Kirche hier gestiftet hat und hat bauen lassen.«

Merkwürdige Art, den Stifter einer Kirche zu verewigen, indem man sein Bild in solcher Gestalt in seine Kirche hängt!

»Wer hat das Bild von ihm malen lassen?« forschte ich weiter.

»Er selber hat sich so malen lassen und bestimmt, daß das Bild für alle Zeit da hängen sollte.«

»Er selber – wer war der Mann?« Das wußte die Frau nicht.

»Was hatte er getan?« Das wußte sie auch nicht.

Düsteres Geheimnis. Wir waren allein in der Kirche, ich, die Beschließerin und der da auf dem Bilde. Und in meiner Vorstellung erschien es mir, als stände hinter dem Bilde etwas auf, etwas Dunkles, irgendein grauenvolles Ereignis, eine furchtbare Tat. Niemand wußte mehr, was es gewesen. Die Zeit hatte alles in Schweigen begraben, die Tat und das Opfer. Nur einer war übriggeblieben, ein Zeuge, der das Schreckliche aus nächster Nähe mit angesehen hatte, aus allernächster, der Täter selbst. Und der hatte dafür gesorgt, daß sein Andenken der Nachwelt erhalten blieb in solcher Gestalt. Was für eine Art von Mensch mußte das gewesen sein. Meine Gedanken tasteten an dem verzerrten Gesichte herum, das auf mich herabblickte.

Ein Mensch, in dem ein furchtbares Blut furchtbare Leidenschaften geheizt hatte, dem das wilde Blut keine Ruhe gelassen hatte, bis daß er die Tat vollbrachte, und in dessen Seele, nachdem die Tat geschehen war, mit der gleichen elementaren Gewalt des bösen Antriebs der Rückschlag gekommen war, die Reue.

Wie sie ihn gepackt haben mußte! Wie sie ihn geschüttelt, zerrissen und zerfleischt haben mußte!

Mir war, als sähe ich ihn, wie er zum Beichtiger in den Beichtstuhl kniete, mit heulenden Tränen sein Bekenntnis stammelnd, mit klappernden Zähnen sein: »Was soll ich tun? Was soll ich tun?« herausfragend.

»Faste, bete, kasteie dich,« kam die Antwort, »und baue eine Kirche.«

Und er fastete, betete, kasteiete sich und baute eine Kirche. Eine große Kirche, eine mächtige; je mächtiger, desto besser, wie eine Riesenlast, die er auf den Wurm wälzen wollte, der an seiner Seele fraß, daß sie den Wurm erdrückte.

Und als die Kirche erbaut, war alles umsonst, der Wurm war nicht erdrückt, lebte immer noch und nagte und nagte.

Da, als er fühlte, daß sein Leben zum Ende ging, ließ er einen Maler an das Bett rufen, auf dem er versiechend lag, und hieß ihn ein Bild malen. Nicht ein Bild, das ihn darstellte in Kraft und Gewandung seines Lebens – denn offenbar war es ein reicher und mächtiger Mann gewesen –, sondern so, wie er sich in seinem Jammer fühlte, als armer Sünder, in aller Nacktheit der schuldbewußten Seele, von Flammen gebrannt, von dem Schlangenrachen der Reue zerfleischt.

Er selber gab die Inschrift an, die man auf das Bild setzen sollte, und bestimmte, daß es aufgehängt würde in der Kirche, die er selbst gebaut, sein eigenes Ich im eigenen Werke eingesperrt, sein Schatten, den er von Grabesruhe und vom Frieden des Vergessens ausschloß, damit es dort hinge wie der graue Aschenrest einer schrecklichen Feuersbrunst, wie der fahle Widerschein eines mit Blut gemalten Vorgangs, solange die Kirche stehen würde, jahrhundertslang, immer und für alle Zeit. Immer wieder, so oft die Augen zukünftiger Menschen sich auf das Bild richten würden, den Schauder erweckend, der mit tastenden Fühlfäden hinunter langte in das Grab, wo der Verbrecher lag, und für immer, wenn kein Besucher in der Kirche war, mit sich allein in der furchtbaren Einsamkeit, jahrelang, jahrhundertelang mit sich allein und der Erinnerung an das, was einstmals gewesen.


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