Stendhal
Bekenntnisse eines Ichmenschen
Stendhal

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Aus den österreichischen Polizeiakten

Bericht des Polizeidirektors von Mailand, Graf Torresani, an den Präsidenten der obersten Polizei- und Zensurhofstelle, Graf SedlnitzkyZwei entsprechende italienische Berichte Torresanis an den Statthalter der Lombardei, Graf Strassoldo, bei D'Ancona, »Memorie e documenti« usw., Florenz (1914), S. 308 ff.

Mailand, 29. Januar 1829.

Euer Exzellenz! Gnädiger Herr!

In der Nacht vom 1. dieses langte der Franzose Heinrich Bayle(!) aus Süditalien zurückkommend hier an. Dieser unter der Bonapartischen Herrschaft mit der Stelle eines Auditors im Staatsrat bekleidete Fremde ist als der Verfasser des berüchtigten Werkes bekannt, welches den Titel »Rome, Naples et Florence par M. de Stendhal« führt und worin er nicht nur in politischer Rücksicht die verderblichsten Grundsätze äußerte, sondern auch durch verleumderische Angaben den Ruf mehrerer Individuen dieser Provinzen und anderer Staaten Italiens höchlichst kompromittierte, ja selbst die Frechheit hatte, die sträflichsten Reden gegen die Österreichische Regierung zu führen. Als nun Bayle Gesundheit und Belustigung als die einzigen Zwecke seiner gegenwärtigen Bereisung der Italienischen Halbinsel angebend, sich um einen Aufenthaltsschein auf längere Zeit bewarb, wurde er angewiesen, augenblicklich die k. k. Erbländer zu verlassen. Auf seine über diese Maßregel erhobenen Klagen gab man ihm offen zu erkennen, daß er diese Behandlung nicht so sehr der Verwegenheit, womit er seine Galle gegen die Österreichische Regierung, welche ihrer Würde und Macht bewußt, die unsinnigen Diatriben der ausländischen Skribler nicht achtet, ausließ, als dem sträflichen Benehmen beizumessen habe, womit er in seinem Werk den Ruf vieler achtbarer Personen und besonders unserer ehrwürdigen Damen Mailands, wo er vom Jahre 1816 bis 1821 volle Gastfreundschaft genoß, antastete.

Bayle (!) schien über diese Bemerkung sehr betroffen, bestand aber darauf, nicht der Verfasser des obgedachten Werkes zu sein, und äußerte das Vorhaben, aus Paris mittelst der k. k. Österreichischen Botschaft seine Rechtfertigung um so mehr hieher baldigst gelangen zu lassen, als er den Wunsch hege, sich in der Lombardei, deren Klima seiner Gesundheit sehr zuträglich sei, einzulassen.

Das innere Gefühl seiner Schuld hinderte ihn aber, bei dem Hr. Staatsregierungspräsidenten gegen die im Einverständnisse mit ihm von mir getroffene Verfügung zu reklamieren, und er setzte sogleich seine Reise nach Frankreich über den Simplon fort.

Ich unterließ auch nicht, die unbedingte Zurückweisung dieses gefährlichen Fremdlings bei seinem auffälligen Wiedererscheinen auf der Grenze einzuleiten und auch den k. k. Polizeidirektionen in Venedig und Triest hievon die Mitteilung zu machen.

Unerheblich ist das Resultat der während des kurzen Aufenthaltes Bayles in Mailand veranlaßten Beobachtung desselben.

Von den vielen Bekannten, die er hierlands noch seit seinem früheren beinahe fünfjährigen Aufenthalte hat, besuchte er nur einen sichern Luigi Buzzi,Über Luigi Buzzi (oder Bucci) s. Seite 555 f. in dessen Gesellschaft er ausschließlich fast die ganze Zeit seines Hierseins zubrachte. Buzzi ist ein Mailänder von gemeiner Herkunft, welcher sich in den Epochen der französischen Revolution und des erloschenen Königreichs Italien durch Spekulationen in Nationalgütern und Staatseffekten bereicherte, und nun ein gemächliches Einkommen hat. Dessen politische Gesinnungen neigen sich zu dem modernen Liberalismus. Als ein Günstling des Glückes während der vorigen politischen Umwälzung Europas ist ihm wohl eine gerechte, jeden Unfug ahndende Regierung nicht die liebste, aber so ziemlich zufrieden mit seiner gegenwärtigen ökonomischen Lage, erkennt Buzzi jedoch den Wert der Ruhe und des Friedens und er ist viel zu vorsichtig, um zu geheimen Machinationen mitzuwirken, wenn er auch in seinem Innern eine Veränderung der gegenwärtigen Ordnung der Dinge wünschen mag, um dann wieder im Trüben fischen zu können. Auch dessen strenge Beobachtung werde ich mir von nun an angelegen sein lassen.

Schließlich habe ich noch untertänigst zu bemerken, daß Bayle während seines mehrjährigen Aufenthaltes in Mailand sich als irreligiöser, unmoralischer und gefährlicher Feind der Legitimität bewies, so daß man nicht begreifen kann, wie er von meinen Vorfahren so viele Jahre ungestört dahier belassen worden sei, zumal da er eben mit unseren berüchtigten Liberalen in der freundschaftlichsten Berührung stand. Er wird auch allgemein als der Verfasser eines anderen äußerst verderblichen Werkes gehalten, welches im Jahre 1817 in Paris erschien und den Titel »Histoire de la peinture en Italie par M.B.A.A.« führt.

Ich gebe mir die Ehre, von diesem Vorfalle Euer Exzellenz in Kenntnis zu setzen, indem ich in tiefster Ehrfurcht verharre

Euer Exzellenz untertänig-gehorsamster

Torresani

Schreiben des Wiener Polizeipräsidenten Grafen Sedlnitzky an den Staatskanzler Fürst Metternich

Wien, 30. November 1830.

Aus den nebenliegenden Berichten des Mailänder Generalpolizeidirektors vom 22. und 23. l. M. belieben Eure Durchlaucht zu entnehmen, daß derselbe Franzose Henri Beyle, welcher im Jahre 1826 laut des beifolgenden Berichtes desselben Generalpolizeidirektors vom 29. Jänner 1828 als der Verfasser mehrerer, unter dem apokryphen Titel eines Baron de Stendhal in Druck erschienenen, revolutionären, besonders gegen Österreich feindselig geschriebenen Pamphlete aus Mailand und den k. k. Staaten abgeschafft wurde, dermal in der Absicht, um das ihm von der nunmehrigen königlich französischen Regierung zugedachte Amt eines französischen Generalkonsuls zu Triest anzutreten, auf der Reise dahin zu Mailand erschienen ist, und, ungeachtet seinem Reisepaß die Visa der k. k. Botschaft zu Paris fehlte, mit Zustimmung des Gouverneurs der Lombardei die Reise nach Triest fortgesetzt hat.

Um den Grad sowohl der Feindseligkeit dieses Franzosen gegen die k. k. österreichische Regierung als der Bedenklichkeit seiner mit dem Geiste unserer Politik sowie mit dem System unserer Staatsverwaltung unverträglichen politischen Maximen anschaulich zu machen, erlaube ich mir, Euer Durchlaucht die motivierten Zensurs-Decisa über drei seiner obengedachten Werke: »Histoire de la Peinture en Italie«, Paris 1817, Didot, »Rome, Naples et Florence«, Paris 1826, Delauney, und »Promenades dans Rome«, Paris 1829, hierneben zur gefälligen Einsicht zu überreichen.Diese sehr ausführlichen Gutachten oder besser Verdammungsurteile sind in den »Süddeutschen Monatsheften«, März 1912, von A. Bettelheim in dem Aufsatz: »Stendhal-Beyles Triester Konsulat« veröffentlicht, dem die obigen Akten entnommen sind.

Da ich voraussetzen zu dürfen glaube, daß Eure Durchlaucht sich bestimmt finden dürften, für den Fall als die königlich französische Regierung um das Exequatur für den in der Stelle eines Generalkonsuls zu Triest in verdoppeltem Maß bedenklichen Henry Beyle wirklich einschreiten sollte, so nehme ich mir die Freiheit, Hochdieselben um die gefällige Anhandlassung zu ersuchen, ob dieser aus den k. k. Staaten früher abgeschaffter Franzose zum Austrage dieser Angelegenheit in Triest geduldet werden müsse, oder was sonst seinethalben vorzukehren sei.

Sedlnitzky.

Schreiben des Staatskanzlers Fürst Metternich an den österreichischen Botschafter in Paris, Graf Apponyi

Wien, 21. November 1830.

... Euer Exzellenz ist nicht unbekannt, was Beyle unter dem Namen de Stendhal gegen die österreichische Regierung in Italien hat drucken lassen. Seine Zulassung zu der ihm von dem vorhergehenden MinisterDer Minister des Auswärtigen Graf Molé, dem Stendhal seine Ernennung verdankte. zugedachten Stellung brächte die Gefahr unvermeidlicher Unzuträglichkeiten mit sich, die um so ärgerlicher wären, als uns daran liegt, sorgfältig alles zu vermeiden, was das gute Einvernehmen zwischen beiden Ländern stören könnte.

Somit fordere ich Sie auf, Herr Graf, diese Gründe in geeigneter Weise beim jetzigen Ministerium geltend zu machen, um es zu veranlassen, dem H. Beyle seine Bestallung zu entziehen und einen andern Konsul zu ernennen, dessen Denk- und Handlungsweise nicht die gleichen Unzuträglichkeiten mit sich bringt.

Die von mir angegebenen Gründe für die Entziehung sind zu offenbar, als daß sie dem Scharfblick des französischen Kabinetts entgehen könnten. Somit hegen wir nicht den mindesten Zweifel am Erfolg Ihrer Vorstellungen.Am 7. Dezember 1830 meldete Graf Apponyi, daß der französische Minister des Auswärtigen, Graf Sebastiani, die Verweigerung des Exequatur für Beyle zur Kenntnis genommen und eine befriedigende Lösung des Zwischenfalles in Aussicht gestellt hätte.

Metternich

Schreiben des Ministers des Auswärtigen Grafen Sebastiani an BeyleAus Stendhals »Correspondance«, III, 38 f.

Paris, 16. März 1831.

Ich beehre mich, Ihnen anzuzeigen, daß der König es dienstlich für zweckmäßig gehalten hat, Sie zum französischen Konsul in Civitavecchia zu ernennen. Durch die gleiche Verfügung vom 5. d. M. hat S. M. zu Ihrem Nachfolger Herrn Levasseur bestimmt, der demnächst nach Triest abreisen wird. Sie wollen diesen Posten jedoch vor der Ankunft Ihres Nachfolgers und ohne regelrechte Übergabe der Konsulatspapiere an ihn nicht verlassen. Zugleich teile ich Ihnen mit, daß ich Ihr Patent an den königlichen Botschafter in Rom sende, mit dem Ersuchen, es Ihnen unmittelbar nach Civitavecchia zu schicken, sobald es mit dem Exequatur der päpstlichen Regierung versehen ist. S. Majestät zweifelt nicht an dem Eifer usw.

H. Sebastiani.

Schreiben der Römischen Kurie an den Statthalter der Lombardei, Graf HartigAus Raffaelo Barbiera, »Figure e figurine del secolo che muore«, S.68.

Rom, 5. April 1832.

... Die Regierung Sr. Heiligkeit weiß sehr wohl, wes Geistes Kind der Herr Beyle ist, und beabsichtigt, sich dieses Agenten der revolutionären Propaganda sowie seines würdigen Kollegen, des vorläufigen Vizekonsuls Quittet in Ancona, zu entledigen, wenn sie bei guter Gelegenheit die Hände frei hat.


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