Stendhal
Bekenntnisse eines Ichmenschen
Stendhal

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Selbstverfasste Nachrufe

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Henri Beyle, 1783 in Grenoble geboren, ist soeben in ... (am ... Oktober 1820)Diese Lebensskizze entstand 1821 nach Beyles Rückkehr von England nach Paris, wo er noch immer mit Selbstmordgedanken spielte, und vor der Drucklegung seines Werkes »Über die Liebe« (1822), mit dem er seine Todessehnsucht überwand. gestorben. Nachdem er Mathematik studiert hatte, war er eine Zeitlang (1800–1802) Offizier im 6. Dragonerregiment. Während eines kurzen Friedens folgte er einer Frau, die er liebte,S. Seite 241 f. nach Paris und nahm seinen Abschied, was seine Beschützer gewaltig aufbrachte. Nachdem er einer SchauspielerinMelanie Guilbert. nach Marseille gefolgt war, wo sie die ersten tragischen Rollen spielen sollte, kehrte er 1806 in den Dienst zurück, und zwar als Adjunkt beim Kriegskommissariat. Als solcher lernte er Deutschland kennen und wohnte Napoleons siegreichem Einzug in Berlin bei, der ihm tiefen Eindruck machte. Als Verwandter des Kriegsministers Daru, des dritten Mannes nach Napoleon und dem Fürsten von Neuchâtel,Alexander Berthier, Fürst von Neuchâtel (1753–1815), Generalstabschef Napoleons. tat Beyle manchen Blick in das Räderwerk dieser großen Maschine. Er wurde 1806–1808 in Braunschweig verwendet und zeichnete sich dort aus. In Braunschweig studierte er die deutsche Sprache und Philosophie und bekam eine ziemlich geringe Meinung von Kant und Fichte, jenen höheren Menschen, die nur gelehrte Kartenhäuser aufgebaut haben.

Im Jahre 1809 kehrte Beyle nach Paris zurück und machte dann den Feldzug in Österreich 1809 und 1810 mit. Nach seiner Rückkehr wurde er Auditor im Staatsrat und Generalinspekteur der kaiserlichen Mobilien. Außerdem wurde er mit der Abteilung Holland bei der Verwaltung der kaiserlichen Zivilliste betraut. Im Jahre 1811 lernte er den Herzog von Friaul (Duroc) kennen und machte eine kurze Reise nach Italien, das er seit den drei Jugendjahren, die er dort verbracht hatte, stets liebte. Im Jahre 1812 setzte er es trotz großer Schwierigkeiten von seiten des Intendanten des kaiserlichen Hauses, des Herzogs von Cadore, durch, an dem russischen Feldzuge teilzunehmen. Er erreichte das kaiserliche Hauptquartier am 14. August 1812 bei Orscha, zog in Moskau am 14. September mit Napoleon ein und verließ es am 16. Oktober mit dem Auftrage, Lebensmittel für die Armee beizutreiben. Durch ihn erhielt die Armee auf dem Rückzuge zwischen Orscha und Bober das einzige Stück Brot, das sie bekommen hat. In Bober erkannte Herr Daru dies im Namen des Kaisers an. Auf jenem Rückzuge war Beyle nie in kläglicher Stimmung. Als er sich bei Königsberg durch die Fahrt über das Frische Haff vor den Kosaken rettete, brach das Eis unter seinem Schlitten ein. Sein Begleiter war der Kriegskommissar Marchand (Rue du Doyenné 5). Da man dieser kaiserlichen Armee nicht mal eingestand, daß man sich auf dem Rückzuge befand, nahm er Aufenthalt in Stargard, dann in Berlin, wo er den Abfall von Frankreich mit ansah. In dem Maße, wie er der Gefahr entrückt wurde, erfaßte ihn ein Grausen davor. Von Schmerz gebrochen, kam er in Paris an. Zu dieser Stimmung trug sein körperlicher Zustand viel bei.

Nach einem Monat guter oder doch reichlicher Ernährung war er wieder hergestellt. Sein Beschützer zwang ihn zur Teilnahme am Feldzuge von 1813. Er wurde Intendant in Sagan unter dem ehrenwertesten und beschränktesten aller Generale, dem Marquis und damaligen Grafen Victor de Latour-Maubourg.1766–1850, Reitergeneral unter Napoleon, 1819–21 Kriegsminister. Dort zog er sich ein schweres Nervenfieber zu. Binnen acht Tagen waren seine Kräfte völlig erschöpft; soviel war nötig, um ihm die Rückkehr nach Frankreich zu gestatten. Er verließ Paris sofort und fand am Comer See Genesung. Kaum zurückgekehrt, schickte ihn der Kaiser mit einem Auftrage zum 7. Wehrbezirk mit einem völlig energielosen Senator. Dort fand er den braven General Dessaix, der des großen MannesLouis Charles Antoine Desaix de Boygoux (1768–1800), Divisionsgeneral, fiel bei Marengo. würdig war, dessen Name dem seinen fast gleichlautete, und ebenso liberal wie dieser. Aber das Talent und die glühende Vaterlandsliebe Deffaix' wurden durch die Selbstsucht und die unheilbare Mittelmäßigkeit des Generals Marchand gelähmt, der als Inhaber des Großkreuzes der Ehrenlegion und als Einheimischer verwandt werden mußte. Die vorzüglichen Anordnungen in Bizille und in vielen anderen Dörfern des Dauphine wurden nicht ausgenutzt.

Beyle bat, die Vorposten bei Genf besichtigen zu dürfen, und überzeugte sich davon – was er schon geahnt hatte –, daß es ein leichtes sei, Genf durch Handstreich zu nehmen. Da er sah, daß man auf diesen Gedanken nicht einging, und Verrat fürchtete, erhielt er die Erlaubnis, nach Paris zurückzukehren. In Orleans fand er die Kosaken. Da verzweifelte er am Vaterland, oder genau gesprochen, er erkannte, daß das Kaiserreich das Vaterland ausgelöscht hatte. Man hatte genug von der Unverschämtheit der Präfekten und andern Agenten Napoleons. In Paris angelangt, war er Augenzeuge der Schlacht am Montmartre und des blöden Benehmens der Minister Napoleons.

Er sah den Einzug des Königs. Gewisse Züge des Herrn von Blacas,Pierre Louis, Herzog v. Blacas d'Aulps (1771–1839), 1814 Hausminister Ludwigs XVIII. die er alsbald erfuhr, erinnerten ihn an die Stuarts. Er schlug eine einträgliche Stellung aus, die Graf Beugnot ihm anzubieten die Güte hatte, und zog sich nach Italien zurück. Dort führte er ein glückliches Leben bis zum Jahre 1821, wo die Verhaftungen der Karbonari durch eine blöde Polizei ihn zum Verlassen des Landes zwangen, obwohl er kein Karbonaro war. Die Bosheit und das Mißtrauen der Italiener hatten ihn die Teilnahme an ihren Geheimnissen zurückweisen lassen. Er sagte zu seinen Freunden: »Rechnet eintretenden Falls auf mich.«

Im Jahre 1814, als er sich sein Urteil über die Bourbonen bildete, hatte er ein paar Tage finstere Schwermut. Um sie zu verscheuchen, nahm er sich einen Schreiber und diktierte ihm eine verbesserte Übersetzung des »Lebens Haydns, Mozarts und Metastasios« nach einem italienischen Werke,S. Seite 424, Anm. 1. die 1814 in einem Band erschien.

Im Jahre 1817 veröffentlichte er eine zweibändige »Geschichte der italienischen Malerei« und ein kleines italienisches Reisewerk von 300 Seiten.Die Erstausgabe von »Romé, Naples et Florence en 1817«, 1826 wesentlich erweitert und verändert. Deutsch als »Reise in Italien« in Band V der »Gesammelten Werke«.

Da das Buch über die Malerei keinen Erfolg hatte, legte er die drei letzten Bände in einen Kasten und traf Vorkehrungen, daß sie erst nach seinem Tode erschienen.Diese drei Bände sind jedoch nie geschrieben worden. Nur umfangreiche Vorarbeiten sind in der Bibliothek zu Grenoble in Stendhals handschriftlichem Nachlaß vorhanden.

Im Juli 1819 auf der Durchreise durch Bologna erfuhr er den Tod seines Vaters. Er reiste nach Grenoble, wo er seine Stimme dem rechtschaffensten Mann in Frankreich gab, dem einzigen, der die Religion noch retten konnte: Herrn Henri Grégoire.Henri Grégoire (1750–1831), liberales Mitglied der französischen Nationalversammlung und des Konvents, 1791 konstitutioneller Bischof von Blois, 1809 Graf, 1819 aus der Deputiertenkammer ausgeschlossen. Das brachte ihn mit der Mailänder Polizei noch mehr auseinander. Nach allgemeiner Ansicht mußte sein Vater ihm 5–6000 Franken Einkommen hinterlassen. Es war aber knapp die Hälfte. Fortan suchte Beyle sich einzuschränken, was ihm auch gelang. Er schrieb mehrere Werke, u. a. ein Buch von 500 Seiten »Über die Liebe«, das er aber nicht veröffentlichte.Das Werk erschien erst 1822.

Im Jahr 1821 verbrachte er aus tödlichem Ekel vor der Komödie des französischen Wesens sechs Wochen in England. Die Liebe bildete das Glück und das Unglück seines Lebens. Melanie, Therese, Gina und LeonoreMelanie Guilbert, Angelina Pietragrua (Gina), Mathilde Dembowska (Leonore). Mit Therese ist wohl die Gräfin Alexandirne Daru gemeint, die Beyle mit allen möglichen Decknamen (Elvire, Emilie, Madame Petit, Gräfin Palfy usw.) bezeichnet. sind die Namen, die sein Leben erfüllten. Obwohl nichts weniger als schön, ward er mehrfach geliebt. Gina verhinderte ihn, bei der Rückkehr Napoleons, die er am 6. März (1815) erfuhr, (nach Frankreich) zurückzukehren. Die ZusatzakteNapoleons Zusatzakte zu den früheren kaiserlichen Verfassungen, die Beyle als nicht hinreichend für die Volksfreiheit ansah. benahm ihm jede Reue. Er war zwar oft traurig, wenn er gerade Unglück in der Liebe hatte, vergötterte aber den Frohsinn. Er hatte nur einen Feind, Frau Tr(aversi),S. Seite 457. und konnte sich furchtbar an ihr rächen, unterließ es aber, um Leonore nicht zu kränken. Vom Feldzug in Rußland blieb ihm ein heftiges Nervenleiden. Er vergötterte Shakespeare und hegte unüberwindliche Abneigung gegen Voltaire und Frau von Staël. Die liebsten Stätten auf Erden waren ihm der Comer See und Neapel. Er vergötterte die Musik und schrieb eine kleine Abhandlung über Rossini voll wahrer, aber vielleicht lächerlicher Gefühle.Das Buch über Rossini erschien erst 1824. Er liebte seine Schwester Pauline zärtlich und verabscheute seine Vaterstadt Grenoble, wo er abscheulich erzogen worden war. Von seinen Angehörigen liebte er keinen. Er war verliebt in seine Mutter, die er mit sieben Jahren verlor.

2

Paris, Hotel Favart, Sonntag, den 30. April 1837.

Es regnet in Strömen.

Mir fällt ein, daß Jules JaninFranzösischer Kritiker (1804–74). zu mir gesagt hat: »Ach, welchen schönen Artikel würden wir über Sie schreiben, wenn Sie tot sind!«

Um den Phrasenmachern zu entgehen, kommt es mir bei, diesen Artikel selbst zu schreiben. Er ist erst nach meinem Tode zu lesen.

Henri Beyle, geboren in Grenoble am 23. Januar 1783, gestorben in ... am..., war der Sohn wohlhabender Eltern, die dem höheren Bürgerstand angehörten. Sein Vater, Advokat am Parlament des Dauphiné, führte in den Urkunden den Adelstitel.In der Tat wird sein Vater in den Taufscheinen seiner Kinder als »noble« aufgeführt, (»Vie de Henri Brulard«, Paris 1914, II, 337 ff. Sein Großvater war Arzt, ein geistvoller Mann, Freund oder doch Verehrer von Voltaire. Dieser Herr Gagnon war durchaus Weltmann, hochgeachtet in Grenoble; er stand an der Spitze aller Verbesserungsbestrebungen. Der junge Beyle sah das erste Blut fließen, das in der französischen Republik vergossen wurde. Es war am Tage der berühmten »Ziegelschlacht« (17[88]), als das Volk sich gegen die Regierung empörte und von den Dächern Ziegel auf die Soldaten herabwarf. Die Verwandten des jungen Beyle waren fromm und wurden leidenschaftliche Aristokraten, er aber ein patriotischer Heißsporn. Seine Mutter, eine geistvolle Frau, die Dante las, starb sehr jung. Untröstlich über den Tod seiner Tochter, übernahm Herr Gagnon die Erziehung ihres einzigen Sohnes. Die Familie besaß übertriebene Ehrbegriffe und großen Stolz; sie teilte diese Empfindungsweise dem Knaben mit. Von Geld zu reden, es auch nur zu nennen, galt bei Herrn Gagnon für eine Gemeinheit. Er mochte 8–9000 Franken Einkommen haben, womit er 1789 in Grenoble ein reicher Mann war.

Der junge Beyle faßte gegen diese Stadt einen Abscheu, der bis zu seinem Tode währte; dort lernte er die Menschen und ihre Gemeinheit kennen. Sein leidenschaftlicher Wunsch war, nach Paris zu gehen und dort zu leben, um Bücher und Komödien zu schreiben. Sein Vater erklärte ihm, er wünsche seinen sittlichen Verderb nicht, und er solle Paris erst mit dreißig Jahren sehen.

Von 1796–99 ging der junge Beyle ganz im Studium der Mathematik auf. Er hoffte, die Polytechnische Hochschule zu beziehen und so nach Paris zu kommen. Im Jahre 1799 trug er auf der Zentralschule (Professor Dupuy) den ersten Preis in der Mathematik davon. Die acht Schüler, die den zweiten Preis erhielten, wurden zwei Monate darauf zur Polytechnischen Hochschule zugelassen. Die Aristokratenpartei erwartete das Einrücken der RussenSuworoff unternahm im Herbst 1799 einen kühnen Zug aus Oberitalien über den St. Gotthard nach der Schweiz. in Grenoble... Der Examinator, Louis Monge, erschien in jenem Jahre nicht; in Paris ging alles drüber und drunter.

Alle jungen Leute reisten nach Paris, um dort die Prüfung in der Hochschule selbst abzulegen. Beyle kam am 10. November 1799 in Paris an, einen Tag nach dem 18. Brumaire, wo Napoleon die Macht an sich gerissen hatte. Beyle war an Herrn Daru empfohlen, den früheren Generalsekretär des Intendanten des Languedoc, einen ernsten, charakterfesten Mann. Mit einer für seine Jahre seltenen Charakterstärke erklärte ihm Beyle, er wolle die Polytechnische Hochschule nicht beziehen.

Als der Marengo-Feldzug stattfand, nahm Beyle daran teil. Herr Daru, der spätere kaiserliche Minister, ließ ihn zum Leutnant im 6. Dragonerregiment ernennen. Das war im Mai 1800. Eine Weile diente er als Gemeiner. Er verliebte sich in Frau A. (Angela Pietragrua).

Er verbrachte seine Zeit in Mailand. Es war die schönste Zeit seines Lebens. Er schwärmte für Musik und Schriftstellerruhm und schätzte die Kunst, den Degen zu führen, sehr hoch. Bei einem Duell erhielt er einen Degenstich in den Fuß. Er wurde Adjutant des Generalleutnants Michaud und zeichnete sich aus: er besitzt ein schönes Zeugnis dieses Generals (in Händen seines Freundes Colomb). Er war der glücklichste und wahrscheinlich der törichteste Mensch, als der Kriegsminister bei Friedensschluß verfügte, daß alle Adjutanten im Leutnantsrang zu ihren Truppenteilen zurückkehren sollten. Beyle ging wieder zu seinem Regiment in Savigliano in Piemont. Er wurde vor Schwermut krank, dann verwundet(?), erhielt Urlaub, ging nach Grenoble, verliebte sich und folgte, ohne dem Minister etwas zu sagen, seiner Geliebten, Fräulein V(ictorine Mounier),Vgl. Seite 241, Anm. 1. nach Paris. Der Minister war aufgebracht; Beyle nahm seinen Abschied, was ihn mit Herrn Daru entzweite.

Sein Vater wollte ihn durch Hunger fassen. Toller denn je, begann Beyle zu studieren, um ein großer Mann zu werden. Er sah alle vierzehn Tage Frau A.;Adele Rebusset und ihre Mutter. sonst lebte er einsam. Derart war sein Leben von 1803 bis 1806. Er vertraute keinem Menschen seine Pläne an und verabscheute die Tyrannei des Kaisers, der Frankreich die Freiheit raubte. Mante, ein früherer Schüler der Polytechnischen Hochschule, zog ihn in eine Art Verschwörung zugunsten Moreaus (1804) hinein.Dies ist eine Fabelei, wie das Tagebuch von 1804 beweist, Beyle hegte nur Sympathie für Moreau. Beyle arbeitete täglich zwölf Stunden. Er las Montaigne, Shakespeare, Montesquieu und zeichnete seine Urteile über sie auf. Ich weiß nicht, warum er die im Jahre 1804 berühmten Schriftsteller, die er bei Herrn Daru sah, verabscheute und verachtete. Er wurde dem Abbé Delille vorgestellt. Er verachtete Voltaire, den er kindisch fand, Frau von Staël, die ihm schwülstig vorkam, Bossuet, der ihm als trübsinniger Moralprediger erschien. Er schwärmte für Lafontaines Fabeln, Corneille und Montesquieu.

Im Jahre 1804 verliebte er sich in Fräulein Melanie Guilbert (später Frau von Barckoff) und folgte ihr nach Marseille, nachdem er sich mit Frau ... überworfen hatte, die er seitdem so geliebt hat. Es war eine echte Leidenschaft. Als Fräulein (Melanie) das Theater in Marseille verließ, kehrte er nach Paris zurück. Sein Vater begann sich zugrunde zu richten und schickte ihm sehr wenig Geld. Martial Daru, Sous-Inspecteur aux Revues, bewog Beyle, ihm zur Armee zu folgen. Nur mit größtem Widerstreben gab er seine Studien auf.

Am 14. Oktober 1806 wohnte Beyle der Schlacht bei Jena bei;Auch dies ist eine Fabelei. am 27. sah er Napoleons Einzug in Berlin. Beyle ging als Gehilfe beim Kriegskommissariat nach Braunschweig. Dort begann er 1808 in dem Schlößchen Richmond (zehn Minuten von Braunschweig), wo er als Intendant wohnte, eine Geschichte des Spanischen Erbfolgekrieges. 1809 machte er den Feldzug nach Wien mit, stets als Gehilfe beim Kriegskommissariat. Dort zog er sich eine schlimme Krankheit zu und verliebte sich heftig in eine liebenswerte und gute oder besser treffliche Frau, zu der er früher Beziehungen gehabt hatte.

Durch die Gunst des Grafen Daru wurde er zum Auditor im Staatsrat und Inspekteur der kaiserlichen Mobilien ernannt. Er nahm am russischen Feldzug teil und zeichnete sich durch Kaltblütigkeit aus. Bei der Rückkehr erfuhr er, daß dieser Rückzug etwas Furchtbares gewesen war. 550 000 Mann hatten den Njemen überschritten; 50 000, ja vielleicht nur 25 000 kehrten zurück.

Beyle nahm am Feldzug von Lützen teil und wurde Intendant in Sagan in Schlesien am Bober. Infolge der ungeheuren Anstrengungen zog er sich ein Fieber zu, das dem Stück fast ein Ende gemacht hätte, das aber Gall in Paris völlig heilte. 1813 wurde Beyle mit einem blöden Senator zum 7. Wehrbezirk entsandt. Napoleon erklärte ihm eingehend, was zu tun sei.

Am Tage der Rückkehr der Bourbonen nach Paris hatte Beyle soviel Verstand, zu begreifen, daß es in Frankreich für alle, die in Moskau gewesen waren, nur noch Erniedrigung gäbe. Graf Beugnot bot ihm den Posten des Verpflegungsdirektors von Paris an. Er lehnte es aus Ekel vor den Bourbonen ab und ließ sich in Mailand nieder; der Abscheu vor den Bourbonen war stärker als die Liebe. Er glaubte bei Frau A(ngela) Hochmut gegen ihn zu erkennen. Es wäre lächerlich, alle Wandlungen dieser Leidenschaft zu erzählen. Er veröffentlichte das »Leben Haydns«, »Rome, Naples et Florence en 1817« und schließlich die »Geschichte der Malerei«. 1817 ging er wieder nach Paris, das ihn abstieß, besuchte London und kehrte nach Mailand zurück. Im Jahre 1821Vielmehr 1819. verlor er seinen Vater, der seine Geschäfte (Claix) vernachlässigt hatte, um die der Bourbonen zu besorgen (als Adjunkt des Bürgermeisters von Grenoble) und sich völlig zugrunde gewirtschaftet hatte. Er hatte seinem Sohn 1815 durch Felix Faure sagen lassen, er werde ihm 10 000 Franken Einkommen hinterlassen, aber er hinterließ ihm nur 3000 Franken Kapital. Zum Glück besaß Beyle 1600 Franken Rente aus der Mitgift seiner Mutter, Henriette Gagnon, die um 1790 in Grenoble starb und die er stets angebetet und verehrt hatte. In Mailand schrieb Beyle mit Bleistift das Buch »Über die Liebe«.

In jeder Hinsicht unglücklich kehrte er 1821 nach Paris zurück. Er dachte ernstlich daran, (seinem Leben) ein Ende zu machen, als er zu bemerken glaubte, daß Frau C(lementine Curial) eine Neigung für ihn hegte. Er wollte sich nicht auf dies stürmische Meer wagen und stürzte sich kopfüber in den Streit der Romantiker (mit den Klassizisten). Er ließ »Racine und Shakespeare«, das »Leben Rossinis«, die »Wanderungen in Rom« usw. drucken. Er unternahm zwei Reisen nach Italien und eine nach Spanien bis Barcelona. Das spanische Klima verbot die Weiterreise.

Während seines Aufenthalts in England (September 1826) verließ ihn seine letzte Geliebte C(lementine); sie hatte ihn seit zwei Jahren geliebt und liebte seit einem halben Jahr einen andern. Er war tief unglücklich und kehrte nach Italien zurück.

Im Jahre 1829 liebte er G(ulia)Madame Jules Gaulthier. und verbrachte die Nacht des 29. Juli bei ihr, um sie zu beschützen. Der Revolution von 1830 sah er von der Kolonnade des Theâtre français zu... Im September 1830 wurde er zum Konsul in Triest ernannt, aber Herr von Metternich, der ihm wegen »Rome, Naples et Florence« grollte, verweigerte das Exequatur. Beyle wurde zum Konsul in Civitavecchia ernannt.

Die Hälfte des Jahres verbrachte er in Rom. Literarisch gesprochen, verlor er dort seine Zeit. Er schrieb dort den »Grünen Jäger«Luzian Leuwen. Deutsch in Band 9 dieser Ausgabe. und sammelte Novellen wie »Vittoria Accoramboni«, »Beatrice Cenci« und acht bis zehn Foliobände. Im Mai 1836 kehrte er mit einem Urlaub von Herrn Thiers, der Napoleons große Worte nachahmte, nach Paris zurück. Vom 9. November 1836 bis Juni 1837 stellte er das »Leben Napoleons« zusammen.

Beyle hat 1821 seine Grabschrift entworfen:

Qui giace
Arrigo Beyle, Milanese
Visse, scrisse, amò
Se n'andiede di anni...
Nel...Hier ruht Heinrich Beyle aus Mailand. Er lebte, schrieb, liebte. Er verschied mit ... Jahren im Jahre ...

Er liebte Cimarosa, Shakespeare, Mozart, Correggio. Leidenschaftlich liebte er V., M., A., Ange, M., C.Virginie Kably, Melanie Guilbert, Alexandrine Daru, Angelina Pietragrua, Mathilde Dembowska, Clementine Curial., und obwohl nichts weniger als schön, wurde er von vier bis fünf dieser Frauen sehr geliebt.

Er hatte nur vor einem Manne Respekt: Napoleon.


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