Stendhal
Bekenntnisse eines Ichmenschen
Stendhal

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfunddreißigstes Kapitel

Freunde und Bekannte

Civitavecchia, 5. bis 7. März 1836.

Als ich »dies« mit ß schrieb, kannte ich die ganze Schroffheit Darus noch nicht; er spie Schmähungen wie ein Vulkan aus. Ich war nur tief erstaunt; war ich doch trotz meiner siebzehn Jahre unerfahren wie ein Kind. Was mich in Verzweiflung brachte, war die ununterbrochene Unterhaltung meiner Kollegen, die mich am Arbeiten und Nachdenken hinderte. Sechs Wochen lang war ich von vier Uhr ab ganz verblödet davon.

Felix Faure, mit dem ich mich in Grenoble angefreundet hatte, teilte meine tolle Schwärmerei über die Liebe und über die Kunst nicht. Dieser Mangel an Begeisterungsfähigkeit hat unserer Freundschaft stets die Spitze abgebrochen, so daß sie nur eine Kameradschaft blieb. Selbstsucht und nicht ein Funken von Hochherzigkeit, dazu ein trübsinniger englischer Charakter und die Angst, wie seine Mutter oder Schwester verrückt zu werden – das waren die Wesenszüge dieses meines Kameraden. Er war der oberflächlichste unter meinen Freunden und hat die größte Karriere gemacht. Heute ist er Pair von Frankreich und Gerichtspräsident und verurteilt die armen Narren, die sogenannten Aprilverschwörer, zu zwanzig Jahren Gefängnis...

Welch ein Unterschied gegen den hochherzigen Crozet und Bigillion! Crozet hätte lieber sein Leben mutig aufs Spiel gesetzt, als einen hochherzigen Narren, der mit sechs Monaten Gefängnis genug bestraft war, zu zwanzig Jahren Gefängnis zu verurteilen. Colomb wäre noch weniger dafür zu haben, aber er ließe sich täuschen. Nur Mareste wäre dazu fähig, aber er gäbe sich keiner Selbsttäuschung hin; er täte es der Beförderung halber und wie ein Italiener...

Auf meine Bitte führte Faure mich zu dem Fechtmeister Fabien in der Rue Montpensier beim Théâtre français. Dort nahm ich Fechtstunden in demselben Fechtsaal mit mehreren Grenoblern, darunter Casimir Périer,Geb. 1777 in Grenoble, 1828 Finanzminister, 1831 Ministerpräsident, gest. 1832, der Begründer der Lehre vom Juste mileu. dem späteren Minister, einem schwarzen Schurken (nicht äußerlich, sondern seelisch, und nicht in Staatsgeschäften, sondern in seinen Privatangelegenheiten). Äußerlich war er damals vielleicht der schönste junge Mensch in Paris; er war finster, menschenscheu, und der Blick seiner schönen Augen hatte einen Anflug von Irrsinn. Seine Schwester, Frau Savoye de Rollin, eine berühmte und doch nicht boshafte Frömmlerin, war irrsinnig gewesen und hatte monatelang Reden gehalten, die eines Aretin würdig waren, aber ohne die geringste Verhüllung. Das ist seltsam: wo lernt eine Frömmlerin aus guter Familie Worte, die ich hier nicht niederzuschreiben wagte? Erklärlich wird diese Verirrung vielleicht dadurch, daß ihr Gatte, ein höchst geistvoller Mann und philosophischer Freigeist, ein Freund meines Oheims, ein paar Jahre vor der Ehe impotent geworden war ...

Trotz seiner geschäftlichen Unlauterkeit besaß Casimir Périer doch eine Dauphineser Eigenschaft: die Willenskraft. Der schwächende, die Willenskraft brechende Hauch von Paris war um 1800 noch nicht in unsere Berge gedrungen ...

Der sanfteste, wahrhaft jugendlichste unter all den finsteren Grenoblern, die bei dem eleganten Fabien Fechtstunden nahmen, war zweifellos Cäsar Pascal,Gestorben 1838. (Colomb.) der Sohn eines liebenswürdigen Vaters ... Bei diesem Fechtmeister überzeugte ich mich von meinem Ungeschick im Fechten ... Ich hatte das Glück, mich stets auf Pistolen zu duellieren, aber im Jahre 1800 konnte ich das nicht voraussehen, und aus Verdruß darüber, daß ich die Quart und Terz stets zu spät parierte, beschloß ich, im Notfall auf meinen Gegner geradeaus loszustoßen. Dies Ungeschick wurde mir stets lästig, wenn ich als Soldat zur Waffe greifen mußte. So hätte es mir in Braunschweig bei meinem Duell mit dem Kammerherrn von Münchhausen das Leben kosten können; zum Glück hatte er an jenem Tage keinen Schneid, oder er wollte sich nicht in Verlegenheit bringen.

Ebenso ungeschickt war ich im Violinspiel, dagegen besaß ich ein angeborenes Talent, Rebhühner und Hasen zu treffen. In Braunschweig schoß ich auf vierzig Schritt einen Raben mit der Pistole aus dem rasch fahrenden Wagen, was mir bei dem Adjutanten des Generals Rivaut großen Respekt verschaffte. Kurz, ich habe zeitlebens den Degen getragen und ihn nicht zu führen verstanden. Ich war stets beleibt und leicht außer Atem. Mein Plan war stets ein grader Sekondstoß.

Zu der Zeit, wo ich mit Cäsar Pascal, Felix Faure, Casimir Périer und ein paar andern Grenoblern Fechtstunden nahm, machte ich Périers Vater einen Besuch. Er wohnte in einem seiner schönen Häuser in der Rue des Feuillants, und zwar in einer Wohnung, die er nicht vermieten konnte. Er war der lustigste Geizhals und der beste Gesellschafter. Ich begriff nicht, wie ein scheinbar so liebenswürdiger Mann seine Söhne Casimir und Scipion darben lassen konnte. Das Bankhaus Périer nahm die Ersparnisse von Dienstmädchen, Portiers und kleinen Rentnern zu fünf v. H. an; es waren Summen von 500 bis höchstens 1500 Franken. Als die Assignate kamen und man für ein Goldstück hundert Franken erhielt, zahlte das Bankhaus alle diese armen Teufel (in Papiergeld) aus; mehrere erhängten sich oder gingen ins Wasser. Meine Familie fand dies Verfahren niederträchtig. Bei Kaufleuten wundert es mich nicht, aber wie konnte Herr Périer, nachdem er Millionen verdient hatte, nicht ein anständiges Mittel finden, um die Dienstmädchen voll auszuzahlen? In Geldsachen war meine Familie stets vornehm; sie verkehrte kaum mehr mit einem unserer Verwandten, der eine Summe von 8 bis 10 000 Franken, die seinen Eltern in Lawschen Banknoten (1718) geliehen war, in Assignaten zurückzahlte.


 << zurück weiter >>