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16. Kapitel

Die knorrige Seele des Helden wollte in der That nicht ihre irdische Hülle verlassen und verließ sie auch nicht. Einen Monat nach der Rückkehr des Herrn Andreas nach Lubitsch begannen seine Wunden zu heilen. Doch schon viel früher hatte er seine Besinnung wieder erlangt, und nachdem er zum ersten Male um sich geblickt, hatte er sofort erraten, daß er sich in Lubitsch befand.

Dann hatte er den treuen Soroka gerufen.

»Soroka!« hatte er gesagt, »die Barmherzigkeit Gottes waltet über mir. Ich fühle, daß ich nicht sterben werde!«

»Zu Befehl!« antwortete der alte Soldat, indem er eine Thräne im Auge zerdrückte und mit dem Aermel fortwischte.

Kmiziz fuhr fort, wie zu sich selbst:

»Die Buße ist vollbracht ... ich sehe es jetzt klar. Die Barmherzigkeit Gottes waltet über mir!«

Dann schwieg er eine Weile, nur seine Lippen bewegten sich im Gebet.

»Soroka!« sagte er nach einer Weile.

»Zu Befehl Ew. Liebden.«

»Wer ist denn in Wodockt?«

»Das Fräulein und der Herr Schwertträger.«

»Der Name des Herrn sei gepriesen! War jemand von ihnen hier, nach mir zu fragen?«

»Man hat aus Wodockt hergeschickt, um über Ew. Liebden Befinden Erkundigungen einzuziehen, so lange, bis wir sagten, daß es Ew. Liebden besser gehe.«

»Dann also schickten sie nicht mehr?«

»Dann nicht mehr.«

Darauf sagte Kmiziz.

»Sie wissen noch nichts, sie werden es aber von mir selbst erfahren. Hast du jemandem hier erzählt, daß ich unter dem Namen Babinitsch hier gekämpft habe?«

»Ich hatte nicht Befehl, es zu thun,« antwortete der Soldat.

»Sind die Laudaer mit dem Herrn Wolodyjowski schon zurück.«

»Noch nicht, aber man erwartet sie jeden Tag.«

Damit war die Unterredung für diesen Tag beendet.

Zwei Wochen nachher konnte Herr Kmiziz schon das Lager verlassen und auf Krücken umhergehen. Am nächstfolgenden Sonntag bestand er daraus, in die Kirche zu fahren.

Soroka wagte nicht zu widersprechen; er ließ den kleinen Wagen gut mit Heu auspolstern, Herr Andreas schmückte sich festtäglich und fort ging es.

»Wir wollen nach Upit,« sagte Herr Andreas. »Mit Gott wollen wir anfangen; nach der Messe fahren wir nach Wodockt.«

Sie kamen früh in Upit an; es waren erst nur wenige Menschen in der Kirche. Herr Andreas schritt, auf den Arm Sorykas gestützt, bis an die Stufen des Hochaltars und kniete dann in der Patronatsbank nieder. Sein Gesicht war blaß und außerordentlich mager, dazu trug er einen langen Backenbart, welcher ihm während des letzten Krieges und seines Krankenlagers gewachsen war. Wer ihn sah, konnte glauben, daß eine vornehme Persönlichkeit auf der Durchreise in die Kirche eingetreten war, um die Messe zu hören. Es befanden sich jetzt überall Edelleute auf der Reise, die vom Schlachtfelde auf ihre Güter zurückkehrten.

Allmählich füllte sich die Kirche mit Leuten aus dem Volke und dein Kleinadel der Umgegend. Dann kamen auch die Besitzer aus der weiteren Umgebung, denn die Kirchen waren an vielen Orten niedergebrannt. Wer eine Messe hören wollte, der mußte bis nach Upit kommen.

Kmiziz war ganz in sein Gebet versunken; er sah niemanden der Ankommenden; ein leises Knistern, von den Fußtritten in die Bank zu ihm tretender Personen, weckte ihn erst aus seiner Versunkenheit. Er hob den Kops und blickte aus. Da sah er dicht über sich das süße, traurige Gesicht Olenkas.

Auch sie hatte ihn erblickt und, wie es schien, sofort erkannt, denn sie zuckte zusammen und trat einen Schritt zurück. Dunkle Röte färbte ihr Gesicht, welche dann plötzlich einer tiefen Blässe Platz machte. Doch beherrschte sie sich mit aller ihr zu Gebote stehenden Kraft und kniete dicht neben ihm nieder, während der Schwertträger den dritten Platz einnahm.

Nun senkten beide die Köpfe und verhüllten die Gesichter mit ihren Händen; schweigend knieten sie nebeneinander, ihre Herzen schlugen so laut, daß einer den Schlag des anderen hörte. Endlich ermannte sich Herr Andreas so weit, daß er den Gruß sprechen konnte:

»Gelobt sei Jesus Christus!«

»In Ewigkeit Amen ...« antwortete Olenka halblaut.

Dann bestieg der Geistliche die Kanzel. Kmiziz hörte ihn sprechen; aber trotz aller Anstrengung konnte er den Sinn der Predigt nicht erfassen, denn die so heiß Ersehnte, deren Gedenken immer, zu allen Zeiten seine Gedanken und sein Herz erfüllt, kniete hier, dicht neben ihm. Er fühlte ihre Nähe und wagte doch nicht, den Blick zu ihr zu erheben, weil sie in der Kirche waren, aber er schloß die Augen und lauschte auf ihren Atem.

»Olenka! Olenka neben mir!« sagte er sich. »Gott hat uns nach der langen Trennung im Gotteshanse zusammengeführt ...«

Seine Gedanken und sein Herz wiederholten unaufhörlich den Namen:

»Olenka! Olenka! Olenka!«

Ein Freudentaumel faßte ihn, Thränen stürzten ihm aus den Augen; er hätte laut aufschluchzen mögen, und heiße Gebete stiegen mit solcher Innigkeit aus seinem Herzen empor, daß er vergaß, was um ihn geschah.

Sie hielt noch immer die Hände vor das Antlitz gedrückt.

Der Geistliche hatte die Predigt beendet und verließ die Kanzel.

Plötzlich ertönte Pferdegetrappel und Waffengeklirr vor der Kirche. Von der Kirchenthür her rief einer in die Kirche hinein: »Die Laudaer sind zurück, die Laudaer sind da!« und bald ging durch die Kirche ein Surren von Stimmen, welches immer lauter wurde, bis laute Rufe den Raum durchtönten:

»Die Laudaer sind da!«

Die Menge der Kirchenbesucher begann hin und her zu wogen, die Köpfe wandten sich dem Thore zu, wo es von Waffen flimmerte, sich drängte, bis die bewaffnete Schar das Gotteshaus betrat. Die Menge teilte sich, um den Gang frei zu machen. An der Spitze der Laudaer Krieger schritten Herr Wolodyjowski und Sagloba. Sie durchschritten die ganze Kirche bis zum Hochaltar, knieten dort nieder und beteten ein Weilchen still, worauf sie in die Sakristei gingen, während die Soldaten in der Mitte des Kirchenschiffes stehen blieben. Sie begrüßten niemanden und wurden von niemandem begrüßt, aus Ehrfurcht vor dem Ort, an welchem sie sich befanden.

Ach! welch ein Anblick bot sich hier dem Auge. Die ernsten Gesichter waren von der Sonne gebräunt, von den Stürmen und den Kriegsmühen verwittert und mit Narben von Schwertstreichen bedeckt. Die Schweden, die Deutschen, die Ungarn und Wallachen; sie alle hatten ihre Runenschrift in diese bärtigen Gesichter gezeichnet. Die ganze Geschichte des vergangenen Krieges, der ganze Ruhm, den die Laudaer erworben, sie standen in diesen Gesichtern geschrieben. Da waren die düster dreinblickenden Butryms, die Stajkanows, Domaschewitsch' und Gostschiewitsch', von jedem dieser Stämme etliche, denn kaum der vierte Teil derer, welche mit Wolodyjowski ausgezogen waren, war hier zurückgekehrt.

Viele Frauen suchten vergebens ihre Männer, viele Greise sahen sich umsonst nach ihren Söhnen um. Weinen, erst leise, dann lauter und lauter, wurde hörbar, denn auch diejenigen, deren Angehörige zurückgekehrt waren, weinten vor Freude. Lautes Schluchzen, zuweilen der Anruf eines geliebten Namens, dann wieder ein Verstummen, während die Angekommenen auf ihre Schwerter gestützt, stumm dastanden und auch ihnen die Thränen an den Wangen herabliefen und den Bart naß machten.

Da wurde das Glöckchen an der Thür der Sakristei gezogen, daß es laut schallte. Das beruhigte die Gemüter etwas. Alle Anwesenden knieten nieder; der Geistliche erschien im Meßgewande, neben ihm Herr Wolodyjowski und Herr Sagloba als Ministranten. Das heilige Meßopfer begann.

Auch der Geistliche war tief bewegt. Als er sich das erste Mal zum Volke wendete mit den Worten: Dominus vobiscum! da zitterte ihm die Stimme, und als er das Evangelium sang und alle Säbel der Krieger aus ihren Scheiden flogen, sie salutierend zum Zeichen, daß die Laudaer stets bereit seien, für ihren Glauben zu kämpfen, da vermochte er vor Rührung kaum zu singen.

Dann wurden mit tiefer Ergriffenheit von der gesamten Gemeinde die Responsorien gesungen, die Messe war zu Ende. Nachdem aber der Geistliche das Sakrament im Zimborium aufbewahrt hatte, wandte er sich noch einmal an das Volk, zum Zeichen, daß er noch etwas zu sagen habe.

Totenstille trat ein. Der Geistliche begrüßte zuerst mit herzlichen Worten die zurückgekehrten Krieger, dann machte er bekannt, daß er einen Brief Sr. Majestät des Königs vorlesen werde, welchen der Hauptmann der Laudaer Fahne mitgebracht habe.

Die Menschen in der Kirche lauschten atemlos, während vom Altar her laut und vernehmlich die Worte zu hören waren:

»Wir, Johann Kasimir, König von Polen, Großherzog von Litauen, Masowien, Preußen u. s. w. thuen kund und zu wissen, Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes: Amen.«

»So es gerecht ist, daß böse Menschen für ihre an der Majestät und dem Vaterlande begangenen Verbrechen auf Erden bestraft werden, ehe sie vor den Stuhl des höchsten, himmlischen Vaters treten, so gerecht ist es auch, daß die Tugend ihren Lohn auf Erden schon empfängt; einmal, um der Tugend selbst willen, dann aber auch, um die Nachwelt zur Nachfolge auf dem Wege der Tugend anzuspornen.«

»Deshalb thuen Wir bekannt und zu wissen dem ganzen Ritterstande, insbesondere aber dem ganzen Volke, Kriegern und Zivilpersonen, welche öffentliche Aemter bekleiden, cujus vis dignitatis et praeminentiae, sowie allen Bürgern des Großherzogtums Litauens und unserer Starostei Smudz, daß – welcher Art auch die Vergehen sein mögen, welche auf dem Uns sehr lieben Herrn Andreas Kmiziz, dem Fahnenträger von Orschan, lasten, dieselben angesichts seiner nachfolgenden großen Verdienste und ruhmvollen Thaten vergessen, aus dem Gedächtnis der Menschen vollkommen ausgelöscht sein, und die Ehre des obengenannten, geborenen Kmiziz nicht schmälern sollen.«

Hier hielt der Geistliche einen Augenblick inne und wandte den Blick der Bank zu, in welcher Herr Andreas saß. Dieser hatte sich erhoben, sich aber gleich darauf wieder hingesetzt, den Kopf an den Pfeiler gelehnt, wie wenn plötzliche Schwäche ihn befiele.

Aller Augen hatten sich auf ihn gerichtet, aller Lippen flüsterten:

»Herr Kmiziz! Kmiziz! Kmiziz! Dort, neben den Billewitsch!«

Der Geistliche winkte und fuhr fort zu lesen, während wieder tiefste Stille eintrat:

»Welcher Fahnenträger von Orschau, obgleich er bei jener unglückseligen schwedischen Invasion anfangs sich auf die Seite des Fürst-Wojewoden gestellt, das aber nicht aus eigennützigen Gründen, sondern aus reiner Liebe zum Vaterlande, auf die Auseinandersetzungen des Fürsten gethan hat, in der Meinung, daß ein anderer Weg zur Rettung der Republik nicht offen stehe, als der, den der Fürst eingeschlagen.«

»Und welcher, als er zum Fürsten Boguslaw kam, der, ihn für einen Bundesgenossen haltend, ihm offen die verräterischen Pläne gegen das Vaterland klarlegte, nicht nur nicht Unsere Person auszuliefern versprach, sondern den Fürsten mit bewaffneter Hand entführte, um Uns und das gepeinigte Vaterland zu rächen ...«

»Gott sei mir Sünderin barmherzig!« hörte man eine Frauenstimme dicht neben dem Herrn Andreas rufen.

Darauf wurde die Kirche wieder von lautem Murmeln erfüllt. Der Geistliche las weiter:

»Durch diesen selben Fürsten schwer verwundet, begab sich der geborene Herr Kmiziz, nachdem er seine Gesundheit wieder erlangt, nach Tschenstochau, um, allen ein Beispiel der Tapferkeit und Ausdauer gebend, das Heiligtum der Allerheiligsten Jungfrau zu verteidigen. Mit Gefahr seines Lebens und Hintansetzung seiner Gesundheit die größte Kanone der Feinde in die Lust sprengend, bei welchem gefährlichen Unternehmen er gefangen genommen und von den schrecklichen Feinden zum Tode verurteilt wurde, ertrug er standhaft die bei der Sprengung ihm beigebrachten Brandmale.«

Hier wurde die Vorlesung des Königlichen Schreibens durch lautes Weinen der Gemeinde unterbrochen. Olenka bebte am ganzen Leibe wie vom Fieber geschüttelt.

»Aber aus dieser gräßlichen Gefahr durch die Macht der Engelskönigin errettet, begab sich der geborene Fahnenträger von Orschan zu Uns nach Schlesien und bei Unserem Rückzüge in das geliebte Vaterland, als der Feind Uns einen Hinterhalt gelegt, sich allein der ganzen Macht desselben entgegenstellend, um Unsere Person zu retten, von den Feindessäbeln zerfetzt und den feindlichen Rapieren zerstochen, wurde selbiger für tot vom Schlachtfelde fortgetragen ...«

Olenka griff mit beiden Händen nach den Schläfen und während sie mit erhobenem Haupte nach Luft rang, rief sie stöhnend:

»Mein Gott! Mein Gott!«

Und wieder tönte die Stimme des Geistlichen, doch immer abgebrochener von der ihm fast überwältigenden Rührung:

»Als er aber, durch Unsere Bemühungen wieder hergestellt, ohne zu ruhen, von neuem in den Krieg ziehend, in jeder Notlage gegenwärtig, bis zur glücklichen Einnahme Warschaus, von beiden Feldhauptleuten als Muster aller Ritterlichkeit bezeichnet war, da wurde selbiger Herr Kmiziz unter seinem angenommenen Namen ›Babinitsch‹ von Uns nach Preußen geschickt ...«

Als die Gemeinde diesen Namen hörte, steigerte sich das zeitweilige Murmeln zum gewaltigen Brausen der Meeresbrandung. Er also hier war Babinitsch? Der Besieger der Schweden, der Retter bei Wolmontowitsch, der Sieger in so vielen Schlachten, das war Kmiziz?

Das Getöse wurde immer lauter, die Menschen drängten nach dem Altar vor, um ihn besser sehen zu können.

»Gott segne ihn! Gott segne ihn!« rief es aus hunderten von Kehlen.

Der Geistliche wandte sich dem Platze zu, auf welchem Kmiziz saß und sprach den Segen über ihn. Herr Andreas lehnte noch immer mit dem Kopf an der Säule; er sah einem Toten ähnlicher, denn einem Lebenden. Seine Seele schien der Erde entrückt und den Regionen der Glückseligkeit zuzuschweben.

Dann fuhr der Geistliche fort:

»Bis zum Siege von Prostli, das Feindesland mit Feuer und Schwert verwüstend, zu diesem Siege das meiste beitragend, hat er den Fürsten Boguslaw mit eigener Hand geschlagen und gefangen genommen. Darauf in Unsere Smudzer Starostei berufen, hat selbiger Herr Kmiziz viele Städte und Dörfer vor dem Verderben bewahrt, von welchem Umstände die dortigen Einwohner (incolae) am besten unterrichtet sein müssen.«

»Wir wissen es! Wir wissen es!« riefen die Kirchengänger laut.

»Beruhigt euch,« sagte der Geistliche, indem er das Schreiben des Königs in die Höhe hielt.

»Darum haben Wir – las er weiter – in Anbetracht aller dieser unermeßlichen Verdienste, die er dem Könige und dem Vaterlande geleistet, Verdienste, wie sie ein Sohn seinen Eltern zu Liebe nicht größer sich erwerben kann, beschlossen, dieselben in diesem Briefe aufzuzählen, und öffentlich bekannt zu machen, damit Neid und menschliche Mißgunst aufhören möge, einen so vornehmen Kavalier, des Glaubens und der Majestät Behüter, zu verfolgen, ihm vielmehr den wohlverdienten Dank, das Lob, den Ruhm und die allgemeine Verehrung nicht länger vorenthalte. Da Wir aber die Bestätigung dieser Unserer Willensäußerung, sowie die Tilgung seiner Schulden und die Ernennung des Herrn Fahnenträgers zum Starosten von Upit durch die nächste Landtagssitzung erst später folgen lassen können, so wünschen Wir, daß die Uns so lieben Bürger Unserer Starostei Smudz diese Unsere Worte beherzigen und ihrer eingedenk bleiben sollen, denn die Gerechtigkeit, welche das Fundament Unserer Regierung sein soll, gebietet Uns, diesen Wunsch auszusprechen.«

Hiermit war der Brief zu Ende. Der Geistliche wandte sich dem Altar zu und begann zu beten. Herr Andreas fühlte plötzlich, daß eine weiche Frauenhand seine Hand ergriff; er blickte auf. Es war Olenka, die seine Hand in die ihrige genommen hatte, und ehe er sichs versah, ehe er noch seine Hand zurückzuziehen vermochte, hatte das Mädchen dieselbe angesichts des Altares und der Menschen an ihre Lippen gezogen und geküßt.

»Olenka!« schrie Kmiziz erstaunt auf.

Sie aber war schon aufgestanden, hatte ihren Schleier über das Gesicht gezogen und dem Schwertträger zugerufen:

»Oheim! komm wir wollen schnell fort von hier!«

Und sie entfernten sich beide durch die Thür zur Sakristei.

Herr Andreas versuchte aufzustehen, ihr nachzueilen, doch er vermochte es nicht ... seine Kräfte hatten ihn vollständig verlassen.

Eine Viertelstunde später fand er sich vor der Kirchenthür in den Armen des Herrn Wolodyjowski und Sagloba wieder.

Die Bürger, der Kleinadel und das Volk umstanden sie in dichtem Gedränge; selbst die Frauen, welche sich kaum von der Brust ihrer eben zurückgekehrten Männer zu trennen vermochten, liefen, von der den Frauen eigenen Neugier getrieben, herbei, den einst so gräßlichen, gefürchteten Kmiziz zu sehen, den heute als Retter der Lauda und als künftigen Starosten namhaft gemachten Ritter. Zuletzt mußten die Laudaer einen Kreis um ihn schließen, damit er in dem Gedränge nicht zu Schaden komme.

»Herr Andreas!« rief Sagloba, »seht doch, ihr habt Gäste bekommen. Das habt ihr gewißlich heute nicht erwartet! Auf jetzt nach Wodockt, nach Wodockt zur Verlobung, zur Hochzeit ...«

Die letzten Worte des alten Kavaliers verhallten in dem donnernden Vivatrufen, welches die Laudaer anhoben:

»Es lebe Herr Kmiziz!«

»Er lebe!« wiederholte die Menge. »Unser Starost von Upit soll leben; er soll leben!«

»Auf nach Wodockt, alle!« schrie Herr Sagloba noch einmal.

»Nach Wodockt! Nach Wodockt!« tönte es aus tausend Kehlen. »Wir alle wollen Freiwerber für Herrn Kmiziz, unserem Retter, bei dem Fräulein sein. Auf nach Wodockt, zum Fräulein!«

Es entstand eine große Bewegung. Die Laudaer bestiegen die Pferde, die Kleinadligen, Bürger und Bauern stritten sich um die Wagen, Britschken, Leiterwagen und Reitpferde. Wer keinen Platz auf den Wagen oder kein Reitpferd fand, der lief zu Fuß durch die Felder und Heide, was er laufen konnte. »Nach Wodockt!« rief es im ganzen Städtchen und bald wimmelten Wege und Stege von buntfarbigen Gestalten.

Herr Kmiziz fuhr im Kutschwagen zwischen Wolodyjowski und Sagloba; er umarmte bald diesen, bald jenen, sprechen konnte er noch nicht, dazu war er zu sehr gerührt. Sie fuhren übrigens zu, als hätten die Tartaren Upit überfallen und setzten ihnen nach. Alle anderen Wagen jagten ihnen ebenso nach.

Sie waren schon ein Stück hinter der Stadt, als plötzlich Herr Wolodyjowski sich zum Ohre Kmiziz's neigte.

»Andrusch!« frug er, »weißt du nicht, wo jene andere ist?«

»In Wodockt!« antwortete der Ritter.

Hatte ein Wind plötzlich die Barthaare des Herrn Wolodyjowski gesträubt, oder hatte die Rührung das heftige Zucken seiner Oberlippe verursacht? Wer vermöchte das zu sagen? Thatsache ist, daß sie vorgeschoben blieb und hin und her zuckte, während die Haare des Schnurrbartes flogen wie Riemernadeln. Herr Sagloba begann zu singen. Sein tiefer Baß dröhnte, daß die Pferde scheu wurden.

»Wir waren zu Zweien Kaschinka, zu Zweien auf Erden;
Doch ahnt mir, mir ahnt, es wird ein Drittes werden!«

Anusia war an diesem Sonntag nicht mit zur Kirche gefahren; sie war an der Reihe, bei der alten Muhme Kulwiez zu bleiben, welche sehr schwächlich war und der Pflege bedurfte. In dieser Pflege lösten sie sich Tag um Tag mit Olenka ab.

Sie war den ganzen Morgen mit der Versorgung der alten Muhme beschäftigt gewesen und deswegen erst sehr spät zum Beten der Meßgebete gekommen.

Kaum hatte sie das letzte Amen gesprochen, als ein Wagen vor das Haus rasselte und Olenka in das Gemach stürmte.

»Jesus, Maria! Was ist geschehen?!« schrie Anusia Borschobohata bei ihrem Anblick auf.

»Anusia! Weißt du, wer der Herr Babinitsch ist? ... Er ist der Herr Kmiziz.«

Fräulein Borschobohata sprang mit beiden Beinen zugleich auf.

»Wer hat dir das gesagt?«

»Es ist ein königliches Handschreiben verlesen worden ... Herr Wolodyjowski hat es gebracht ... Die Laudaer ...«

»So ist Herr Wolodyjowski zurückgekehrt? ...« rief Anusia.

Und plötzlich lag sie in den Armen Olenkas.

Olenka nahm diesen Gefühlsausbruch als einen Beweis der Liebe Anusias zu ihr wie selbstverständlich hin. Zudem war sie fieberhaft erregt, sie wußte kaum, was sie that. Ihre Wangen hatten scharf abgegrenzte rote Flecke und ihre Brust hob und senkte sich schwer, wie von großer Ermüdung.

Sie begann in kurzen abgerissenen Sätzen, in wirrem Durcheinander zu erzählen, was sie in der Kirche gehört, indem sie wie wahnsinnig dabei hin- und herrannte und alle Augenblicke wiederholte: »Ich bin ja seiner nicht wert!« Sie machte sich die bittersten Vorwürfe, daß sie von allen ihm das größte Unrecht gethan, weil sie nicht einmal mehr hatte für ihn beten wollen, während er sein Blut für die heilige Jungfrau, das Vaterland und den König vergossen hatte.

Umsonst suchte Anusia sie zu beruhigen, zu trösten; sie blieb dabei, daß sie seiner nicht würdig sei, daß sie ihm nicht unter die Augen treten könne. Dann fing sie wieder an, von den Heldenthaten des Herrn Babinitsch zu sprechen, wie er den Fürsten Boguslaw entführt, von dessen Rache, von der Errettung des Königs, von den Siegen bei Prostki, Wolmontowitsch und Tschenstochau; von ihrem Hasse, ihrer Schuld, für welche sie nun im Kloster büßen müsse.

Endlich wurden ihre Lamentationen durch den Herrn Schwertträger unterbrochen. Derselbe stürzte wie eine Bombe in das Gemach und rief:

»Um Gotteswillen! Ganz Upit kommt zu uns! Sie sind schon im Dorfe und Herr Babinitsch ist jedenfalls mit ihnen.«

Gleich darauf verkündeten noch ferne Vivatrufe das Nahen der Menge. Der Schwertträger faßte Olenka unter dem Arm und führte sie hinaus auf den Gang. Anusia folgte ihnen.

Soweit man die Dorfstraße hinauf und hinab blicken konnte, war dieselbe dicht gedrängt mit Wagen, Pferden und Menschen angefüllt. Endlich kamen sie zu dem Schloßhof. Diejenigen, welche zu Fuß kamen, nahmen den Wallgraben im Sturmschritt. Die Wagen rasselten über die Brücke, alle schrieen und warfen die Mützen hoch.

Endlich sah man die Schar Laudaer, welche den Wagen in ihrer Mitte hatten, auf welchem die drei Ritter saßen.

Der Wagen mußte ein wenig seitwärts stehen bleiben, denn es hatten sich vor dem Gange schon so viel Menschen angesammelt, daß er nicht vorgefahren werden konnte. Herr Sagloba und Wolodyjowski stiegen zuerst ab und halfen dann dem Herrn Kmiziz herunter. Nachdem er abgestiegen war, faßten sie ihn unter den Armen, um ihn in das Haus zu führen.

»Tretet auseinander!« rief Sagloba.

»Macht Platz!« befahlen die Laudaer.

Die Menschen wichen auseinander, eine Gasse bildend, durch welche die beiden Ritter den Herrn Andreas bis zum Gange führten. Er schwankte und war sehr bleich, aber er hielt den Kopf erhoben, aus seinen Gesichtszügen blickte eine gewisse Schüchternheit vermischt mit großer Glückseligkeit.

Olenka stand an das Thürfutter gelehnt. Ihre Arme hingen schlaff am Körper herab; doch als die Ritter näher traten und sie diesen Armseligen, der nach jahrelanger Trennung wie ein Lazarus, mit fast blutleerem Gesicht auf sich zutreten sah, da zerriß der Schmerz ihr das Herz und sie schluchzte laut auf.

Er wußte vor Schwäche, vor Glück und Verlegenheit nicht, was er sagen sollte, und als er den Gang betrat, da stammelte er nur mit stockender Stimme:

»Nun, Olenka, was nun?«

Da lag sie plötzlich zu seinen Füßen und hielt seine Kniee umfaßt.

»Andrusch!« sagte sie schluchzend. »Ich bin nicht wert, deine Wundmale zu küssen.«

Da schien seine erloschene Kraft plötzlich wiederzukehren. Wie eine Feder hob der Ritter das Fräulein in die Höhe und preßte sie an seine Brust.

Ein mächtiger donnernder Ruf aus den Hunderten Kehlen ringsumher machten die Mauern des Hauses erbeben und dröhnte ohrenbetäubend durch die Luft. Die Laudaer schossen ihre Musketen ab, die Mützen flogen nochmals in die Höhe, die Gesichter aller erstrahlten in Heller Freude, die Augen glänzten und die Kehlen schrieen:

»Vivat Kmiziz! Vivat das Fräulein Billewitsch! Vivat dem jungen Paare!«

»Vivat zwei Paaren!« brüllte Sagloba.

Aber seine Stimme verhallte in dem allgemeinen Tumulte.

Wodockt war in ein Heerlager verwandelt. Man schlachtete auf Befehl des Herrn Schwertträgers den ganzen Tag Ochsen und Hammel; aus der Erde wurden die vor den Feinden vergrabenen Fässer voll Met und Bier herausgeholt. Am Abend setzten sich alle zum Gastmahle nieder; die Aelteren und Angeseheneren in den Gemächern, die Jungen mit den Bauern in fröhlichster Laune um die Lagerfeuer im Hofe.

An der Haupttafel kreisten die Becher auf das Wohl der beiden glücklichen jungen Paare. Als die Freude ihren Höhepunkt erreicht hatte, brachte Herr Sagloba noch den folgenden Toast aus:

»Ich wende mich an euch, edler Herr Andreas, und an euch, alter Waffenbruder, Herr Michael! Nachdem ihr euer Leben und euer Blut dem Vaterlande geopfert und die Feinde desselben getötet habt, ist eure Mitwirkung am Wiederaufbau der Republik noch nicht vollendet. Es sind im Verlaufe dieses gräßlichen Krieges eine Unzahl Menschen gefallen, deshalb ist es eure Pflicht, dieser uns so lieben Republik zu neuen Geschlechtern und Verteidigern zu verhelfen, wozu euch hoffentlich der Wille und die Kraft nicht fehlt. Meine Herren! Ich trinke auf das Wohl dieser kommenden Geschlechter! Möge Gott sie segnen und ihnen vergönnen, das Erbe zu behüten und zu erhalten, welches nur ihnen mit unserem Schweiße und unserem Blute aufgebaut, hinterlassen. Mögen dieselben, wenn schwere Zeiten dereinst auch über sie hereinbrechen, unserer gedenken und stets eingedenk sein, daß man nicht verzweifeln soll, daß es keine noch so unerträgliche Lage giebt, aus welcher sich tapfere Männer mit Hilfe Gottes nicht zu befreien vermöchten.«

Herr Andreas mußte bald nach seiner Hochzeit mit Olenka aufs neue in den Krieg ziehen, welcher vom Osten her ausbrach. Aber die glänzenden Siege, welche Tscharniezki und Sapieha über Chowanski und Dolgorucki, und die Kronenhetmane über Scheremet davontrugen, machten ihm bald ein Ende.

Zu jener Zeit kehrte Kmiziz mit neuem Ruhme bedeckt zurück und setzte sich dauernd in Wodockt fest. Die Fahnenherrschaft Orschan übernahm nach ihm der Brudersohn seines Vaters, Jakob Kmiziz, welcher später jener unglückseligen Konföderation des Heeres beitrat. Herr Andreas blieb mit Herz und Seele ein treuer Anhänger des Königs. Mit der Starostei Upit belohnt, lebte er lange in beispielloser Eintracht und Liebe mit der Lauda und ihren Einwohnern, von allgemeiner Hochachtung umgeben. Seine Widersacher – wer hätte keine Widersacher – sagten zwar, daß er in allem zu sehr dem Willen seiner Gemahlin unterliege, aber er schämte sich dessen nicht, sondern gestand gern ein, daß er in jeder wichtigen Angelegenheit den Rat seiner Gemahlin einhole.

 

Ende des zweiten Bandes.


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