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16. Kapitel

So ganz unrecht hatte der Herr Starost nicht bezüglich der Affekte seines Neffen; der junge Fürst war gerade so verliebt in Anusia Borschobohata, wie alle die anderen auch, die Pagen der Fürstin nicht ausgeschlossen. Aber diese Liebe war durchaus keine gewaltige und unternehmende, vielmehr ein süßer, Kopf und Sinne berauschender Trieb des Herzens, ohne den Wunsch, den geliebten Gegenstand für immer zu besitzen. Einer solchen starken, alles besiegenden Liebe war Fürst Michael nicht fähig; dazu war er zu energielos.

Doch darum war die Fürstin Griseldis nicht weniger besorgt wegen des soeben Gehörten: da sie für ihren Sohn eine glänzende Zukunft träumte, erschreckte sie die drohende Gefahr.

Anfangs hatte sie der Wunsch des Starosten, Anusia fortzuschicken, sehr in Erstaunen versetzt, da er ihr so überraschend kam. Dann erfüllte namenlose Angst ihre Seele. Sie hatte eine Unterredung mit dem Sohne gehabt, welcher bei der ersten Anspielung der Fürstin auf ein mögliches Verhältnis zwischen ihm und Fräulein Borschobohata erbleichte, am ganzen Körper zitterte und zuletzt, noch ehe er ein Bekenntnis abgelegt, in Thränen ausgebrochen war. Dieses Gebahren hatte ihre Angst vor der drohenden Gefahr noch verstärkt.

Trotzdem konnte sie sich nicht entschließen, das verwaiste Mädchen aus ihrer Nähe zu entfernen. Erst als Anusia selbst fußfällig bat, sie mit Herrn Kmiziz reisen zu lassen, konnte die gütige Vormünderin dem allgemeinen Drängen nicht länger widerstehen. Was das Fräulein zu der Reise bewog, konnte sie nicht ergründen. Vielleicht war es der Wunsch, neue Gegenden, neue Menschen kennen zu lernen, vielleicht auch machte ihrem Flattersinn die Aussicht, den jungen Ritter in sich verliebt zu sehen, an ihm eine neue Eroberung zu machen, Vergnügen.

Zwar zerfloß Anusia in Thränen bei dem bloßen Gedanken an eine Trennung von ihrer gütigen Wohlthäterin, das kluge Mädchen aber war sich völlig klar darüber, daß, indem sie selbst um Trennung bat, sie mit dieser Bitte von vornherein dem Verdachte, zu dem jungen Fürsten in etwelche intimere Beziehungen getreten zu sein, jeden Grund entzog; sie brach dadurch auch jenem Gerede, welches ein Einverständnis zwischen ihr und dem Starosten zum Gegenstand machte, die Spitze ab.

Um sich zu überzeugen, ob nicht dennoch ein Komplott zwischen dem Starosten und Kmiziz im Gange war, hatte die Fürstin den Ritter zu sich rufen lassen. Das Versprechen ihres Bruders, Samoschtsch nicht zu verlassen, hatte sie zwar etwas beruhigt, aber sie wollte den Mann, dessem Schutze sie das Fräulein anvertrauen sollte, doch näher kennen lernen.

Die Unterredung mit ihm hatte sie völlig zufrieden gestellt. Aus den grauen Augen des Edelmannes leuchtete ihr so viel Offenheit und Ehrlichkeit entgegen, daß sie unmöglich an seinem Charakter zweifeln konnte. Er erklärte der Fürstin rund heraus, daß er eine andere liebe und ihm gar nicht einfallen könne, einer anderen als seiner Angebeteten den Hof zu machen. Außerdem verpfändete er sein Ehrenwort, daß er seine Schutzbefohlene mit Einsetzung des eigenen Lebens vor jeder Gefahr bewahren wolle.

»Ich werde das Fräulein sicher zu Herrn Sapieha bringen,« versicherte er der Fürstin, »besonders, da der Herr Starost behauptet, daß die Gegend bis hinter Lublin frei vom Feinde ist ... Dann aber kann ich mich nicht mehr um sie bekümmern, ... nicht etwa, daß ich Ew. Fürstlichen Durchlaucht ergebenster Diener nicht mehr sein wollte –, für die Witwe des größten Feldherrn unserer Nation wäre ich gern mit Gut und Blut jederzeit zu dienen bereit, ... sondern weil ich eine sehr schwere Angelegenheit zu erledigen habe, bei welcher ich sehr leicht mein Leben verlieren kann.«

»Es ist auch nichts weiter nötig,« antwortete die Fürstin, »als das ihr das Fräulein glücklich bis zum Herrn Sapieha bringt –, nur, daß ihr sie ihm persönlich übergebt. Der Herr Wojewode wird mir dann schon den Gefallen thun, für ihr Wohlergehen zu sorgen.«

Die Fürstin reichte Kmiziz bei diesen Worten die Hand, welche er sehr ehrerbietig küßte. Darauf sagte sie noch zum Abschied:

»Bewahrt das Mädchen gut, Herr Kavalier, seid wachsam! Gebt euch keinem Sicherheitsgefühl hin, das Land könnte dennoch von Feinden nicht ganz frei sein.«

Diese Worte machten Kmiziz stutzen. Man ließ ihm aber nicht Zeit, darüber nachzudenken, denn kaum hatte er die Gemächer der Fürstin verlassen, so griff ihn auch schon der Starost auf.

»Nun, Herr Rittersmann,« sprach er fröhlich, »ihr werdet also die schönste Zier der Stadt aus Samoschtsch entführen?«

»Das wohl, jedoch mit eurer Bewilligung,« versetzte Kmiziz.

»Behütet das Mädchen nur gut, sie ist ein rarer Artikel. Daß sie euch nicht etwa geraubt wird.«

»Das sollte nur wer versuchen! Wehe ihm! Ich gab der durchlauchtigen Fürstin mein Ehrenwort, das Fräulein sicher abzuliefern und mein Ehrenwort ist mir heilig!«

»Nun, ich scherzte ja nur,« sagte Herr Samojski lachend. »Ihr braucht euch nicht zu ängstigen, auch nicht zu vorsichtig zu sein, was sollte ihr auch begegnen.«

»So habe ich nur die eine Bitte. Gebt mir einen festen, gut mit Blech beschlagenen Wagen für sie.«

»Ihr sollt deren zweie haben! ... Aber ihr reist doch nicht gleich ab?«

»Ei freilich! Ich habe es eilig und sitze schon viel zu lange hier?«

»Dann sendet eure Tartaren nach Krasnostaw voraus. Ich werde sofort einen Eilboten dorthin senden, auf daß man ihnen Fourage bereit halten soll; euch will ich morgen ein Geleit mitgeben ... Ihr dürft nichts für eure Sicherheit befürchten, denn hier ringsherum gehört das Land mir ... Ihr nehmet zwei tüchtige Lanzknechte von den deutschen Dragonern mit, zuverlässige Leute, die die Wege kennen. Zudem führt die Landstraße von hier nach Krasnostaw gradeaus, wie aus der Pistole geschossen.«

»Und warum soll ich allein zurückbleiben?«

»Damit wir uns noch zusammen amüsieren; ihr seid mir ein lieber Gast, ich behielte euch am liebsten ganz hier. Auch erwarte ich jeden Augenblick die Ankunft meiner Pferdekoppel aus Peresz, vielleicht gefällt euch irgend ein Rößlein, das euch künftig gute Dienste leisten soll.«

Kmiziz sah den Starosten fest in die Augen. Dann, als folge er einem plötzlichen Entschlusse, sagte er:

»Gut! ich danke! Ich werde bleiben und die Tartaren vorausschicken.«

Er ging sogleich, Befehle auszugeben. Während die Vorbereitungen zum Abmarsch getroffen wurden, nahm Kmiziz den Akbah-Ulan auf die Seite und sprach zu ihm.

»Akbah-Ulan, merke, was ich dir sage: »Du sollst mit den Tartaren nach Krasnostaw vorausgehen. Der Weg führt geradeaus dorthin, wie aus der Pistole geschossen. Ich bleibe hier, komme aber morgen mit einer Eskorte des Starosten nach. Jetzt merke aber gut, was ich sage! Du wirst die Tartaren nicht nach Krasnostaw führen, sondern im nächsten Walde unweit von Samoschtsch Verstecke für euch suchen, so gut und vorsichtig, daß kein Mensch euer Hiersein ahnt. Wenn ihr auf der Landstraße einen Schuß fallen hört, so eilt ihr mir augenblicklich zu Hilfe. Man will mir hier eine Falle stellen. Hast du verstanden?«

»Dein Wille geschehe, Herr!« antwortete Akbah-Ulan, indem er die Hand auf Stirn, Lippen und Brust legte.

Kmiziz aber dachte im Stillen:

»Ich durchschaue euch, Herr Staroste! In Samoschtsch fürchtet ihr den Scharfblick eurer Schwester, darum wollt ihr das Mädchen rauben und irgendwo in der Gegend unterbringen. Mich wollt ihr zum Werkzeug eurer bösen Gelüste machen, im Notfall mich ganz aus dem Wege schaffen. Aber wartet! Ihr habt euren Mann gefunden und sollt in eure eigene Falle gehen!«

Abends klopfte der Hauptmann Schurski an die Zimmerthür bei Kmiziz. Der Offizier schien auch Ungeheuerliches zu merken und da er Anusia aufrichtig liebte, wünschte er, daß sie lieber abreisen, als in die Hände des Starosten fallen möchte. Da er aber seiner Sache doch nicht ganz sicher war, wagte er nicht offen darüber zu sprechen. Er wunderte sich nur, daß Kmiziz auf die Vorausschickung der Tartaren eingegangen war und gab nun seiner Verwunderung darüber Ausdruck.

»Die Wege sind nicht ganz so sicher, wie ihr meint,« beteuerte er. »Es strolchen überall Haufen Bewaffneter umher, die zu Gewalttätigkeiten aufgelegt sind.«

Herr Andreas war entschlossen zu thun, als ob er nichts merke.

»Was sollte mir passieren,« sagte er, »da der Herr Starost mir ein Geleit mitgeben will.«

»Bah! was will das sagen!«

»Sind es nicht zuverlässige Menschen?«

»Man darf Söldlingen niemals zu sehr trauen. Es ist schon vorgekommen, daß sie unterwegs sich widersetzt haben und zum Feinde übergegangen sind ...«

»Die Gegend diesseits der Weichsel soll doch aber frei sein von Schweden?«

»Glaubt das nicht! Sie sind nicht fort. In Lublin sitzen sie fest. Ich rate Ew. Liebden, – sendet eure Tartaren nicht voraus, man ist unter der Begleitung einer größeren Eskorte immer sicherer.«

»Es thut nur leid, daß ihr mir das nicht eher sagtet. Ich habe nur eine Zunge und nehme einen einmal gegebenen Befehl niemals zurück.«

Am nächsten Morgen in der Frühe rückten die Tartaren aus. Kmiziz wollte ihnen gegen Abend folgen, so daß er noch zum Nachtquartier in Krasnostaw eintreffen konnte. Inzwischen hatte mau ihm zwei Briefe an Herrn Sapieha übergeben. Der eine war von der Fürstin, der andere vom Starosten.

Kmiziz hatte große Lust, den letzteren zu öffnen; er wagte es doch nicht, aber als er ihn gegen das Licht hielt, sah er, daß der Umschlag nur reines unbeschriebenes Papier barg. Dieser Umstand bestärkte seinen Verdacht, daß man ihm unterwegs das Mädchen und die Briefe wieder abnehmen wolle.

Unterdessen war auch die Pferdekoppel aus Peresz angelangt. Der Herr Starost schenkte dem jungen Ritter ein außerordentlich schönes junges Roß, welches Kmiziz dankbar annahm, indem er dabei dachte, daß er sicher auf demselben weiter reiten würde, als der Herr Starost vielleicht glaubt. Er mußte auch daran denken, daß seine Tartaren bereits im Hinterhalte seiner warteten und dieser Gedanke machte ihn laut lachen. Zuweilen auch überfiel ihn eine gelinde Wut über die Falschheit der Menschen; er beschloß, dem Starosten eine derbe Lehre zu geben.

Die Zeit der Mittagstafel war herangekommen. Das Essen verlief in düsterem Schweigen. Anusia hatte rotgeweinte Augen, die Offiziere schwiegen still, nur der Herr Starost war guter Dinge. Er ließ immer wieder die Becher füllen und Kmiziz trank fleißig. Als endlich die Zeit der Abreise gekommen war, da waren zum Abschiednehmen nicht viele Personen mehr geblieben, denn der Starost hatte immer einen der Offiziere nach dem anderen in Dienst geschickt.

Anusia fiel der Fürstin zu Füßen; man konnte sie lange nicht von derselben losreißen und die Fürstin selbst war sehr bewegt. Vielleicht machte sie sich im Stillen doch Vorwürfe, daß sie in die Abreise dieser treuen Dienerin gewilligt hatte, zu einer Zeit, wo das ganze Land nicht die geringste Sicherheit bot. Aber das laute Schluchzen des Prinzen Michael, der mit beiden Fäusten vor den Augen weinte wie ein Schulbube, befestigte in der stolzen Frau die Ueberzeugung, daß die Trennung zur Beseitigung der Folgen einer solchen Liebe durchaus notwendig sei. Endlich beruhigte sie der Gedanke, daß Anusia in der Familie des Fürsten eine Zuflucht finden und durch die Erlangung der geerbten Güter eine gesicherte Zukunft erlangen werde, vollständig.

»Ich vertraue das Mädchen eurer Tugend, eurer Ehrenhaftigkeit und eurem Mut,« sagte die Fürstin noch einmal zu Kmiziz, »und denkt daran, daß ihr geschworen, sie ungefährdet zum Wojewoden zu geleiten.«

»Was geschehen kann, dem Fräulein die Reise bequem zu machen, das soll geschehen; schlimmsten Falles wickele ich sie in weiches Werg, und da ich mein Ehrenwort verpfändete, so kann mich höchstens der Tod verhindern, mein Versprechen zu halten,« antwortete der Ritter.

Er reichte dem Fräulein seinen Arm. Anusia fühlte sich gekränkt, daß er sie so obenhin behandelte; sie legte ihre Hand nur lose auf den Arm und wandte mit einer hochmütigen Gebärde ihren Kopf nach der anderen Seite.

Es war ihr sehr schmerzlich, ihre Wohlthäterin zu verlassen, dazu befiel sie jetzt eine unnennbare Angst; dennoch war es zu spät, ihren Entschluß rückgängig zu machen.

Der Augenblick der Abreise war da. Sie stieg mit ihrer alten Dienerin, Fräulein Suwalska, in die Kutsche, Kmiziz auf das Pferd, die Fahrt begann. Zwölf Söldlinge umgaben die Kutsche und die Britschka mit dem Gepäck der Frauen. Als das Gatter des Warschauer Thores in den Angeln knarrte und die Räder über die niedergelassene Zugbrücke rasselten, da weinte Anusia laut auf.

Kmiziz beugte sich zu dem Kutschenschlag nieder.

»Weint nicht, Fräulein,« tröstete er, »und fürchtet euch nicht, ich beiße euch nicht an.«

»Alter Grobian!« dachte Anusia.

Sie fuhren eine Weile zwischen den Häusern der Vorstadt hin direkt auf Alt-Samoschtsch zu, worauf sie in freies Feld kamen und dann den Wald erreichten, welcher zu jener Zeit das ganze Hügelland auf einer Seite bis hin zum Bug und noch weiter bedeckte, auf der anderen Seite von verstreut liegenden Dörfern bis nach Sawichosk unterbrochen war.

Die Nacht senkte sich hernieder; sie war sehr klar und hell. Die Landstraße zog sich wie ein silberner Streifen hin, die Stille wurde nur durch das Rasseln der Räder und das Getrappel der Pferde unterbrochen.

»Hier müssen meine Tartaren schon irgendwo in der Wildnis stecken,« dachte Kmiziz. Da horchte er plötzlich auf.

»Was ist das?« frug er den Offizier, welcher die Reiterabteilung führte.

»Es scheint Pferdegetrappel zu sein; ein Reiter kommt hinter uns hergesprengt,« antwortete der Offizier.

Er hatte kaum geendet, als auf schaumbedecktem Pferde ein Kosak sie erreichte und rief:

»Herr Babinitsch! Herr Babinitsch! Ein Brief vom Herrn Starosten!«

Der Zug hielt an. Der Kosak reichte Kmiziz den Brief und dieser las beim Licht der Wagenlaterne wie folgt:

»Lieber und mir sehr werter Herr Babinitsch!

Bald nach der Abreise des Fräulein Borschobohata Krasienska erreichte mich die Nachricht, daß die Schweden Lublin nicht nur nicht verlassen haben, sondern sogar beabsichtigen, gegen mein Samoschtsch vorzurücken. Angesichts dessen ist an eine Weiterreise des Fräuleins nicht zu denken. In Erwägung der bevorstehenden pericula, welchen das Weißköpfchen ausgesetzt sein würde, wollen wir das Fräulein Borschobohata zurück nach Samoschtsch haben. Die Reiter können sie zurückbegleiten. Ihr aber, der es so eilig hat, fortzukommen, sollt dadurch nicht von der Weiterreise abgehalten werden. Indem wir Ew. Liebden diesen unseren Willen kund thun, bitten wir Euch, den Reitern unsere Befehle kund zu geben.«

»Er ist wenigstens so ehrlich, nicht nach meinem Kopfe zu trachten; er will nur einen Narren aus mir machen,« dachte Kmiziz. »Nun, es wird sich ja bald zeigen, ob es auf einen Ueberfall abgesehen ist oder nicht.«

Unterdessen war Fräulein Anusia aufmerksam geworden; sie steckte den Kopf zum Wagenfenster heraus.

»Was giebt es?« frug sie.

»Nichts! Der Herr Starost empfiehlt euch nochmals meiner Ritterlichkeit. Sonst nichts!«

»Auf! weiter des Weges!« befahl er dem Offizier.

Doch der Offizier hielt sein Pferd fest am Zügel.

»Halt!« rief er dem Kutscher zu, welcher soeben die Pferde am Wagen antrieb. Dann wandte er sich dem Ritter zu.

»Was soll das heißen! Wir reiten nicht weiter.«

»Doch!« erwiderte Kmiziz. »Wozu sollen wir noch länger hier im Walde halten.«

Er sagte das ganz harmlos, als wüßte er gar nicht, um was es sich handelte.

»Aber Ew. Liebden haben doch einen Befehl erhalten.«

»Eben darum! Was geht euch dieser Befehl an! Vorwärts!«

»Halt!« rief der Offizier.

»Vorwärts!« befahl Kmiziz noch einmal.

»Was giebt es denn eigentlich?« frug Anusia wieder.

»Wir rühren uns nicht von der Stelle, bevor ich den Befehl nicht gelesen habe,« beharrte der Offizier fest.

»Der Befehl ist an mich gerichtet, er geht euch nichts an.«

»Wenn ihr ihn doch nicht befolgen wollt, so werde ich ihn ausführen. Ew. Liebden können also mit Gott nach Krasnostaw weiterziehen; nur seht zu, daß wir euch nicht eine Wegzehrung mitgeben. Wir aber kehren mit dem Fräulein nach Samoschtsch zurück.«

Das hatte Kmiziz nur hören wollen. Er wollte sich vergewissern, ob dem Offizier der Inhalt des Schreibens bekannt war. Nun wußte er, daß es sich um einen Komplott handelte, dessen Opfer das Fräulein werden sollte.

»Scheert euch fort!« wiederholte der Offizier drohend.

Gleichzeitig zogen sämtliche Reiter wie auf Verabredung die Säbel aus den Scheiden.

»O, ihr Hunde!« rief da Kmiziz. »Nicht nach Samoschtsch zurück wollt ihr das Fräulein bringen, sondern sie irgendwohin in einen Hinterhalt locken, damit der Starost ungestört seine Begierden an ihr sättigen kann. Doch, ihr habt euch in mir verrechnet!«

Bei diesen Worten schoß er seine Pistole in die Luft ab. Gleich darauf vernahm man im Walde ein seltsames Knacken und Rascheln; es war, als hätte der Knall der Pistole ganze Herden von Wölfen aufgeschreckt, die nun mit entsetzlichem Geheul durch die Zweige des Unterholzes brachen. Das Geheul kam von vorn, von beiden Seiten und vom Rücken her. Pferdegetrappel wurde auf der Landstraße laut und eine Menge Reiter hatte bald die Reisegesellschaft umzingelt.

»Jesus! Maria! Josef!« schrieen die erschreckten Frauen im Wagen.

Die Tartaren waren eilends herangesaust. Kmiziz brachte sie mit einem dreimaligen Kommandoruf zum Stillstehen. Darauf wandte er sich an den Offizier, der vor Schreck zur Bildsäule erstarrt schien, und begann ihn auszuhöhnen.

»Erkennt ihr nun, wen ihr vor euch habt? ... Der Herr Starost wollte mich zum Hans Narr machen, mich als Mittel zum Zweck gebrauchen, und glaubte, ich würde blindlings folgen ... Euch, Herr Offizier, hat er die Ausführung des sauberen Streiches anvertraut und ihr wolltet um Herrengunst ein Verbrechen begehen! ... Grüßt den Herrn Starosten von Babinitsch; er läßt ihm sagen, daß das Fräulein unter sicherem Geleit zu Herrn Sapieha gebracht werden soll.«

Der Offizier blickte erschrocken um sich, als er die schwarzen Gesichter der Tartaren sah, deren Augen gierigen Blickes ihn und die Reiter anstarrten. Es bedurfte nur eines einzigen Lautes seitens ihres Führers und sie waren alle Kinder des Todes.

»Ew. Liebden können thun, was euch beliebt,« stammelte er, »aber der Herr Starost versteht Rache zu üben. Wir können gegen die Uebermacht nichts ausrichten.«

Kmiziz lachte laut auf.

»Möge seine Rache euch treffen,« rief er. »Hättet ihr euch nicht vorzeitig verraten, hättet ihr eure Mitwissenschaft an dem Komplott vor mir verborgen gehalten, wer weiß – ohne euren Protest gegen die Weiterreise hätte ich das Fräulein wahrscheinlich von Krasnostaw aus nach Samoschtsch zurückgesandt. Sagt auch das dem Herrn Starosten; er möge sich künftig klügere Helfershelfer als euch aussuchen.«

Der ruhige Ton, in welchem Kmiziz gesprochen hatte, machte den Offizier sicher. Er wußte nun, daß weder ihm noch den Reitknechten Lebensgefahr drohte. Er atmete erleichtert auf und frug:

»Wir sollen also mit leeren Händen nach Samoschtsch zurückkehren?«

Und Kmiziz antwortete:

»O nein! Ich will euch ein Handschreiben mitgeben, welches ich auf eurer Haut niederschreiben will.«

»Ew. Liebden!«

»Faßt zu!« kommandierte Kmiziz, »während er selbst den Offizier im Genick packte.«

Es entstand ein Getümmel rings um die Kutsche herum, welches jedoch nur ganz kurz währte. Das Geschrei der Tartaren übertönte die Hilfe- und Klagerufe der Reiter und die Entsetzensschreie der beiden erschreckten Frauen. Bald lagen die Reiter gebunden in einer Reihe auf der Landstraße ausgestreckt. Kmiziz ließ ihnen Rutenhiebe austeilen, nicht zu viele, damit sie zu Fuß nach Samoschtsch zurückkehren konnten. Jeder Reiter erhielt hundert, der Offizier hundertundfünfzig, trotz der Rufe, Bitten und Beschwörungen Anusias, welche nicht begreifen konnte, um was es sich handelte und glaubte, sie sei in die Hände eines grausamen Barbaren gefallen.

Weinend und die Hände faltend, flehte sie ein um das andere Mal:

»Verzeiht doch, Ritter! Was habe ich euch denn gethan? Erbarmt euch! Schont uns!«

»Seid stille, Fräulein!« fuhr er sie an.

»Was habe ich denn gethan, daß ihr so grausam verfahret?«

»Vielleicht seid auch ihr Mitwisserin des Komplotts?«

»Welchen Komplotts? Gott sei mir armen Sünderin gnädig! ...«

»Ihr wißt also nicht, daß der Starost nur zum Schein eure Abreise betrieben hat? Ihr wißt nicht, daß er euch nur von der Fürstin trennen, euch jetzt aber entführen und in irgend ein entlegenes Waldhaus bringen und dort eure Tugend zu Falle bringen wollte?«

»Jesus von Nazareth!« schrie Anusia.

Dieser Schrei, so voll Angst und Entsetzen, überzeugte Kmiziz von der Unschuld des Mädchens.

»Wie? Ihr wußtet wirklich nichts von dem Komplott? Ist das möglich?« frug Kmiziz schon viel milder.

Anusia bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen; sie konnte nicht antworten, sondern rief nur immer:

»Jesus, Maria! Jesus, Maria!«

»Beruhigt euch doch,« tröstete Kmiziz sanft. »Ich bringe euch unversehrt zu Herrn Sapieha, denn der Herr Starost hat nicht geahnt, daß ich ihn durchschaute. Seht da, die Menschen, denen ich Rutenhiebe geben lasse, sollten euch entführen. Ich schenke ihnen das Leben, damit sie dem Herrn Starosten erzählen können, was sich zugetragen hat.«

»So habt ihr mich also vor der Schande bewahrt?«

»Das habe ich, obgleich ich nicht einmal wußte, ob ich euch damit einen Gefallen erwies.«

Ehe sich Kmiziz dessen versehen konnte, ergriff das Fräulein statt aller Antwort die Hand des Ritters, und führte dieselbe an ihre erbleichten Lippen.

Er wurde rot im Gesicht, wie ein Truthahn.

»Laßt doch solchen Unsinn!« rief er, ihr die Hand entziehend. »Setzt euch in den Wagen, ihr erkältet euch sonst die Füße! ... Und fürchtet nichts ... Bei eurer Mutter könntet ihr nicht sicherer sein, als hier.«

»Nun vertraue ich mich eurem Schutze bis an das Ende der Welt!« sprach Anusia Borschobohata.

»Sprecht doch nicht solche Worte,« versetzte Kmiziz.

»Gott wird euch lohnen, daß ihr ein wehrloses Mädchen beschützet.«

»Es ist mir heute zum erstenmale Gelegenheit dazu geboten worden.«

Und leise murmelte er vor sich hin:

»Bis jetzt habe ich sie noch gar nicht in Schutz genommen, im Gegenteil, ich hatte sie mit im Verdacht.«

Unterdessen hatten die Reiter ihre Schläge wegbekommen. Herr Andreas ließ sie entblößt auf der Landstraße nach Samoschtsch zu ein Stück forttreiben; sie liefen weinend und wehklagend davon. Ihre Pferde und Waffen schenkte Kmiziz den Tartaren, dann machte sich der Tschambul mit dem Fräulein eiligst auf den Weg, denn die Zeit drängte.

Der Ritter konnte sich nicht enthalten, unterwegs von Zeit zu Zeit in den Wagen, vielmehr in die munteren Aeugelein des Fräuleins zu blicken und sie zu fragen, ob ihr etwas fehle, ob der Wagen bequem sei und ob die schnelle Fahrt sie nicht zu sehr ermüde.

Anusia antwortete ihm, daß sie sich nie besser befunden habe. Sie hatte sich von dem Schrecken bald erholt, Vertrauen war an die Stelle der Angst getreten und im Stillen dachte sie:

»Er ist gar nicht so uneben und grob, wie ich anfangs dachte.«

Kmiziz hingegen dachte auch etwas, aber anderes. Er seufzte leise und murmelte vor sich hin:

»Ach, Olenka, was leide ich um deinetwillen. Ob ich wohl jemals Dank dafür von dir ernten werde? – Wie war das früher anders.«

Seine toten Kumpane kamen ihm in Erinnerung und verschiedene Schelmenstücke, die er mit ihnen gemeinschaftlich verübt, und als wollte er dem Versucher wehren, betete er ein »Vater Unser« für den Frieden ihrer Seelen.

In Krasnostaw angekommen, hielt Kmiziz es für geraten, Nachrichten aus Samoschtsch nicht erst abzuwarten, sondern sogleich weiter zu reisen. Zuvor jedoch schrieb er einen Brief an den Starosten, welchen er durch einen Boten aus Krasnostaw ihm zusandte. Der Brief lautete:

»Erlauchter Herr Starost und mir sehr werter Herr und Wohlthäter!

Wem Gott ein hohes Amt und eine angesehene Stellung in der Welt giebt, den stattet er auch mit ganz besonderen Geistesgaben aus. Ich erkannte sofort, daß Ew. Erlaucht mich auf die Probe stellen wolltet, als Ihr nur den Brief mit dem Befehl der Rücksendung des Fräulein Anusia Borschobohata Krasienska zustellen ließet. Das leuchtete mir um so mehr ein, da die Reiter merken ließen, daß ihnen der Inhalt des Schreibens bekannt sei, obgleich ich ihnen kein Wort davon gesagt und Ew. Erlaucht mir schriebet, daß erst nach unserer Abreise Euch die Gefahr, welcher das Fräulein entgegenging, klar geworden ist. Wie ich nun einerseits die Umsicht und Vorsicht Ew. Erlaucht aus vollstem Herzen bewundere, so verspreche ich andererseits, mich des in mich gesetzten Vertrauens würdig zu zeigen und mich durch nichts der übernommenen Pflicht abwendig machen zu lassen. Da nun die Eskortereiter wahrscheinlich in einem Irrtum befangen, sich gegen meine Person sehr grob und ungebührlich benommen, ja sogar in Drohungen ergangen und mein Leben bedroht haben, so hätte ich sicher im Sinne Ew. Erlaucht gehandelt, wenn ich die Widersetzlichen hätte aufhängen lassen. Daß ich es nicht gethan, dafür habe ich Ew. Erlaucht ergebenst um Entschuldigung zu bitten. Ich habe ihnen nur einige Stockschläge applizieren lassen, deren Anzahl Ew. Erlaucht, falls Ihr die Strafe zu gering erachten solltet, nachträglich von Euch nach Belieben multipliziert werden kann. In der Hoffnung, daß ich immer im Genusse Ew. Erlaucht größten Vertrauens verbleibe, schreibe ich mich Ew. Erlaucht

ergebener Diener Babinitsch.«

Die Dragoner, welche erst spät in der Nacht in Samoschtsch angekommen waren, hatten aus Angst sich gar nicht vor dem Starosten blicken lassen: dieser erfuhr daher erst am nächsten Tage durch den Brief das Geschehene. Nachdem er das Schreiben gelesen, schloß er sich während drei Tagen in seinem Zimmer ein, ohne jemand anderen vorzulassen, als den Kammerdiener, welcher ihm das Essen brachte. Man hörte ihn in dieser Zeit viel französisch fluchen, was er nur that, wenn er sehr zornig war.

Allmählich jedoch ging das Unwetter vorüber. Am vierten und fünften Tag war Herr Samojski noch etwas schweigsam; er schien etwas noch nicht ganz verdaut zu haben, denn er zerrte viel an seinem Schnurrbart herum. Nach acht Tagen hatte er seinen Humor wiedergefunden. Der Schnurrbart wurde nicht mehr gezerrt, sondern flott in die Hohe gedreht, endlich eines Tages sagte er zu der Fürstin Griseldis:

»Weißt du, liebe Schwester, ich bin doch immer ein sehr umsichtiger Mensch. Vor einigen Tagen habe ich jenen jungen Edelmann, unter dessen Schutz wir Anusia zu Herrn Sapieha schickten, auf eine harte Probe gestellt. Er hat dieselbe glänzend bestanden, du kannst sicher sein, daß er seine Schutzbefohlene ungefährdet an ihren Bestimmungsort bringt.«

Einen Monat später hatte das Herz des Starosten einen anderen liebenswerten Gegenstand gefunden. Er war fest überzeugt, daß alles, was geschehen, auf seine Anordnung und mit seiner Bewilligung geschehen war.


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