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3. Kapitel

Noch in derselben Nacht ritt Herr Wolodyjowski aus Rekognoszierung aus; er kehrte gegen Morgen zurück und brachte einige Kundschafter mit. Diese bestätigten, daß der König in eigener Person in Schtschebreschin sich befinde und direkt auf Samoschtsch losmarschiere.

Diese Nachricht erfreute den Herrn Starosten außerordentlich, denn er war ernstlich gewillt, seine Geschütze und Mauern durch die Schweden auf ihre Festigkeit hin prüfen zu lassen. Er kalkulierte, daß selbst im Falle eines späteren schlimmen Ausganges die Festung den Feind mindestens aus Monate zu beschäftigen und aufzuhalten vermochte, und das war ganz richtig kalkuliert. Dennoch hoffte er, daß Johann Kasimir sein inzwischen verstärktes Heer zur rechten Zeit zum Entsatz der Festung herbeiführen werde, und hier, bei Samoschtsch, die Entscheidungsschlacht stattfinden müsse, welche dem Vaterlande die Freiheit wiedergeben sollte.

»Endlich wird mir Gelegenheit geboten,« sagte er mit großer Emphase im Kriegsrat, »dem Vaterlande und dem Könige einen bedeutenden Dienst zu leisten. Ich erkläre euch, meine Herren, daß ich gewillt bin, uns alle eher in die Luft zu sprengen, als zu dulden, daß der Schwede seinen Fuß in meine Stadt setzt. Wollen sie den Samojski mit Uebermacht zwingen, so mögen sie kommen! Wir wollen sehen, wer der stärkere ist. Von euch, meine Herren, erwarte ich, daß ihr mir aus vollem Herzen helfen werdet.«

»Wir gehen mit Ew. Durchlaucht in den Tod!« riefen alle Offiziere wie aus einen Munde.

»Wenn sie nur zur Belagerung schreiten wollten!« sagte Sagloba. »Sie sind imstande, die Festung zu umgehen ... Meine Herren! So wahr ich Sagloba heiße, ich führe den ersten Ausfall!«

»Ich gehe mit, Ohm!« sagte Roch Kowalski, »Ich suche zuerst den König auf!«

»Auf die Mauern!« kommandierte der Starost,

Die Offiziere entfernten sich alle. Bald sahen die Mauern mit den darauf befindlichen Mannschaften in den bunten Uniformen aus, wie wenn sie mit Blumen bewachsen wären. Die Fußsoldaten, glänzend ausstaffiert wie keine anderen der Republik, standen da oben in Reihe und Glied, einer neben dem anderen, mit den Musketen in der Hand, die Augen fest in das Freie gerichtet. Es dienten wenige Fremde unter ihnen, nur einige Preußen und Franzosen; es waren lauter Guts- und Bezirks-Angehörige, schöne, kräftig gewachsene Menschen, die in bunten Kollern und nach ausländischem Zuschnitt ausgebildet, sich ebenso tapfer schlugen, wie die besten Engländer Cromwells. Ihre Geschicklichkeit war besonders groß, wenn sie nach einer feindlichen Salve sich dem Feinde direkt entgegen werfen mußten.

Auch jetzt erwarteten sie ungeduldig die Ankunft der Schweden, während sie der Triumphe gedachten, die sie über Chmielnizki davongetragen. Die Geschütze, deren lange Rohre wie neugierig aus den Schußlöchern der Wälle hervorblickten, wurden hauptsächlich von Flamländern bedient. Außerhalb der Festung, schon hinter den Wallgräben, ritten einige Fahnen leichte Reiterei unter dem Schutze der Kanonen und einer sicheren Zuflucht sich bewußt, langsam hin und her, bereit, sofort davonzusprengen, wohin der Befehl des Kommandanten sie senden würde.

Der Starost besichtigte zu Pferde die Festungswerke; er trug einen stählernen schönen Panzer und in der Hand einen vergoldeten Schild.

»Was giebt es? Ist noch niemand zu sehen?« frug er immer von neuem. Und er murmelte einen Fluch, wenn man ihm sagte, daß noch niemand zu erblicken sei.

Er ritt weiter und immer wieder frug er, ob noch niemand von den Schweden der Festung nahe. Es war auch schwer, etwas zu erkennen, da der Nebel dicht auf den Häusern lag. Gegen zehn Uhr Vormittag fing er an, sich zu lichten. Der blaue Himmel kam zum Vorschein, der Horizont wurde klar und bald darauf ertönten auch von der westlichen Seite der Mauern die Rufe.

»Sie kommen! Sie kommen!«

Der Herr Starost, Sagloba und drei Offiziere vom persönlichen Dienst des Starosten, erstiegen mit schnellen Schritten eine der Bastionen, von welcher man einen weiten Fernblick hatte und sahen durch Fernrohre hinaus, dem Feinde entgegen. Etwas nebelig war die äußerste Horizontlinie noch. Die schwedische Armee, welche von Wielontsch her anrückte, schien bis über die Kniee in Wasserdampf zu waten. Die näher gekommenen Abteilungen waren schon so deutlich sichtbar, daß man mit bloßem Auge die Füsiliere von den Reitern unterscheiden konnte. Die Entfernteren dagegen tauchten erst allmählich aus den Nebelmassen auf. Immer mehr und immer näher konnte man sie heranrücken sehen, Fußsoldaten, Kanonen und Reiter.

Der Anblick war schön. Aus jedem Karree Fußsoldaten starrte ein ebensolches Karree Lanzen in die Höhe; zwischendurch wehten Fahnen in verschiedenen Farben, zumeist blaue mit weißen Kreuzen, oder auf blauem Grunde der schwedische gelbe Löwe. Jetzt waren sie ganz nahe. Auf den Mauern herrschte tiefste Stille. Der leichte Wind trug also das Knarren der Wagenräder, das Klirren der Waffen, den Huftritt der Pferde und den Schall menschlicher Stimmen herüber. Etwa zwei Bogenschüsse weit von der Festung entfernt begannen sie sich auszubreiten. Die Vierecke der Füsiliere lösten sich auf; man schickte sich an, Zelte aufzuschlagen und kleine Erderhöhungen aufzuschütten.

»Da haben wir sie also!« sagte der Herr Starost.

»Da sind die Hundesohne!« echote Sagloba.

»Man könnte sie nach den Fingern aufzählen, so deutlich sieht man sie.«

»So alte Praktiker wie ich, brauchen nicht erst zu zählen. Mit einem Blick übersehe ich, wie viele ihrer sind. Es sind zehntausend Reiter und mit der Artillerie achttausend Füsiliere. Wenn ich mich um einen Gemeinen oder um ein Pferd geirrt haben sollte, setze ich mein Vermögen für den Irrtum ein,« sagte Sagloba.

»Kann man denn das so genau feststellen?«

»Zehntausend Reiter und achttausend Füsiliere, so wahr ich gesund bin! Wir wollen zu Gott hoffen, daß sie in bedeutend geringerer Zahl abziehen werden.«

»Hört ihr's? Sie spielen eine Arie!«

Eine Anzahl Reiter war an die Spitze der Regimenter geritten und spielte auf ihren Blechinstrumenten einen Kriegsmarsch. Unter dem Klange der Trompeten entwickelten sich die herbeikommenden Massen und umringten die Stadt in angemessener Entfernung. Zuletzt lösten sich aus der Menge einige Reiter und kamen auf die Stadt zugeritten. Auf halbem Wege etwa steckten sie an ihre Lanzenspitzen weiße Tücher, welche sie hin und her schwenkten.

»Eine Gesandtschaft!« sagte Sagloba. »Ich sah damals in Birz die Schweden ebenso ankommen und – was entstand dort daraus?«

»Samoschtsch ist nicht Birz und ich bin nicht der Wojewode von Wilna,« entgegnete der Herr Starost.

Unterdessen war die Gesandtschaft näher gekommen. Eine Weile später meldete der dienstthuende Offizier, daß Herr Johann Sapieha im Namen des Königs von Schweden den Herrn Starosten um eine Unterredung bitte.

Als Herr Samojski das hörte, stemmte er die Arme in die Seite; er begann hin und her zu trippeln, zu schnaufen und die Lippen aufzuwerfen. Endlich sagte er stolz:

»Sagt dem Herrn Sapieha, daß ich mit Verrätern nicht verhandle. Will der König von Schweden mit mir sprechen, so soll er mir einen eingeborenen Schweden herschicken, keinen Polen. Die Polen, welche im schwedischen Heere dienen, können ihre Gesandtschaft an meinen Hundestall richten, das ist der rechte Ort für sie.«

»So wahr ich Gott liebe, das ist die richtige Antwort!« rief Sagloba in aufrichtiger Begeisterung.

»Der Teufel soll sie holen!« fuhr Herr Samojski, von seiner eigenen Rede hingerissen, fort. »Soll ich etwa den Herrn mit Zeremonien empfangen? Was bildet er sich denn ein?«

»Erlaubt, Erlaucht, daß ich ihm eure Antwort bringe!« sagte Sagloba.

Ohne die Antwort des Starosten abzuwarten, war er mit dem Offizier davongeeilt. Er mußte aber außer der Antwort des Herrn Samojski noch etliche Artigkeiten von sich hinzugefügt haben, denn Herr Sapieha hatte, sobald er sie vernommen, sein Pferd scharf herumgeworfen und war im Galopp davongesprengt.

Von den Mauern aber und aus den Reihen derjenigen Fahnen, welche vor den Wällen postiert waren, schallten ihm Rufe nach:

»Fort! Fort mit euch Verrätern ... ihr käuflichen Subjekte ... ihr Schacherer! Husch! Husch!«

Man konnte noch sehen, wie er die Mütze tief über die Ohren zog, um die Schimpfworte nicht zu hören.

Nun stand Sapieha vor dem Könige. Sein Gesicht war kreideweiß, seine Lippen fest zusammengekniffen. Auch der König war niedergeschlagen ... Samoschtsch hatte seine Hoffnungen getäuscht ... Um das Maß seiner Enttäuschung voll zu machen, hatte er schon von ferne in Samoschtsch eine Festung erkannt, welche sich wohl mit den besten dänischen und niederländischen messen konnte. Ohne Geschütze schwersten Kalibers war gegen diese Mauern nichts auszurichten. Nach den Erzählungen Sapiehas hatte er, trotz der gegenteiligen Versicherungen desselben, hier eine befestigte Stadt, wie Krakau, Posen und andere zu finden erwartet.

»Was giebt es?« frug der König, als er Sapieha erblickte.

»Nichts!« antwortete der Gefragte barsch. »Der Herr Starost will nicht mit Polen verhandeln, welche im Dienste Ew. Majestät stehen. Er hat mir seinen Hofnarren mit der Antwort geschickt, und dieser hat mich und Ew. Majestät so schmählich beschimpft, daß ich die Worte nicht wiederholen kann.«

»Es ist mir einerlei, mit wem er sprechen will, wenn er nur spricht. In Ermangelung anderer Botschafter habe ich meine eisernen. Inzwischen werde ich ihm Forgell hinschicken.«

Eine halbe Stunde später ließ Forgell sich mit seiner durchweg schwedischen Begleitung beim Starosten anmelden. Die Zugbrücke wurde langsam heruntergelassen, der General ritt ernst und schweigsam in die Festung ein. Man hatte weder ihm, noch seinem Gefolge die Augen verbunden, der Starost wollte, daß er alles sehen und über den Stand der Dinge dem Könige berichten solle. Er empfing ihn mit einem Prunk wie ein regierender Fürst, so daß er den General in großes Staunen versetzte, denn die schwedischen Herren besaßen nicht den zwanzigsten Teil der Reichtümer der Polen und der Herr Starost war unter diesen der Mächtigsten und Reichsten einer. Der gewandte Schwede behandelte ihn auch von vornherein wie einen regierenden Fürsten, nannte ihn »princeps«« und verharrte bei dieser Anrede, obgleich Herr Samojski sich dieselbe in seiner rauhen Weise verbeten hatte.

»Nicht princeps, eques polonus, aber eben deshalb den Fürsten im Range gleich.«

»Durchlaucht!« sagte Forgell, indem er that, als höre er die Bemerkung des Starosten nicht. »Se. Majestät der König von Schweden (hier fügte er alle die anderen Titel des Königs hinzu) ist nicht als Feind hierher gekommen; er bittet um Gastfreundschaft, läßt sich durch mich anmelden in der gewissen Hoffnung, daß Ew. Durchlaucht seiner Person und seiner Armee die Thore der Festung gastfrei öffnen werden,«

»Es ist bei uns nicht Sitte,« antwortete Samojski, »daß man jemandem die Gastfreundschaft weigert, auch nicht, wenn der Gast ungeladen erscheinen sollte. Es findet sich für Gäste immer ein freier Platz an meinem Tische, für eine so hohe Person sogar der erste. Ew. Erlaucht möge daher Sr. Majestät ausrichten, daß ich mich durch seinen Besuch geehrt fühle, besonders darum, weil Se. Majestät der König Karl Gustav Selbstherrscher in Schweden ist, wie ich Selbstherrscher von Samoschtsch bin. Aber, wie Ew. Erlaucht bemerkt haben werden, giebt es der Diener bei uns so viele, daß es vollständig überflüssig wäre, wenn Se. Majestät ein eigenes Gefolge mitbringen wollten. Wollten Se. Majestät das dennoch thun, so müßte ich glauben, man wolle mich als einen armseligen Wicht betrachten, und ich müßte das als eine Beleidigung auffassen!«

»Gut! sehr gut!« flüsterte Sagloba, welcher hinter dem Starosten stand, diesem zu.

Der Herr Starost warf nach dieser langen Rede die Lippen auf und setzte dann noch gespreizt hinzu:

» At! Das ist, was ich zu antworten habe.«

Forgell kaute an seinem Barte, schwieg einen Augenblick, dann begann er:

»Es wäre ein Beweis großen Mißtrauens gegen den König, wenn Ew. Durchlaucht die Eskorte Sr. Majestät nicht in die Festung einlassen wolltet. Ich bin der Vertraute des Königs; ich kenne seine geheimsten Gedanken und habe den Auftrag, Ew. Durchlaucht im Namen Sr. Majestät auf Ehrenwort zu versichern, daß weder die Festung noch die Herrschaft Samoschtsch dauernd besetzt bleiben soll. Da in diesem unglücklichen Lande der Krieg von neuem entbrannt ist und Johann Kasimir, ohne Rücksicht darauf, welche schweren Folgen seine Wiederkehr in das Reich nach sich ziehen kann, im Bunde mit den Heiden gegen unser christliches Heer heranzieht, ist mein unbesiegbarer Herr und König entschlossen, sei es auch bis in die Steppen und wilden Felder, vorzudringen, um diesem Lande Frieden, einen gerechten Herrscher, durch eine milde Regierung das Glück und den Bürgern dieser herrlichen Republik die Freiheit wiederzugeben.«

Der Starost klatschte mit der flachen Hand sein Knie, aber er antwortete nicht. Nur Sagloba flüsterte hinter seinem Rücken:

»Der Teufel hat sich ein Ornat angezogen und läutet mit dem Schwanz zur Messe.«

»Se. Majestät hat mit seiner Königlichen Gnade diesem Lande schon manche Wohlthat zugewendet,« fuhr Forgell fort. »Doch ist damit seinen väterlichen Gefühlen noch nicht genug geschehen; er hat seine Provinz Preußen ihrer Besatzung entblößt, um der Republik noch einmal Rettung zu bringen, welche mit der Vernichtung Johann Kasimirs ihre Vollendung erreicht haben wird. Um aber ein schnelles und glückliches Ende dieses Feldzuges herbeiführen zu können, bedarf Se. Majestät eines Stützpunktes, von wo aus die Verfolgung der Aufwiegler und Empörer ausgeführt und geleitet werden kann. Als dieser Stützpunkt wäre Samoschtsch der geeignetste Ort. Da nun der König Ew. Durchlaucht als einen sehr reichen, einem alten Geschlechte entstammenden, mit großem Verstande, edler Gesinnung und großer Vaterlandsliebe ausgestatteten Herrn rühmen hörte, so sagte mein Herr und Gebieter gleich zu mir: ›Dieser wird mich verstehen, er wird meine gute Absicht zu schätzen wissen und das Vertrauen, daß ich in ihn setze, nicht täuschen, meine Hoffnungen unterstützen und der erste sein, der zur Rettung des Reiches seine Hand bietet.‹ Von Ew. Durchlaucht hängt also das künftige Geschick der Republik ab. Ew. Durchlaucht allein können sie retten, ... ich zweifle auch nicht, daß das geschieht ... Wer so ruhmreiche Vorfahren besitzt, der ist verpflichtet, auch seinerseits alles zu thun, um den Ruhm zu vergrößern. Ew. Durchlaucht würden durch die Ueberlassung der Festung der Republik einen größeren Dienst erweisen, als wenn ihr eine ganze Provinz opfertet ... Der König vertraut, daß euer ausgezeichneter Verstand im Verein mit eurem vortrefflichen Herzen sich diesem seinem Wunsche geneigt zeigen werde, deshalb will er nicht befehlen, sondern zieht vor, zu bitten! – Er bietet euch seine Freundschaft, nicht wie der Monarch dem Unterthan, sondern wie der Mächtige dem Mächtigen.«

Hier verneigte sich Forgell vor dem Starosten so ehrfurchtsvoll, wie vor einem regierenden Fürsten. Im Saale herrschte Totenstille. Aller Augen wandten sich dem Starosten zu.

Dieser drehte sich, seiner Gewohnheit gemäß, auf dem vergoldeten Stuhle hin und her, warf die Lippen auf, gab seinem Gesicht einen finsteren Ausdruck, dann breitete er die Arme aus, endlich stützte er die Ellenbogen auf die Kniee, warf den Kopf in die Höhe wie ein mutiges Roß und begann:

»Hört, was ich antworte! Ich bin Sr. schwedischen Herrlichkeit sehr dankbar für die hohe Meinung, die sie von meinem Verstande und meiner Vaterlandsliebe hat. Es ist mir auch nichts so wert, wie die angebotene Freundschaft eines so hohen Potentaten. Aber ich denke, unsere gegenseitige Wertschätzung könnte eben so groß sein, wenn der König in Stockholm bliebe und ich in Samoschtsch. – Wie? Denn Stockholm gehört ihm, Samoschtsch mir! Was seine Liebe zur Republik betrifft –, na, meinetwegen, ich will sie gelten lassen, – nur bin ich überzeugt, daß die Republik sich wohler befinden wird, wenn die Schweden sie ganz verlassen, als daß sie hereinkommen. Und dann – alles, was Recht ist! – Ich selbst glaube aus vollem Herzen, daß der Besitz von Samoschtsch Sr. Majestät zum Siege über Johann Kasimir verhelfen würde. Nun müssen Ew. Erlaucht aber wissen, daß ich nicht dem Könige von Schweden, sondern eben demjenigen, der besiegt werden soll, Johann Kasimir, Treue gelobt habe und demgemäß ihm den Sieg wünsche. Darum gebe ich Samoschtsch nicht her! Da, nun habt ihr gehört!«

»Das nenne ich, sich politisch ausdrücken!« donnerte Sagloba.

Im Saale entstand ein freudiges Gemurmel, aber der Herr Starost beschwichtigte dasselbe, indem er laut mit den Händen auf seine Kniee schlug.

Forgell wurde sehr verlegen. Eine Weile schwieg er, dann brachte er neue Argumente vor. Er drängte, bat, schmeichelte, zuletzt drohte er leichthin. Mit einer Beredsamkeit ohnegleichen verschwendete er seine besten und letzten Vorschläge; er erhielt immer nur die eine Antwort:

»Ich gebe Samoschtsch nicht her!«

Die Audienz zog sich über alle Maßen in die Länge; der General wurde immer bekümmerter, Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, denn zuerst vereinzelt, dann immer zahlreicher wurden Spöttereien laut, die von dem Gelächter der anderen begleitet waren. Endlich hielt Forgell die Zeit für gekommen, sein letztes Angebot zu machen. Er entrollte eine Pergamentrolle mit großen Siegeln, welche er bisher in der Hand gehalten hatte. Niemand hatte bisher das Dokument beachtet, jetzt erregte es die Aufmerksamkeit aller. Mit klarer Stimme sprach Forgell feierlich:

»Für die Uebergabe der Festung bietet Se. Majestät u. s. w. (hier folgten wieder alle Titel) Ew. Durchlaucht die Wojewodschaft Lublin als erbliches Eigentum!«

Von starrer Verwunderung ergriffen, standen die Anwesenden da. Auch der Starost stutzte einen Augenblick. Forgell glaubte schon gewonnenes Spiel zu haben; er ließ den Blick triumphierend umherschweifen, als plötzlich durch die Totenstille im Saale die mit sonorer Stimme in polnischer Sprache gesprochenen Worte Saglobas tönten:

»Offeriert als Gegengabe doch dem Könige von Schweden das Königreich der Niederlande, Erlaucht.«

Der Herr Starost besann sich nicht lange, schlug die Arme unter und wiederholte, daß es im ganzen Saale schallte, in lateinischer Sprache:

»Und ich offeriere Sr. Majestät als Gegengabe die Niederlande.«

Ein schallendes Gelächter erschütterte die Wände des Saales. Die Herren lachten, daß ihnen die Bäuche wackelten und die Gürtel über denselben ebenfalls. Welche von ihnen klatschten in die Hände vor Vergnügen, andere taumelten wie betrunken oder lehnten sich an die neben ihnen Stehenden. Das Lachen währte fort. Forgell war erbleicht: er hatte die Stirn drohend gerunzelt, die Augen schienen Feuer zu sprühen. Mit stolz erhobenem Kopfe wartete er, bis das Lachen aufgehört hatte, dann frug er barsch und kurz.

»Ist das euer letztes Wort, Erlaucht?«

Der Starost drehte an seinem Schnurrbart.

»Nein!« antwortete er noch hochmütiger als zuvor. »Mein letztes Wort werden die Kanonen aus den Mauern sprechen.«

Die Audienz war zu Ende.

Zwei Stunden später donnerten die ersten Geschützsalven von den in der Eile ausgeworfenen Schanzen der Schweden, und die auf den Wällen von Samoschtsch gaben kräftige Antwort. Die ganze Festung war in Rauchwolken gehüllt, in denen es in kurzen Pausen aufblitzte, während gewaltiger Donner die Ebene erschütterte. Bald überwog der Geschützdonner von Seiten der Festung. Die schwedischen Kugeln fielen entweder in den Wallgraben oder prallten an den mächtigen Mauerangeln ab. Gegen Abend mußte der Feind sich von den nächstliegenden Schanzen zurückziehen, denn sie wurden von einem so starken Kugelregen heimgesucht, daß sie aufgegeben werden mußten.

Der wutentbrannte König von Schweden ließ alle in der Umgegend befindlichen Städtchen und Dörfer anbrennen. Die ganze Gegend glich während der Nacht einem Flammenmeer, doch auch das schreckte den Starosten nicht.

»Laßt sie brennen!« sagte er. »Das ist gut. Wir haben ein Dach über dem Kopfe, während denen dort, bald das Wasser hinter den Kragen laufen wird.«

Er war so zufrieden mit sich, daß er an diesem Tage noch einmal ein Gastmahl herrichten ließ, welches bis spät in die Nacht währte. Er ließ dazu seine Musikanten so laut aufspielen, daß die Schweden die Trompeten und Pauken selbst auf den entfernter gelegenen Schanzen hörten.

Doch die Schweden beschossen andauernd die Stadt; das Feuern dauerte die ganze Nacht. Am nächsten Morgen kamen im schwedischen Lager mehrere neue Geschütze an, welche sofort das Feuer auf die Festung begannen. Der König durfte zwar nicht hoffen, damit eine Bresche in die Mauern zu schießen; er wollte dem Starosten nur beweisen, daß er gesonnen war, die Belagerung hartnäckig und unerbittlich zu betreiben. Er wünschte ihm Furcht einzujagen, aber da täuschte er sich. Der Starost wurde keinen Augenblick wankend, während des heftigsten Kugelregens ging er auf den Wällen umher und sprach zu den Mannschaften.

»Wozu sie nur das Pulver verschießen?« sagte er.

Herr Wolodyjowski und andere Offiziere baten um die Erlaubnis, einen Ausfall machen zu dürfen, doch Herr Samojski verweigerte sie; er wolle durchaus unnützes Blutvergießen vermeiden. Er sah ein, daß ein Ausfall nicht angebracht war und dieser bald zu einem allgemeinen Handgemenge führen mußte, denn eine Armee, wie die Karl Gustavs, ließ sich nicht unbemerkt beschleichen. Als Sagloba merkte, daß es dem Starosten mit der Weigerung ernst war, drängte er um so mehr zu einem Ausfall und erbot sich, denselben anzuführen.

»Ihr seid zu blutgierig,« antwortete Herr Samojski. »Uns geht es gut, den Schweden schlecht, wozu sollen wir zu ihnen gehen? Ihr könntet umkommen und ich brauche euch als meinen Rat, denn nur durch euch bin ich auf den Gedanken gekommen, den Forgell mit den Niederlanden ablaufen zu lassen.«

Herr Sagloba versicherte zwar, daß er es vor Sehnsucht nach den Schweden nicht mehr auf den Mauern aushalten könne, aber er mußte gehorchen.

In Ermangelung anderer Beschäftigung verbrachte er den ganzen Tag auf den Mauern, indem er den Soldaten mit großer Würde gute Ratschläge gab oder sie verwarnte. Diese befolgten eifrig jede seiner Anordnungen, da sie ihn für den tapfersten und erfahrensten Krieger der Republik hielten. Er aber freute sich von ganzer Seele der Verteidigung und des Mutes der Verteidiger.

»Herr Michael!« sagte er zu Herrn Wolodyjowski, »es ist ein neuer Geist eingekehrt in der Republik und beim Adel; eine neue Zeit bricht an. Von Verrat und Sichergeben will keiner mehr etwas wissen, hingegen möchte jeder aus purer Liebe zum Vaterlande lieber zweimal seinen Kopf dem angestammten Könige zu Füßen legen, als auch nur einen Schritt breit Landes freiwillig dem Feinde abtreten. Denkt ihr daran, wie man noch vor einem Jahre von allen Seiten rufen hörte: ›Der ist ein Verräter, jener ein Verräter, dieser hat ein Protektorat angenommen, u. s. w.!‹ Gegenwärtig brauchen die Schweden schon unsere Protektion, aber wenn nicht etwa der Teufel sie protegiert, dann wird er sie sich bald holen. Wir sitzen hier mit vollen Bäuchen, so voll, daß man auf ihnen trommeln könnte, während jenen der Hunger die Eingeweide zu Stricken dreht.«

Herr Sagloba hatte recht. Die schwedische Armee war mit Vorräten an Lebensmitteln gar nicht versehen; wo auch sollte sie dieselben für achtzehntausend Mann, die Pferde nicht gerechnet, hernehmen, da der Starost noch vor Ankunft des Feindes meilenweit in der Runde alles, was nur an Lebensmitteln und Futterbeständen vorhanden war, in die Festung hatte bringen lassen. In den ferner gelegenen Landstrichen aber wimmelte es von herumziehenden Haufen bewaffneten Bauernvolkes. Man durfte also nicht wagen, auf Requisitionen auszureiten, denn außerhalb des Lagers lauerte der Tod.

Dazu war Herr Tscharniezki gar nicht nach dem jenseitigen Ufer der Weichsel gegangen; er kreiste wie ein Raubtier um das Lager der Feinde. Die nächtlichen Alarmierungen hatten wieder begonnen, auch waren schon wieder ein paar ausgesandte kleine Abteilungen spurlos verschwunden. In der Gegend von Kraschnik waren einige polnische Abteilungen aufgetaucht, welche die Kommunikation nach der Weichsel zu abschnitten. Zu guterletzt war die Kunde in das Lager gedrungen, daß Herr Paul Sapieha mit seiner großen litauischen Armee vom Norden her anrücke, daß dieselbe im Vorübergehen das zurückgelassene Kommando in Lublin ausgehoben, Lublin besetzt habe und auf dem Marsche nach Samoschtsch begriffen sei.

Der erfahrenste aller schwedischen Feldherren, der alte Wittemberg allein, erkannte die ganze Größe der Gefahr und stellte sie dem Könige offen vor.

»Ich weiß,« sagte er, »daß der Genius Ew. Majestät Wunder zu leisten vermag. Nach menschlichem Ermessen wird uns aber der Hunger unsere Kräfte aufzehren, und wenn der Feind die Ausgehungerten überfällt, dann entgeht kein Mann der Armee dem sicheren Tode.«

»Wenn Ich diese Festung in meinen Händen hätte,« entgegnete der König, »dann wäre binnen zwei Monaten der Krieg zu Ende.«

»Um sie zu nehmen, brauchen wir mindestens ein Jahr Zeit.«

Im Stillen gab der König dem alten General recht, nur bekennen wollte er ihm dieses Zugeständnis nicht, auch nicht, daß er kein Mittel mehr wußte, aus dieser verzweifelten Lage heraus zu kommen, daß sein Genius total versagte.

Er zählte trotzdem noch immer auf irgend etwas Unvorhergesehenes, deshalb ließ er die Kanonade Tag und Nacht nicht unterbrechen.

»Ich will ihren Mut zerstören, dann werden sie eher zu Unterhandlungen geneigt sein.«

Nachdem die Beschießung mehrere Tage mit wütender Hartnäckigkeit fortgesetzt worden war, so, daß die in der Festung vor Pulverdampf nicht bis hinter die Häuser sehen konnten, sandte er Forgell noch einmal zum Starosten.

»Mein Herr und König,« sagte der General, als er vor dem Starosten erschien, »rechnet darauf, daß der Schaden, welchen die Festung durch unsere Kugeln erlitten haben muß, Ew. Durchlaucht zur Eingehung eines Vertrages geneigter gemacht haben wird.«

Herr Samojski antwortete darauf:

»Gewiß! Freilich! ... Schaden habt ihr angerichtet ... Warum auch nicht? ... Ihr habt ein Schwein erschossen, welches auf dem Marktplatze umherlief. Ein Granatsplitter ist ihm in das Hinterteil gefahren. Schießt noch acht Tage, vielleicht trefft ihr noch eins.«

Forgell überbrachte diese Antwort dem Könige. Noch am selben Abend wurde Kriegsrat im Königlichen Quartier gehalten, am nächsten Morgen packten die Schweden ihre Zelte zusammen und luden sie auf die Wagen; dann zogen sie die Geschütze von den Schanzen ... und in der folgenden Nacht zog das Heer ab.

Samoschtsch sandte ihm einen Abschiedsgruß aus allen Geschützen nach. Als es den Blicken der Besatzung entschwunden war, verließen zwei Reiterfahnen durch das Südthor die Festung und ritten im Galopp davon. Es war die Laudaer und die Schemberksche Fahne.

Die Schweden zogen dem Süden zu. Zwar riet Wittemberg davon ab und mahnte dringend, nach Warschau zurückzukehren, indem er klarlegte, daß dies der einzige Rettungsweg sei, doch der schwedische Alexander blieb fest entschlossen, dem polnischen Darius bis an die äußersten Grenzen des Reiches zu folgen.


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